Knut Hamsun - Der Ring schließt sich

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  • Hallo,


    Knut Hamsun: Der Ring schließt sich



    Der Roman zentriert sich um Abel Brodersen den wir in seiner Jugend kennenlernen. Abel ist der Sohn des alternden Leuchtturmwärters Brodersen, der früher einmal Kapitän auf der Barke "Lina" gewesen war. Im Alter von 14 Jahren will Abel in die Welt hinaus: "Zur See". Seine Eltern lassen ihn ziehen, weil sie sich nicht mehr leisten können, ihren Sohn zu unterhalten.


    Abel scheint sich zu einem Abenteurer und Nichtsnutz zu entwickeln, der auch vor Diebstahl nicht scheut. Seine erste Reise führt ihn bis Amerika. Nach vier Jahren kehrt er heim, erzählt seinen Freunden von Abenteuern. Olga hat sich inzwischen mit Rieber Carlsen verlobt, der mit vorbildlichem Fleiß Theologie studiert hat und nun Theologe geworden ist.


    Der Leuchturmwärter Brodersen, Abels Vater, lebt in zweiter Ehe, die erste Ehe war kinderlos. Die jetzige Frau, mit der er Abel zeugte, leidet an Schwindsucht, sie ist auch Alkoholikerin. Als Abel wieder auf Reise geht, die ihn nach Sydney und Neuseeland führen, stirbt die Mutter (warscheinlich an Tuberkulose). Vier Jahre ihres Lebens, worüber Hamsun sich ausschweigt, wird die Mutter an dieser Krankheiten durchlitten haben, stirbt entweder mit kaputer Leber oder Lunge. Dieses Drama lässt Hamsun weg, es ist ihm nicht so wichtig. Übrigens, lässt Hamsun vieles weg und deutet vieles nur an. Hier begegnen wir wieder Hamsuns karge Sprache, bloß kein Wort zuviel.


    Typisch für Hamsun, wir befinden wieder in einem Küstenstädtchen in Norwegen. Wenn Abel auf Reisen ist, wird trotzdem aus der Perspektive des Küstenstädchens weitererzählt, und so erfahren wir, der alte Leuchturmwärter hat seinen Job anden Nagel gehängt und wohnt nun in einer Dachkammer im Städtchen, obwohl er sein Geld auf ein Bankkonto geschachert hat, und sich besseres leisten könnte. Er ist ein alter Geizkragen. Lolla, seine ehemalige Haushälterin, heiratet aus Berechnung den alten Broderson, weil sie hofft, auf diese Weise, ihm Geld abluchsen zu können, weil ihr eine Bankschuld hinterlegt worden ist. Abel ist noch auf Reisen. Von Sydney, schlägt es ihn nach Kanada, dann nach Kentucky, wo er heiratet. Zu anfangs schreibt Abel noch seinem Vater, dann verstummt er irgendwann. Hier können wir schon ahnen, dass irgendetwas schiefgelaufen sei. Inzwischen weiß der alte Brodersen, dass aus seinem Sohn nichts gescheites werden wird. Eine Enttäuschung, die er zu anfangs noch zu verschleiern versucht. Übrigens, nicht nur Abel war verheiratet, Olga hat sich inzwischen von Rieber Carlsen entlobt, weil der Pfarrer eine auswärtige Anstellung gefunden zu haben. Wir wissen nicht, warum Olga ihm nicht folgte, heiratet mehr notgedrungen den jungen Rechtsanwalt Clemens, mit dem sie, das verraten spätere Kapitel, eine offenbar gelangweilte Ehe führt.


    Die erste Romanhälfte ist sehr sprunghaft. Hamsun jongliert von einer Szene zur anderen, erzählt ansatzweise Vorgänge, die eine spannende Handlung versprechen, bricht dann aber ab und fängt zum Ärger des Lesers ganz was neues an. So wirkt die erste Romanhälfte zerstückelt und immer wieder sucht man nach dem Faden der Handlung. Viele Lücken muss der Leser füllen, oder herumrätseln, spekulieren, wie es weiter geht. An sich liebe ich es ja, wenn Autoren nicht alles erzählen und dem Leser Möglichkeiten seiner Phantasie überlassen – doch hier verliert sich Hamsun in Weitschweifigkeit und man fragt sich wohin soll das führen. Doch zum Glück versöhnt die zweite Romanhälfte wieder, denn dort erzählt Hamsun komprimierter und zielgerichtet , verabschiedet sich von Szenenzerstückelungen.
    Kommen wir zu Abel zurück:

    Zitat von "Hamsun"


    Alle redeten ständig davon, daß er etwas werden müsse. Warum denn? Alle wurden etwas, aber nur so viel wie die andern, nicht mehr.


    Abel ist ein amspruchloser Mensch, der nicht viel braucht um glücklich zu sein. Er gibt sich damit zufrieden, wie er ist, und was er hat, auch wenn es materiell nur das nötigste ist. Vor allem hat er seine Freiheit und bringt es nicht fertig, seßhaft an einem Orte gefesselt zu sein. So treibt er in der Welt umher, kommt allerdings immer wieder an seinem Ruhepool, in seine Heimat, zurück. Natürlich ist er ein Außenseiter, er tut aber für seine Mitmenschen gutes, so weit es ihm möglich ist. Abel ist im Glück, weil er nichts zu verlieren. Ihn muss es nicht stören, wenn ein Sägewerk pleite macht, denn er hat nichts zu verlieren. Dem Gegenüber steht die Lebenssituation von Alex und seiner Familie, ihnen droht der Verlust des Hauses. Die Arbeitslosigkeit lastet ihm natürlich, weil er eine Familie durchbringen muss. Abel ist fei von solchen Lasten. Er hilft aber den Notleidenden so gut, wie es in seiner Macht stent. Dieses macht ihn zu einem guten wahren Menschen.


