Uwe Dick, Sauwaldprosa

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    Wo liegt der Sauwald? Hören wir den Originalton:


    „Kopfing, dees is da Kopf! sagte einer, gen Natterbach zua hamS den Sauriassl! ein anderer. Dortselbst drehte man den Spieß, an dem unser flüchtiger Koloß, unser geographisches Wildbret hing, leichterhand um: Naa, da Riassl saan mia need. Da Riassl is zMünzkirchen. D’Ohrwaschl saan Vichtnschtoa. Wenn überhaupts, dann saan mia da Sauschwoaf. Aba i glaabs need amoi!“


    Alles klar? – wir befinden uns zwischen Inn und Donau, im Innviertel südöstlich von Passau, auf dem Territorium von Oberösterreich. Dort liegt der Sauwald, und der wird in diesem Buch umkreist, durchschritten und durchfahren, auf jedem erdenklichen topografischen, intellektuellen und sprachlichen Niveau.


    Oder liegt er ganz woanders – in der Vorstellungswelt des Autors, wo er seine Phantasien und Gegenentwürfe zu der reaktionären und zunehmend verkrustenden „realen“ Außenwelt“ ausleben kann?


    Eine Geschichte wird hier nicht wirklich erzählt, die Sauwaldsafari des Autors ist eine sehr gedankliche. Assoziationen reihen sich aneinander, Anekdoten, Erinnerungsstücke, Dialogfetzen, Betrachtungen zu Politik, Gesellschaft, Landschaft; Reflexionen, Kabarett- und Kabinettstückchen; eingeschoben werden - teilweise - faksimilierte Auszüge aus seltsamem Schriftverkehr, szenische Abschnitte, fingierte Hörspiele, die an die Nachtprogramme von Arno Schmidt erinnern, etwas Lyrik und immer wieder lange poetologische Auseinandersetzungen. Zusammenhängend ist das nicht einfach lesbar, vor allem dann nicht, wenn man sich bemüht, eine gerade Linie in diesen wildwuchernden Text zu ziehen. Am besten ist, das erst gar nicht zu versuchen und sich statt dessen mit dem Bewusstseinsstrom einfach mittreiben zu lassen, der den Leser immer wieder auf kleinen Inseln (Inn-seln, würde der Autor sagen) absetzt, ehe er ihn weiterspült.


    In diesem Durcheinander leuchten immer wieder Perlen auf – skurrile Neologismen, spaßige etymologische Spielereien, Bilder und Metaphern von frappierender Schärfe, luzide Einsichten, Sätze von vollendeter Schönheit und Balance. Und hinter dem nächsten Punkt geht es wieder kopfüber in die phonetisch getreulich wiedergegebenen Biertischweisheiten der Sauwaldanlieger... „wens derwischt, sagt ma, der is a Leich, der werd in Grund und Boden neigwalzt, so tiaf, daß er dPosauna nimmer hört am Jüngstn Tag“.


    Uwe Dick ist ein hartnäckiger und bis zur Beleidigung grober Streiter für die Dinge, die ihm am Herzen liegen: Abstehen von der Masse, vom Kulturbetrieb, persönliche Freiheit, Hinwendung zur Natur und, das vor allem, zur Sprache. Lange Passagen des Buches enthalten flammende Plädoyers für Phantasie und Genauigkeit der Sprache. Die Vorbilder werden namentlich genannt, vor allem Jean Paul und Arno Schmidt. Tatsächlich gelingen Dick, abgesehen von einigen spielerischen Wort- und Bedeutungsschöpfungen (Billigtristik, Journullisten, ritu-albern...- wer hier an den späten Arno Schmidt denkt, liegt richtig), immer wieder bezaubernde Einschübe, die genau das deutlich machen, worauf er hinauswill: äußerste Sinnlichkeit und Präzision des Ausdrucks.


    Nur – davon hätte ich gerne viel mehr gelesen, warum tut er das hier nicht öfter? Warum statt dessen über hunderte Seiten hinweg eine so langatmige wie wütende Pressebeschimpfung gegen seine Lieblingsgegner beim Feuilleton der SZ und der Passauer Neuen Presse in immer neuen Wendungen und Wiederholungen? Warum die ständigen Deklamationen so abgegriffener pathetischer Wendungen („...jene, die...“)? Die vielen derben Hiebe lassen das Schwert, das der Autor führt, allmählich zur Keule abstumpfen, und das ist jammerschade. Vermutlich – leider kenne ich seine Gedichtbände nicht (noch nicht) – geht es Uwe Dick hauptsächlich um Lyrik als Form äußerster Verdichtung sprachlichen Ausdrucks, einige Absätze in der Sauwaldprosa deuten darauf hin. Letztere leidet darunter aber sichtlich. Und es gibt hier in der Tat den Satz:


    „Ich will doch sehen, wer es mir verwehren könnte, ein Buch zu schreiben, das niemand lesen will.“


    Jedenfalls macht Uwe Dick es des dem Leser nicht leicht. Und bei Jean Paul hieß es in der Vorrede zum Quintus Fixlein auch nur: Sage was du willst, ich schreibe was ich will.


    Die Leidenschaft, mit der hier Genauigkeit der Sprache eingefordert wird, hat meine volle Sympathie. Das Ungestüm und die Wut, mit der das und alles andere vorgebracht wird, scheint mir dem lobenswerten Anliegen zu schaden.


    Etwas sollte der Leser auch wissen: die Sauwaldprosa ist ein Werk in ständiger Fortentwicklung. 1976 begonnen, wird sie von Auflage zu Auflage um neue Texte erweitert. Diese Rezi beruht beispielsweise auf der bisher letzten Version des Jahres 2001. Die Fortschreibung findet allerdings auch nur in der Form der Hinzufügung statt, so dass sich Texte darin finden, die in ihren politischen und gesellschaftlichen Anspielungen etwas angestaubt wirken. Akzeptiert man das als Teil des Programms, geht das in Ordnung.


    Wie beurteilt man ein solches Buch, das sich in seinem so berechtigten Zorn doch am meisten selbst gefällt? Ein Prosawerk, das dem Leser bedeutet, dass die Lyrik die Krone der Sprachschöpfung sei? Schwierig, schwierig.


    Ich lasse es mal bleiben.

    Einmal editiert, zuletzt von Gronauer ()

  • Danke Gronauer für die tolle Rezi, nach den sehr interessanten Zitaten aus dem Buch, in einem anderen Thread hier war ich natürlich auf deine Meinung zum Buch gespannt.