Eric Hobsbawm - "Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts"
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Eric Hobsbawm ist einer der wichtigsten Historiker unserer Zeit. In "Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts" gibt er einen Überblick über das "kurze" 20. Jahrhundert, konzipiert für den interessierten Leser, nicht für ein wissenschaftliches Publikum.
Dieser Prämisse folgend finden sich auf knapp 800 Seiten eine Fülle von Informationen, eine Vielfalt von Themen, eine Dichte an Fakten, die unerlässlich ist, will man einem ganzen Jahrhundert, wie kurz es auch gewesen sein mag, in einem einzigen Werk gerecht werden. Wissenschaft, Technik, Kunst, Kriege, Konflikte, Auseinandersetzungen, Wirtschaft und Ideologien geben sich die Klinke in die Hand, werden vor- und dargestellt. Hintergrundwissen ist von Vorteil, Detailkenntnisse nicht notwendig. Mir wurde das Buch von einem Geschichteprofessor empfohlen, teilweise wird es auf der Uni gelesen, die grundlegende Richtigkeit der Argumentation scheint also gesichert.
Das Werk bleibt über lange Strecken gut lesbar, Fachbegriffe konnten natürlich nicht ganz ausgespart werden, aber es handelt sich nicht um ein Fachbuch und man muss nicht Geschichte studiert haben, um den Formulierungen folgen zu können.
Ein grundlegendes Interesse an Geschichte bringen die meisten Leser ohnehin mit, und sei es, dass sie über interessante Persönlichkeiten lieber einen historischen Roman lesen, oder sich auf die Welt eines Werkes einlassen müssen, das zu einer anderen Zeit als der unsrigen spielt. Literatur und Geschichte nähern sich an, können voneinander nicht bis ins kleinste getrennt werden. Daher kann es nie ein Nachteil sein, wenn man sich auf einen Überblick, wie den von Hobsbawm gegebenen, einlässt und dem vergangenen Jahrhundert nachspürt, das als das Jahrhundert der immensen technischen Weiterentwicklung und der unbegreiflichen Kriege in die Geschichte eingegangen ist.
Dabei ist der Autor einer der Punkte, der dieses Werk über andere hebt: Fast könnte man meinen, er wäre überall dabei gewesen, hätte das, was wir da lesen, immer alles am eigenen Leib und aus nächster Nähe erlebt (und in vielen Fällen entspricht dies auch der Wahrheit).
Er schafft es, oder schaffte es zumindest bei mir, einigen bekannten Ereignissen eine neue Bedeutung zu geben, und sei es nur, dass die Hintergründe auf einmal klarer schienen. So kann man sicher sein, dass auch bei dem, was man schon zu wissen und zu kennen glaubt, ein neuer Gedanke oder eine Anekdote wartet, die einem in dieser Form noch nicht untergekommen ist.
Natürlich habe ich mich bei alledem auch stellenweise gequält, es ist kein Buch, das man einfach mal so nebenbei lesen kann. Themen, die eher weniger in mein Interessensgebiet fallen (wie beispielsweise Wirtschaft), sind für das Gesamtbild natürlich wichtig; dennoch bleibt der Reiz, sie einfach zu überblättern und gleich zu spannenderen Gefilden (wie Kunst) aufzubrechen. Es lohnt jedoch die chronologische Leserei, um Hintergründe und Verknüpfungen nicht aus den Augen zu verlieren, wobei durchaus eine abermalige Lektüre einzelner Teilkapitel geplant ist, wenn diese thematisch zu einer Frage passen.
Zwei Kritikpunkte bleiben jedoch zu nennen, obwohl ich insgesamt und alles in allem froh bin, das Werk gelesen zu haben und es als Bereicherung für mich verbuchen kann:
1. Nach wenigen Seiten hat der aufmerksame Leser kapiert, dass Hobsbawm den Begriff des "kurzen 20. Jahrhunderts" geprägt hat. Muss man auf dieser Tatsache derartig herumreiten, und es ständig hervorheben, dass es eben das "kurze" 20. Jahrhundert war? Mich hat es irgendwann einfach gestört, und bei jeder Wiederholung folgte ein entnervtes Augenrollen.
2. Der Eurozentrismus, die Überhand der westlichen Welt. Man merkt das Bemühen, die gesamte Welt einzubinden, leider bleiben in vielen Kapiteln neben den umfangreichen Darstellungen Europas (oder Amerikas) nur Nebensätze für den Rest. Andere Kapiteln widmen sich dagegen einem anderen Raum (etwa eines über Maos China), sie bleiben jedoch in der Unterzahl. Mir ist schon klar, dass dies ein Phänomen ist, dem nicht leicht abgeholfen werden kann, vor allem wenn man sich auf 800 Seiten beschränken muss und die elitäre Stellung des Westens immer noch diskutiert wird. Schade finde ich es trotzdem.
Fazit: Ich kann klar eine Leseempfehlung aussprechen, man sollte allerdings wissen, auf was man sich einlässt, um nicht enttäuscht zu werden.