Philippe Claudel – Le rapport de Brodeck

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  • Vor zwei Jahren war Brodeck als Ueberlebender eines Lagers beim Nachbarvolk und Feinde im Kriege in sein Dorf zurückgekommen. Im Lager hatte er Unsägliches erlebt: Er wurde « Hund Brodeck », der an der Leine spazieren geführt wurde und « ein Nichts war ». Im Moment seines eigenen Schreibens und Nachdenkens über das Geschehene und Gewesene soll Brodeck parallel auf den Auftrag des Dorfes hin einen Bericht (Rapport) schreiben über das, was am Vortage passiert ist, damit die anderen auch wissen können, wie und warum geschehen ist, was geschehen ist: Quasi die versammelte männliche Dorfgemeinschaft hat sich des Mannes entledigt, der vor einigen Monaten als Fremder in ihr kleines, so abgeschnittenes und auf sich selbst zentriertes Dorf gekommen war. Sein Name (im französischen Original) ist der Anderer. Brodeck wird die Zeugnisse zusammenstellen. Gleichzeitig aber schreibt er eben auch offen in einer gewaltigen Erinnerungsarbeit (für wen?), seine Geschichte: sein Kommen als Kind in dieses Dorf, begleitet von der alten Fedorina, auf der Flucht in einem anderen Kriege; das Kennenlernen seiner Frau Emilia, Figur der Liebe, die ihn mitten im Dunkel der Lager hat aushalten lassen; die verschiedenen Besuche und Kontakte im Dorf, darunter natürlich diese Aussenseiterfiguren wie eben der Anderer, die gerade ihm irgendwie nahe standen. Und es wächst der Eindruck der Bedrohung durch die Dorfgemeinschaft, die anscheinend geeint gegen das Fremde und Andere steht, und so – auf schreckliche Art und Weise – dem « Fratergekeime » gleichen, die Tod ausgesät und Lager errichtet hatten. Der Anderer ist der unerträgliche Spiegel, in dem man sich sieht, der letzte Anruf, die letzte Einladung Gottes... Und ist Brodeck nicht letztlich in seinem Anderssein ebenso ein Fremder (geblieben)? Nicht nur durch sein spätes Kommen ins Dorf, sondern auch eine andere Zugehörigkeit? Wie wird es für Brodeck enden, oder weitergehen? Wie wird er sich seiner Aufgabe entledigen?


    Wie Claudel dieses Buch meisterhaft mit Rueckblenden, Querverweisen, Gedankensplittern, Erinnerungen und Parallelen aufbaut ist einfach meisterhaft und für mich ein Genuss. Dunkel, dunkel, ja bis an den Abgrund der Schlechtigkeit und der menschlichen Niedrigkeit ist ein Großteil des Geschehens. Wenn es aber dieses Böse gibt, wird es auf beiden Seiten dargestellt: Nicht nur beim verhassten Feind, sondern quasi in der eigenen Mitte, und zwar in beängstigender Konzentration. Und doch ist da auch das Helle, in dem der Autor den ein oder die anderen beschreibt, insbesondere das Kind als ewiges Zeichen einer Verheißung. Inmitten eines anscheinend durch und durch makaberen Geschehens könnte man abschnittsweise wunderbare Beobachtungen zitieren. Die Sprache ist – wie mir auch ein Franzoesischstaemmiger mitteilte – einfach, doch sehr schön. Sie lädt bisweilen zum lauten Lesen ein, so gut klingen die Sätze. Für dieses Buch schaffte Claudel eine imaginäre (und doch irgendwie recht klar zu identifizierende) Landschaft, irgendwo im Grenzgebiet zwischen zwei Völkern, die einander aber irgendwie verwandt sind. Er schafft eine ganze Fülle an Wörtern in einer Sprache, die so nicht existiert, die man aber bei gutem Willen verstehen kann. Mit diesem Roman will Brodeck seine Trilogie über die grossen Kriege/Genozide des XX. Jahrhunderts mit einer enormen Einladung zur steten Erinnerung, des Eingedenkseins abschließen (Monsieur Linh, Die grauen Seelen). Es ist ihm meisterlich gelungen.


    5ratten



    Broché: 400 pages
    Editeur : Stock (14 août 2007)
    Langue : Français
    ISBN-10: 2234057736
    ISBN-13:

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    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

  • Vielen Dank für deine Rezi! Claudel ist eine echte Entdeckung im Jahr 2007 für mich. Wirklich schade, dass das Buch noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Da kann man nur hoffen, dass es bald geschieht!