Ich habe das Buch am Wochenende gelesen und komme zu einem etwas wohlwollenderen Ergebnis als Du, liebe Myriel.
Mir gefällt die Geschichte um Dr. Shimamura, der im Japan des späten 19. Jahrhunderts unterwegs ist, um Frauen zu untersuchen, die angeblich "vom Fuchs" befallen sind und allerlei hysterisches Verhalten oder andere psychische und körperliche Auffälligkeiten an den Tag legen. Im Laufe seiner Untersuchungs- und Forschungsreisen, die ihn u.a. nach Europa führen, wird jedoch deutlich, dass auch er selbst empfänglich für gewisse psychische Ausfälle ist, und so war ich als Leser bei der Schilderung seiner Erinnerungen nie ganz sicher, was Realität ist, was Einbildung und was Fieberwahn. Insbesondere, da sich am Ende so manches Ereignis anders als gedacht herausstellt, aber das wird hier aus Spoilergründen nicht verraten.
Schön und bisweilen ziemlich komisch fand ich die Schilderung der häuslichen Umgebung Dr. Shimamuras, insbesondere seiner Mutter und seiner Schwiegermutter, die rüstigen und rührigen alten Damen des Hauses, die um sein Wohl besorgt sind. Und zu der singenden Haushälterin, deren Namen er sich partout nicht merken kann, hegt er eine ganz eigene Zuneigung.
Interessant zu lesen war auch, wie einige der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Europa tätigen Geisteswissenschaftler wie Charcot, Tourette, Breuer und Freud in die Geschichte eingebaut wurden. Dem Klappentext auf der Rückseite des Buches ist übrigens ein Gemälde von André Brouillet von 1887 unterlegt, das Charcot und seinen Assistenten Babinski dabei zeigt, wie sie an der Salpêtrière, dem damals berühmten Pariser Nervenkrankenhaus, die hysterische Patientin Blanche Wittman in hypnotisiertem Zustand vorführen (Bild in der Wikipedia: -> klick).
Die schöne Aufmachung dieses kleinen Büchleins hat mir überhaupt ganz gut gefallen, insbesondere die schönen Abbildungen von Holzschnitten mit Fuchsmotiven im Buch und auf dem Cover.
Was mich jedoch beim Lesen immer wieder ins Stocken brachte, weil es relativ häufig vorkam, und was ich der Autorin oder einem etwas zu nachsichtigen Lektorat anlaste, ist die transitive Verwendung des Begriffs "erinnern" (also wie z.B. in der Wendung: "Er erinnerte den Geburtstag..."). Für mich klingt so etwas immer wie ein missglückter Anglizismus ("to remember sth."), habe mich aber auch schon belehren lassen müssen, dass diese Formulierung in einigen Regionen umgangssprachlich geläufig sein soll. Ich finde sie allerdings furchtbar und bin der Meinung, sie hätte für die Druckfassung korrigiert werden müssen. Auch der Zwiebelfisch ist kein Freund von ihr.
Zauberhaft wird der Roman auch nicht dadurch, dass eine unerklärliche Krankheit die Bewohner entlegener japanischer Dörfer befällt, die gemeinhin "der Fuchs" genannt wird. Die Beschreibungen dieser Krankheit und des Verhaltens der Bewohner hätte einen guten Absprungpunkt für einen Ausflug in die japanische Mythologie und den Volksglauben bieten können, aber stattdessen durfte man als Leser nur miterleben, wie sich Shimamura vor seinen Landsleuten abwechselnd geekelt und angeödet gefühlt hat.
Ja, da hast Du nicht ganz unrecht. Sagen wir mal so: Es wird einiges an Kenntnis der fernöstlichen bzw. der japanischen Mythologie und Kunstgeschichte vorausgesetzt, wie z.B. die Rolle des Fuchses oder der Fuchsgöttin Inari im Glauben der Bevölkerung, einiges wird aber auch erklärt oder kurz angerissen.
Zu guter letzt habe ich auch nicht erkannt, was diesen Roman zu einem Gegenwartsroman macht - der Großteil der Handlung spielt in verschiedenen Vergangenheitsebenen und diese bestimmen maßgeblichen den äußerst handlungsarmen (und exzentrischen) Gegenwartsteil. Das ist nicht das, was ich unter "Roman über ein Thema aus der unmittelbaren Gegenwart" verstehe.
An der Klassifizierung als "Gegenwartsroman" würde ich mich jetzt nicht zu sehr festbeißen. Diejenigen, die den Klappentext verfassen, müssen nicht unbedingt das Buch gelesen haben.
Insgesamt hat mir die Geschichte um Dr. Shimamura recht gut gefallen, und ich vergebe: