Meine Rezension:
Leutnant Eremith Fenna verflucht seinen Befehl. Gerade aus dem Lazarett in Chlayst entlassen, erhält er von seinem Hauptmann den Auftrag, in die entlegene Festung Carlyr zu reisen um dort neue Rekruten auszubilden. Fenna protestiert zunächst, folgt schließlich aber seinem Befehl. Und verflucht ihn. Die abgelegene Festung Carlyr bewacht den Zugang zum Feindesland im Norden und ist katastrophal unterbesetzt. Nicht nur die besten Soldaten aus Carlyr haben ihr Leben bei einem Feldzug in das nördlich gelegene Land der Affenmenschen verloren, sondern auch die meisten anderen Soldaten auf dem Kontinent. So sieht sich Fenna bald mit den unwahrscheinlichsten Rekruten konfrontiert, die er von Null an ausbilden soll. Dabei erhält er Unterstützung von Leutnant Loa Gyffs, die direkt von der Militärakademie kommt und wie die Rekruten keinerlei Kampferfahrung besitzt. Ist Fenna zunächst noch entsetzt über den Zustand seiner Schützlinge, beginnt er sich doch bald wie ein Vater um sie zu sorgen und vergisst völlig, seinen Befehl zu verfluchen.
Auch wenn die Leser zunächst mit der gleichzeitigen Einführung zu vieler Figuren ebenso überfordert sind wie Fenna mit deren Ausbildung, so schafft es der Autor doch, dass sich schnell eine Beziehung zu den einzelnen Soldaten aufbaut. Wie es der Titel „Die Soldaten“ verrät, stehen diese Figuren im Mittelpunkt des Buches. Es geht nicht so sehr um das Schlagen von heroischen Schlachten und das Erlangen von Ruhm und militärischen Ehren, als um die Menschen, die sich für eine solche Aufgabe freiwillig melden, oft ohne zu wissen, was ihnen abverlangt wird und was sie erwartet. Der Autor Tobias O. Meißner verwendet viel Zeit und Mühe darauf, jede Figur individuell zu gestalten, mit einer Hintergrundgeschichte auszustatten und sie eine glaubhafte Entwicklung durchlaufen zu lassen. So meldet sich der etwas ältere Breff Adirony Teppel zur Armee, weil seine beiden Söhne beim Affenmenschenfeldzug ihr Leben gelassen haben und er glaubt, ihnen dies schuldig zu sein. Bald schon müssen Breff, Fenna und die Leser aber erkennen, dass er den Strapazen des Soldatenlebens nicht gewachsen ist. Und auch einige der anderen Soldaten verlieren, wenn es ernst wird, trotz allem vorherigen Drill und aller Bemühungen die Nerven und zeigen, dass sie eben auch nur Menschen sind und keine Kampfmaschinen.
Und ernst wird es in „Die Soldaten“. Auch wenn sich der größte Teil des Buches mit der Ausbildung und der Entwicklung der angehenden Soldaten und der Leutnants Fenna und Gyffs befasst, haben es die zwei geschilderten Missionen ins Feindesland doch in sich. Baut sich während der ersten Mission noch eher ein leises Unbehagen angesichts des unbekannten Landes auf, der sich letztendlich in einem Angriff entlädt, so stehen die Soldaten um Fenna bei der zweiten Mission schließlich einem unbezwingbaren Feind gegenüber. Soll man im Angesicht einer erdrückenden Übermacht den Befehl verweigern und lieber sein Leben und das seiner Truppe retten, oder dem Befehl gehorchen, auch wenn man ihn verflucht, und als pflichtbewusster Soldat in den sicheren Tod gehen? Dieser Frage muss sich Eremtih Fenna stellen und dieses Mal macht er sich die Antwort nicht leicht.
Meißners minutiöse Beschreibungen entfalten in diesen Situationen ihre ganze Wirkung. Doch nicht nur der entscheidende Kampf und die vorangehenden Konfrontationen werden von dem Autor detailliert beschrieben, sondern er widmet die gleiche Umsicht auch dem soldatischen Alltag in der Festung Carlyr. Dem Gang zur Schneiderin und der Stimmung in der Messe wird die gleiche Wichtigkeit eingeräumt wie den Wettkämpfen unter den Soldaten und den Missionen ins Feindesland. Wer sich von „Die Soldaten“ hauptsächlich viel Action und große Schlachten verspricht, wird von diesem Buch daher vermutlich enttäuscht sein. Wer aber eine sehr eindrucksvolle, stimmige und detaillierte Geschichte über das Leben eines Soldaten sucht und auch dem Alltagstrott außerhalb von Kriegszeiten seine Aufmerksamkeit schenken kann, wird in „Die Soldaten“ mehr als nur reine Unterhaltung finden und auch einige Parallelen zu Militäreinsätzen in unserer Zeit finden.
Besonders zu empfehlen ist „Die Soldaten“ für alle, die bereits den Zyklus „Im Zeichen des Mammuts“ des Autors gelesen haben. Sind dort der Feldzug gegen die Affenmenschen und auch die Affenmenschen selbst im Hintergrund ständig als diffuse Bedrohung präsent, erfährt man in „Die Soldaten“ noch einiges mehr über diese verhängnisvolle Schlacht und bekommt erstmals auch die Affenmenschen zu Gesicht. Umgekehrt kennt man aber auch als Mammut-Leser einige Hintergründe, die den Geschehnissen in „Die Soldaten“ eine tiefere Bedeutung verleihen. Aber auch ohne vorher Meißners großen Fantasy-Zyklus gelesen zu haben, ist „Die Soldaten“ ein hervorragendes Werk, das sich auch alleine gut lesen lässt. Und vielleicht bekommt der ein oder andere Leser danach doch noch Lust, tiefer in den Kontinent vorzudringen und mit dem Mammut auf Ursachenforschung zu gehen.