Herman Melville: Billy Budd / Die großen Erzählungen

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    Ein properer Band, Hardcover in Leinen mit einem hübschen Umschlag, Lesebändchen, angemessenes Papier, – und ein stolzer Preis, fast 35 Euro verlangt der Hanser-Verlag für 440 Seiten Dichtung und nochmals etwa 125 Seiten Anmerkungen, Erläuterungen und eine – exzellente – editorische Notiz. Da darf man wohl einiges erwarten. Und: die Erwartung geht auf.


    Der Band umfasst insgesamt acht Erzählungen, die sich übrigens nicht ganz mit der Zusammenstellung im Penguin Classics-Taschenbuch „Billy Budd and other short Stories“ decken, es fehlt vor allem “The Paradise of Bachelors and the Tartarus of Maids”. Trotzdem: für Melville-Fans ein Schatzkästchen mit vielen Entdeckungen, auch dank neuer und überwiegend sehr guter Übersetzungen.


    „Die Galerie“, im Original "The Piazza" und damit der Namensgeber einer Erzählungsreihe, die hier weitgehend erfasst ist, ist eine Kurzgeschichte über das Erlebnis einer Desillusionierung und sprachlich ein Geniestreich. Schon im Originaltext fällt ein eigenartiger Rhythmus auf, den die Übersetzung glänzend erfasst hat: der Prosatext ist eigentlich eine verkappte Versdichtung, er lässt sich über Seiten hinweg in Jamben lesen.


    „Bartleby, der Lohnschreiber“ ist vermutlich die populärste der hier vorliegenden Erzählungen, die die tragische Totalverweigerung des Helden in dem formelhaften Satz zusammenfasst „I would prefer not to“. Ob man das allerdings so übersetzen musste:


    „Es ist mir nicht genehm“


    halte ich für diskussionswürdig, da habe ich schon überzeugendere Vorschläge gesehen.


    „Benito Cereno“ ist ein leider viel zu unbekannter Text. Er ist, ausgehend von dem Motiv der Entdeckung und Niederwerfung eines Sklavenaufstandes auf einem Segelschiff, für mich ein Schlüsseltext für die Irritationen der Moderne und über den Verlust von Gewissheiten. Und zusätzlich enthält er im letzten Drittel einen erzählerischen Trick, mit dem Melville seiner Zeit weit voraus war.


    „Der Blitzableitermann“ ist eine kurze Satire, die durch die heitere Haltung etwas aus dem Rahmen fällt und nicht unbedingt zu den Glanzlichtern gehört, hier hätte ich „The Paradise...“ vorgezogen.


    „Die Encantadas“ sind eine Sammlung von zehn Skizzen über die Galapagos-Inseln, mehrheitlich düstere, halbdokumentarische Berichte und Anekdoten. Die Schilderung ist, abgesehen von der betörenden Sprache auch inhaltlich interessant; der Archipel verfügte damals weder über Besiedelung noch über irgendwelche Infrastruktur; es konnte passieren, dass Segelschiffe wochenlang in Sichtweite der Inseln gegen Wind und Strömungen erfolglos ankämpften und dann wegen aufgebrauchter Vorräte ans Festland zurückkehren mussten!


    „Der Glockenturm“ (The Belltower) ist eine an die Tradition des Schauerromans angelehnte Variation des Zauberlehrling-Motivs: es geht um einen genialischen Baumeister, der von der von ihm konstruierten Mensch-Maschine erschlagen wird. Über allem Geschehen hängt ein Fluch, der noch lange nach dem Tod des Baumeisters in einer Katastrophe seine Erfüllung findet. Die Ausstattung der Erzählung verweist auf Edgar Allan Poe.


    Und zum Abschluss das posthum – erst 1924! – entdeckte Glanzstück: „Billy Budd, Matrose“; die tieftraurige und ebenso schöne Erzählung von dem tragischen Aufeinandertreffen des reinen Toren (Billy Budd) mit dem intelligenten, aber grundbösen Waffenmaat Claggart und die Auflösung des Konfliktes durch die Unterwerfung unter eine seelenlose Gerechtigkeit. „Oh, hätte ich das nur geschrieben!“ soll Thomas Mann ausgerufen haben, nachdem er das gelesen hatte. In einer wunderbar hellen, klaren Sprache geht es auch hier um die Grundfragen der Moderne, um den Verlust der Orientierung zwischen Gut und Böse, Falsch und Richtig, eine einzige offene Frage, die bereits im Benito Cereno gestellt wurde und in diesem lange verschollenen Meisterwerk nochmals zugespitzt wird.


    Die angehängten Bemerkungen stammen von Daniel Göske, sie sind schlicht hervorragend.


    Der stolze Preis ist für Melville-Fans und solche, die es werden wollen, also gerechtfertigt.


    Wertung: 5ratten


    Mit einem Abzug von 2/10 in der B-Note (wegen der etwas seltsamen Übersetzung des Bartleby-Zitates und der etwas unglücklichen Auswahl)

    Einmal editiert, zuletzt von Gronauer ()

  • Schöne Rezi und ein für mich interessant klingendes Buch. Kommt gleich auf meine Wunschliste! Danke für den Tipp.

  • Danke für die Rezi. Ein kleiner Tipp: bei der Büchergilde Gutenberg bekommt man das Buch mit einem schönen Rabatt (sofern man Mitglied ist).


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()