Gabriella Wollenhaupt - Leichentuch und Lumpengeld

  • Hallo zusammen,


    da ich mich im Moment literarisch gesehen in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts rumtreibe, habe ich meine derzeitige Lektüre unterbrochen, um Gabriellea Wollenhaupts neuesten Roman zu lesen.


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    Zum Inhalt:


    In der Kleinstadt Morgenthal, die ich mir einer der nordrhein-westfälischen Textilstädte nachempfunden vorstelle, wird ein Webereifabrikant ermordet aus dem Wasser des Flusses Morgen gezogen.
    Die Handlung spielt im Vormärz, 1845, und das weitbekannte Schicksal der schlesischen Weber wird hier auf ihre westdeutschen Kollegen übertragen.
    Da der Mord eine politische Dimension zu haben scheint, wird die preußische Staatspolizei in Gestalt des Poizeidirektors Justus von Kleist hinzugezogen, der nun in den verschiedenen Gesellschaftskreisen Morgenthals die Ermittlungen aufnimmt.
    Eine große Rolle spielt dabei die Familie Grünblatt, Ruben Grünblatt ist als Finanzier in das Webereigeschäft verwickelt, seine Frau Marlene führt auf naive Weise die Tradition der großen jüdischen Salons auf Kleinstadtebene weiter, die schöne und unterbeschäftigte Tochter Rachel versucht sich im sozial engagierten Journalismus und macht ihre etwas spät begonnenen Erfahrungen mit den neu zur Verfügung stehenden Männern.


    Zur Autorin:
    Gabriella Wollenhaupt ist uns ja auch hier wohlbekannt, arbeitet als freie (Hörfunk)Journalistin im Raum Dortmund und veröffentlicht zuverlässig jedes Jahr einen Grappa-Krimi, die mit viel Lokalkolorit und lockeren Sprüchen ausgestattet sind.


    Meine Meinung:


    Die Grappa-Krimis lese ich wegen ihrer Unterhaltsamkeit und ihres Lokalkolorits gerne und mag auch historische Romane, also habe ich hier sofort zugegriffen.


    Begeistert bin ich aber nicht! Der Roman ist voller Klischees:


    die bösen fetten Fabrikanten, die über Leichen gehen und Kinder und Frauen schänden, der judenfeindliche Reserveoffizier, die gute Hure, die schöne und kokette Heldin, der seriöse und gemäßigt-humane Polizeidirektor, der hustende und leidende Heinrich Heine, der dem ermordeten Weber ein Grabgedicht (Nachempfunden von Frau Wollenhaupt) schreibt. Solche Klischees passen für einen holzschnittartigen, aber für einen Lesenachmittag unterhaltenden Krimi, aber nicht für einen historischen Roman, den man doch meist auch liest, um etwas über die Zeit zu erfahren.


    Aber an historischen Hintergründen ist hier nicht mehr enthalten als in eher schwachen Pennälerreferaten zum Thema Vormärz. Da werden die bekanntesten Gedichte Heines, Weerths und Herweghs zur Webersituation eingestreut, ein aufrechter Redakteur mit dem sprechenden Namen Immermann bemüht sich um soziale Aufklärung und natürlich darf auch der Pariser Brandkopf mit der Jakobinermütze nicht fehlen.


    Auch ist die Personencharakterisierung neben ihrer Holzschnittartigkeit sehr grob und widersprüchlich: Rachel Grünblatt, die schöne Tochter des feingeistigen Finanziers, erscheint zu Beginn des Romans sehr intellektuell, der Mode, den Männern und den Saloninteressen ihrer Mutter abgeneigt. Plötzlich aber lässt sie sich - im damals hohen Alter von 28 - innerhalb weniger Tage mit drei Männern in erotische Techtelmechtel ein und blendet den Leser verblüffenderweise mit ihrer aufwändigen und vielfältigen Toilette. Und so könnte man reihenweise weiterberichten, wie absurd gerade die Charakterisierung dieser Person, aber auch vieler anderer ist.


    Daneben stößt mir die Sprache des Romans auf: Dass Wollenhaupt durchgängig das Präsens wählt, ist durchaus zu verschmerzen, aber vielleicht aus ihrem Hang heraus, besonders dokumentarisch und lakonisch zu wirken, vermeidet die Autorin fast jede Satzverknüpfung und betrachtet auch Satzgefüge mit Abscheu. Diese daraus resultierenden öden, unverbundenen Parataxen ermüden aber sehr die Leselust.


    Fazit:


    Lieber bei den Grappa-Krimis bleiben, da sucht man keine tieferen Gestaltungsleistungen!


    HG
    finsbury


    EDIT
    Hallo, ich habe den Betreff angepasst. LG Seychella

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()