    Richard Ferguson, Hamsuns Biograf („Knut Hamsun, Leben gegen den Strom“)sagt, Abel komme „dem idealen Leben des taoistischen Weisen“, sehr nahe. Abel sei „das lebendige Zen-Rätsel, vor dem jegliches konventionelle Moral-und Kulturverständnis in irritiertem Erstaunen zurückschreckt, und es besteht wenig Zweifel, daß Hamsun in Abel den Weisen schlechthin darstellen wollte, den Menschen, der den Weg gefunden hat.“ Abel lebe außerhalb der Beschränkungen zwischen richtig und falsch, er treibe wie auf dem Wasser und bemüht sich um nichts. (Soweit Ferguson).


    Abel blüht in seiner Philosophie des Nichtshabenwollens. So antwortet er auf die Frage, ob er vollkommen allein im Schuppen lebe: „Dann und wann besucht mich eine Katze.“ Das einzige was ihm von einen taoistischen Novizen unterscheidet, ist wohl, dass er gelegentlich stiehlt, weil er Hunger hat.


    Als starken Kontrast zu Abel sehe ich Olga, Abels Jugendliebe. Olga hat materiell alles was sie braucht, ist aber unglücklich und unzufrieden, egal mit wem sie gerade verheiratet ist. Sie ist die wirklich tragische Figur im Roman. Ihre verdeckte Zuneigung zu Abel, die sich nie zu einem Liebesverhältnis enrwickelt hat, ist wohl die Ursache für ihr Unglück. Abel mochte sie auch, kann sich aber nie binden, weil er sehr sprunghaft ist - mal ist er in der Heimat und dann wieder weit weit fort. Kein Typ, mit dem sie eine Familie hätte gründen können. Olgas verliebte Anspielungen sprechen für sich, dass der Eros in ihr heftig rumort.


    Zu anfangs war ich etwas enttäuscht, aber da Hamsun ab Romanmitte den Handlungsfaden stringent weiterfädelt, bin ich doch froh, auch diesen Hamsun Roman mit seinen seltsamen knochigen Gestalten gelesen zu haben.


    Liebe Grüße
    mombour

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  • Hallo mombour,


    mir gefällt Hamsuns Buch über die Form hinaus, weil es etwas thematisiert, was auch heute noch (mehr noch heute?) an den Kern unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses dringt. Warum ist ein Mensch wann zufrieden? Warum bezeichnen andere Menschen ihn als Versager, wenn er nicht die herrschende materiell ausgerichtete Weltsicht in seinem Verhalten zur Wirkung kommen lässt? Alles über das existenzielle Moment hinausweisende ist für Abel bedeutungslos. Gleichzeitig ist er ein Entwurzelter, der mir kulturlos scheint, keine innere Heimat hat.


    Den Zusammenhang, den du zum Taoismus herstellst, finde ich interessant. Geht dies zurück auf die Biografie Fergusons, die du - glaube ich - auch an anderer Stelle verwendest? Nachdem ich vor ein paar Jahren meine ersten Hamsuns kurz aufeinander folgend gelesen hatte, habe ich ein Buch über Kierkegaard gelesen, weiß aber beim besten Willen nicht mehr genau, warum, nur dass es was mit Hamsun zu tun hatte. Aber vielleicht fällt es mir bei einer wiederholten Lektüre wieder ein. Deine schöne Rezension wirkt jedenfalls den Appetit auf Hamsun steigernd.


    Liebe Grüße,
    mohan

  • Hallo mohan,



    Den Zusammenhang, den du zum Taoismus herstellst, finde ich interessant. Geht dies zurück auf die Biografie Fergusons, die du - glaube ich - auch an anderer Stelle verwendest?


    Den Zusammenhang zum Taoismus hat Ferguson hergestellt. Übrigens ist der Ferguson eine überaus lohnende Lektüre, wenn man sich mit Hamsun beschäftigt. Er schreibt über sein Leben und über sein Werk.


    mir gefällt Hamsuns Buch über die Form hinaus, weil es etwas thematisiert, was auch heute noch (mehr noch heute?) an den Kern unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses dringt. Warum ist ein Mensch wann zufrieden? Warum bezeichnen andere Menschen ihn als Versager, wenn er nicht die herrschende materiell ausgerichtete Weltsicht in seinem Verhalten zur Wirkung kommen lässt? Alles über das existenzielle Moment hinausweisende ist für Abel bedeutungslos.


    Ja genau, das ist es. Sehr aktuell, immer noch. Und da wir uns in einer Wirtschaftskrise befindet, ist Alex' Schicksal wieder aktuell geworden. Er abeitet in einem Sägewerk, welches gerade pleite macht. Darum ist er arbeitslos usw......


    In diesem Jahr werde ich noch "Der Wanderer" (Trilogie) lesen.


    Liebe Grüße
    mombour