Beiträge von finsbury

    Günter Ogger schildert in seinem Sachbuch von 1982 die spannende Phase des aufkommenden Kapitalismus zwischen 1820 und 1900, der Kern der Gründerjahre liegt ungefähr im Zeitraum von 1850 bis 1880.


    Dieser Zeitraum in Deutschland ist benannt nach den zahlreichen Gründern, d.h. Männern, die sich damals aufmachten Betriebe zu gründen. Zum Teil waren sie Techniker oder sogar erfinderische Genies, zum Teil Kaufleute und Bänker mit kühlem strategischem Geschick, oder einfach nur Männer mit viel Geld, die zur richtigen Zeit in die richtigen Unternehmen investierten.


    Ogger macht klar, dass der auch in Deutschland angekommene Manchesterkapitalismus kein Werk von guten Menschen war, sondern dass vielfach sogenannte „Industriepiraten“ ohne Menschlichkeit und auf Gewinnmaximierung bedacht die neu entstandene Schicht des Proletariats in jeder denkbaren Form ausbeuteten. Erst später kam es auf Druck von ebenfalls strategisch operierenden Arbeiterführern wie Ferdinand Lassalle oder August Bebel zur Gegenwehr der Arbeiterschaft und schließlich zu Gremien, die miteinander die Arbeitsbedingungen aushandelten. Das war aber zur eigentlichen Gründerzeit noch Zukunftsmusik. Dennoch hält der Autor fest, dass ohne diese Explosion von technischen Neuerungen und durchsetzungsfähigen Kaufleuten und Managern unser heutiger Wohlstand in den sogenannten Industrieländern nicht möglich geworden wäre. Die Umweltbelastungen und der Klimawandel, deren Ursachen aus der damaligen Zeit stammen, hat Ogger, der sein Buch in den End- Siebzigern schrieb, noch nicht im Auge.


    Der Autor beginnt seine Darstellung mit den deutschen Industriepionieren, die erstmal selbst im viel weiter fortgeschrittenen England auf Anregungstour gingen. So wurde zum Beispiel Eberhard Hoesch, einer der späteren Stahlkönige, 1823 fast in Sheffield in einer Stahlfabrik bei der Industriespionage erwischt, weil er das sogenannte Puddlingverfahren näher ausspähen wollte. Nur die Flucht in einen erkalteten Ofen rettete ihn: „Zu seinem Schrecken aber machten die Engländer plötzlich Anstalten, den Ofen unter ihm anzublasen. Mit Getöse ließ er sich durchs Rohr sausen und entwischte den konsternierten britischen Stahlwerkern in einer riesigen Rußwolke.“ (S. 37 meiner Ausgabe, Knaur Taschenbuch) Hier kann man schön sehen, dass Ogger bei fakten- und kenntnisreicher Aufbereitung seiner Ausführungen auch Spaß am Erzählen hat, der sich auf den Leser überträgt.


    Wir lernen die Stahlbarone der Ruhr von Mannesmann in Remscheid über Krupp bis Thyssen kennen, die Berliner Lokomotivkönige um August Borsig, die schlesischen Stahl- und Bergwerksmagnaten wie Graf Guido Henckel von Donnersmark, die großen, oft jüdischen Bank- und Kaufhausdynastien, die zunehmend dem Antisemitismus ausgesetzt waren, sowie das Elektrogenie Werner von Siemens und Nicolaus August Otto, den Erfinder des Viertaktmotors. Daneben gibt es Kapitel über Kunst und gesellschaftliches Leben, die Lebensbedingungen der Armen und das Aufkommen der Arbeiterbewegung. Auch der erste große Börsenkrach im gerade gegründeten deutschen Kaiserreich wird farbig geschildert.

    Angereichert ist meine Ausgabe noch mit zahlreichen Bildtafeln, die die spannend geschriebene Geschichte der Gründerzeit zusätzlich veranschaulichen.



    Leider ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich, lohnt sich aber auf jeden Fall für Geschichts- und auch Technikinteressierte. Eindeutige Leseempfehlung!

    Gerhard Seyfried (*1948) kennen viele noch als Comiczeichner aus der Linken und Alternativen Szene insbesondere der 70er und 80er Jahre. Er hat aber auch eine Reihe historischer Romane verfasst, die sich mit weniger abgegrasten Themen, insbesondere der deutschen Kolonialgeschichte und dem wilhelminischen Kaiserreichs beschäftigen. "Verdammte Deutsche!" wurde 2012 veröffentlicht.


    Inhalt

    Leutnant zur See Adrian Seiler wird 1911 vom Flottendienst in Kiel an die deutschen Botschaft in London abgeordnet , um den dortigen Marineattaché auf Zeit zu unterstützen. Aber eigentlich wird er zu Spionagezwecken eingesetzt, denn in diese Zeit fällt das Wettrüsten der englischen und deutschen Kriegsflotte. Bei einem Auftrag, der ihn in die nautische Buchhandlung des deutschstämmigen Buchhändlers Peterman führt, verliebt sich Adrian in dessen Tochter Vivian. Er bekommt zunächst nicht mit, dass er von dem im Entstehen begriffenen militärischen Abschirmdienst der Marine, dem MI6, beobachtet wird. Dieser ist in Alarmbereitschaft versetzt, weil insbesondere Chief Detective William Melville, eine historische Figur, durch die ebenfalls real veröffentlichten Spionageromane William Le Queux‘ angestiftet, glaubt, deutsche Spione würden die britischen Inseln in riesigen Massen überrennen. Bei seinen Ermittlungen gegen deutschstämmige Briten und Menschen mit Kontakten nach Deutschland schreckt Melville auch nicht vor Unterschiebungen, Unterschlagungen und Falschaussagen zurück, um seiner Meinung nach gefährliche Personen aus dem Verkehr zu ziehen. Das bekommen auch Peterman und Vivian zu spüren, die in der Folge Gefängnisaufenthalte erdulden müssen. Seiler dagegen wird nicht behelligt und spioniert in den Kriegshäfen Portsmouth an der Südküste und Rosith in Schottland. Später wird er wieder zurückbeordert nach Kiel und auf ein U-Boot versetzt, aber nur übergangsweise, denn darauf folgen wieder Spionageeinsätze in GB. Die Handlung endet am Vorabend des 1. Weltkrieges. Seiler und Vivian brechen nach Deutschland auf.


    Meinung

    Der Roman ist interessant in Bezug auf das Thema, hat aber viele erzählerische Mängel. Ein wirklicher Erzählaufbau oder gar eine Spannungskurve ist für mich nicht erkennbar, die Beziehung zwischen Vivian und Adrian dient nur als Aufhänger und Auflockerung für die britische Hysterie gegenüber einer deutschen Spionageschwemme, wobei es erstere wohl vor dem 1. Weltkrieg – hervorgerufen durch die Romane Le Queux‘ - wirklich gegeben hat. Ansonsten breitet Seyfried die Ergebnisse seines sicherlich beeindruckenden Quellenstudiums aus, indem wir Seiler auf seinen Spionageeinsätzen folgen und viel über die britische Kriegsflotte und auch die deutsche erfahren, denn zwischendrin besuchen wir auch mit Seiler und den Petermans mehrmals die Flottenparaden auf der Kieler Woche, wobei die deutsche Flotte ausführlich geschildert wird. Zahlreiche nautische Begriffe erschweren zusätzlich die Lektüre, eingeführte Motive, wie zum Beispiel eine mehrfach erwähnte mitgeschleppte Pistole, werden nicht in die Handlung integriert. Die Charaktere sind recht oberflächlich gezeichnet und ziehen den Leser wenig in ihren Bann. Vivian und ihr Vater verhalten sich für ihre Zeit unglaubwürdig freizügig, ohne dass das näher erklärt würde. Fazit: Für Fans der Marine sicher ein interessantes Buch. Auch ich habe einiges gelernt, mich aber ziemlich gelangweilt.

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    Nicola Förg: Donnerwetter (2013)

    Der hier vorgestellte Bayern-Krimi ist der neunte in der Reihe mit Gerhard Weinzierl und Evi Straßgütl.


