[Costa Rica] Fernando Contreras Castro – Der Mönch, das Kind und die Stadt

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    Autor: Fernando Contreras Castro
    Titel: Der Mönch, das Kind und die Stadt
    Originaltitel, Jahr: Los Peor, 1995
    Übersetzer aus dem Spanischen: Lutz Kliche
    Verlag: MaroVerlag
    ISBN: 978-3-87512-266-4
    Ausgabe: Hardcover
    Seiten: 207



    Inhalt: Jerónimo Peor war ein begabter Schüler und wurde deshalb in eine geistliche Laufbahn gedrängt. Als er über seinen Studien offenbar einen Teil seines Verstandes verliert, wird von Orden zu Orden abgeschoben, niemand will ihn lange haben. Und so landet er eines Tages schließlich bei seiner jüngeren Schwester Consuelo, die in einem Bordell in San José für Ordnung, Sauberkeit und vor allem die Küche sorgt. Ständig unternimmt Jerónimo Streifzüge durch die Stadt, um sie mit allen Sinnen in sich aufzunehmen, und doch nimmt er dabei nur einen Ausschnitt seiner Umwelt wahr. Als eine der Prostituierten ein Kind bekommt, ändert sich auch und vor allem Jerónimos Leben. Der Junge ist einäugig, und wie die Zyklopen der Odysee trägt er es mitten auf der Stirn, weshalb Jerónimo ihn auch kurzerhand Polyphem tauft. Schon früh nimmt sich Jerónimo auch Polyphems Ausbildung an, die natürlich von dem geprägt ist, was der Mönch aus seiner Ordenszeit im Gedächtnis hat. Daher spricht Polyphem bald Lateinisch so fließend wie Spanisch, aber der übrige Unterricht Jerónimos lehrt ihn eine Welt, die es so nicht gibt: Die Studien des Mönches haben diesen nur bis ins 16. Jahrhundert gebracht, alle wissenschaftlichen Entwicklungen seitdem sind an ihm vorbeigegangen. Und so ist die Welt nicht nur eine Scheibe, sondern auch von den merkwürdigsten Wesen bevölkert. Für Jerónimo ist Polyphems Geburt (und Überleben, an das der Bordellarzt nie und nimmer geglaubt hatte) nur das Zeichen für eine neue Zeit, in der Altes an seinen angestammten Platz zurückkehrt. Bei seinen Streifzügen durch die Stadt lernt Jerónimo auch den blinden Don Félix kennen, der vor seinem inneren Auge die Stadt noch so sieht, wie sie vor über 50 Jahren aussah. Don Félix führt Jerónimo in diese untergegangene Welt ein, die dieser aber nur für sich erwecken kann, wenn er die Augen schließt und sich so gleichsam blind macht. Als Polyphem ungefähr sechs ist, bekommt er von seiner Mutter eine Baseball-Kappe geschenkt, die sein merkwürdiges Aussehen gut tarnt. Und von nun an begleitet der Junge den Mönch in die Stadt. Jerónimo entdeckt unter Polyphems Führung eine weitere Stadt in der Stadt, die er bislang nicht wahrgenommen hat: die der Ausgestoßenen, der Diebe und vor allem der Straßenkinder ...



    Meine Meinung: Der Costaricaner Fernando Contreras Castro sei einer der bekanntesten Schriftsteller seines Landes und einer der wichtigsten Vertreter der neuen Generation lateinamerikanischer Autoren, sagt der Rückentext. Sein Name und eines seiner Bücher sind mir trotzdem erst jetzt untergekommen, und das ist vielleicht nicht so überraschend, wenn man sieht, daß dieser Roman im Original bereits 1995 erschien und 2002 in deutscher Übersetzung bei einem unabhängigen Kleinverlag. Daher bin ich froh, wieder einmal durch Bookcrossing auf etwas aufmerksam geworden zu sein, was mir sonst sicher noch länger entgangen wäre.


    Contreras Castro wählt eine absurde Ausgangsposition und Charaktere, die in der Gesellschaft bestenfalls als Außenseiter und randständig durchgehen, wenn sie nicht gleich als verrückt gelten wie Jerónimo. Daraus erklärt sich zum Teil auch das besondere Verhältnis, das sich zwischen dem von seiner Mutter ungeliebten und vernachlässigten Polyphem und den Geschwistern Peor als Elternersatz entwickelt. Die ganze Erzählung trägt, zum einen bedingt durch die Figur Jerónimos, zum anderen durch Polyphems Besonderheit, durchaus Züge des magischen Realismus, auch wenn der Autor durch den Arzt einen ausgewiesenen Rationalisten eine wichtige Rolle spielen läßt, der dementsprechend auch eine ganz andere Erklärung für Polyphems Mißbildung präsentiert: Schädlingsbekämpfungsmittel, die sich im Körper der Eltern angereichert haben. Deshalb ist er auch überzeugt, daß sich an der Art der sich häufenden Mißbildungen bei Säuglingen die geographische Herkunft der Eltern ablesen ließe, weil unterschiedliche landwirtschaftliche Monokulturen verschiedene Mittel einsetzen, die sich spezifisch auswirken. Da diese Erklärung aber nicht in Jerónimos Weltbild paßt und die Prostituierten sie nicht im Detail verstehen, bleibt der Arzt damit recht allein. Und Contreras Castro tut gut daran, sie zwar zu präsentieren, aber nicht zur Leitschnur zu machen, denn er müßte seine Geschichte dann ganz anders erzählen. So jedoch vermag er um seine Figuren einen ganz eigenen Zauber weben, in dem er seine Sozial- und Gesellschaftskritik geschickt einbetten kann. Sie erschließt sich dem Leser durch die Augen Jerónimos, als dieser durch und mit Polyphem seine Stadt neu entdeckt, läßt aber gleichzeitig Raum zum Staunen darüber, wie einfach das Leben sein kann, wenn man es nur durch das eine Auge Polyphems betrachtet.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen