Matthias Wegehaupt – Die Insel

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    Auf eine namentlich nicht näher bezeichneten Ostsee-Insel, eben „Die Insel“, seine Heimat, hat sich der junge Mann nach dem vorzeitigen Abgang von der Kunsthochschule zurückgezogen. Hier will er das große Bild malen, das seinen Eintritt in die Kunstszene darstellen wird, das – davon ist er überzeugt – bereits in ihm wartet, um ans Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Drei Jahre hat er sich dafür gegeben, zwei sind bereits vergangen, und noch immer ist das Ergebnis nicht das Erhoffte. Die Leute im Dorf betrachten ihn ein bißchen argwöhnisch (schließlich ist er ein Künstler), aber auch ein bißchen mit Stolz, denn hat er nicht schon als Junge die Photos der Angehörigen mit ihren Wehrmachtsuniformen so übermalt, daß die Verstorbenen danach Straßenanzüge trugen und man die Bilder wieder gut sichtbar in der Wohnung aufhängen konnte? Unsmoler, „unser Maler“, nennen sie ihn, und darin schwingt all das immer noch mit.


    Ohne sich wirklich Rechenschaft darüber abzulegen, warum er das tut, bleibt Unsmoler Jahr um Jahr auf der Insel. Einige Zeit lebt er mit einer Frau zusammen, aber sie verläßt ihn schließlich mit dem gemeinsamen Sohn, weil sie den Spagat zwischen seiner Künstlerexistenz und den politischen und persönlichen Beschränkungen in der DDR nicht aushält. Dabei ist Unsmoler kein explizit unpolitischer Mensch, aber er engagiert sich weder für das Regime, noch interessiert es ihn besonders, solange er seiner Malerei nachgehen kann. Das wird mit den Jahren aber immer schwieriger, denn nicht nur gibt es da den eifrigen Inselchef, der die Parteiparolen von Fortschritt und Wohlstand verinnerlicht hat, und seinen nur „der Mitarbeiter“ genannte Kollegen von der Stasi, die beide an der Regimetreue Unsmolers zweifeln und ihn immer wieder unter Druck setzen. Da ist auch noch das Nachbarehepaar, auch beide Künstler, die eine Strategie der Anpassung fahren.


    Schließlich gibt es noch die übrigen Dorfbewohner, oder besser gesagt, die Bewohner zweier Dörfer. Die meisten leben im Neudorf, und man versucht dort, den Inselchef mit seinen Planungen so weit wie möglich zu ignorieren, in der festen Überzeugung, daß dessen Planungen und Aktivitäten alle nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein können, auch wenn der zunehmende Touristen zunächst das Gegenteil zu beweisen scheint. Im Altdorf leben nur noch ein halbes Dutzend Vergessene, noch stärker geprägt von der Vergangenheit und der Obrigkeit vor allem wegen der unwürdigen Wohnverhältnisse, die sie nicht verlassen wollen, ein Dorn im Auge. Alle diese Menschen sind für den Roman weniger handelnde Personen als vielmehr Archetypen, was man auch daran merkt, daß viele von ihnen keinen Namen tragen, sondern nur mit ihrem Beruf bezeichnet werden.


    Aus dieser Personenkonstellation und vor dem Panorama von gut dreißig Jahren DDR-Geschichte entwickelt Wegehaupt seine Geschichte. Allerdings muß man sich als Leser darauf einstellen, daß hier wenig „passiert“, jedenfalls wenig im Sinne einer aktionsgeladenen Handlung. Was Wegehaupt erzählt, sind vor allem Anekdoten, wie sie in solch begrenzter sozialer und räumlicher Gemeinschaft zwangsläufig auftauchen müssen, aber diese ergeben keinen durchgehenden Spannungsbogen. Dieser speist sich vielmehr aus dem, was zwischen den Menschen und das unterschwellig geschieht. Neben die Machtspielchen im Apparat treten die Widerstände der Dörfler gegen Veränderungen und die geradezu unbekümmerte Spöttelei und Kritik der Kunstszene, in die Unsmoler nur sehr am Rande integriert ist – ab und an besuchen ihn Freunde von der Kunstakademie, ab und an fährt er nach Berlin und trifft dort alte Kollegen.


    Trotzdem ist gerade Unsmolers künstlerischer Werdegang wichtig, denn in seinen Entwicklungen und in seinen Projekten spiegelt sich nicht nur seine persönliche Situation wieder, wie nach dem Weggang von Frau und Kind, sondern auch die gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR. Von der anfänglichen relativen Offenheit, als man noch nach West-Berlin und wieder zurückfahren konnte, bis zur völligen Abschottung. Wie leicht man sich über Jahre hinweg an Beschränkungen gewöhnt und schließlich auch Bespitzelungen hinnimmt, das wird hier, gerade weil es nicht explizit thematisiert wird, sondern sich in Alltagshandlungen der Dörfler zeigt, beklemmend deutlich.


    Genauso wie die Jahre eines Lebens unter solchen Bedingungen dahinfließen, genauso fließt hier nicht nur die Erzählung selbst, sondern auch die Sprache: unaufgeregt, aber doch auf den Punkt, vor allem wenn es um die visuellen Eindrücke Unsmolers geht. Hier dürfte Wegehaupts eigenes Sehen besonders deutlich werden, denn sein Lebenslauf läßt hier deutliche autobiographische Züge vermuten. Alles in allem ist es vor allem ein Gesellschaftsporträt, das für mich mit fortschreitender Lesedauer nur in einem Aspekt schwierig war: Ich hatte zu wenig Anhaltspunkte, wieviel Zeit eigentlich inzwischen vergangen war und dementsprechend überrascht, als plötzlich und zweifellos 1989 erreicht war. Und davon abgesehen war das Lektorat nicht besonders, derart viele Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler sowie offensichtlich falsche Wörter sind mir schon lange nicht mehr in einem Buch untergekommen.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen