[Jordanien] Abdalrachman Munif – Östlich des Mittelmeers

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Autor: Abdalrachman Munif
    Titel: Östlich des Mittelmeers
    Originaltitel, Jahr: Šarq al-mutawassit, 1975
    Übersetzung aus dem Arabischen: Larissa Bender. Mit einem Nachwort von Hartmut Fähndrich
    Verlag: Lenos Verlag
    ISBN: 978-3-85797-708-7
    Ausgabe: Taschenbuch
    Seiten: 266


    Inhalt: Radschab hat für seine politische Tätigkeit fünf Jahre im Gefängnis verbracht. Sein Wille hat der Folter widerstanden, sein Körper nicht. Nach fünf Jahren ist er so schwer krank, daß seine Schwester Anîssa ihn bei ihren Besuchen mit der Zeit dazu bringen kann, aufzugeben. Radschab unterschreibt das verlangte Papier und wird entlassen. Anîssa, ihr Mann Hâmid und ihre Kinder nehmen Radschab auf, aber er ist nicht mehr der Bruder, den Anîssa kannte. Er zieht sich in sich selbst zurück, spricht nicht über seine Erfahrungen. Anîssa würde ihm gerne helfen, weiß aber nicht, wie sie das tun soll. Radschab hat die Erlaubnis, ins Ausland zu reisen, um sich behandeln zu lassen. Aber auch dort wird er kontrolliert, und zu Hause nimmt man Hâmid für Radschabs Wohlverhalten als Bürgen. Nur über Umwege erfährt Radschab von den Problemen, die sein verlängerter Aufenthalt in Frankreich seiner Familie bereitet. Er entschließt sich zur Rückkehr, weil er nichts mehr hat, was die Henker und Folterer ihm nehmen könnte, nicht einmal sein Leben, das so oder so bald enden wird.



    Meine Meinung: Das ist zwar im wesentlichen der Inhalt, und doch ist er es nicht, da es weniger um die Ereignisse selbst geht als viel mehr um das, was sie in den Menschen bewirken. Das Ganze entfaltet sich nicht als fortlaufende Handlung, man muß es sich ein wenig aus den sechs Kapiteln, die immer abwechselnd von Radschab und Anîssa erzählt werden, zusammenpuzzeln. Radschabs Erzählung beginnt dabei auf der Schiffsreise nach Frankreich, aber den wesentlichen Teil nehmen dabei seine Erinnerungen an die Gefängniszeit ein, an seine Mutter, die der Versuch Radschab zu unterstützen das Leben gekostet hat, sowie an die Tage im Haus seiner Schwester nach seiner Entlassung. Dabei wird deutlich, wie Folter wirkt, welche Schäden jenseits der offensichtlich körperlichen sie in einem Menschen hinterläßt, wobei Munif die Beschreibungen der Methoden nicht ausläßt, was die Lektüre alles andere als angenehm macht.


    Radschab leidet aber nicht nur unter den Folgen der Folter, noch mehr leidet er unter dem Gefühl, seine Kameraden verraten zu haben. Er weiß, daß viele Menschen, nicht nur die Gefängniskollegen, das genauso sehen. Und er weiß, daß seine Mutter sein „Einknicken“ nicht gebilligt hätte. Sie hatte ihn immer dazu angehalten, seine Ehre und Würde nicht zu verspielen, und diese Anfeuerung vor allem hat ihn die Folter aushalten lassen. Nach dem Tod der Mutter konnte und wollte Anîssa diese Rolle nicht übernehmen, sie wollte den Bruder einfach nur zu Hause haben. Diese Unbedingtheit mit der die Mutter ihren Sohn hier angetrieben hat, hat mich erschreckt, erinnert sie mich doch fatal an manches aus der Berichterstattung über Selbstmordattentäter. Radschabs Ziel, über das man wie über seine Aktivitäten keine Details erfährt, mag ein ehrenrühriges sein, für das auch Opfer lohnen, aber trotzdem blieb bei mir ein ungutes Gefühl über die Mutter zurück.


    Auch Anîssa erinnert sich. Sie sieht ihren Bruder naturgemäß anders als er sich selbst, und aus diesem Kontrast gewinnt die Person Radschab ein paar Konturen. Im Grunde konnte Anîssa einem nur leid tun. Sie versucht ihr Bestes, um Radschab ins Leben zurückzuholen und tut damit möglicherweise genau das Falsche. Aber woher soll man das wissen? Der psychologisch richtige Umgang mit Folteropfern ist wohl nicht jedem in die Wiege gelegt, zumal es auch nicht genau einen "richtigen" Umgang geben wird. Anîssa scheitert und sie weiß es, was ihr zusätzliche Ängste und Sorgen beschert.


    Munif nennt weder ein Land noch eine Stadt, in denen der Roman angesiedelt ist. Auf Grund seiner eigenen Biographie und seiner Äußerungen zu arabischen Staaten und ihrem Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis läßt sich vermuten, daß dies Absicht war, zum einen wahrscheinlich, um sich selbst etwas vor Repressalien zu schützen (wenn niemand konkret genannt wird, wird er auch nicht behaupten, gemeint gewesen zu sein), zum anderen wohl auch, weil er es nicht auf einen einzelnen arabischen Staat beschränken, sondern als allgemeineres Problem darstellen wollte. Alles in allem ist dieser Roman keine angenehme Lektüre, sondern verstörend und erschütternd, aber durchaus lohnend.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()