Beiträge von Vandam

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    Birgit Ebbert: Ein Geschenk fürs Leben. Roman über Eglantyne Jebb, die Mutter der Kinderrechte und Gründerin von Save the Children, Köln 2025, Bastei Lübbe AG, ISBN 978-3-7577-0104-8, Klappenbroschur, 396 Seiten, Format: 13,5 x 3,25 x 21,5 cm, Buch: EUR 17,00, Kindle: EUR 12,99.



    1924: Kinderrechte. Wie kam Frau Jebb auf die Idee?

    1992 wurde in Deutschland eine Erklärung über die Rechte der Kinder ratifiziert. Das habe ich am Rande mitbekommen. Dass schon 1924 eine Charta der Kinderrechte bei der Generalversammlung des Völkerbundes verabschiedet worden ist, war mir neu, genau wie die Tatsache, dass Eglantyne Jebb, eine wohlhabende Britin, diese Charta damals initiiert hat. Eine Privatperson, unverheiratet und kinderlos! Was hat sie nur auf diese Idee gebracht? Und wie ist es ihr überhaupt gelungen, bei den Mächtigen der Welt Gehör zu finden … als Frau, damals? – Genau davon erzählt dieses Buch.


    Eglantyne Jebb gab’s wirklich, auch ihr soziales Engagement ist verbürgt. Trotzdem ist das Buch keine Biographie, sondern eine romanhafte Aufbereitung ihrer Lebensgeschichte. Geboren 1876, wächst sie mit 5 Geschwistern in privilegierten Verhältnissen auf. Die Eltern ermutigen sie zum Lesen, egal was, und freuen sich, dass das Kind gerne schreibt und zeichnet. Ihre Spleens tolerieren sie. Soll die Kleine doch Krieg spielen und davon träumen, Soldat zu werden. Das schadet keinem und wächst sich aus.


    Lehrerin? Nicht ihr Ding!


    Die „große“ Eglantyne studiert dann brav Literatur und Geschichte und wird Lehrerin an einer Grundschule in Marlborough.

    Als Lehrerin bekommt sie keinen Fuß auf den Boden und schmeißt den Job nach ein paar Monaten entnervt hin.


    Und jetzt? Zwar müsste sie aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht arbeiten, doch sie braucht eine Aufgabe. Durch ihren künftigen Schwager Charles Buxton, einem Politiker, und das Engagement ihrer Schwester Dorothy wird Eglantyne klar, dass Armut nicht gottgegeben ist, sondern dass man etwas dagegen tun kann, ja sogar muss. Konkret: dass sie etwas dagegen tun will. Nicht lokal als Grundschullehrerin, sondern übergreifend, aufklärend und organisierend.


    Im Dienst wohltätiger Organisationen


    In den folgenden Jahren arbeitet und reist sie für verschiedene wohltätige Organisationen. Was sie da zu sehen bekommt, ist ungleich schlimmer als ihre schmuddelig-feindseligen Grundschülerinnen. Schnell erkennt sie: mit punktueller Hilfe durch Sach- und Geldspenden allein ist es nicht getan. Man muss das Bewusstsein der Menschen verändern und damit aufhören, andere Nationen zu diffamieren.

    Es müsste doch zur Völkerverständigung beitragen, wenn man auch den Kindern seiner Feinde hilft!


    Man muss das Bewusstsein verändern


    „Wir müssen dafür sorgen, dass Hass und Bitterkeit in unseren Herzen gegenüber jedem Menschen verschwinden. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns diese Botschaft in die Tat umsetzen, indem wir die Kinder Europas retten, ganz gleich, welcher Nation sie angehören.“ (Seite 200)


    Aus dieser Idee entsteht nicht nur der „Artikeldienst“, in dem Eglantyne zusammen mit ihrer Schwester Zeitungsartikel aus ganz Europa ins Englische übersetzen und verbreiten lässt, damit die Leser die Welt nicht nur aus britischer Perspektive wahrnehmen, sondern auch die Organisation „Save the Children“, die Sach- und Geldspenden sammelt und verteilt, Schulspeisungen organisiert und auf verschiedene Weise Hilfe zur Selbsthilfe gibt.


    Dieses Konzept findet dank überzeugender (Öffentlichkeits-)Arbeit, guter Kontakte und hochkarätiger Fürsprecher:innen bald internationale Verbreitung. Doch in Eglantynes Augen ist das noch nicht genug. Kinder sollten nicht auf Wohltätigkeit angewiesen sein, sondern Anspruch auf eine gedeihliche Umgebung haben. 1923 formuliert sie erstmals die 5 Kinderrechte. Aber ist die Welt schon reif für diese Idee …?


    In Eglantyne Jebbs Fußstapfen


    Von all diesen Ereignissen erfahren wir in Rückblenden und aus dem, was Eglantyne Jebbs 1926 einem jungen Gast erzählt, der anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstags aus dem Ruhrgebiet zu ihr nach Genf gekommen ist: Die Krankenschwester Anni Schlinkert, 21, überbringt Grüße, Glückwünsche, Geschenke und den innigsten Dank ihres Arbeitgebers, eines Säuglingsheims in Gelsenkirchen-Buer. Ohne Frau Jebbs Organisation und Hilfe gäbe es dieses Heim nicht, und Bergmannstochter Anni hätte keine Ausbildung machen können.


    Durch Eglantyne Jebbs lernt Anni eine ganz neue Welt kennen: In so gebildeten, wohlhabenden und vornehmen Kreisen hat sie sich noch nie bewegt! Eglantyne erkennt, dass die junge Besucherin ein ganz heller Kopf ist und sorgt dafür, dass sie ihren Aufenthalt in der Schweiz verlängern kann. Als Annie schließlich wieder nach Hause kommt, hat sie den Kopf voller neuer Erkenntnisse und Ideen – und die Position einer „Botschafterin für Save the Children“ an der Backe. Einen neuen Verehrer hat sie auch.


    Anni muss ihren eigenen Weg finden


    Mit Feuereifer und vielen kreativen Einfällen versucht Anni, der Aufgabe gerecht zu werden und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aber sie ist nicht Eglantyne Jebbs.

    Anni muss einen eigenen Weg finden, ehe sie an ihre Belastungsgrenzen stößt und ausbrennt …


    Ich mag, wie schon wiederholt gesagt, Geschichten über die kleinen Anfänge großer Ideen. Und ich fand es interessant, mitzuerleben, wie die hochintelligente Eglantyne und ihre quirlige Schwester die Organisation „Save the Children“ und die Kinderrechte ersinnen und zum Laufen bringen. Mag der gedankliche Ansatz „wenn wir uns um die Kinder aller Länder kümmern, werden sie uns nicht mehr als Feinde wahrnehmen können“ auch etwas naiv erscheinen: Mit viel Mut, Beharrlichkeit, frischen Ideen und einem großen Netzwerk haben die zwei Schwestern und ihre Unterstützer eine Menge bewirkt.


    Respekt!


    Sie wurden belächelt, angefeindet, ausgebremst und sogar eingesperrt, aber sie haben niemals klein beigegeben. Und wenn der Umgang mit Wichtigtuern und Trittbrettfahrern den Einsatz einer kleinen Intrige erfordert hat, dann haben sie sich eben einer solchen bedient. Da hat der Zweck schon mal die Mittel geheiligt. Auf jeden Fall haben sie für ihre Leistung meinen vollen Respekt! Und ich freue mich, etwas über die Arbeit engagierter Menschen gelernt zu haben, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte.


    Die Autorin


    Birgit Ebbert ist freie Autorin und lebt im Ruhrgebiet. Als Diplom-Pädagogin schreibt sie Ratgeber und Lernhilfen sowie Kinderbücher und Erinnerungsgeschichten für die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren. Seit ihrer Dissertation über Erich Kästner ist sie fasziniert von der deutschen Geschichte, was sich in ihrer Literatur widerspiegelt. In Kurzgeschichten und Romanen zeigt sie, dass hinter Geschichte immer auch Leben und Geschichten stecken.

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    Stephen Spotswood: Secrets Typed in Blood, Pentecost and Parker, Band 3, London 2023, Headline Publishing Group, ISBN 978-1-0354-0946-4. Softcover, 368 Seiten, Format: 12,9 x 2,8 x 19,7 cm, Taschenbuch: EUR 13,70, Kindle: EUR 2,99, auch als Hardcover und Hörbuch lieferbar.


    „She handed to me [a shoebox, its lid held on tight by a thick rubber band]. I read the handwritten label taped to the top.
    „The ‚Creep File‘?“
    „We don’t give Holly all the letters […],“ Marlo explained. „I read through everything first and set aside the … well, the odd ones.“
    (Seite 181)


    Offenbar ist nach den ersten beiden Bänden dieser Krimireihe Schluss mit den deutschen Übersetzungen. Wer wissen will, wie es mit den New Yorker Detektivinnen Lillian Pentecost und Willowjean „Will“ Parker weitergeht, wird auf Englisch weiterlesen müssen.


    Morde nach literarischem Vorbild


    New York City 1947: Bei den Privatdetektivinnen Pentecost & Parker wird eine Schriftstellerin vorstellig: Holly Quick, Anfang 30, hat ein etwas sonderbares Anliegen. In den vergangenen Monaten hat es in der Stadt drei Mordfälle gegeben, die genau so begangen wurden, wie sie es vorab in ihren Kurzgeschichten beschrieben hatte. Anscheinend imitiert hier ein realer Mörder ihre Kunst.


    Zur Polizei will die Autorin nicht gehen. Sie arbeitet unter verschiedenen männlichen Pseudonymen und möchte nicht, dass ihre Identität bekannt wird. Und auch sonst hat sie gute Gründe, anonym zu bleiben. Zu den Mordopfern hatte sie keine Verbindung und sie kann sich diese makabren „Plagiate“ überhaupt nicht erklären.


    Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten geht Privatdetektivin Lillian Pentecost auf sämtliche Sonderwünsche der Schriftstellerin ein und übernimmt den Fall.


    Ein Subunternehmer recherchiert


    Zum Ärger ihrer Mitarbeiterin Will Parker beauftragt Ms. Pentecost einen „Subunternehmer“ damit, über die drei Mordfälle zu recherchieren,


    Klinghorn mag ein bisschen schmierig sein, aber die Dossiers, die er über die Mordopfer anlegt, sind allererste Sahne.

    Die Detektivinnen bezahlen den Kollegen für seine Recherchen und schicken ihn weg. Das wurmt ihn, denn er hätte jetzt schon gern den Fall mit aufgeklärt. Also ermittelt er auf eigene Faust weiter. Keine gute Idee …!


    Schmutzige kleine Geheimnisse


    In diesem Fall kommen Pentecost und Parker mit ihren Ermittlungen einfach nicht voran. Jeder, der mehr über die Vorgänge wissen könnte, scheint ängstlich ein Geheimnis zu hüten, das mit der Mordserie überhaupt nichts zu tun hat. Das macht die Nachforschungen schwierig. Und die Polizei, mit der sie sonst recht gut zusammenarbeiten, können sie dieses Mal auch nicht zurate ziehen. Im Gegenteil: Aufgrund der umfänglichen Geheimhaltungsvereinbarungen mit ihrer Klientin müssen sie sogar ihren alten Freund, Lieutenant Nathan Lazenby, belügen. Das kann die beiden ihre Lizenz kosten! Davor hat Will Parker eine Heidenangst. Ein herkömmlicher Bürojob wäre für sie die Hölle. Und mit ihren Hilfsprogrammen für Frauen wär’s dann auch vorbei.


    Wer hatte all die geheimen Informationen?


    Spätestens nach der Sichtung von Holly Quicks „Fanpost“ ist klar: Hinter diesen Morden kann kein rationaler Grund stecken. Der Täter tanzt nach einer Melodie, die nur er selbst hört. Aber wer ist es? Einer der Verdächtigen? Oder jemand, den die Detektivinnen bis jetzt noch gar nicht auf dem Schirm haben? Wie auch immer: Diese Person müssen sie unbedingt finden, ehe sie sich weitere Kurzgeschichten zum tödlichen Vorbild nimmt!


    Jetzt wird’s richtig interessant: Denn um diese spezielle Fanpost schreiben und die Taten begehen zu können, muss der Mörder über eine Reihe von Informationen verfügen, die nicht allgemein zugänglich sind. Wer kommt dafür in Frage?


