Robert Whitaker – Die Frau des Kartographen und das Rätsel um die Form der Erde

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    In insgesamt 15 Kapiteln erzählt Whitaker die Geschichte der großen Peru-Expedition der französischen Akademie der Wissenschaften ab 1735 sowie die Folgegeschichte einiger Expeditionteilnehmer. Ziel dieser Expedition war eine möglichst genau Längen- und Breitengradmessung in Äquatornähe, um eine der wichtigsten wissenschaftlichen Streitfragen jener Zeit zu klären: Ist der Erdradius am Äquator größer als auf einem beide Pole durchschneidenden Meridian, die Erde also an den Polen abgeplattet, wie man es bei anderen Planeten beobachtet hatte, oder umgekehrt. Letzteres war die cartesianische Ansicht, ersteres die Newtons.


    Da die Messungen im heutigen Ecuador, damals Teil des spanischen Vizekönigreichs Peru, stattfinden sollten, brauchte man die Erlaubnis Spaniens, was dazu führte, daß zwei spanische Offiziere an der Expedition teilnahmen, die auch ein Auge darauf haben sollten, daß die Franzosen sich an die zugebilligten Aufenthalte hielten, ihre Befugnisse nicht überschritten, nicht spionierten, keinen unerlaubten Handel trieben und dergleichen mehr. Schon während der Anreise kam es zu Zerwürfnissen zwischen den drei Expeditionsleitern Charles Marie de La Condamine und Pierre Bouguer einerseits und Louis Godin andererseits; Godin wurde Veruntreuung von Expeditionsgeldern vorgeworfen. Die Forschergruppe, zu der noch sieben Assistenten gehörten, trennte sich deshalb (unerlaubterweise) an der ecuadorianischen Küste in Manta. Godin und Assistenten reisten über Guayaquil nach Quito, Bouguer blieb zunächst bei La Condamine, folgte dann aber den anderen auf ihrer Route, während La Condamine selbst auf ganz anderem Weg nach Quito gelangte. Die nächsten acht Jahre verbrachten die Forscher im Andenhochland, um ihre Messungen durchzuführen. Angesichts ihres Anspruchs an Genauigkeit war das kein leichtes Unterfangen. Zurück in Quito heiratete Louis Godins Neffe Jean, einer der Assistenten, überraschend María Isabel de Jesus Gramesón. Zwar wäre er mit seiner jungen Frau gerne nach Frankreich zurückgekehrt, aber da die finanziellen Mittel der Expedition erschöpft waren und aus Frankreich keine Geldanweisungen eintrafen, hingen die bis dato überlebenden Teilnehmer fest. Sie versuchten, sich irgendwie zu etablieren, nur La Condamine machte sich auf den Weg nach Osten, um über die Anden ins Amazonas-Quellgebiet abzusteigen und über das Flußsystem bis zur brasilianischen Küste zu fahren. 1745 erreichte er wieder Frankreich.


    Jean Godin folgte ihm 1749 auf diesem Weg. Er hatte den verrückten Plan gefaßt, den Amazonas hinabzureisen, Vorkehrungen für die Reise mit Frau und Kind zu treffen, flußaufwärts wieder zurückzukehren und dann mit seiner Familie den Heimweg anzutreten. Er gelangte zwar bis an die Atlantikküste, machte von dort auch einen Besuch in Französisch-Guayana, aber die politischen Verwicklungen in Europa und die schwierige Postbeförderung hielten ihn dort fest. Einfach so als französischer Staatsbürger durch Brasilien zu reisen, konnte er sich nicht leisten, wenn er nicht als Spion verhaftet werden wollte. Seine Appelle nach Hause um Geld und Unterstützung wurden immer flehender, seine Pläne für die Familienzusammenführung immer absurder, alles ohne Erfolg.


    1765 tauchte in portugiesischer Kapitän mit dem Auftrag auf, Jean Godin auf dem Amazonas bis zur Grenze nach Spanisch-Peru zu bringen und dort auf ihn und seine Familie zwecks Rückfahrt zu warten. Jean mißtraute dem Angebot und schickte einen Freund. Dieser reiste selbst nur bis zur Grenze, die Nachricht wurde über die Missionsstationen weitergetragen. Nach nochmaligen Verzögerungen, da die Gerüchte eines wartenden Schiffes von Isabel und ihrer Familie nicht geglaubt wurden, machte diese sich schließlich 1769 mit ihren beiden Brüdern, einem Neffen, Dienern und zwei überraschend aufgetauchten Franzosen auf den Weg. Der Vater war vorausgereist, um Arrangements für die Flußfahrt bis zur Grenze zu treffen. Die Reise der Hauptgruppe stand unter keinem guten Stern, nach Verlust des indianischen Bootsführers wurden die beiden Franzosen und ein Sklave der Gramesóns vorausgeschickt, um Hilfe zu holen. Da diese nicht in der versprochenen Zeit eintraf, machten sich Isabel, ihre Brüder und ihr Neffe auf den Weg durch den Dschungel, aus dem nur Isabel Wochen später wieder auftauchte. Von da an gab es keine größeren Probleme mehr, nach 21 Jahren der Trennung war das Paar wieder vereint, und 1773 betraten Jean und Isabel in La Rochelle französischen Boden. Er erfuhr, dank Condamines Fürsprache, eine verspätete Anerkennung seiner Leistungen bei der Expedition und starb Anfang 1792, wenige Monate später folgte ihm Isabel.



    Whitaker erzählt flüssig, mit manch spannenden Details von dieser Expedition und ihrer Folgegeschichte. Sehr schön auch, daß das letzte Kapitel einen Überblick über den weiteren Lebensweg der Teilnehmer gibt, so daß hier keine wesentlichen Fragen offen bleiben. Viele Belege und eine Bibliographie runden den insgesamt guten Eindruck ab. Einzig ärgerlich ist neben dem Titel (der englische Original ist allerdings auch nicht besser: The Mapmaker's Wife. A True Tale of Love, Murder and Survival in the Amazon) der Anpreisungstext auf der Buchrückseite:


    „Hat eine Frau jemals mehr für die Liebe riskiert als Isabel Godin aus Peru? Als junges Mädchen heiratete sie den französischen Kartographen Jean Godin, der als Mitglied einer Forschungsexpedition zum Äquator gereist war. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes verscholl Jean Godin in Guayana. Zwanzig unvorstellbar lange Jahre hörten die Eheleute nur gerüchteweise voneinander. Dann brach Isabel zu einer abenteuerlichen Reise durch den Dschungel und über den Amazonas auf, um endlich ihren Mann wiederzusehen – ein Abenteuer, das bis heute einmalig geblieben ist.“


    Einmal ganz abgesehen davon, daß Isabels Reise nicht einmal ein Fünftel des Gesamttextes ausmacht, ist diese Beschreibung auch sonst hochgradig irreführend. Wer diesen Klappentext liest und auf Grund dessen das Buch kauft, wird wohl kaum einen derart nüchtern geschriebenen Sachtext erwarten. Und wer einen solchen Sachtext sucht, wird ihn wohl nicht hinter dieser Anpreisung erwarten. In beiden Richtungen gilt daher ein klares „Zielgruppe verfehlt“. Das ändert aber nichts daran, daß Whitaker hier ein spannendes Stück Wissenschaftsgeschichte in gut lesbarer Form präsentiert, lediglich die doppelte Beschreibung des Triangulationsverfahrens war überflüssig.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen