António Lobo Antunes: Einblick in die Hölle

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Die Rahmenhandlung dieses erstmals 1983 erschienenen Romans ist ein langer, autobiographischer innerer Monolog: der Erzähler hat ärztlich verordnete Sommerferien am Algarve verbracht und reist mit dem Auto zurück, durch den Aletejo und durch Lissabon nach Praia das Macas, in der Nähe von Sintra. Während der Fahrt werden Erinnerungen wach, an das eigene Familienleben, an den Zwangsaufenthalt als Militärarzt im angolanischen Kolonialkrieg, hauptsächlich aber an die Erfahrungen, die er danach, von 1973 an, als Arzt im psychiatrischen Krankenhaus Miguel Bombarda in Lissabon sammelte. Die Erinnerungsfetzen aus dem Krieg sind erwartet drastisch, aber das Übergewicht der Erfahrungen aus der psychiatrischen Praxis macht deutlich: mit der Hölle ist diese gemeint.


    Der Erzähler leidet an dem gleichgültigen und unmenschlichen Umgang mit den Kranken, er leidet daran, wie er selbst Teil dieses Systems wird, das hauptsächlich danach trachtet, Patienten ruhigzustellen, anstatt sich ihrer anzunehmen. In einzelnen Rückblenden verschwimmt die Grenze zwischen dem Erzähler und den Kranken; geradezu verstörend wirkt eine Episode, in der der Erzähler sich in der Rolle eines gerade eingewiesenen findet und in den zerstörerischen Kreislauf der dauernden Sedierung gerät. Andere Episoden sind mit grimmiger Ironie aufgeladen, bei der die Komik schier erfriert.


    „Einblick in die Hölle“ ist eines der zugänglicheren Bücher von António Lobo Antunes. Dies gilt trotz einiger unübersehbarer formaler Schwächen, die die Lektüre unnötig erschweren. Dazu gehört ein keinem System gehorchender ständiger Wechsel der Erzählperspektive zwischen erster und dritter Person, zusätzlich aber auch eine Metaphorik, die stellenweise sehr bemüht wirkt. Was das Verständnis des Textes aber erleichtert, ist, dass die Geschichte wenigstens in der Rahmenhandlung eine Richtung hat, nämlich die nächtliche Reise durch den Süden Portugals. Entlang dieses Strangs sind die einzelnen Episoden der Erinnerung aufgereiht, wenn auch ohne chronologische Abfolge. Außerdem kann man, wenn man die nötige Kondition dafür aufbringt, die Geschichte fast wie in Echtzeit lesen: die rund 280 Seiten der Rahmenhandlung umfassen eine Zeitspanne von etwa 15 Stunden.


    Bei allen Qualitäten des Buches: leider keines der ganz großen Werke dieses Autors. Stilistisch noch nicht so ausgereift wie die späteren Romane, in der Erzählperspektive etwas unentschlossen. Daher nur 3ratten



    Und ein post scriptum:
    Eine meiner Marotten ist es, bei Romanen mit realen Hintergründen die Schauplätze zu erforschen. Einige davon kannte ich von eigenen Reisen, andere waren neu, unter anderem das Hospital Miguel Bombarda in Lissabon. In diesem psychiatrischen Krankenhaus arbeitete António Lobo Antunes als Psychiater, und noch heute hat er dort ein Zimmer – in dem er seine Romane schreibt. Bei Google Earth kann man es als Luftbild betrachten. Dabei enthüllt sich auch ein skurriles Detail: ein Gebäudekomplex, in dem nach dem Buch die Abteilung für die gefährlichen Fälle (psychisch kranke Schwerverbrecher) untergebracht war, ist wegen seiner auffälligen Architektur einwandfrei identifizierbar. Es gehört aber nicht mehr zur Klinik und hat seine Funktion verändert: heute ist es ein Hotel.