Martin Wehrle: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

  • Die Informationen innerhalb der Spoilermarkierungen kann man mitlesen, muss es aber nicht tun. Sie enthalten keinen Geheimnisverrat, sondern lediglich Einblicke in weitere Kapitel des Buchs.


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    Martin Wehrle: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus – Neue Geschichten aus dem Büroalltag, Berlin 2012, Econ/Ullstein Buchverlage GmbH, ISBN 978-3-430-20133-9, Softcover/Klappenbroschur, 313 Seiten, mit Illustrationen von Dirk Meissner, Format: 13,5 x 20,5 x 3 cm, EUR 14,99 [D], EUR 15,50 [A], sFr 20,90.


    Im ersten Band ICH ARBEITE IN EINEM IRRENHAUS (ISBN 978-3-430-20097-4) haben wir gelernt, dass der Wahnsinn in allen Unternehmen tobt, nur die Ausprägungen sind, je nach Größe und Entwicklungsphase der Firmen, verschieden. Wenn man weiß, worauf man achten muss, hat man als potentieller Insasse die Möglichkeit, sich gezielt bei Unternehmen zu bewerben, mit deren Art von Wahnsinn man einigermaßen kompatibel ist. Wenn’s passt, kann das eine ganz angenehme und produktive Zusammenarbeit werden.


    Diese Erkenntnis war für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Offenbarung. Nicht umsonst erreichte der erste Band über 20 Auflagen und stand monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Und so wundert es einen auch nicht, dass der Autor rund 2.000 Mails zu dem Buch bekam, viele davon mit neuen Wahnsinnsgeschichten aus der Arbeitswelt. Diese hat er für den vorliegenden Band gesammelt, kategorisiert und kommentiert.


    Sachbücher liest man ja gemeinhin nicht zum Vergnügen, haarsträubende Fallbeispiele dagegen schon. Diese Sammlung hier hat es in sich! Wenn man schon in oder für Unternehmen gearbeitet hat, sind die Geschichten so nah am eigenen Leben, dass man immer wieder denkt: „Das kann der Autor doch gar nicht wissen! Das habe ich ihm nie erzählt!“ Bis einem dämmert, dass andere Leute in anderen Firmen haargenau den gleichen Wahnsinn erlebt haben wie man selbst.


    Von manchen Vorfällen hat man schon aus den Medien erfahren. Wieder andere sind so unerhört, dass man gar nicht glauben mag, dass so etwas in einem zivilisierten Land möglich ist. Unfassbar ist zum Beispiel die Geschichte von der Bombendrohung in einem Bürogebäude, von der die Mitarbeiter erst anderntags durch die Zeitung erfahren. „Kein einziges Stockwerk war geräumt, kein einziger Abteilungsleiter informiert worden. Offenbar hatte man sich darauf verlassen, dass die Bombendrohung ein Scherz war“, erzählt die Kundenberaterin Lisa. (Seite 23) Um nur ja keine Arbeitszeit durch eine vorsorgliche Evakuierung des Gebäudes zu verschwenden, hat man tausende von Menschenleben riskiert.


    Zum Wiehern ist der Beitrag „Wie unsere Putzfrau zum Sicherheitsrisiko wurde“ (Seite 48). Zu schön, wie Amtsrat Markus die Auswirkungen der Sparmaßnahmen beim Reinigungspersonal beschreibt. Aber man möchte wirklich nicht mit ihm tauschen.


    Im folgenden Kapitel erfahren, wie man sich als Firma beim Sparen effektiv ins Knie schießt und entdecken die zweifelhaften Segnungen des Großraumbüros. Liest man Erfahrungsberichte wie den des Vertriebsassistenten Alexander (Seite 70), kann man sich nur an den Kopf fassen. Hochbezahlte Spezialisten, die das Mehrfache einer Reinigungskraft verdienen, verplempern ihre wertvolle Arbeitszeit mit Putzarbeiten im Büro? Dass das Unfug ist, müsste jedem einleuchten, der das kleine Einmaleins beherrscht. Auch der Bericht des Außendienstmitarbeiters Alexander (Seite 72) löst nur ungläubiges Kopfschütteln aus.


    >>> Einblick in weitere Kapitel mit Beispielen:



    Eigentlich müssten nicht die Irrenhaus-Insassen dieses Buch lesen und etwas daraus lernen, sondern die Irrenhaus-Direktoren. Wir armen kleinen Irren konsumieren die Wahnsinnsbeispiele mit wohligem Gruseln und freuen uns, wenn es uns selbst nicht ganz so schlimm erwischt hat wie die Kollegen, die hier aus dem Nähkästchen plaudern. Und wir fühlen uns in dem Gefühl bestätigt, dass das, was wir tagtäglich im Beruf erleben, tatsächlich nicht in Ordnung ist, denn sonst würde es ja hier nicht unter „Irrsinn“ aufgeführt werden.


    Wirklich ändern können wir an den Zuständen nichts. Es sei denn, wir seien in der glücklichen Lage, den Job wechseln und uns ein passenderes Irrenhaus aussuchen zu können. So gesehen ist ICH ARBEITE IMMER NOCH IN EINEM IRRENHAUS ein Buch mit hohem Unterhaltungswert und Identifikations-Potential, aber ohne Happy End. Ein „Anti-Idiotikum, das die Firmen zweimal am Tag einnehmen müssen“ (Seite 295), damit das Arbeitsleben halbwegs menschlich wird, hat der Autor leider auch nicht parat.


    Der Wahnsinn liegt eben im System. Wer Macht hat, wird weniger empathisch und mitfühlend, erklärt uns Prof. Dr. Myriam Bechtholdt von der Frankfurt School of Finance and Management im Epilog. Ihr Fazit ist: „Das Fördern von Mitarbeiterzufriedenheit hat nichts mit Gefühlsduselei sondern mit unternehmerischem Erfolg zu tun. Vorgesetzte, die das erkennen und sich zum Ziel machen, würden womöglich immer noch als irre bezeichnet, aber als irre gut.“ (Seite 303)


    Meine Rede! Unsere Chefs müssten dieses Buch lesen. Und wer traut sich jetzt, ihnen das zu sagen?


    Der Autor
    Wehrle war Führungskraft in einem Konzern, ehe er Karrierecoach wurde. Heute leitet er die Karriereberater-Akademie in Hamburg. Bei Econ erschienen von ihm unter anderem die Bücher „Ich arbeite in einem Irrenhaus“ und „Lexikon der Karriere-Irrtümer“.