Jack Zipes (Hg.) – Französische Märchen

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    Die Sammlung umfaßt weniger Volksmärchen in ihrer ursprünglichen Form, wie auch immer man in diesem Zusammenhang „ursprünglich“ definieren würde, Märchen sind ja durch Zeit, Erzähler, Zuhörerschaft und viele andere Faktoren einem permanenten Wandel unterworfen, sondern Kunstmärchen aus den französischen Salons des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich zwar auch der volkstümlichen Überlieferung im Hinblick auf einzelne Motive und Konstellationen bedienten, aber eben eine dem höfischen Geschmack angepaßte „Veredelung“ durchlaufen hatten und deren schriftliche Abfassung vor einem mündlichen Vortrag stand. Zipes unterscheidet in seiner Einleitung dabei drei Wellen, nämlich das experimentelle Salonmärchen (um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert), das orientalische Märchen (bis etwa 1720) und anschließend das konventionelle und komische Märchen (etwa bis zur Französischen Revolution).


    Für die erste Welle hält Zipes als ein Charakteristikum fest, daß diese Märchen als Mittel dienten, um Unzufriedenheit an der Zensur vorbei zu äußern. Die Verfasser dieser Märchen waren dementsprechend auch eher Randfiguren am königlichen Hof und standen oftmals mit den Behörden nicht auf bestem Fuße. Die Verlagerung zu orientalischen Schauplätzen sei dem Niedergang des höfischen Glanzes sowie dem Einfluß von Gallands Übersetzung von Tausendundeine Nacht geschuldet. Da man über den Orient nicht so viel wußte, eignete er sich gut als Projektionsfläche. Die dritte Welle schließlich begann, das inzwischen etablierte Genre der Märchen einerseits zu parodieren und andererseits in konventionellen Bahnen zur Kinderliteratur zu entwickeln.


    Enthalten sind hier zwanzig Märchen von zehn Verfassern, die Erstveröffentlichungen liegen zwischen 1697 und 1795. Insgesamt acht Märchen stammen aus Schriften von Charles Perrault und sie könnten genauso gut aus einer Grimmschen Sammlung stammen, was schon die Titel nahelegen: Bei Rotkäppchen, Der gestiefelte Kater, Aschenbrödel und Der kleine Däumling ist es offensichtlich, Die Feen sind eine Abwandlung von Frau Holle und Die schlafende Schöne kennen wir als Dornröschen. Aber auch in anderen Märchen tauchten Konstellationen auf, die ich so aus vielen anderen europäischen Ländern kenne, wie bspw. der König, der sich nicht entscheiden kann, welchem seiner drei Söhne er die Krone überlassen soll und sie deshalb dreimal mit Aufträgen ausschickt. Der letzte davon dreht sich immer um die schönste Braut, und der jüngste Prinz erhält auch hier die Unterstützung der Wohltäterin, die ihm schon bei den ersten beiden Malen geholfen hat, nur daß er sie dafür von ihrer Verwünschung erlösen muß (Die weiße Katze). Es gab aber auch solche Märchen, die mir in dieser Form noch nicht untergekommen sind, allerdings waren das sehr offensichtlich moralisierende Erzählungen, die mich auch weniger begeistert haben. Abgesehen davon ließ sich feststellen, daß hier verwandelt, verwünscht und gestorben wurde, daß es eine Art hatte, dagegen sind die meisten anderen Sammlungen von Volksmärchen, die ich kenne, geradezu harmlos.


    Es gibt einen kurzen Hinweis am Ende, daß die vorliegenden Märchen zeitgenössischen deutschen Ausgaben aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entnommen seien und sprachlich nur wenig (vor allem im Hinblick auf heutige Interpunktion und Orthographie) angepaßt wurden. Die Qualität der einzelnen Übersetzungen kann ich nicht beurteilen, da ich die Originale nicht zu Vergleich habe (und selbst dann wäre es mir kaum möglich), aber teilweise fühlte ich mich sehr an eine bestimmte aktuelle Diskussion über Stil und unpassende Adjektivhäufungen erinnert, was mein Lesevergnügen, neben dem bereits angesprochenen moralischen Zeigefinger, zusätzlich etwas getrübt hat.


    3ratten


    Schönen Gruß
    Aldawen