[Griechenland] Nikos Panajotopoulos - Heiligmacher

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Nikos Panajotopoulos - Heiligmacher
    Νίκος Παναγιωτóπουλος - Αγιογραφία
    Aus dem Neugriechischen von Birgit Hildebrand
    Reclam, Leipzig 2005 (Polis, Athen 2003)
    287 Seiten (mit Anmerkungen)




    http://www.nicospanayotopoulos.gr/



    Der achtzehnjährige Stathis Antoniou ist der letzte, der den Asketen Ioannis Orphanos lebend sieht, was schwerwiegende Folgen für ihn hat. Zum einen erzählt ihm der Einsiedler die Geschichte seines Lebens, zum anderen fällt ein schrecklicher Verdacht auf Stathis, denn Ioannis ist keines natürlichen Todes gestorben. Sechzig Jahre später fühlt Stathis selbst den Tod nahen und nimmt die geplante Heiligsprechung des Asketen zum Anlass, dem verantwortlichen Bischoff dessen wahre Lebensgeschichte zu erzählen. Bei dieser Lebensbeichte in Briefform erfährt der Leser Ungeheuerliches aus der Kindheit des Waisen und wie er zum Asketen und schließlich zum Wundertäter wurde.


    Anfangs ist das Erzählte sehr langatmig. Bis zur Begegnung der beiden holt Panajotopoulos unnötig weit aus, dröselt Verwandtschaftsverhältnisse auf und streut irrelevante Anekdoten ein. Die eigentliche Geschichte nimmt erst Fahrt auf, als der Heilige seinen Bericht beginnt, auch wenn es immer noch recht beschaulich zugeht. Wenn man sich dann im Dorf „eingelebt“ hat, hat auch das Erzähltempo ein angenehmes Maß erreicht. Der geschwätzige Stathis unterbricht den reinen Bericht aber immer wieder mit Einwürfen, was an mancher Stelle passt, an anderer den Erzählfluss stört.
    Der Leser erfährt quasi nebenher einiges über das griechische Dorfleben zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, die Ereignisse finden in einem fiktiven Dorf auf der Peloponnes Anfang der 1940er Jahre statt. Auch historische Begebenheiten finden sich und helfen, das Erzählte zeitlich einzuordnen (wozu auch die hinten angefügten Anmerkungen beitragen). Im Mittelpunkt steht aber der Aufstieg des Ioannis vom Waisenkind zum Dorfheiligen. Hier zeigt Panajotopoulos gekonnt, wie soziale Strukturen wirken und wie scheinbar zwanghaft ein Ereignis zum anderen führen muss, sich im Dorfalltag also eine Eigendynamik entwickelt, der niemand, besonders Ioannis, entgehen kann. Er verwebt Schicksal, Zufall und Absicht, ohne, dass der Leser angesichts des kompletten Bildes am Ende diese Faktoren wirklich auseinanderhalten kann. Und immer bleibt man im Unklaren, ob nicht vielleicht doch ein Quäntchen Heiligkeit im Spiel war…
    Was klar ist, ist der wirtschaftliche Vorteil, der sich für das Dorf ergibt. Und das sich dennoch eine Frage der Schuldigkeit nicht unbedingt einvernehmlich klären lässt. Es zeigt sich, dass Stimmungen schnell umschlagen können, wenn jemand versucht seiner Rolle zu entkommen. Die eigene Sicht der Dinge deckt sich nie mit der der anderen.


    Interessant, aber in der Übersetzung nicht wirklich zu bemerken, ist die Tatsache, dass Panajotopoulos teilweise in Katharevousa geschrieben hat. Dies ist eine im 19. Jahrhundert entwickelte Form des Griechischen, die im Wesentlichen auf einer bereinigten Form des Altgriechischen basiert und bis 1976 als Amtssprache eingesetzt wurde, sich aber nie wirklich durchsetzen konnte. In der deutschen Übersetzung fallen zwar altertümliche Formulierungen auf, die wesentlichen Unterschiede in Grammatik und Orthographie ließen sich allerdings nicht transportieren.


    3ratten


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges