Hallo,
meine neunte Rezension im SUB-Wettbewerb 2007
Iwan A. Bunin: "Das Dorf", Bruno Cassirer Verlag, Berlin, 1936, antiquarisch
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Iwan A. Bunin erzählt von den Brüdern Tichon Iljitsch und Kusma Krasow. Der eine ein Kaufmann und Gutsbesitzer, der andere ein Möchtegernschriftsteller, der es aber auch zu nichts brachte. Ihre Familienkonstellation war auch nicht die Beste. Der Urgroßvater wurde von Windhunden zu Tode gehetzt, weil er die Geliebte seines Herrn absprenstig machen wollte. Der Großvater war ein Meisterdieb, der Vater ein Spekulant, der Pleite machte.
An seine Mutter konnte sich Tichon kaum erinnern, eine schrumpelige alte Frau, die heimlich Schnaps trank.
Das Leben war so stumpfsinnig und von solch einer Perspektivlosigkeit, dass er sein bisheriges Leben vergaß. Es lohnt sich ja nicht, sich an irgendwas zu erinnern, denn der gleiche Stumpfsinn ist jeden Tag. Bis nach Mokau ist er wegen den Schweinen nie gekommen, ins Birkenwälchen jenseits der Straße seit zehn Jahren nicht mehr.
Die große Unzufriedenheit führt zu Gewaltausbrüchen. Sie brechen aus, vergehen wieder, und keiner fragt mehr danach. Sogar in manch Landschaftsbeschreibungen, von denen der Roman vorteilhaft zehrt, zeigt sich bedrohliches.
Ein gefügeltes Wort von Kusma fasst das das ganze stumpfsinnige Leben zusammen:
„Wort und Tat stimmen nicht überein. Das ewige russische Lied: Wie ein Schwein leben ist scheußlich, und doch lebe ich so und werde immer weiter so leben!“
Wie die Armut am leeren Magen nagt zeigt auch eine Szene um den ärmsten Bauern des Dorfes, genannt „der Graue“, der ein Schwein, welches durch die Eisdecke des Dorteiches gesackt ist, retten wollte. Der Bauer sprang in den Teich hinterher. Er wollte das Tier retten.
„Das Schwein ertrank trotzdem, der Graue glaubte, aber nun ein Recht zu haben, vom Teich nach dem Gesindehaus zu laufen und Schnaps, Tabak und Essen zu verlangen.“
Iwan Bunin (1870 in Woronesch/ Rußland - 1953 in Paris/ Frankreich) gilt als letzter Vertreter der russischen literarischen Tradition des neunzehnten Jahrhunderts. Er kannte noch Tolstoi, Tschechow und Gorki. Aufgrund der Wirren nach der Oktoberrevolution floh er 1920 nach Paris. Auch im Exil blieb seine Literatur thematisch in Russland.
Sein Roman „Das Dorf“ (1910) spiegelt den Untergang des alten traditionsreichen Russlands wieder. An einer Stelle heißt es:
„Ganz Rußland ist ein Dorf – schreib dir das hinter die Ohren!“
Soviel Tristesse kann ich nur verdauen, weil es gut geschrieben ist. Sogar in der deutschen Übersetzung kann man spüren, welch dichterische Kraft das Werk hat. Der Autor verzichtet auf jedes psychologisieren der Figuren, er erzählt einfach, wie es ist. Im strengen Sinne handelt es sich nicht um einen Roman. So gibt es keine Romanhandlung, die sich aufbaut bis zu einer Schlusswendung, eines Plots. Sondern wir lesen Bilder und Szenen. Ein Dorfleben wie eine Anreihung verschiedener Fotografien, wie eine Dorchronik, die vom Autor geschickt zusammengefügt wurden und so zu einem Ganzen wurden. Bunin sprach von einem „Poem“.
Liebe Grüße
mombour