    Am Lechsee wird eine Wasserleiche gefunden. Die Kommissare Gerhard Weinzierl und Evi Straßgütl ermitteln, dass der schon mehr als zwei Wochen im Wasser liegende Mann mit Giften getötet wurde, die man schon in der römischen Antike verwendete. Dazu passt, dass sich herausstellt, das Opfer ist ein Historiker und Archäologe, der wohl etwas Sensationelles über den Auerberg, eine römische Fundstätte in der Nähe von Lechbruck , herausgefunden hat. Zur Aufklärung und Umwegen dabei tragen ein wunderschönes Paar israelischer Archäologen, eine keltische Druidin, einige Hobby-Archäologen und auch Weinzierls Verbohrtheit sowie Evis anderslaufende Ermittlungswege bei.


    Dieser Krimi ist der bis dahin mit Abstand schlechteste von Nicola Förg, den ich bisher gelesen habe. Sowieso finde ich die Reihe um die Garmischer Kommissarin Irmi Mangold besser, weil die Figuren besser ausgeführt, weniger klischeehaft dargestellt und viele interessante Themen angesprochen werden. Dagegen geht es im vorliegenden Krimi immer wieder um lächerliche Geschlechtsrollen-Klischees: Beide Kommissare sind von dem schönen israelischen Archäologen-Paar geflasht und werfen sich das gegenseitig mit unsäglich blöden Sprüchen und Anspielungen vor. Auch Weinzierls sonstige Fixierung auf Weißbier und kerniges Essen wird bis zum Erbrechen bedient. Dazu kommt ein an den Haaren herbeigezogener Plot und eine wenig stimmige Auflösung. Ich habe noch zwei aus dieser Reihe hier ungelesen stehen, ich hoffe, die sind wieder deutlich besser.

    Mark Twain: Der Prinz und der Bettelknabe (1881)

    Mark Twains (d.i. Samuel Langhorne Clemens, 1835-1910) historischer Roman behandelt eine angebliche Verwechslung des jungen Prinzen und nachmaligen Königs Edwards VI. von England, Sohn Henrys VIII., mit einem Betteljungen, wonach beide für längere Zeit in den angenommenen Rollen bleiben müssen.


    Inhalt

    Tom Canty lebt in einem Armenviertel Londons als Sohn eines Säufers, Diebes und Schlägers mit seiner Mutter, seinen beiden Schwestern und der ebenfalls gewalttätigen Großmutter von Bettelei. Nur der dort ebenfalls lebende Vater Andrew, ein ehemaliger Mönch, der Heinrichs Klosterauflösung zum Opfer fiel, kümmert sich um die Bildung des Jungen, bringt ihm Lesen, Schreiben und ein wenig Latein bei. Außerdem leiht er ihm Bücher insbesondere über die Geschichte der englischen Könige. Tom träumt sich in die Rolle eines königlichen Prinzen hinein und spielt mit den Kindern seines Viertels entsprechende Rollenspiele. Als er eines Tages sehnsüchtig am Parkzaun des Westminster-Palastes entlangstreift, wird er von der Wache festgenommen, aber von Prinz Edward befreit, der wegen dieser Übergriffigkeit seiner Soldaten erbost ist. Er nimmt Tom mit in seine Zimmer, die Jungen tauschen zum Spaß ihre Kleidung und erkennen beim Blick in den Spiegel, dass sie sich extrem ähnlich sehen. So kommt es, wie es kommen muss. Als der Königssohn in Toms Kleidung hinunter zur Wache eilt, um sich wegen eines Schlags auf Toms Hand zu beschweren, wird er von den Soldaten weggejagt. Tom dagegen halten die adeligen Bediensteten für Edward und sind sehr besorgt, dass dieser plötzlich wahnsinnig geworden sei, weil er sich an keine Umstände seines Lebens erinnert und ständig behauptet, der Betteljunge Tom zu sein. Sie versuchen dies aber gegenüber der Öffentlichkeit zu verbergen, und Tom lernt mit den Wochen dazu, so dass er unauffällig sein Amt versehen kann, obwohl er zunächst gerne zu seinem früheren Status zurückkehren würde. Der König stirbt und der „Prinz“ wird nunmehr auf seine Krönung vorbereitet.


    Währenddessen lernt Edward die Härten des Lebens der Armen kennen, wird von seinem angeblichen Vater geschlagen, soll zum Betteln gezwungen werden, kann ihm aber entfliehen und lernt dabei den adeligen Soldaten Miles Hendon kennen, der sich fortan um ihn kümmert und ihm auch seine Rolle als Prinz gönnt, auf der Edward hochfahrend besteht. Hendon nimmt Edward nach allerlei Abenteuern mit in seine Heimat, die er jahrelang aufgrund seiner Soldatenkarriere nicht gesehen hat, doch im Herrenhaus regiert jetzt sein jüngerer Bruder, ein Bösewicht, der Vater und ältere Bruder sind gestorben. Dieser jüngere Bruder hat Miles‘ Jugendliebe geheiratet und bringt sie wie die Dienerschaft unter Drohungen dazu, Miles‘ Existenz zu leugnen. Dieser wird sogar mit Edward ins Gefängnis geworfen, nach einer Prügelstrafe aber wieder frei gelassen. Beide kommen rechtzeitig zur Krönung in London an, um ihre jeweiligen Identitäten einzuklagen. Sie verschaffen sich Zugang zur Krönungszeremonie, Edward kann mit Toms williger Hilfe seine Identität klären und wird nun richtig gekrönt. Aufgrund seiner Erfahrungen der Armut und Hilfsbedürftigkeit, auch der Willkür von Verwaltung und Justiz wird Edward VI. in seiner kurzen Regierungszeit ein milder König, der einige Reformen anstößt, aber aufgrund seiner Minderjährigkeit und seines frühen Todes nicht viel erreichen kann. Miles und Tom werden in ihrem Rang erhöht und führen ein glückliches Leben.(Auf Edward folgte die katholische Maria, die Tochter aus der ersten Ehe Heinrichs, die unter dem Namen „Bloody Mary“ berüchtigt wurde, das gehört aber nicht mehr zum Inhalt des Romans.)


    Stil und meine Meinung

    Der Roman wird linear, aber mit Perspektivwechseln zwischen den beiden Protagonisten in der Er-Perspektive erzählt, ist auch für Kinder und jugendliche Leser gedacht, bei denen allerdings einiges an Kenntnissen der englischen Geschichte und Gesellschaftsstruktur vorausgesetzt wird. Twain erzählt hier „englischer“ als in seinen berühmten Romanen um Tom Sawyer und Huckleberry Finn, ist stark darum bemüht, in fast dickensscher Weise die Armut und ungerechte Behandlung der unteren Bevölkerungsschichten zu schildern. Der Roman ist spannend und farbig erzählt und in meiner Ausgabe (Insel-Taschenbuch Werkausgabe in zehn Bänden) mit zahlreichen zeitgenössischen Illustrationen geschmückt.


    Mir persönlich gefallen Twains amerikanische Romane und seine Reiseerzählungen besser, aber gut unterhalten habe ich mich allemal gefühlt.

    GEO Epoche 48: Die Mafia (2011)


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    GEO Epoche bringt neben Themenheften zu Geschichtsepochen zwischendrin auch immer wieder Querschnittshefte heraus, die sich einem Thema durch die Zeit widmen. Ein solches Heft ist auch dieses.


    In dem Magazin werden verschiedene Ausformungen des Organisierten Verbrechens beschrieben, die unter dem Oberbegriff Mafia zusammengefasst werden. Ob nun die ursprünglich sizilianische namengebende Mafia, die anderen italienischen Organisationen wie Camorra und N’Dhrangeta, ob die großen Verbrecherbanden in den USA der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder die sich teilweise seit dem 18. Jahrhundert entwickelnden Banden in Japan, Russland und China, ihnen allen sind gewisse Strukturen gemein, die sie dem Organisierten Verbrechen zugehörig machen:

    • ein Oberhaupt, dem sich die Untergebenen bedingungslos verpflichten,
    • damit zusammenhängend Aufnahmeriten in den Bund und heftige Strafen, wenn man sich aus ihm entfernt oder gegen seine Interessen verstößt,
    • Geschäftsfelder wie Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Glücksspiel und Auftragsmord,
    • Infiltration von Verwaltung und Regierungsbehörden durch Bestechung, Bedrohung und Aufbau von Abhängigkeiten,
    • Aufkauf legaler Geschäfte zur Geldwäsche,
    • Entstehung in Staaten und Regionen, in denen die Regierungen und die Exekutive schwach und bestechlich sind, oft auch, wenn Regierungssysteme und Wirtschaftsmodelle wechseln,
    • Durchsetzung ihrer Interessen durch Bandenkriege und Terror gegen die Bevölkerung sowie Strafverfolger,
    • die Ohnmacht der Regierungen, die organisierten Banden auszumerzen.

