Frank Schirrmacher - Payback

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    Frank Schirrmacher (geb. 1959)
    Payback.
    Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun,
    was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über
    unser Denken zurückgewinnen

    Erstveröffentlichung: 2009
    Verlag: Blessing
    gebundene Ausgabe
    237 Seiten


    Klappentext:
    "Wer frisst wen in der digitalen Gesellschaft?
    Beherrschen wir die Computer? Oder werden wir von ihnen beherrscht? Haben wir nicht nur das Denken, sondern auch unsere Intuition längst an sie abgetreten? Multitasking ist Körperverletzung. Und Konzentrationsstörungen und chronische Überforderung sind die Zeichen eines existenziellen Wandels im Umgang mit uns selbst, an dessen Ende der Verlust des freien Willens stehen könnte."


    [hr]


    Warum fühlen wir uns immer häufiger überfordert im Umgang mit all' den technischen Hilfsmitteln und Informationskanälen, die uns doch eigentlich das Leben erleichtern sollen? Diese Frage beschäftigt nicht nur mich, sondern auch Frank Schirrmacher, Mit-Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der mit Payback ein sehr interessantes Buch über dieses Thema geschrieben hat. Ein Buch, das für mein Empfinden zum Glück nicht ganz so technikfeindlich und kulturpessimistisch ist, wie Untertitel und Klappentext befürchten lassen.


    "Was mich angeht", schreibt Schirrmacher gleich im ersten Kapitel, "so muss ich bekennen, dass ich den geistigen Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen bin. Ich dirigiere meinen Datenverkehr, meine SMS, E-Mails, Feeds, Tweets, Nachrichtensites, Handyanrufe und Newsaggregatoren wie ein Fluglotse den Luftverkehr: immer bemüht, einen Zusammenstoß zu vermeiden, und immer in Sorge, das Entscheidende übersehen zu haben."


    Schirrmacher gibt in seinem Buch einen unterhaltsamen und mit vielen Fakten, Studien, und technischen Hintergründen versehenen, aber nie langweiligen Überblick darüber, was die heutige Computertechnik mit dem Menschen und seinem Gehirn anzustellen in der Lage ist. Dabei schließt er manchmal recht pauschal von sich auf andere, liegt aber meiner Meinung nach damit häufig gar nicht mal so falsch. Jedenfalls finde ich mich ziemlich häufig bei ihm wieder.


    Er beschreibt nachvollziehbar das Bedürfnis, zwar alle wichtigen Informationen erfassen zu wollen, dabei aber in der Datenflut, die auf uns einströmt, langsam das Gefühl dafür zu verlieren, wichtige Information zu erkennen und von unwichtigen zu trennen. Dabei ist ständig das Gefühl im Hinterkopf, eine wichtige Information zu verpassen oder zu vergessen. Man wird aufgefressen. Denn das Gehirn ist einfach nicht in der Lage, all' diese Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und dann auch noch zu speichern.


    Bei der Vielzahl der neuen Medien und der Fülle an Informationen, die der Mensch aufzunehmen versucht, tauchen aus biologischer und psychologischer Sicht ganz neue Phänomene auf: Die neuronalen Verschaltungen im Gehirn verändern sich, das Gehirn arbeitet anders und verliert zunehmend die Fähigkeit, Information linear und konzentriert aufzunehmen. Das führt z.B. dazu, dass viele Erwachsene und Kinder zunehmende Probleme haben, ein Buch zu lesen. Darüber hinaus verlagert das Gehirn seine Arbeit einfach nach außen. Das Internet macht es einem ja auch leicht. Heutzutage muss man die Dinge nicht mehr auswendig lernen - heutzutage wird das Denken auf die digitalen Plattformen verlagert: Was ich nicht weiß, kann ich bei Wikipedia und Google nachschlagen.


    Ganz schlimm in Schirrmachers Augen ist auch das Multitasking, das es ja eigentlich gar nicht gibt: Forscher haben herausgefunden, dass das Gehirn zu echtem Multitasking gar nicht in der Lage ist. Stattdessen führt es die vermeintlich gleichzeitigen Schritte in winzigen Zeitintervallen hintereinander durch, und es kommt uns nur so vor, als würden wir alles gleichzeitig tun: den Brief tippen, mit dem Geschäftspartner telefonieren und die neuesten Nachrichten im Netz abrufen.


    Dabei wurde herausgefunden, dass das sogenannte Multitasking sogar nach hinten losgehen kann:

    [li]Je intensiver Menschen dem Medien-Multitasking nachgehen, desto weniger können sie auswählen, was ihr Arbeitsgedächtnis speichert und desto stärker wird ihre Zerstreutheit.[/li]
    [li]Multitasker verlieren systematisch die Fähigkeit, zwischen Wichtigem und Unwichtigem in zu unterscheiden.[/li]
    [li]Und schließlich werden Multitasker nicht immer effizienter, sondern immer schlechter, selbst im Bereich des Multitaskings, und ihre geistigen Leistungen werden in einigen Bereichen immer fehlerhafter, beginnen sogar zu sinken.[/li]


    Ein weiteres großes Thema für Schirrmacher ist die Datensammelwut der großen Internetunternehmen, die dem Zweck dient, unsere Vorlieben kennenzulernen und unser Verhalten berechenbar zu machen. Das erscheint zunächst ganz vorteilhaft: Wer von uns hat sich nicht schon über passende Buchempfehlungen bei amazon gefreut...? Die Computer wissen, welche Bücher wir kaufen, welche Musik wir hören und wonach wir im Internet suchen. Die entsprechenden Algorithmen, die den Menschen zu einem berechenbaren Objekt machen, werden dabei immer ausgefeilter.


    Wir nehmen das mit der größten Begeisterung hin. Wir freuen uns darüber, dass die Maschinen uns das Denken abnehmen und uns bald besser kennen als unser Lebenspartner. Ohne uns großartig Gedanken über die Folgen zu machen.


    In diesem Zusammenhang bringt Schirrmacher ein bemerkenswertes Zitat aus Neil Postmans Buch "Wir amüsieren uns zu Tode" aus dem Jahr 1985, in der er die beiden großen Zukunftsvisionen "1984" von Orwell und "Schöne neue Welt" von Huxley gegenüberstellt:


    "Orwell warnt davor, dass wir von einer von außen kommenden Macht unterdrückt werden. Aber in Huxleys Vision braucht man keinen Großen Bruder, um die Menschen ihrer Autonomie, Vernunft und Geschichte zu berauben. Er glaubte, dass die Menschen ihre Unterdrückung lieben und die Technologien bewundern werden, die ihnen ihre Denkfähigkeiten nehmen. Orwell hatte Angst vor denjenigen, die Bücher verbieten würden. Huxley hatte Angst davor, dass es gar keinen Grund mehr geben könnte, Bücher zu verbieten, weil es niemanden mehr geben würde, der sie lesen wollte. In '1984' werden Menschen kontrolliert, indem man ihnen Schmerzen zufügt. In der 'Schönen neuen Welt' werden Menschen kontrolliert, indem man ihnen Freude zufügt."


    Schirrmachers bedenkliche Folgerung: "Huxley ist damit unserer Gegenwart ein wenig näher gekommen als Orwell."


    Doch wie entkommt man dem ganzen? Leider hat auch Frank Schirrmacher hierfür keine Patentlösung. Natürlich appelliert er an die Selbstdisziplin, den starken Willen: Muss die E-Mail, die gerade eingegangen ist, sofort angeklickt werden? Muss die SMS sofort beantwortet werden? Wir müssen die Gedanken an all die Informationen und Benachrichtigungen, die uns möglicherweise gerade in dieser Minute durch die Lappen gehen, auch mal unterdrücken.


    Frank Schirrmacher muss für sein Buch eine ganze Menge gelesen und recherchiert haben. Und wie er selbst zugibt, hätte er ohne das internet bei weitem nicht die Fülle an Informationen zusammentragen können, die er da präsentiert. :zwinker: Letztlich geht es ihm ja auch gar nicht darum, das Internet zu verteufeln und ihm abzuschwören, sondern einen vernünftigen Umgang damit zu finden, es sinnvoll, aber stets kritisch zu nutzen. Und dafür bietet er mit diesem Buch für mein Empfinden ein paar hervorragende Denkanstöße.


    4ratten

  • Klingt wirklich sehr interessant MacOss - danke dafür. Man denkt oft gar nicht daran welche Türen man damit überall öffnet - man merkt es meist an den vielen Werbemails Urgh...

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Ein wirklich sehr interessantes Buch. Ich frage mich nur, ob ich es lesen könnte... Wie ist es denn geschrieben?

    //Grösser ist doof//


  • Ein wirklich sehr interessantes Buch. Ich frage mich nur, ob ich es lesen könnte... Wie ist es denn geschrieben?


    Das Buch ist recht einfach und verständlich geschrieben. Keine Sorge. Es ist jedenfalls keine technische oder wissenschaftliche Abhandlung. Natürlich werden ein wenig Technik und ein paar wissenschaftliche Studien erwähnt, aber Frank Schirrmacher versteht es ganz gut, diese allgemeinverständlich zu "übersetzen". Klar, er hat dabei seine Zielgruppe bzw. Käuferschaft im Auge, und das sind eben keine Wissenschaftler oder Technikfreaks, sondern Menschen wie Du und ich, die angesichts der schönen neuen Web-Welt so ihre Bedenken haben und aufpassen wollen, dass sie davon nicht überrollt werden...

  • Danke für die Antwort, MacOss. Ich setze das Buch mal auf meine Wunschliste. Bin schliesslich mitten in der Zielgruppe :zwinker:

    //Grösser ist doof//