    In welchem Dunstkreis sich der Mörder bewegen dürfte, ahnt man vielleicht, doch wer genau dahintersteckt und warum, zeigt sich erst beim hochdramatischen Showdown …


    Unkonventionelle Heldinnen, viel „Personal“


    Es gibt ein Personenverzeichnis, trotzdem rennen hier eine Menge Leute herum, die man entweder aus den vorigen Bänden kennen sollte, oder die man sich selbst merken muss, weil sie nicht im Verzeichnis vorkommen. Ich habe ziemlich viel geblättert.


    Während des Lesens dachte ich manchmal: „Bin ich froh, dass ich das nicht ins Deutsche übersetzen muss!“ Den etwas schnodderigen Ton, in dem Will im Stil der Schwarzen Serie über ihre Fälle berichtet, würde ich nicht ohne weiteres treffen.


    Auch wenn ich diesen Band personell ein wenig verwirrend fand: Ich mag die zwei unkonventionellen Detektivinnen und bleibe der Reihe erst einmal treu. Band 4 habe ich bereits hier, Band 5 gibt es auch schon.


    Der Autor


    Stephen Spotswood ist ein preisgekrönter Autor von Theaterstücken, Journalist und Theaterpädagoge. Zusammen mit seiner Frau, der Jugendbuchautorin Jessica Spotswood, ihrer Katze und einer stetig wachsenden Büchersammlung lebt und arbeitet er in Washington, D.C.

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    Stephen Spotswood: Die Tote im Wanderzirkus. Pentecost & Parker ermitteln, Band 2, Kriminalroman, OT: Murder Under Her Skin, Deutsch von Charlotte Lungstrass-Kapfer, München 2023, Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe, ISBN 978-3-7341-1063-4, Softcover, 510 Seiten, Format: 11,9 x 3,8 x 18,8 cm, Buch: EUR 11,00 (D), EUR 11,40 (A), Kindle: EUR 9,99.


    „(Ruby Donner] hatte sich für mich starkgemacht und ich hatte nie etwas davon erfahren. […] [Sie] hatte mir das Leben gerettet. Das Einzige, was ich jetzt noch für sie tun konnte, war, ihren Mörder zu finden.“ Seite 234)


    Privatermittlerin Will Parker erzählt uns in einer persönlichen Rückschau von ihren spektakulärsten Fällen. Ihr lakonischer, leicht schwarzhumoriger Ton erinnert an die Filme der Schwarzen Serie. Man muss den 1. Band, DIE TOTE AUF DEM MASKENBALL, nicht unbedingt kennen, um der Handlung folgen zu können. Das Wichtigste über die Figuren wird in Band 2 kurz erwähnt, und ein Personenverzeichnis gibt es dankenswerterweise auch.


    Hilferuf vom Wanderzirkus


    New York City, 1946: Willowjean „Will“ Parker, 23, seit vier Jahren als Ermittlerin in der Privatdetektei von Lillian Pentecost tätig, bekommt einen Hilferuf aus ihrem alten Leben: Ihr früherer Lehrmeister aus dem „Hart & Halloway’s Wanderzirkus“, der Messerwerfer Valentin Kalishenko, soll seine Kollegin Ruby Donner, die „Tätowierte Schönheit“ aus dem Kuriositätenkabinett hinterrücks erstochen haben.


    Will bezweifelt das. Sie kennt den Mann fast ihr halbes Leben lang. Er hat seine Schwächen, doch niemals würde er jemandem vom Zirkus etwas antun!


    Zurück zu den Anfängen


    Will Parker ist als fünfzehnjährige Ausreißerin zum Zirkus gekommen und hat fünf Jahre lange als Valentins Assistentin gearbeitet. Sie sieht sich immer noch als „Familienmitglied“ und ist überzeugt davon, dass die Zirkusleute ihr gegenüber ehrlich sind. Doch in deren Augen ist sie durch ihren Weggang zu einer Außenstehenden geworden, die nicht alles zu wissen braucht. Wills Chefin Lillian, der man sonst nichts vormachen kann, muss sich in der Zirkuswelt erst akklimatisieren, bevor sie sich eine Meinung bilden kann, und so gestalten sich die Ermittlungen zäher als erwartet.


    Weil es kein Hotel gibt, sind die beiden Detektivinnen in dem etwas heruntergekommenen Farmhaus von Rubys Onkel Pat untergebracht. Denn – Überraschung! – Ruby stammt aus diesem Ort und wollte nie wieder hierher zurück. Nicht einmal zur Beerdigung ihrer Eltern ist sie hergekommen. Und kaum war sie mit ihrem Zirkus ein paar Stunden hier, schon hat sie jemand umgebracht.


    Wer hatte Grund, Ruby zu töten?


    Jetzt ist die Frage: Wenn’s der Messerwerfer nicht war, hatte dann jemand aus ihrem Heimatort Grund, sie zu töten? Warum ist sie überhaupt als Teenager weggelaufen?

    Oder hatte in ihrer alten Heimat noch jemand eine Rechnung mit ihr offen? Der Ex vielleicht? Ein verschmähter Liebhaber? Auch die spitzmäulige Gattin des Reverends ist nicht gut auf Ruby zu sprechen und frönt ganz unchristlich der üblen Nachrede.


    Das Geheimnis der Blumen-Tattoos


    Womöglich liegt des Rätsels Lösung in einem von Rubys Tattoos: einer ursprünglich professionellen Arbeit, die später laienhaft überstochen wurde. Leider war’s kein Name, sondern ein Bildmotiv. Was hat das zu bedeuten? Mit dieser Spur vertun die Detektivinnen eine Menge Zeit. Es gibt einen winzigen Hinweis in Rubys Nachlass, der einem aber erst im Nachhinein auffällt. Wenn Will und Lillian da besser hingeschaut hätten, wären sie viel schneller ans Ziel gekommen. Eine kleine Autoren-Gemeinheit.


    Ein Brandanschlag wirft wieder ein anderes Licht auf den Fall. Richtet sich die Aggression gegen den Zirkus als Ganzes und nicht nur gegen Ruby? Hat die freizügige Kuriositätenschau den Unmut der bigotten Sektierer erregt? Dann macht der, äh … Finanzexperte, den Lillian mit routinemäßigen Hintergrundchecks beauftragt hat, eine alarmierende Entdeckung. Jetzt sieht die Sache wieder ganz anders aus …!


    Die Denkerin und die Kämpferin – ein Super-Team


    Detektivin Lillian Pentecost (Ende 40) mag körperlich beeinträchtigt sein, doch ihrem messerscharfen Verstand entgeht nichts. Für die impulsiven Aktionen und gefährlichen Stunts ist Will Parker zuständig. Lillian ist die kultivierte, gut vernetzte Denkerin, Will der (durchaus lernfähige) Heißsporn, der aus der Gosse kommt. Keine der beiden entspricht den gesellschaftlichen Normen, und sie ergänzen einander perfekt.


    Was mir ebenfalls positiv aufgefallen ist: die Art, wie der Autor die Schauplätze beschreibt.


    Es gibt weitere Bände – aber auch auf Deutsch?


    Ich finde die Reihe ausgesprochen unterhaltsam und habe mir die Folgebände auf Englisch beschafft. Im Moment sieht es nämlich nicht danach aus, als würden sie auch auf Deutsch erscheinen, was ich sehr schade finde.


    Der Autor


    Stephen Spotswood ist ein preisgekrönter Autor von Theaterstücken, Journalist und Theaterpädagoge. Zusammen mit seiner Frau, der Jugendbuchautorin Jessica Spotswood, ihrer Katze und einer stetig wachsenden Büchersammlung lebt und arbeitet er in Washington, D.C.


    Die Übersetzerin


    Die Liebe zu Büchern und Sprache brachte Charlotte Lungstrass-Kapfer auf ziemlich direktem Weg zum Übersetzen, sodass sie heute ihre Tage (und manchmal auch Nächte) damit verbringt, Vertreter ihrer Lieblingsgenres Fantasy und Krimi in ein deutsches Gewand zu kleiden. Sie lebt mit Mann, Kind und diversen Haustieren in der Nähe von München. Einblick in ihre Arbeit gibt sie (wenn sie es nicht vergisst) auf Instagram: @clkpages.