    Die journalistische Schilderung der Bandenkriege und Taten der Triaden, Yakuza, „Diebe im Gesetz“, der Al Capone, Lucky Luciano usw. ist farbig und dennoch sauber recherchiert. Natürlich hat das Organisierte Verbrechen auch heute noch weltweit die Fäden in der Hand und verdient in manchen Ländern bis zu 10 Prozent des Bruttosozialproduktes.

    Hannah O’Brien: Irisches Verhängnis und Irisches Roulette (2016)

    Im Folgenden schreibe ich zu den ersten beiden Bänden der Reihe um die Ermittlerin Grace O'Malley, weil ich nicht extra für den ersten Band einen neuen Thread aufmachen will.


    Hannah O’Brien ist ein Pseudonym für die deutsche Hörfunkjournalistin und Autorin Hannelore Hippe (*1951). Für ihre Krimiserie (bisher fünf Romane) um die irische Ermittlerin Grace O’Malley benutzt sie dieses Pseudonym. Unter dem Namen Hanne H.Kvandal hat sie außerdem zwei Krimis veröffentlicht, die auf Spitzbergen spielen.


    Zum Inhalt:

    Im ersten der im Titel genannten Bände kommt Grace O’Malley, die aus einem alten Geschlecht im County Mayo stammt, zu dem auch die historisch belegte und namensgleiche Piratin (1530-1599 o. 1603) gehörte, nach Jahren in Dänemark, zurück nach Irland und erhält die Leitung des Morddezernats in Galway, County Connacht, in Westirland. Wie sich später herausstellt, hatte dabei ihr Onkel, Jim O’Malley, einflussreicher Politiker und Geschäftsmann des County, seine Hände im Spiel, um damit einen wichtigen Kontakt bei der Polizei zu haben. Grace allerdings, die ihren Onkel wegen dessen zwielichtiger Umtriebe nicht mag, macht ihm schnell klar, dass sie ihm nicht gefällig sein wird. Dennoch hat sie es zunächst bei ihren Kollegen schwer, da diese ihre Verwandschaft mit Jim kennen und gegenüber dem einflussreichen O’Malley-Clan skeptisch eingestellt sind. In ihrem ersten Fall wird eine junge Studentin ermordet, die einer naturwissenschaftlichen Entdeckung auf der Spur war. Verschiedene Firmen, die diese Entdeckung für sich ausnutzen wollen, spielen im Hintergrund eine Rolle, und zwei weitere Menschen müssen sterben. Bei ihren Ermittlungen helfen Grace der Inspektor Rory Coyne, der Privatdetektiv Peter Burne sowie ein Kneipenwirt.


    Dieses Personal spielt auch eine wichtige Rolle im zweiten Band – Irisches Roulette -, den ich jetzt gelesen habe und in dem es um die internationale Wettmafia, Internetwetten und deren Auswirkungen auf die irischen Nationalsportarten Gaelic Football und Pferderennen geht. In den Fall involviert sind Rorys Zwilingsbruder Ronan, ein deutsches Geschwisterpaar mit einem Biobauernhof in Connemara, eine schrill auftretende Hutmacherin und ein Traveller, so nennen die Iren ihre fahrenden Leute. Coloriert wird die Handlung durch die beiden großen Sportereignisse, ein Gaelic Football-Turnier und die Galway-Races, die einen gesellschaftlichen Höhepunkt im Westen Irlands darstellen.


    Meine Meinung

    Die Romane sind ordentliche Durchschnittskrimis. Was sie für mich besonders macht, ist, dass man in ihnen sehr viel über Irland und die jeweils zugrunde gelegten Themen erfährt. Die Autorin recherchiert schon hier, wie auch später in den Spitzbergen-Krimis, sehr genau Topografie, Mentalität, gesellschaftliche Befindlichkeiten und die speziellen Aspekte ihrer Krimihandlung. Den Krimis sind auch jeweils Karten beigegeben, wo man die häufigen Trips der Protagonisten nachvollziehen kann.

    Ich mag Lektüre mit Mehrwert. Leser, denen es auf atemlose Spannung und viel Blut ankommt, sind bei diesen Krimis nicht gut aufgehoben. Wenn man auch gerne über die Krimihandlung hinaus etwas über Land und Leute auf der schönen und eigenartigen Insel erfährt, ist man hier bestens aufgehoben.

    Nicola Förg: Hohe Wogen (2022)



    Dieser Krimi ist der 13. aus der Alpenkrimi- Serie um Irmi Mangold von Nicola Förg (*1962).


    Am Starnberger See wird eine Frauenleiche auf einem SUP-Board gefunden, ermordet mit einem Raubfischspeer. Sissy Mühlegger war schon im reiferen Alter und Locationscout bei mehreren Filmfirmen. Viele Tatmotive und –verdächtige werden im Laufe der Ermittlungen von Irmi und ihrer gewohnt poltrigen Kollegin Kathi geprüft: Umweltschützer, denn die Tote setzte sich gerne über dergleichen Anliegen hinweg , ein Hersteller von Hanf-Produkten, Nachbarn und Filmkollegen, die die übergriffige Art Mühleggers annervte, spielen eine Rolle, aber auch ein tragischer Bergunfall vor 20 Jahren. Auch ein rumänischer Lastwagenfahrer erliegt später den Verletzungen, die ihm ein ähnlicher oder gleicher Speer beigebracht hatte.


    Irmi Mangold und ihr Team, insbesondere der Tatortermittler und Partner Irmis Friedjof Hase, haben wieder viel Gelegenheit , umweltpolitische Zusammenhänge, insbesondere den Druck der vor den Corona-Einschränkungen in die Natur fliehenden Städter und die Welt der Hanföle zu erörtern und dem Leser darzustellen. Mir war das, was ich eigentlich an der Irmi Mangold-Reihe schätze, in diesem Fall allerdings deutlich zuviel: Der Roman ist überfrachtet mit durchaus sinnvoller Gesellschaftskritik, die sich aber lieber, wie in den anderen Krimis, auf einen Aspekt hätte beschränken sollen. So wird die Spannung immer wieder aufgehalten, und manchmal übertreibt die Autorin ihre Belehrungen auch, insbesondere zum Thema Hanföl, für das ich nun keinen Aufsatz mehr lesen muss, um informiert zu sein.


    Ich hoffe darauf, dass die die folgenden Krimis wieder zu alter Straffheit zurückfinden.

    Dieser Roman - 1991 veröffentlicht -ist der letzte aus der Schlesientrilogie von Leonie Ossowski (d.i. Jolanthe von Brandenstein 1925-2019), die selber von einem großen Gutshof in Niederschlesien stammt und in der Hauptfigur Anna auch autobiografische Elemente verarbeitet.


    Inhalt:Seit die Berliner Journalistin Anna Ujazd (= Rohrdorf) besucht hatte (1. Band Weichselkirschen), sind zwanzig Jahre vergangen. Die aus Ujazd stammende Familie Kowalek rund um Mutter Friedel, die damals Dienstmädchen auf Schloss Rohrdorf war und Anna daher gut kennt, beschließt - insbesondere durch den Einfluss der halbdeutschen Friedel – Ende der Achtziger Jahre nach West-Berlin auszusiedeln, weil die ökonomische Situation in Polen angesichts einer hohen Inflation und Korruption immer schwieriger wird. Friedel behauptet, um ihre Kinder zu motivieren, dass Pani Anna ihr geschrieben und umfassende Hilfe zugesichert habe. Also bekommt nach mehreren Bestechungsgeldern die Familie - Tochter Janka mit Ehemann Josef und Sohn Tomek mit Frau Renata und Sohn Jan - die Ausreisepapiere und landet in einem Berliner Aussiedlerlager. Der Neuanfang gestaltet sich aber sehr schwierig, weil die Familie ohne deutsche Ausweise keine Arbeitserlaubnis bekommt und auch keine Wohnung. Bei einem Fernsehinterview beklagt sich Janka, dass Pani Anna im Gegensatz zu ihrem Versprechen nie geholfen habe. Anna ist zwar über die nun auffliegende Lüge Friedels erbost, kümmert sich aber jetzt um die Familie und organisiert Josef, der im Kombinat in Ujazd Schafmeister war, einen Job als Pferdepfleger. Tomek hat über Kontakte aus Polen Fuß - zunächst schwarz – im Computerhandel gefasst, und Renata geht die ganzen Tage in die Kaufhäuser, um sich zu anzuschauen, was sie später alles kaufen kann.


