[Argentinien] Domingo Faustino Sarmiento – Barbarei und Zivilisation

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    Autor: Domingo Faustino Sarmiento
    Titel: Barbarei und Zivilisation. Das Leben des Facundo Quiroga
    Originaltitel, Jahr: Civilización i barbarie. Vida de Juan Facundo Quiroga, i aspecto físico, costumbtres i ábitos de la República Arjentina, 1845
    Übersetzung aus dem Spanischen: Berthold Zilly
    Verlag: Eichborn
    ISBN: 978-3-8218-4580-7
    Ausgabe: Hardcover
    Seiten: 454


    Klappentext: Er hat Tocqueville bewundert, Borges wiederum ihn: Domingo Faustino Sarmiento hat mit Barbarei und Zivilisation eines der irritierendsten und faszinierendsten Bücher der Literaturgeschichte geschrieben, »ein seltsames Buch, ein Buch ohne Kopf und ohne Füße, ein gegen das Haupt der Tyrannen geworfenes Felsstück«, so er selbst. Das Buch ist eine phantasievolle Mischung aus Roman, Räuberbiographie, Landeskunde, Kampfschrift, Gedicht und geschichtsphilosophischem Essay, ein vielgestaltiges Monstrum. Weniger ein Buch über Argentinien als ein Buch, das Argentinien ist.
    Kernstück sind das Leben und der gewaltsame Tod des »Tigers der Pampa«, des vom Banditenführer zum Provinzregenten aufgestiegenen, instinktgetriebenen Machtmenschen Facundo Quiroga. Ein Mann, dessen Faszination bis auf den heutigen Tag spürbar bleibt – und die man erstmalig in einer deutschen Übersetzung spüren kann.


    Zum Autor: Domingo Faustino Sarmiento (1811–1888) war Schriftsteller, Pädagoge und Politiker. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, mußte wegen seines politischen Engagements mehrmals nach Chile auswandern. Später war er argentinischer Botschafter in Washington und 1868–74 argentinischer Staatspräsident.



    Ausnahmsweise habe ich hier zur Kurzbeschreibung aus dem Buch selbst gegriffen, weil ich vor allem eines daran treffend finde, und das auch erklärt, warum ich keine eigene Zusammenfassung des Inhalts geschrieben habe: Das Buch ist ein tatsächlich in Monstrum, und in einem kurzen Kommentar läßt es sich auch überhaupt nicht fassen, dafür ist es wirklich zu viel. Sarmiento hat das Buch ursprünglich als eine Folge von Zeitungsartikeln verfaßt und das in recht kurzer Zeit, was man dem Stil und der ganzen Kontruktion durchaus anmerkt, letztere ist nämlich keinesfalls als durchkomponiert zu bezeichnen. In den ersten vier Kapiteln konzentriert sich Sarmiento auf eine argentinische Landeskunde und die (aus seiner Sicht) jüngere Geschichte seit 1810. Damit will er zeigen, vor welchem Hintergrund Figuren wie eben Facundo Quiroga und Juan Manuel Rosas, argentinischer Diktator bis 1852, möglich waren und sich entwickeln konnten. In den Kapiteln 5 bis 13 geht es dann um das Leben und die Ermordung Quirogas, in denen er den Aufstieg des Banditenführers zum Provinzmachthaber und seine Auseinandersetzungen mit regulären Regierungen oder anderen Provinzcaudillos nachzeichnet. Es folgen noch zwei Kapitel, in denen Sarmiento die Regierung Rosas' kritisiert und ein alternatives Regierungsprogramm für die Nach-Rosas-Zeit entwirft.


    Sarmiento konstruiert für seine Darstellung eine eindeutige Dichotomie: Auf der einen Seite steht die von Europa importierte Zivilisation, die sich in der Verfeinerung der Sitten des städtischen Lebens verkörpert. Auf der anderen Seite steht die Barbarei der Landbevölkerung, geprägt durch die Frontier-Mentalität der Gauchos. Damit in Zusammenhang bringt Sarmiento einen weiteren Gegensatz zwischen Unitariern und Föderalisten, der zu jener Zeit für Argentinien tatsächlich bedeutsam war, da man noch über die Form des Staates stritt. Während die Städter durchaus einen einheitlich verfaßten Staat mit Buenos Aires als Zentralmacht anstrebten, waren die Provinzfürsten auf dem Land eher an einer föderalen Struktur interessiert, die ihnen weitergehende Freiheiten gestatten würde. Interessanterweise, darauf macht auch Sarmiento aufmerksam, war aber gerade derjenige, der das Wort Föderalismus besonders gern und häufig im Munde führte, nämlich Juan Manuel Rosas, auch verantwortlich für eine Unitarisierung Argentiniens in viel größerem Ausmaß als seine Vorgänger es je gewagt hätten.


    Auch wenn Sarmiento hier das Leben seines Zeitgenossen Quiroga (1788–1835) in den Mittelpunkt stellt, so ist das ganze doch eindeutig als Kritik an der Diktatur von Juan Manuel Rosas zu lesen. Die Dekaden von 1810 bis zu Rosas' Sturz 1852 sind einigermaßen unübersichtlich in den Machtverhältnissen, und daß Sarmiento nicht einmal chronologisch durch Quirogas Leben geht, sondern hin- und herspringt, macht es dem mit argentinischer Geschichte nur mäßig vertrauten Leser nicht gerade einfacher. Ich war jetzt doch froh, daß ich letztes Jahr erst José Mármols Amalia gelesen und in dem Zuge einiges über die Rosas-Zeit nachgeschlagen habe, das kam mir hier eindeutig zugute. Interessant wird das ganze vor allem deshalb, weil Sarmiento natürlich von seiner Zeit geprägt und mit seinen Erfahrungen diese Diktatur analysisert, die er in vollem Umfang noch kaum begreifen kann, weil sie sehr moderne Züge trägt. Als heutiger Leser fühlt man sich bei vielen Maßnahmen und Details an unrühmliche Nachfolger Rosas' rund um die Welt erinnert. Und mit dieser Kenntnis ist auch klar, warum Sarmiento von der Haltung der europäischen Mächte gegen Rosas enttäuscht sein mußte: Er ging davon aus, daß eine zivilisierte Nation, geschweige denn ein ganzer Reigen davon, unmöglich sich der Verpflichtung entziehen kann, in einem Land einzugreifen, wo eben diese Zivilisation in den Boden gestampft und die Bevölkerung ihrer Rechte beraubt wird. Das ist ein hochinteressanter Gedanke, der ja bis heute im Völkerrecht viel diskutiert wird. Was wiegt höher? Das Recht eines Staates auf Nichteinmischung in seine inneren Angelegenheiten oder der Schutz eines Volkes vor Willkür und Tyrannei? Die Verschiebung zu letzterem ist ein langsamer Prozeß und noch recht jungen Datums, wie man an den Schwierigkeiten des Internationalen Strafgerichtshofs immer noch gut beobachten kann. Ein Aspekt jedoch macht mir Sarmiento ausgesprochen unsympathisch und wertet für mich auch dieses Werk etwas ab, und daß ist sein unverhohlener Rassismus, vor allem, aber nicht nur, gegen die indianischen Ureinwohner.


    Die Ausstattung des Buches ist übrigens (fast) vorbildlich. Neben der Vorbemerkung Sarmientos selbst, gibt es einen Anmerkungsapparat, ein Namens- und Sachverzeichnis, eine Zeittafel, eine Liste ausgewählter Literatur, ein Nachwort des Übersetzers und ein Register. „Fast vorbildlich“ deshalb, weil in den Anhängen doch die Sorgfalt etwas gelitten hat, da werden Anmerkungen falschen Seiten zugeordnet, Verweise im Namens- und Sachverzeichnis führen auch schon mal ins Nichts und die Auswahl der Begriffe ließ mich auch ab und an etwas stutzen. Aber das ist jetzt wirklich schon Krittelei auf sehr hohem Niveau. Allerdings stellte dieser umfangreiche Apparat mich während der Lektüre vor ein ernsthaftes Problem: Sollte ich den ganzen Verweisen immer nachgehen? Das habe ich anfänglich versucht und dabei festgestellt, daß ich mich dann auch zwei Stunden nur in den Anhängen verlieren und weitere Quellen suchen könnte. Daher habe ich das dann doch aufgegeben und habe mich nur noch auf den Text und die unmittelbaren Anmerkungen konzentriert, um mich Sarmientos ungewöhnlichem Stil hinzugeben, der stark von rhetorischen Figuren aller Art und Bezügen vor allem historischer Natur geprägt ist. Eine zweite Lektüre mit diesen Querrecherchen würde sicher noch viele interessante Aspekte zutage fördern, schließlich wird es einen Grund haben, daß nahezu jeder lateinamerikanische Autor, der selbst gegen Diktaturen angeschrieben hat, Sarmiento nach wie vor zu seinen Inspiratoren zählt.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen