Meine Rezi bezieht sich auf die Gesamtausgabe des ersten Bandes als Print, sprich auf die Kapitel 1-5.
Die Menschen in Silo leben nicht frei beweglich, sie sind in Arbeitseinheiten und Gruppen eingeteilt und wohnen, arbeiten und verbringen ihr gesamtes Leben in einem unterirdischen Bau, der Silo genannt wird. Das Silo ist riesig und es sind hunderte Menschen. Wie viele genau bleibt unklar, aber es muss mindestens Kleinstadtformat haben. Geburten, Hochzeiten und Beziehungen sind genauso reglementiert wie der berufliche Werdegang der einzelnen Menschen. Dabei gibt es strenge Hierarchien: Jede ausgebildete Person hat einen Schatten, also eine Person, die sich als Lehrling oder Hilfskraft ein Bild von der bevorstehenden Arbeit machen wird.
Lebensmittel, Rohstoffe, Bedarfsgüter - alles wird im Silo hergestellt und es scheint keinen Kontakt zur Außenwelt zu geben. Außerhalb des Silos herrschen menschenunwürdige Bedingungen. Aus einem unbekannten Grund, möglicherweise einem Krieg, gibt es außerhalb des Silos giftige Luft oder giftige Strahlung. Nach draußen gehen heißt sterben, aber nicht jeder Sterbende wird nach draußen geschickt. Rausgeschickt zu werden ist gleichzusetzen mit der Todesstrafe, denn es gibt offiziell keinen ausreichenden Schutz.
In den ersten beiden Teilen des fünfbändigen Werks Silo erlebt man den Auf- und Abstieg der Ordnungshütenden in der Gemeinschaft mit. Die Exekutive wird geleitet vom Sheriff, der oder die weitreichende Einblicke und Bewegungsfreiheiten genießt. Dabei stoßen die Personen immer wieder auf heikle Informationen, denn längst nicht alle Gedanken dürfen in der Gemeinschaft offen besprochen werden. Die Gründe für die Verseuchung der Umgebung des unterirdischen Gebäudes etwa sind nicht zu diskutieren, es gibt auch nur wenige legale Bücher, da bereits das Naturstudium Sehnsüchte nach Freiheit wecken kann. Private und berufliche Kommunikation werden auf Verdacht überwacht. Herrschende Klasse im Silo ist die sogenannte "IT", also diejenigen, die die Computer bedienen und für die Luftregulierung im Silo sorgen. Sie werden angeführt vom Bürgermeister, der sein umfassendes Wissen nicht mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft teilt und selbst ebenfalls an strenge Regeln gebunden ist.
So leben die Menschen schon seit Generationen. Die in der Mechanik beschäftigten sind dabei eine der größten Gruppen, aber gleichzeitig auch welche, die nur für ihren Fachbereich ausgebildet werden.
Es ist nun schwierig den Inhalt wiederzugeben, ohne zuviel zu verraten.
Wer sich aber durch die eher zähen und großteils nicht nachvollziehbaren Zwänge der Figuren auf den ersten 200 Seiten geblättert hat, den erwartet ab Teil drei ein fulminantes und an Spannung kontinuierlich zunehmendes Spektakel aus Ereignissen. Die lange Einführung ist dabei sehr wichtig, wurde mir beim Lesen klar, um später nachzuvollziehen was in den Figuren vor sich geht und auch um die kommenden Kettenreaktionen und Folgen mitzuerleben.
Mit leichter Sprache, angenehmem Satzbau und nur wenig Cowboy-haftem Getue der Figuren zu Anfang konnte ich Hugh Howeys Silo trotz des langweiligen Einstiegs eine Chance geben. Am Ende mutierte das Buch zu einem Pageturner, aber dennoch zu keinem, den man unbedingt gelesen haben muss.
Was mir als Technikfreundin wieder einmal gefehlt hat ist die Ausgereiftheit der Technologien. Wie ist es möglich, dass ein geschlossenes Gebäude, wie ein Silo, unterirdisch ausreichend Strom durch Ölverbrennung erzeugt, um Sauerstoff zu recyclen, Vieh zu züchten, um sauberes Wasser von Abfällen zu trennen, um Lebensmittel zu garen und Metalle zu verarbeiten, während die Umgebungstemperatur für Menschen erträglich bleibt. Mir fehlen auch Hinweise darauf, woher benötigte nicht recyclebare Rohstoffe kommen, auch wenn an einer Stelle von Ölbohrungen die Rede ist. Aber auch solche Bohrungen erzeugen massive Hitze und ich halte es für unwahrscheinlich, dass so eine Hitze ohne Abluftsysteme in der Nähe vom Wohnsilo möglich ist.
Was mir beim Lesen außerdem in den Sinn kam, war die Unmöglichkeit mehrere Dutzend Silos zu bauen, die alle nichts miteinander zu tun haben dürfen. Sicherlich vermeidet man auf diese Weise die Weitergabe von Konflikten, sollte es in einem der Silos zum Aufstand kommen. Dennoch wäre doch ein Netzwerk sehr nützlich, vor allem weil nicht alle die selben Ausgangssituationen haben dürften. Die Umstände zu Bau und Logistik bleiben bis zum Ende unklar.
Auf mich wirkten die Menschen im Silo wie Ameisen in einem Ameisenstaat, wobei die Königin das Regelwerk rund um das Leben im Silo ist. Der Einzelne mit seinen Träumen, Gedanken und Mühen ist nur ein Rädchen im Getriebe der Gemeinschaft. Wer frei und kritisch denkt, wird in der Reinigung ("Rausgehen") aussortiert. Vielleicht ist es das, was die Menschheit vor der Umweltverseuchung retten soll: Lange genug abgewartet hat die Natur im Freien die Gifte abgebaut und die Menschen können wieder aus ihren Silos kommen. So weit sind die Personen im Buch aber noch nicht. Sie leben in ihren Gruppen. Aber wenn es zu einem Bürgerkrieg kommt, dann sind die schützenden Wände des Silos genauso Begrenzung für Fliehende, wie sie auch sonst in ihrem Leben die Freiheit der Menschlichkeit begrenzen.
Wenn Siloeine Kritik an Umweltverschmutzung und Warnung vor einem Extremfall, etwa einem nuklearen Kollaps, sein soll, dann fehlt mir am Ende noch die Frage in welchem Fall wir als Spezies weiterexistieren müssen. Ist das Leben noch ein Leben, wenn wir uns selbst in große Gruppenkäfige sperren, uns in Hierarchien und Aufgaben kategorisieren und unsere freien Gedanken, den freien Willen, aufgeben, um die Spezies am Leben zu erhalten? Sind wir verpflichtet für Nachkommen und Überleben das aufzugeben, das wir zu Lebzeiten des Autors als größtmögliche Freude und Lebenslust kennen?
Diese Fragen stellt Hugh Howey nicht. Stattdessen erfahren wir, wie es ist fast zu ertrinken, wie es für uns ist fast von Strahlung und vor Einsamkeit umzukommen. Wir erfahren, wie lesen uns zum kritischen Denken anregt, aber kritische Fragen bezogen auf des Lesers Leben werden auch indirekt nicht gestellt. Wer aber nach den letzten Seiten ins Grübeln kommt, der fragt sich: "Würde ich dort unterirdisch leben wollen?"
Und noch ein keiner Veganerwitz am Ende: "Wie supplementieren die da eigentlich die Vitamine B und D ohne Sonnenlicht?"
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