    Parallel dazu entdeckt Vera, die Tochter von Anna und dem Polen Ludwig Janik, was sie aber nicht weiß, dass sie nicht die Tochter ihres Vaters Wilhelm ist, den Anna damals schnell geheiratet hatte, um den Skandal einer Schwangerschaft durch einen polnischen Vater in den Endmonaten der Naziherrschaft zu vermeiden. Dass sie Vera niemals über ihren echten Vater informiert hat, nimmt diese ihrer Mutter sehr übel und fährt zusammen mit Tomek und einer Ladung geschmuggelter Computer nach Ujazd, um ihrem Vater Ludwik seine Vaterschaft mitzuteilen. Der aber will nichts davon wissen.


    In Berlin stellt sich mittlerweile heraus, dass Tomek und Renata mit den sich durch Anna und Tomeks Job positiv verändernden Lebensbedingungen gut klar kommen, während Josef, der nur wegen seiner Frau Janka mitgekommen war, einige schlimme Erfahrungen mit Ausländerhass machen muss. Auch Tomeks Sohn Jan kommt nicht gut zurecht und sehnt sich nach der Heimat und der anderen Großmutter. Schließlich gehen Janka und Josef zurück nach Ujazd und Friedel, die das Ganze ausgelöst hat, bricht mit einer tiefen Depression zusammen und muss in die psychiatrische Klinik.


    Meine Meinung

    Dieser Band hat mir fast am besten gefallen, weil er mich an die Zeit erinnert, als viele Aussiedler in die BRD kamen und mir einen Einblick verschafft hat, wie schwierig die Situation für die Aussiedler war. Das Besondere auch an diesem Band ist wie bei den anderen zwei die Authentizität des Erzählten. Wie ich schon in den anderen Besprechungen erwähnte, wird der Büchermarkt ja seit einiger Zeit mit historischen Romanen über das zwanzigste Jahrhundert überflutet, die aber mit den Augen des 21. Jahrhunderts auf die letzten hundert und mehr Jahre zurückblicken. Ossowski aber nicht, sie war Zeitzeugin, in vielen Berufen tätig und in der Thematik heimisch. Die drei Bände habe ich nun nach 1995 ein zweites Mal gelesen und damit weitere Einsichten über das Leben im 20. Jahrhundert gewonnen bzw. reaktiviert. Ich denke, diese Trilogie sollte wie - einige andere Bücher Ossowskis – nicht vergessen, sondern immer wieder neu aufgelegt werden.

    DAS sollte ich also unbedingt mal aus dem SUB ziehen demnächst!! Danke Jaqui :blume:

    Ich hab übrigens ein ähnlich thematisiertes Buch gelesen, das ich auch supertoll fand:, kennst Du das auch?! :


    Dava Sobel - Längengrad

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    Das habe ich auch - ist allerdings schon lange her, aber ich kann mich ganz gut daran erinnern - gelesen. Ein tolles Buch, das die Mühen der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung sowie die Hemmnisse, die ihr in den Weg gelegt werden, gut beschreibt.

    Der Rabbi (1965)


    Dieser Roman von Noah Gordon (1926-2021) beschreibt Stationen im Leben von Michael Kind in den USA, Enkel eines eingewanderten russischen Juden.


    Inhalt:Michael Kind wächst als Sohn eines Dessous-Fabrikanten in Brooklyn auf. Sein Großvater, der ein Pogrom in seiner Heimatstadt Kischinau durch Zufall überlebte und danach mit seiner Frau in die USA auswanderte, hat in seiner Kindheit und Jugend großen Einfluss auf ihn. Er ist sehr fromm und gerät deshalb häufiger in Konflikt mit Michaels Mutter, die die jüdischen Gesetze etwas freier interpretiert. Michael hilft seinem Vater in der Fabrik und beginnt ein Studium, aber erst nach der Begegnung mit dem orthodoxen und sehr gelehrten Rabbi Michael Gross findet der Protagonist seine eigentliche Berufung und beginnt seinerseits die Ausbildung zum Rabbi. Seine erste Anstellung ist eine Art Wanderrabbinat in den Bergen der Zentralstaaten, die ihn zwar seelisch zufriedenstellt, aber ihm keine Familiengründung ermöglicht. Denn inzwischen hat er Leslie Rawlings kennen gelernt, Tochter eines protestantischen Pfarrers. Dieser konvertiert um seinetwillen bei Michael Gross zum Judentum, und beide gehen nach Florida zu einer freien Hilfsrabbinatsstelle, wo sie eine Familie gründen. Aber aus unterschiedlichen Gründen ist Michael in mehreren Gemeinden, wo er als Rabbi arbeitet, nicht glücklich. Er will es nicht in einer Gemeinde einfach haben, die zwar alles bezahlt, aber nicht wirklich hinter ihrem Glauben steht und möchte sich auch nicht in zwielichtige Finanzgeschäfte verwickeln lassen. Endlich findet die Familie in Massachussetts eine passende Gemeinde, und alles könnte gut sein, wenn Leslie jetzt nicht einen Zusammenbruch erlitten hätte und für mehrere Monate in die Psychiatrie muss, wo sie mit Elektroschocks behandelt wird. Dies ist die Haupterzählebene, die 1964 spielt. Schließlich findet Leslie nach einer Reise in ihre Vergangenheit wieder zu sich, Michael und ihrer Familie zurück. Damit endet der Roman.


    Meine Meinung:


    Ich habe mir von dem Roman zum Teil etwas anderes erwartet, eine Art Gesellschaftsbild des jüdisch-amerikanischen Lebens in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das ist es auch zum Teil, aber im Wesentlichen geht es um Michaels seelische Entwicklung und um die Ehe zwischen ihm und Leslie.

    Dabei tritt teilweise die erlebte Gegenwart auf merkwürdig distanzierte Weise in den Hintergrund und das hat mich in einem Bezug besonders irritiert. Ende der Vierziger Jahre spricht er mit Leslie, die er gerade kennen gelernt hat, über sein Judentum:

    „Es muss sehr unangenehm sein, Jude zu sein, viel schlimmer als Vegetarier“, sagte sie. „Mit all den Verfolgungen und dem Wissen um die Todeslager und die Krematorien und all das.“ „Ja, sicher ist es unangenehm – wenn man selbst im Krematorium oder Konzentrationslager ist. Aber draußen, überall sonst, kann es wunderbar sein, da wird’s nur unangenehm, wenn man es unangenehm werden lässt – wenn man zum Beispiel duldet, dass Leute einen guten Tag mit Gerede kaputt machen […}.“

    Selbst wenn man bedenkt, dass er sich in Leslie gerade verliebt und jetzt nicht über so schwierige Dinge sprechen will, finde ich es doch für einen Rabbi ein starkes Stück, das Leiden und den Tod im Holocaust lediglich als „unangenehm“ zu bezeichnen. Auch sonst wird dieses Thema nur ganz am Rande erwähnt. Die Menschen, insbesondere die Juden und erst recht deren religiöse Vertreter in den USA werden sich aber doch sicher viel stärker zu jener Zeit mit der Situation der Juden in Europa und im Nahen Osten auseinandergesetzt haben.

    Fazit: Ich habe schon ein bisschen was aus dem Buch mitgenommen, aber finde es auch irritierend.

    Dorothy Whipple (1893-1966) war eine britische Autorin, die Romane, Kinderbücher und Kurzgeschichten verfasste und in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts wohl oft gelesen wurde. Später vergaß man sie und legte sie in den letzten Jahren im UK neu auf. Der hier kurz angerissene Roman ist ihr letzter und der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde.


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    Inhalt:
    Die Familie North, bestehend aus Mutter Ellen, Vater Avery, einem Verleger und den beiden fast erwachsenen Kindern Hugh und Anne wohnen zufrieden und nur mit den üblichen Alltagsproblemen behaftet in einem Haus mit großem Garten im Speckgürtel von London. Da stößt die Französin Louise, eine junge schöne Frau vom Typ Femme Fatale zur Familie, weil sie für einige Monate als Gesellschafterin bei der alten Mrs. North, Averys Mutter angestellt wird. Es kommt, wie es in dieser Art Bücher kommen muss, Louise bricht in die Ehe der Norths ein, und am Ende ist nichts mehr, wie es war.

    Meine Meinung:
    Bei diesem Roman mache ich zum ersten Mal vom Abbruchsrecht beim SUB-Listen-Wettbewerb Gebrauch. Ich habe mir das Buch aus mir völlig schleierhaften Gründen vor anderthalb Jahren gekauft und werde es nun schleunigst in den nächst gelegenen öffentlichen Bücherschrank stellen. Das Buch strotzt nur so vor Klischees: die gefährliche und herzlose Französin, die aufrechte, englische Familie, die die Gefahr zu spät erkennt und am Ende der reuige Ehemann. Zwar wird Louises Herzlosigkeit mit einer Liebesenttäuschung in der Vergangenheit begründet, aber insgesamt hat man den Eindruck, dass hier noch auf Narrative aus dem Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England, natürlich aus englischer Sicht, zurückgegriffen wird. Die Franzosen sind entweder so wie Louise oder simpel gestrickt wie ihre Eltern oder voller Standesdünkel, die Engländer die aufrechten Charaktere, die nur aus Versehen mal falsch abbiegen.

    Das musste ich mir nach einem Drittel nicht weiter antun. Den Rest habe ich quer gelesen. Das Ganze ist recht flott geschrieben, es ist aber eine Beleidigung für Jane Austen, mit welchem Vergleich auf der Buchrückseite geworben wird. Diese Autorin musste nicht ins 21. Jahrhundert importiert werden ... .

    Eric Ambler: Die Maske des Dimitrios (1939)


    Inhalt:


    Charles Latimer, ein britischer Wissenschaftler und Krimiautor, reist 1938 in die Türkei, um sich zu erholen und Inspirationen für seine Krimis zu finden. Auf einer Feier lernt er den Chef der türkischen Geheimpolizei, Oberst Haki, kennen. Dieser gibt ihm die Gelegenheit, ihn auf seinen Ermittlungen zu begleiten, die zu einem Mordfall führen. Im Bosporus wurde eine Leiche angespült, die anhand der beigeführten Ausweispapiere als der seit langem gesuchte Mörder Dimitrios Makropoulos identifiziert werden kann. Dieser hatte 1922 einen jüdischen Finanzhändler mit einem Komplizen überfallen und das Opfer dann erstochen. Dimitrios floh mit der Hälfte des erbeuteten Geldes, und der Komplize wurde aufgegriffen und hingerichtet. Latimer ist fasziniert von dieser Geschichte und dem Häuflein Mensch im Obduktionssaal, das von Dimitrios übrig geblieben ist. Obwohl er eigentlich klassische englische Krimis schreibt, will er den Spuren dieses Dimitrios weiter folgen. Seine Recherchen führen ihn über Athen, Sofia, Genf bis nach Paris. Unterwegs begegnet er dem schleimig-gefährlichen Herrn Peters, der auch Dimitrios kennt, Latimer zunächst bedroht, ihm dann Tipps gibt und ihn schließlich zu seinem Komplizen macht. Latimer findet heraus, dass Dimitrios mehrfach seinen Namen geändert hat, in politische Attentate verwickelt war, mindestens zwei nachweisbare Morde auf dem Gewissen hat, einen florierenden Rauschgifthandel zwischen dem Balkan und Paris aufgezogen hat, in dem Peters zu seinem Mitarbeiter wurde, noch immer lebt und inzwischen im Vorstand einer skandalbeladenen Bank sitzt. In einem großen Showdown zwischen Peters und Dimitrios kommt Latimer nur knapp mit dem Leben davon.


    Meine Meinung


    Der Roman fasziniert - wie auch die anderen von Ambler, die ich bisher gelesen habe – insbesondere durch seine klare politische Analyse der Zeitverhältnisse, hier der Zwanziger und Dreißiger Jahre in der Türkei, auf dem Balkan und in Westeuropa. Ich habe vieles erfahren, was mir bisher fremd war, weil ich mich kaum mit den Geschehnissen in Südosteuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt hatte, außerdem über den Rauschgifthandel. Die ersten zwei Drittel des Romans, die sich damit beschäftigen, waren daher die für mich interessanteren. Als es nachher hauptsächlich um die Intrigen des Dimitrios und seiner Mitarbeiter ging, war es für mich weniger spannend, da ich die titelgebende Hauptfigur keineswegs so faszinierend finde wie Latimer. Dennoch: ein cool und distanziert geschriebener Polit- und Wirtschaftskrimi, der einen in eine ganz andere Welt entführt, die dennoch viel mit unserer Gegenwart gemein hat.

    Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte / Südlich der Grenze, westlich der Sonne (1992)


    Dieser Roman behandelt die obsessive Beziehung Hajimes zu Shimamoto.


    Inhalt:


    Beide lernen sich als zwölfjährige SchülerInnen kennen und werden tief verbundene Freunde. Sie gehen aber auf verschiedene weiterführende Schulen und Hajime verliert seine Freundin bald aus den Augen, obwohl er während der nächsten Jahre und Jahrzehnte immer wieder voller Sehnsucht an sie denkt. Mit siebzehn verletzt er seine erste intime Freundin Izumi schwer, weil er sie mit ihrer Cousine betrügt. Izumi verliert im Folgenden jede Lebensfreude und wird zur seelenlosen Hülle, was Hashime aber erst viel später erfährt.


    Hashime wird nach dem literaturwissenschaftlichen Studium zunächst Lektor in einem Schulbuchverlag mit geringem Gehalt und vegetiert mehr, als dass er lebt. Eines Tages – mit 27 - meint er, Shimamoto auf einer Straße zu sehen und folgt ihr. Sie geht in ein Café, bestellt hintereinander zwei Kaffees, trinkt sie aber nicht, telefoniert dann, bestellt sich ein Taxi und verschwindet. Ein älterer Mann spricht den zurückgebliebenen Hajime an, unterstellt ihm, dass er die Begegnung mit der Frau veröffentlichen wolle, gibt ihm einen Umschlag mit 100 000 Yen und droht ihm.


    Wenige Jahre später lernt Hajime Yukiko, Tochter eines reichen Bauunternehmers, kennen. Die beiden heiraten, bekommen zwei Töchter und führen scheinbar eine glückliche Beziehung. Hashime hat mit finanzieller Hilfe seines Schwiegervaters zwei Jazzbars eröffnet und führt diese mit solchem Erfolg, dass ein Artikel über ihn in einem Magazin veröffentlich wird. Vielleicht darüber findet ihn Shimamoto, inzwischen eine wunderschöne Frau mit magischer und geheimnisvoller Ausstrahlung. Sie treffen sie häufiger in einer der beiden Bars, machen eine Reise, die Shimamoto für ein geheimnisvolles Begräbnis nutzt und erfüllen sich später endlich ihre Leidenschaft. Niemals aber berichtet Shimamoto über ihr jetziges Leben und ihre Vergangenheit. Nach dieser einzigen Nacht verschwindet die Geliebte für immer. Hajime erstarrt und findet keinen Sinn mehr im Leben, seine Frau Yukiko hatte den Betrug gefühlt, lässt ihm aber Zeit, sich über den Fortgang ihrer Beziehung sicher zu werden. Der Roman endet offen, man kann sich vorstellen, dass das Ehepaar zu einer erfüllenden Beziehung findet, aber auch dass Hajime weiterhin an einem sinnhaften Leben scheitert.


