Nun, der Autor soll für den "Medicus" sogar Universitätsprofessoren zu Rate gezogen haben. Was beim "Medicus" allerdings zu berücksichtigen ist (mein Eindruck), ist die Entstehungszeit, der Roman ist immerhin schon 1986 entstanden, und dürfte für seine Entstehungszeit recht fortschrittlich gewesen sein: ein Angehöriger der Unterschicht als die Hauptfigur ("Die Säulen der Erde" wurden z. B. erst vier Jahre später publiziert), ein Versuch, die Welt im Nahen Osten differenziert zu zeigen, weitgehender Verzicht auf bekannte historische Personen wie z. B. Herrscher/innen, Adelige etc. (die einzige hier eindeutig historische Figur Avicenna war damals bei Historienfans gänzlich unbekannt), ein nur mit Einschränkungen glücklicher Ausgang für die Hauptfigur (immerhin noch so halbwegs glaubwürdig).
(Eigentlich schade, dass sie viele Qualitäten des Buches bei dem Film vor einigen Jahren weggelassen oder sogar ins Gegenteil verkehrt haben, was vielleicht auch einiges über die Weiterentwicklung des Buch-, Filmmarktes zw. 1986 und 2013 verrät.)
Heute ist freilich vieles überholt, und auch die Forschung hat gerade in den 1990er-Jahren nicht nur viele neue Erkenntnisse zum Mittelalter (aber auch zu anderen historischen Themen) gewonnen, sondern gerade in den 1990er-Jahren finden sich wissenschaftliche Bücher, wo die Bereitschaft zu erkennen ist, sich auf neue Erkenntnisse einzulassen.
Fakt ist allerdings, dass "Der Medicus" den Buchmarkt für historische Romane bis in die Gegenwart stark beeinflusst hat, eine Reihe von Stereotypen, die für den historischen Roman inzwischen "verpflichtend" zu sein scheinen, gehen eindeutig auf das Buch von Noah Gordon zurück. (Warum wohl kommen Ärzte/innen im historischen Roman inzwischen gerade als Nebenfiguren so oft vor und warum sind sie gewöhnlich "Juden" oder "Araber" ? Falls sie einmal doch "Europäer" sind und als Ärzte etwas taugen, haben sie ihre Ausbildung sicher in Salerno erhalten, wo ihnen irgendjemand aus dem Orient begegnet sein muss, wenn sie gleich bei einem arabischen oder jüdischen Arzt studiert haben. Doch auch das Orientbild in den aktuellen historischen Romanen dürfte stark vom "Medicus" beeinflusst sein.)
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Was erklärende Nachworte betrifft, so habe inzwischen ein recht ambivalentes Verhältnis zu ihnen entwicket. Ein gewisses Problem ist sicher, dass es inzwischen Pflicht von Autor/in ist, bei historischen Romanen ein Nachwort zu schreiben, in dem er/sie sich als professionelle Historiker/in auszuweisen versucht. (Ich habe erst vor kurzen eine Rezension gelesen, wo die Autorin gleich einmal einen Punkt Abzug bekam, weil es kein Nachwort gab. Der Rezensentin war allerdings bekannt, dass die Autorin längst verstorben ist und ihr Buch im 20. Jahrhundert verfasst hatte, es handelte sich dabei um eine Neuauflage. Das nicht vorhandene Nachwort war also nicht der Autorin anzulasten, die zu einer Zeit gelebt hatte, wo ein Nachwort bei einem historischen Roman noch nicht "verpflichtend" war, und außerdem sagt muss ein Vor- oder Nachwort nicht automatisch die Qualität des Romans verbessern.)
Einerseits ist es sicher interessant, wenn ein/e Autor/in uns Leser/innen an ihren Erfahrungen beim Recherchieren, ihrem tatsächlichen Wissen oder ihren Intentionen, einen Roman zu einem bestimmten Thema zu schreiben, teilhaben lässt. (Ein Beispiel für ein gelungenes Nachwort: Nadja und Klaudia Beinert mit ihren beiden Büchern über Uta von Naumburg, auch wenn die Bücher selbst nicht jedem Fan von historischen Romanen gefallen dürften.)
Allerdings überwiegt bei mir der negative Eindruck. Gerade auf die besonders langen und umfangreichen, faktenlastigen Nachwörter, die sozusagen die eigene Beschäftigung mit der historischen Materie ersetzen sollen, kann ich meistens verzichten, zudem mich von denen bisher noch kein einziges wirklich überzeugt hat. Abgesehen von der Frage, ob ein Nachwort, dessen Länge in etwa ein Viertel oder Drittel des Romans beträgt, wirklich notwendig ist, habe ich feststellen dürfen, dass ich gerade diesen Autoren/innen ihre tolle Recherche nicht wirklich abnehme.
Abgesehen davon, dass ich gerade, wenn ich mich selbst mit Geschichte beschäftige, immer wieder feststelle, dass historische Fakten oft sehr widersprüchlich und von verschiedenen parteiischen Sichtweisen überlagert sind, es also in den meisten Fällen gar keine historische "Richtigkeit" bzw. "Genauigkeit" geben kann (ein eigentlicher wichtiger Punkt, auf den, was sehr interessant ist, selbst in "ambitionierten" Nachwörtern gewöhnlich nicht eingegangen wird), ist es einfach auch nicht glaubwürdig, dass Autoren/innen die ihre Bücher im Zweijahresrhythmus produzieren oder sogar jedes Jahr ein neues Buch auf den Markt bringen, überhaupt die Zeit für eine profunde Recherche haben, zudem sie fast immer als Einzelpersonen aufscheinen.
Meistens stellt sich für mich auch noch die Frage, warum so viel ins Nachwort kommt und das nicht im Buch selbst umgesetzt wurde, und was die Umsetzungen betrifft, gerade bei Autoren/innen, die mit ihrer profunden Recherche und ihren Fachwissen beworben werden, erwarte ich schon, dass dies bereits in der Gestaltung ihres historischen Romans erkennbar wird und dort eben nicht nur der übliche "Baukasten" und die modischen oder aktuellen Klischees ausschließlich eingesetzt sind.
(Andererseits, nachdem ich mir positive Rezensionen zu gewissen solchen Büchern durchgelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass die meisten Leser/innen eigentlich mit einem simplen, klischeelastigen Roman sehr zufrieden sind, solange nur durch Bewerbung / Nachwort die hohe historische Authenzität nur behauptet (bzw. in vielen Fällen auch nur vorgetäuscht) wird.
In den letzten Jahren ist mir mehrmals aufgefallen, dass historische Romane von Autoren/innen ohne besonders hervorgehobenes Knowhow und ohne Nachwort (die wahrscheinlich auch nur unterhalten wollen), mich als historische Romane sowohl als Roman, aber auch mit Blick auf die Historizität wesentlich mehr überzeugen konnten.