Milena Michiko Flašar (*1980)
Ich nannte ihn Krawatte
Erstveröffentlichung: 2012
Verlag: btb
Taschenbuch, 140 Seiten
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Was für ein schönes, oftmals sehr trauriges und melancholisches, aber unterm Strich ungemein tröstliches Buch.
Der etwa 20-jährige Hiro ist ein in Japan sogenannter Hikikomori, also jemand, der sich absichtlich der Gesellschaft und seinen Mitmenschen entzieht und sein Zuhause nicht oder so gut wie gar nicht mehr verlässt. Als Hiro eines Tages jedoch die Sehnsucht treibt, fasst er Mut und wagt sich nach zwei Jahren Abgeschiedenheit in seinem Zimmer im Hause seiner Eltern wieder nach draußen. Er sucht den von ihm seit Kindheitstagen so geliebten Park auf, setzt sich auf die vertraute Bank bei der großen Zeder, auf der er so manche glückliche Stunde verbracht hat, und beschließt, beflügelt von seinem Mut und angetrieben von dem Gedanken, wieder Kind sein zu dürfen, nun jeden Morgen hierher zu kommen.
Eines Tages fällt Hiro dieser Mann auf, der regelmäßig auf der Parkbank gegenüber Platz nimmt, immer wochentags, dort die Zeitung liest, etwas von seinem Bentō (seiner Lunchbox) isst und anschließend eine Zigarette raucht. Dieser Mann, Herr Ōhara, Mitte fünfzig, ist ein sogenannter Salaryman, einer der vielen Anzug tragenden Büroangestellten, die zuhauf die Tokioter Innenstadt bevölkern. Und auch Herrn Ōhara fällt irgendwann der ihm tagtäglich gegenübersitzende Hiro auf. Bis er beschließt, einfach zu diesem rüberzugehen und das Gespräch mit ihm zu suchen.
Auch wenn beide anfangs noch vorsichtig umeinander kreisen und nicht so recht wissen, was sie mit dem anderen anfangen sollen, so erkennen sie bald, dass sie eines eint: Sie sind beide aus der Gesellschaft Gefallene, jeder auf seine Weise. Und so beginnen sie, einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen, von den Menschen und den Ereignissen in ihrem Leben, die sie aus der Bahn geworfen und zu den Menschen gemacht haben, die sie sind. Sie plaudern immer wochentags auf der Parkbank, bei Regen auch mal im Jazz-Café um die Ecke. Und dabei entwickeln sie sogar so etwas wie Freundschaft.
Den Schluss des Buches möchte ich hier nicht vorwegnehmen, nur so viel: Es wird traurig und versöhnlich zugleich, und am Ende musste ich so manche Träne wegdrücken.
War ich anfangs skeptisch, was den traurigen und melancholischen Grundton der Erzählung betrifft, weil mir der Sinn derzeit eigentlich nicht nach schwerer, deprimierender Lektüre steht, so legte ich das Buch am Ende doch glücklich und zufrieden beiseite, wahrscheinlich auch, weil das Buch streckenweise – so formulierten es einige Kritiker – hart am Kitsch vorbeischrammt. Aber egal. Ich brauche sowas im Moment.
Alles in allem hat mir das Buch sehr gut gefallen. Die Sprache ist einfach und verständlich, die Form etwas ungewöhnlich. So verzichtet die Autorin zum Beispiel auf An- und Abführungszeichen in den Dialogen, trotzdem weiß man stets, wer spricht. Darüber hinaus ist das Buch zumeist in kurzen und knappen Sätzen gehalten. Einfach zu verstehen. Oft ohne Subjekt, Prädikat oder Objekt. Manchmal nur drei Wörter lang. Oder zwei. Liest sich trotzdem sehr gut. Oder gerade deswegen.
Eine Empfehlung. Ich vergebe und .