    Meine Meinung:


    Mir hat der Roman wenig gegeben. Das Thema - jemand, der den Lebenssinn in eine andere Person projiziert bzw. in die Idee von ihr - entspricht kaum meinen Interessensgebieten. Der genannte Schwerpunkt steht so sehr im Mittelpunkt, dass alle anderen Aspekte des Lebens nur kurz angerissen werden und seltsam nebulös bleiben.

    Es ist mir aber durchaus bewusst, dass mein mangelndes Interesse wenig über die Qualität des Romans aussagt.

    Das war mein erster Roman von Murakami, und er hat nicht die Lust aufkommen lassen, noch etwas von ihm zu lesen.

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    Dinçer Güçyeter wurde 1979 als Sohn eines Ehepaars der ersten Gastarbeitergeneration in Nettetal geboren. Er ist bisher vor allem als Lyriker in Erscheinung getreten, hat den Elif-Verlag gegründet und arbeitet zeitweise auch als Schauspieler. „Unser Deutschlandmärchen“ ist sein erster Roman.


    Inhalt und Form:Der Roman ist vor allem eine Hommage an seine Mutter Fatma und schildert autobiografisch die Zeit von Fatmas Geburt bis zu den späten Neunzigern, abwechselnd in Beiträgen von Fatma und Dinçer, zu Beginn auch aus Sicht der Großmutter Hanife.

    Fatma wird in einem kleinen Dorf in Anatolien geboren. Ihr Vater stirbt früh, und damit verliert ihre Mutter Hanife ihren wirtschaftlichen Halt und die ehrenvolle Stellung als verheiratete Frau. Sie bringt sich und ihre Kinder durch harte Arbeit in der nächstgelegenen Kleinstadt durch.

    Dinçers Vater Yilmaz arbeitete Mitte der Sechziger Jahre ein Jahr lang als Gastarbeiter in Deutschland, bevor er in der Türkei bei einem Heimataufenthalt infolge einer Familienvereinbarung Fatma aus dem Nachbardorf heiratete, die ihn vorher auch nicht kannte. Beide gingen zurück nach Deutschland und zogen in den zu Nettetal gehörenden Ortsteil Lobberich nahe der niederländischen Grenze. Da der Vater wenig beständig in der Industrie arbeitete, bald eine Kneipe übernahm und sich durch leichtsinnige Investitionen hoch verschuldete, blieb alle Last der finanziellen Absicherung und familiären Arbeit an Fatma hängen, die neben einer Vollzeittätigkeit in der Industrie noch in der Landwirtschaft arbeitete, in der Kneipe putzte und kochte und Wohnung sowie Familie versorgte. Ihr Wunschkind Dinçer kam erst nach dreizehn Jahren zur Welt, zwei Jahre später der Bruder Özgür. Aufgrund ihres arbeitsamen harten Lebens verschleißt sie schon früh ihren Körper und muss häufig operiert werden.

    Der Autor zeichnet das Bild dieser ungemein starken und anpassungsfähigen, dennoch in den kulturellen Traditionen ihrer Heimat verwurzelten Frau, die er ungeheuer bewundert und an der er sich gleichzeitig reibt. Er ist nämlich eher ein Träumerle, liest gerne, schreibt schon mit acht Jahren eigene Gedichte und spielt selten mit anderen Kindern. Zur Unterstützung seiner Mutter aber tut er alles, fährt schon mit acht Jahren den Traktor auf dem Feld, wo auch Fatma arbeitet und erledigt allerhand Arbeiten und Aufträge für sie. Später, in der Pubertät und danach, entfremdet er sich von seiner Mutter, weil er ihren Ansprüchen nicht genügen kann und will. Er beginnt zwar eine Lehre in dem Industriebetrieb, in dem auch seine Mutter arbeitet, schließt sich aber auch einer Theatergruppe an und versucht, seine Texte zu veröffentlichen. Bei einem Urlaub in der Türkei ist er entsetzt, dass für ein Fest ein Kalb in Anwesenheit der Mutterkuh im Stall geschlachtet wird und verliert völlig die Fassung. Das nimmt ihm seine Mutter übel, die das „Gesetz der Steppe“ mit seiner Erbarmungslosigkeit gegenüber der Mitkreatur, aber auch sozial abgewerteten Gruppen wie den Frauen und Minderheiten wie Kurden als gegeben voraussetzt und sich nicht dagegen auflehnt, wenn sie auch in Bezug auf andere Menschen sehr hilfsbereit ist. Aber gleichzeitig ist sie eine heftige Verfechterin der These, dass der Mensch des Menschen Wolf ist und das nicht änderbar ist.

    Der Roman endet offen, beide Protagonisten scheinen aber zu einer Akzeptanz des anderen gekommen zu sein. Die Sprache des Werks ist teils lyrisch, teils deftig, auch in den Kapiteln, die aus der Sicht Hanifes und Fatmas gestaltet sind. Insbesondere die sexuelle und ökonomische Ausbeutung der Frauen in der klassischen pariarchalischen Gesellschaft wird klar benannt. Andererseits ist ein wichtiges Thema des Romans auch die Unbehaustheit der Protagonisten, die zwar Freundlichkeit und Unterstützung durch einzelne Deutsche, vor allem aber Ausbeutung und Arroganz erfahren und sich nach dem Brandanschlag von Solingen 1992 nun auch bedroht fühlen müssen.

    Die berichtenden und schildernden Teile des Romans wechseln sich ab mit lyrischen Teilen, die die Seelenlage der beteiligten Personen ausloten und eben auch diese Unbehaustheit und die Kritik an den Geschlechterrollen zum Ausdruck bringen.

    Fazit:

    Ein eigenwilliges Buch, nicht immer ganz leicht zu lesen, aber eine sehr intensive Leseerfahrung und ein wichtiger Beitrag zu den vielfältigen Stimmen unserer multiperspektivischen Lebensumgebung.

    Fatmas Lebensweg und die Liebe ihres Sohnes zu seiner starken Mutter haben mich sehr berührt.

    Zum Inhalt:

    Peter Arbeitsloser ist nun zum Maschinentherapeuten aufgestiegen, nachdem er im ersten Band noch Maschinenverschrotter war und aus Mitleid mit den gestörten Robotern und intelligenten Haushaltsmaschinen diesen in seinem Keller Asyl gegeben hat. Der zweite Roman zieht viele witzige Momente aus seinen Therapiesitzungen mit einem berührungsfeindlichen Kuschel-Bot, einem unglücklich verliebten Kühlschrank usw. Die eigentliche Geschichte dreht sich aber um Henryk Ingenieurs – dem reichsten Mann Quality Lands und Eigentümer des größten Online-Shops „The Shop“ – Interesse an einer Präsidentenkandidatur, für die er Peters Beratung erzwingt, und Kiki Unbekannts Suche nach ihren Eltern und dem Grund dafür, dass keine Informationen über sie im Netz verfügbar sind. Kiki war im letzten Band Peters Freundin und bezieht ihn auch jetzt in die Suche mit ein. Außerdem wird der Niedergang von Martyn Vorstand beschrieben, der im Vorband den allseits beliebten Präsidenten und Androiden John of us getötet hatte. Zusätzlich dramatisch wird die Handlung durch den Ausbruch des Dritten Weltkriegs wohl durch einen Zufall, der aber bereits nach acht Stunden und Millionen von Opfern wieder beendet ist, ohne dass die Bewohner von Quality Land das Ganze überhaupt mitbekommen. Unterbrochen werden diese Handlungselemente wie im ersten Band durch farblich abgesetzte Werbung, Blog-Beiträge und „Hintergrund“informationen.

    Meine Meinung

    Das eigentliche Thema des Romans aber ist, dass einige Weltkonzerne mithilfe des Internets und intelligenter Technologien die Menschen zu willenlosen Opfern der ihnen eingetricherten Bedürfnisse versklaven und verblöden lassen. Nur wenige, wie Peter und Kiki, wehren sich dagegen und werden daher zu Feinden der Machthabenden.

    Da wir genau solche Bestrebungen auch heute schon im Rahmen des World Wide Web und der dadurch mächtig gewordenen Weltkonzerne amazon usw. erleben, bleibt einem das Lachen oft im Halse stecken. Dennoch ein gut zu lesender, unterhaltsamer, aber auch bedrückender Roman, vielleicht in den farblich abgesetzten Teilen manchmal etwas zu redundant.

    Dieser Roman (1987) ist der zweite Teil der Schlesien-Trilogie, die noch die Bände „Weichselkirschen“ und „Holunderzeit“ umfasst, wobei „Wolfsbeeren“ von der erzählten Zeit her der erste ist.


    Inhalt und Form:


    In einem Perspektivwechsel zwischen der Ich-Erzählerin Sophie Zertsch und einem multiperspektivischen Er-Erzähler erfahren wir die Vorgeschichte zum Band „Weichselkirschen“, in dem Sophies Tochter Anna in den Siebziger Jahren an ihren Geburtsort im ehemaligen niederschlesischen Grenzland zurückkommt.




    Sophie, aus adeligem, aber verarmten Hause in Mecklenburg-Vorpommern stammend, ist 1918 ungefähr so alt wie das Jahrhundert und studiert in München an der Kunstakademie. Während einer Demonstration lernt sie Filip Spielmann kennen, einen jüdischen Journalisten, der für den Sozialismus und gegen die Restauration kämpft. Sie verlässt die Kunstakademie und zieht mit Filip zusammen, der aber schon bald verhaftet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Sophie geht zu ihrer Tante Hedwig nach Berlin und führt einige Jahre ein bewegtes Partyleben in den wilden Zwanzigern. Dort lernt sie den späteren General Clemens von Mihlen kennen, in den sie sich verliebt, der sie aber auf Distanz hält und mit seinem Freund Leopold Zertsch, einem niederschlesischen Gutsbesitzer, verkuppelt. Sophie wird Baronin auf dem Schlossgut Rohrdorf in der schlesischen Grenzprovinz zu Polen, bekommt drei Töchter, hält aber über all die Jahre den Kontakt und Liebesbeziehungen zu Clemens und später auch wieder Filip aufrecht. Der Leser erfährt viel über das Leben der adeligen Gutsbesitzer und ihre Sorgen und Hoffnungen während der End-Zwanziger und des Nationalsozialismus bis zum Kriegsende und der damit verbundenen Flucht. Wir erfahren auch von der Liebe zwischen der jungen Anna und dem polnischen Zwangsarbeiter Ludwik Janik, und auch andere Personen der „Weichselkirschen“ kommen hier schon vor.


    Meine Meinung


    Man bekommt eine Menge Einblicke in die Dinge, die die Menschen in den Zwanzigern und während des Nationalsozialismus bewegt haben, weniger Sicht auf die großen Katastrophen wie Holocaust und Weltkrieg als in die davon dennoch mitbestimmten Alltagsdinge. Über die Figuren Filip und Clemens wird man aber auch in die Kreise der politischen Entscheider geführt und erhält auch dort einige Informationen.


    Insgesamt merkt man diesem Band aber an, dass er im Gegensatz zu den “Weichselkirschen“ weniger auf unmittelbarem Erleben beruht (was aber durch das Mädchen Anna, zumindest in Ansätzen ein alter ego der aus ähnlichen Verhältnissen stammenden Leonie Ossowski – ein Pseudonym für Jolanthe von Blankenstein – auch einfließt) als auf Quellenstudium und vielleicht auch Erinnerungen von Familienmitgliedern. Dadurch wirkt er weniger authentisch als die „Weichselkirschen“. Mit Sophie in ihrer merkwürdigen Disparität zwischen den drei Männern bin ich nicht so recht warm geworden. Der dritte Band „Holunderzeit“ schließt dann wohl wieder an die „Weichselkirschen“ an.

    Der Brite Eric Ambler gilt als Vater des Politthrillers. Der hier vorliegende Roman gehört zu einer Reihe von sechs Romanen und einigen Kurzgeschichten, die zwischen 1935 und 1941 erschienen und die Verhältnisse in Europa vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in den Blick nehmen.


    Zum Inhalt


    Nick Marlow, ein Maschinenbauingenieur, verliert während der Rezession der Dreißiger Jahre in England seinen Arbeitsplatz und nimmt, da sich ihm nichts anderes bietet, die Leitung der italienischen Vertretung einer englischen Rüstungsfirma in Mailand an, die Maschinen baut, mit denen man Patronen verschiedener Kaliber herstellen kann. Sein Vorgänger kam bei einem Autounfall ums Leben, wie sich später herausstellt, wurde er ermordet. Marlow findet ein verlottertes Büro vor mit einem sehr freundlichen Bürovorsteher, der aber anscheinend alles andere macht, nur nicht arbeitet. Während Marlow die Unterlagen ordnet und seine Kontakte zu den Firmenkunden im faschistischen Italien unter Mussolini aufnimmt, macht er merkwürdige Bekanntschaften. In dem Büro unter seinem arbeitet ein Amerikaner slawischer Herkunft, Zaleshoff, der ihn einlädt und später mit seiner Schwester bekannt macht. Außerdem tritt ein angeblich jugoslawischer General Vagas an ihn heran, der ihn auch einlädt und ihm schließlich ein unmissverständliches Angebot macht, seine englische Firma für die jugoslawische Regierung auszuspähen, was auch sein Vorgänger gemacht habe. Marlow lehnt zunächst empört ab. Zaleshoff, mit dem er sich ein bisschen befreundet, sagt ihm voraus, dass er später auch die italienischen Firmen für Vagas ausspähen soll und outet sich ebenfalls als eine Art Spion, der für die „Guten“ – wer das ist, wird Marlow nicht deutlich - arbeitet. Er schlägt Marlow vor, als eine Art Doppelspion auf Vagas‘ Spiel einzugehen und ihn mit Fehlinformationen zu versorgen. Es wird auch klar, dass Vagas ein deutscher, kein jugoslawischer Spion ist. Zunächst klappt die Doppelagententätigkeit, dann fliegt Marlow, der die ganze Zeit von seinem Bürovorsteher, der für den italienischen Geheimdienst arbeitet, und andern Agenten überwacht wird, ebenso wie Vagas auf. Vagas flieht nach Jugoslawien, und Zaleshoff begleitet Marlow auf seiner gefährlichen Flucht zu Fuß und mit Zügen durch Norditalien nach Jugoslawien. Dort wird Vagas ein letztes Mal hinters Licht geführt und Marlow kann nach England zurückreisen, wo seine Verlobte und ein neuer Job auf ihn warten.


    Meine Meinung


    Das Besondere an diesem Roman ist – neben der klarsichtigen Analyse der Verhältnisse zwischen den beiden faschistischen Staaten Italien und Deutschland kurz vor ihrem Achsenbündnis und dem abwartenden Verhalten der anderen Staaten – die Atmosphäre. In präziser Sprache zeichnet Ambler z.B. die morbide und bleierne Atmosphäre im faschistischen Mailand und die Flucht durch die verschneiten ostitalienischen Alpen, um nach Jugoslawien zu gelangen. Auch gefällt mir sehr gut, dass hier Spionage und Gegenspionage nicht geheimnisvoll-verschwurbelt dargestellt werden wie in vielen anderen Politthrillern, sondern Ross und Reiter sowie die Hintergründe benannt werden. Nur Zaleshoffs Stellung bleibt ungenau: Ist er Agent der Sowjetunion oder der USA oder arbeitet er für ein Bündnis von Antifaschisten.


    Ein Roman, der sich auch heute noch wohltuend vom Durchschnitt abhebt.

    Saša Stanišić: Vor dem Fest (2014)


    Der Roman erschien 2014 und wurde mit Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.


    Saša Stanišić, der aus Visegrad im ehemaligen Jugoslawien stammt, legt hier eine Art Dorfchronik aus der Uckermark vor. Ich erwähne das, weil sein Autorenkollege Maxim Biller kritisierte, dass Stanisic hier über Sachen schriebe, die nicht sein Eigenes wären; Er solle lieber über das schreiben, worin er eine authentische Stimme habe, über sein Migrantentum und die damit verbundenen Aspekte. Denn nur damit wäre der Langeweile der etablierten deutschen Literatur aufzuhelfen, die in Topoi erstarrt sei, welche Stanišić in seiner brandenburgischen Geschichte nun aber bediene. Trotz dieser Kritik fand der Roman ein sehr positives Echo.


    Zum Inhalt

    Das alljährliche Annenfest, über dessen Herkunft Ungewissheit herrscht, steht im fiktiven Fürstenfelde (einem Konglomerat verschiedener Ortschaften ähnlichen Namens) in der Uckermark an. Zahlreiche Dorfeinwohner verbringen den Nachmittag und die Nacht vor dem Fest mit zum Teil skurillen, zum Teil nicht erklärbaren Aktionen. Der Fährmann des an zwei Seen liegenden Ortes ist gerade verstorben und lässt die Gemeinschaft ein wenig orientierungslos zurück. Eine Dorfkneipe gibt es auch nicht mehr, deshalb trifft man sich in der Garage von Ulli, wo sich die Männer bei einem preiswerten Bier unter sich fühlen können. Lada, der gerne mal seinen Golf in einem der Seen versenkt und ansonsten das Mädchen für alles im Dorf ist, sein Kumpel, der stumme Suzi und Johann, der Sohn der depressiven Frau Schwermuth vom Heimatmuseum hängen am See ab. Johann soll am Morgen des Festes seine Glöcknerprüfung ablegen, aber die Glocken hängen nicht im Kirchstuhl, sie stehen am See, wie auch immer sie dahin gekommen sind. Da wäre noch der ehemalige Oberstleutnant Schramm, „mit Haltung und Haltungsschaden“, der seinem einsamen und sinnentleerten Leben vielleicht ein Ende setzen will, vor allem weil er keine Zigaretten bekommt. Aber nach einer Nacht voller Auseinandersetzungen mit dem Zigarettenautomaten und der Begegnung mit dem furchtlosen Mädchen Anna bleibt er doch am Leben. Die künstlerische Dorfchronistin Frau Kranz will in der Nacht am See ein Bild für die Auktion auf dem Fest malen, doch es wird erstaunlicherweise sehr grau und unscharf. Daneben spielen auch Tiere eine Rolle, eine Fähe, die ihre Jungen mit Eiern verwöhnen will, Ditzsches Hühner und Wölfe. Und auch die Vergangenheit reicht mit Zitaten aus der Dorfchronik und Wiedergängern in die Gegenwart. Schließlich findet das Fest statt, und auf einem großen Gemälde von Frau Kranz, wenn auch nicht dem in der Nacht entstandenen, finden sich Jung und Alt, Tot und Lebendig von Fürstenfelde zusammen.


    Zur Form

    Stanišić gestaltet diese höchst farbige Story in kurzen Kapiteln, manchmal sogar Einzelsätzen. Er spielt mit Stilen, zum Beispiel einem Spätbarock in den Dorfchronik-Kapiteln und Perspektiven. Die Hauptperspektive ist ein nicht näher definiertes Wir, welches das Geschehen kommentiert und unter dem man so eine Art kollektive und zeitenübergreifende Dorfseele verstehen könnte. Daneben herrscht die Er-Perspektive, meist mit Innensicht, einmal wechselt eine der Hauptpersonen auch in die Ich-Perspektive. Es gibt außerdem einen appellativen Abschnitt, der Verhaltensregeln aufstellt, vielleicht ironisch, im Wesentlichen aber wohl durchaus ernst gemeint, und ein handschriftlich überarbeitetes Typoskript über eine Dorflegende.


    Meine Meinung

    Vor allem aber ist dieser Roman, genau wie die anderen beiden von Stanišić, sehr witzig. Die Personen sind einerseits lebensprall, andererseits so überzeichnet, dass sich zahlreiche lächerliche Situationen ergeben, die aber die Personen nicht herabwürdigen, sondern noch menschlicher machen. Viele von ihnen sind schwermütig oder exzentrisch, weshalb vielleicht der Name von Johann und seiner Mutter das Motiv aufnimmt, aber sie ziehen ihr Leben trotzdem durch und erhalten in der Dorfgemeinschaft ihren – zum Teil etwas abseits liegenden - Platz. Ihr heroisch-lächerliches Leben wird gespiegelt von den tragisch-komischen Versuchen der Fähe, für ihre Fuchsjungen Eier zu stehlen, worüber sie ihre Gesundheit und ihre Jungen verliert. Der Leser wird durch die dauernden Perspektiv- und Zeitsprünge ziemlich gefordert: Dies ist kein Roman, den man über lange Zeit in Häppchen lesen sollte, denn dann verliert man schnell die Übersicht, und einige Notizen zum Inhalt helfen sehr bei der Orientierung.


    Dass der Autor aufgrund seines Migrationshintergrundes lieber die Finger von langweiligen, traditionell deutschen Stoffen lassen soll, wie Biller in der eingangs erwähnten Kritik fordert, kann ich nicht verstehen, denn in diese Dorfgeschichte spielen viele der universellen Versehrtheiten, die Flüchtlingsschicksale, aber auch andere Traumata hinterlassen können und über denen doch die zarte Möglichkeit eines Halt gebenden Miteinanders angedeutet wird, und das geht über ethnische oder generationsspezifische, ja sogar menschliche Grenzen hinweg.

    Ein sehr lesenswertes Buch, das überhaupt nichts von Heimatliteratur im engeren Sinne an sich hat, sondern ein Paradigma für etwas viel Umfassenderes ist.

    Raymond Chandler: Der große Schlaf (The Big Sleep, 1939)

    Chandlers (1888-1959) Roman führt die Figur des Privatdektetiv Philip Marlowe zum ersten Mal ein.


    Handlung:

    Philipp Marlowe, der eine Privatdetektei in Los Angeles führt, wird zu dem alten General und Ölmillionär Sternwood auf dessen Anwesen gerufen. Der greise General hat einen höflich formulierten Erpressungsbrief eines Buchhändlers erhalten, der sich um Spielschulden der älteren Tochter, Vivian Sternwood, dreht. Obwohl die Summe für den Millionär eher eine Bagatelle ist, möchte der alte Herr nicht zahlen und beauftragt Marlowe, die Hintergründe der Erpressung zu ermitteln und diese zu unterbinden. Außerdem macht er sich Sorgen um seinen verschwundenen Schwiegersohn Rusty Regan. Seine jüngere Tochter Carmen begegnet Marlowe ebenso wie Vivian auf dem Anwesen. Beide machen auf ihn einen starken, aber auch etwas abstoßenden Eindruck.

    Marlowe findet heraus, dass der Erpresser ein pornografischer Buchhändler ist, den er kurze Zeit später in einem Ferienhaus vorfindet, wo er gerade ermordet worden ist. Carmen ist dort auch, völlig zugefixt und in eindeutiger Pose. Kurze Zeit später wird Vivian mit einem Foto Carmens in genau diesem Zustand erpresst.

    Bei seinen Ermittlungen blättert Marlowe wie in einem Buch immer weitere Abgründe auf. Seine Nachforschungen führen ihn in die finstersten Winkel von Los Angeles und zu einigen Polizeibehörden, bei denen er gut vernetzt ist und die ihrerseits zum Teil korrupte Beziehungen zur Unterwelt unterhalten. Zahlreiche Schießereien und andere Gewalteinwirkungen führen zu ebenso vielen Leichen, einmal auch unter direkter Mitwirkung von Marlowe, der natürlich ebenfalls mehrmals in lebensgefährliche Situationen gerät.

    Die Auflösung ist schmerzlich, wird dem alten General jedoch vorenthalten, denn er soll unbelastet in den „Großen Schlaf“ hinübergleiten, in den ihm schon zahlreiche Banditen während der Romanhandlung vorangegangen sind.


    Meine Meinung:

    Der Roman ist elegant geschrieben, benutzt gekonnt Metaphern und Vergleiche, passt die Satzstrukturen dem Ausgesagten an und stellt die gesellschaftlichen Verstrickungen und das Elend der in die Stricke der Halb- und Unterwelt Geratenenen plastisch und gut nachvollziehbar dar.

    Marlowe hebt sich als Vorbild des beziehungsunfähigen einsamen und gewitzt überlegenen Ermittlers von den Zehntausenden seiner bisherigen literarischen Nachfolger relativ angenehm ab. Dennoch fällt dieser zum Klischee ausgewälzte Charaker auch auf sein Vorbild zurück. Glaubwürdig wirkt er nur in seiner Zeit, den End-Dreißiger Jahren. Heute sagt er mir zumindest nicht mehr viel.