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    Alena Schröder: Bei euch ist es immer so unheimlich still. Roman, München 2023, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28339-7, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 334 Seiten, Format: 13,8 x 3,55 x 21,5 cm, EUR 24,00, Taschenbuch: ISBN 978-3-423-22070-5, EUR 14,00, Kindle: EUR 10,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Mama will nicht, dass ich ihr helfe“, hatte Silvia erwidert und dabei umständlich einen neuen Faden in ihre Sticknadel gefädelt. „Ich bin zu langsam. Und Mama ist nicht erschöpft, Mama ist traurig. Weil sie keine Ärztin mehr sein kann wegen mir.“ (Seite 159)


    Familiengeheimnisse – von der Nachkriegszeit bis zur Wende


    Geheimnisse gibt es in der Familie Borowski reichlich. Das eine oder andere wurde schon im Roman JUNGE FRAU, AM FENSTER STEHEND, ABENDLICHT, BLAUES KLEID aufgedeckt. Da ging es um Evelyn, die von ihrer Mutter Senta im Stich gelassen und von einer Tante aufgezogen wurde. Jetzt ist Evelyns Tochter Silvia an der Reihe, uns ihre Geheimnisse anzuvertrauen und gleich noch eines aus der Generation ihrer Eltern zu enthüllen.


    Bis wir Leser:innen über die folgenreichen Ereignisse aus der Vergangenheit im Bilde sind, springt die Geschichte kreuz und quer durch die Jahrzehnte – von der Nachkriegszeit bis zu Wende.


    Evelyn bleibt eine Fremde


    Ildingen, eine schwäbische Kleinstadt, in den 1950er-Jahren: Mit falschen Papieren ist die Internistin Evelyn nach dem Krieg nach Ildingen gekommen und hat dort alsbald in die Akademikerfamilie Borowski eingeheiratet. Den Einheimischen passt es natürlich nicht, dass sich ausgerechnet eine „Neigschmeckte“ von weiß-Gott-woher den begehrtesten Junggesellen schnappt, aber niemand traut sich, etwas gegen die einflussreichen Borowskis zu sagen.



    Die Ärztin wünscht sich sehnlichst ein Kind. Wer den ersten Band gelesen hat, fragt sich alarmiert WARUM? Sie ist kein bisschen mütterlicher als ihre eigene Mutter, und sie wird für ihr Kind ihren geliebten Beruf aufgeben müssen. Das ist eine Express-Fahrkarte in die Katastrophe!


    Wie die Mutter, so die Tochter


    1956 kommt Tochter Silvia zur Welt und die Geschichte wiederholt sich in leicht abgewandelter Form: Silvia ist ein kränkliches und schwaches Kind, das nicht essen oder trinken mag, ständig vor sich hin weint und sich vor allem möglichen fürchtet. Evelyn ist frustriert, weil sie als Hausfrau und Mutter keinerlei Erfolgserlebnisse hat. Sie vermisst schmerzlich die Anerkennung, die mit ihrem Beruf verbunden war.


    Das Ende vom Lied: Silvia wächst überwiegend bei den kinderreichen Nachbarn und bei Tante Betti auf und landet nach einem „Vorfall“ in einem Internat. Evelyn atmet auf. Endlich ist dieses Kind weg, und sie kann wieder im Krankenhaus arbeiten!


    Silvia wird „wegorganisiert“


    70er-Jahre: In den Ferien kommt Silvia zwar heim, aber da wird sie flugs zur Tante wegorganisiert.

    doch die Sache geht gründlich schief. Es kommt zu einem weiteren „Vorfall“, den Silvia, 15, nur knapp überlebt und eine ihr nahestehende Person gar nicht.


    Mit 16 packt Silvia Borowski ihre Sachen, verschwindet aus dem Internat und schlägt sich in verschiedenen Ländern mit Aushilfsjobs durch. 17 Jahre lang lässt sie nichts mehr von sich hören.


    Zurück in den Kleinstadtmief


    Berlin 1989: Silvia, inzwischen 33, jobbt sich immer noch durch, lebt in einer Hausbesetzer-WG und hat eine zwei Monate alte Tochter. Der Vater des Kindes ist über alle Berge. Bei der Partnerwahl hat sie noch nie ein glückliches Händchen gehabt! Irgendwann hat sie von allem die Nase voll, klaut einem Freund das Auto und fährt mit Hannah zu ihrer Mutter nach Ildingen.


    Evelyn, seit kurzem im Ruhestand, wirkt ähnlich verwahrlost wie ihr Haus und ihr Garten und ist nicht eben begeistert davon, dass die verlorene Tochter nebst Baby unangekündigt bei ihr auf der Matte steht. Silvia zieht mit ihrer Tochter dennoch in ihr altes Kinderzimmer. Zu dem längst fälligen offenen Gespräch zwischen Mutter und Tochter kommt es allerdings nie.


    Silvia nimmt Kontakt zu ein paar Leuten auf, die sie noch von früher kennt, aber die können ihre Fragen auch nicht beantworten. Zum Beispiel, warum Tante Betti nicht im Familiengrab beigesetzt wurde. Und wo sie stattdessen begraben liegt. Heimlich kramt Silvia in den Papieren ihrer Mutter und fördert recht verstörende Unterlagen zutage. Irgendwann wird Evelyn reden müssen …!


    Familie: lieblos und sprachlos


    Hier sind mehrere Generationen in Lieb- und Sprachlosigkeit aufgewachsen. Dazu kommen dann noch die Kriegsjahre, in denen alle möglichen Ungeheuerlichkeiten vorgefallen sind – und schon hat man ein undurchdringliches Dickicht an Familiengeheimnissen, Lügen und Vertuschungen. Wenn es wichtiger ist, was „die Leut‘“ denken als alles, was Menschen fühlen, wünschen oder sich erträumen, dann sind wir mitten im spießigen Kleinstadtmief, und daraus kann nichts Gutes erwachsen.


    Ich bin ungefähr in Silvias Alter, kenne diese Art von schwäbischem Kleinstadtkosmos und finde, die Autorin hat die Atmosphäre sehr gut getroffen. Wehe, es war jemand ein bisschen anders als die anderen!


    Es muss nicht immer Mord und Totschlag sein. Diese Geschichte bezieht ihre Spannung aus der Frage, wer hier was zu verbergen hat – und warum. Manches, was die Leute da veranstalten, um sich nur ja keine Blöße zu geben, lässt einen fassungslos zurück.


    Schaffen Borowskis die Wende?


    Ich vermute, dass die Autorin Silvias Rückkehr ins schwäbische Ildingen nicht zufällig ins Jahr 1989 gelegt hat. Vielleicht gibt’s nicht nur in Deutschland eine Wende, sondern auch in der Familie Borowski und es gelingt Silvia und Hannah, diese Kette aus Lieblosigkeit und Schweigen zu brechen. Ich würde es ihnen gönnen!


    Die Autorin


    Alena Schröder, geboren 1979, arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie hat Geschichte, Politikwissenschaft und Lateinamerikanistik in Berlin und San Diego studiert und die Henri-Nannen-Schule besucht. Nach einigen Jahren in der ›Brigitte‹-Redaktion arbeitet sie heute frei u.a. als ›Brigitte‹-Kolumnistin. Gemeinsam mit Till Raether spricht sie in ihrem Podcast »sexy und bodenständig« über das Schreiben.

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    Inge Zinßer: Sommerträume im kleinen Seelencafé. Roman, Meßkirch 2025, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-0820-5, Softcover, 233 Seiten, Format: 12,3 x 1,9 x 20,5 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 10,99.


    Nein, so hat sich Wilhelm Eichinger aus dem (fiktiven) schwäbischen Dorf Steiglingen seinen Ruhestand nicht vorgestellt! Er hat gedacht: Arbeitsstress vorbei, Kinder aus dem Haus – prima, jetzt wird’s entspannt und er kann zusammen mit seiner Frau Fine all das unternehmen, wofür bislang die Zeit gefehlt hat. Ja, Pustekuchen! Oder, wie man hier im Schwäbischen sagt: „Pfeifendeckel“!


    Beliebt im ganzen Dorf: das „Seelencafé“


    Im letzten Band (DAS KLEINE SEELENCAFE) hat Fine Eichinger zusammen mit ein paar Freundinnen in einem gemeindeeigenen Gebäude ehrenamtlich das „Seelencafé“ eröffnet, das nicht nur für die Besucherinnen und Besucher des nahegelegenen Friedhofs zu einer beliebten Anlaufstelle geworden ist. Die ganze Gemeinde profitiert davon. Sogar eine Ehe hat das Caféle schon gestiftet: Josef und Henny Häberle, beide verwitwet, haben sich dort kennengelernt und vor kurzem geheiratet.


    Also, dass Fine dauernd in Sachen Café auf Achse ist, und er sogar das Kochen erlernen musste, damit hat sich Wilhelm Eichinger inzwischen so halbwegs arrangiert. Aber die Rückkehr erwachsener Kinder ins elterliche „Nest“ hätt’s jetzt nicht auch noch gebraucht! Doch was will man machen? Tochter Betty, 20, Jurastudentin, ist plötzlich und unerwartet ihre gesamte Lebensplanung um die Ohren geflogen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als ihre Zelte in Tübingen abzubrechen und vorübergehend im Elternhaus unterzuschlüpfen.


    Schock: Das Haus soll abgerissen werden!


    Auch dem Seelencafé stehen dramatische Veränderungen bevor: Das alte Gebäude, in dem es untergebracht ist, soll verkauft werden. Die Gemeinde ist knapp bei Kasse, und dass der Investor anstelle des renovierungsbedürftigen zweistöckigen Häuschens sechs Wohnungen hochziehen will, klingt verlockend.



    Die Café-Betreiberinnen und ihre Familien machen Kassensturz, doch weder Eichingers, noch Barbara Lindemann, Luise Speidel oder die Schneiderin Elfi Vogt verfügen auch nur annähernd über die Mittel, um das Café kaufen zu können. Nicht einmal, wenn sie alle zusammenlegen! Jetzt käme ein Wunder recht! Doch damit kann nicht einmal die örtliche Geistlichkeit dienen.


    Auch der Vikar hofft auf ein Wunder


    Steiglingens neuer Vikar, David Müller, könnte gerade selbst ein kleines Wunder gebrauchen: Er hat sich in Betty Eichinger verguckt, die jetzt zeitweise im Seelencafé aushilft. Aber eine nichtreligiöse Juristin und ein Pfarrer – passt das überhaupt zusammen?



    Atemberaubende Spannung und großes Drama sind in einem Wohlfühlroman wie diesem nicht zu erwarten. Es sind die Widrigkeiten und unerwarteten Wendungen des Lebens, denen sich die Hauptpersonen in der Geschichte stellen müssen. Darin haben sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung zum Glück schon einige Übung. Wie die resoluten Frauen und die meist deutlich entspannteren Männer die großen und kleinen Probleme meistern, das will man als Leser:in schon wissen!


    Was die Café-Frauen keinem erzählen …


    Nach und nach erfahren wir auch Erstaunliches aus der Vergangenheit der Café-Damen: Elfi Vogt, zum Beispiel, die wir nur als braves und fleißiges Schneiderlein kennen, hat einmal ein ganz anderes Leben geführt und Entscheidungen getroffen, die sie heute bereut. Und Hedwig Richter, die begnadete Kuchenbäckerin, ist natürlich nicht als die grantige alte Jungfer zur Welt gekommen, als die wir sie kennengelernt haben …


    Fast wie zuhause



    Mitleid hab‘ ich immer mit dem Bürgermeister, der der geballten Frauenpower seiner Gemeinde nicht viel entgegenzusetzen hat. Meine Lieblings-Nebenfigur ist jedoch der bescheidene Totengräber Hans Geiger. Der schwätzt nicht viel, aber wenn, dann bringt er die Sache mit schwäbischer Präzision auf den Punkt. Und wer der Katze, die sich das Seelencafé als neues Zuhause ausgesucht hat, ihren originellen Namen verpasst hat, hat einen Preis verdient!


    Ich hätte nichts dagegen, weitere Geschichten aus Steiglingen zu lesen. Oder vielleicht auch welche über David Müller, wohin auch immer es ihn nach seinem Vikariat verschlägt.


    Die Autorin


    Inge Zinßer, Jahrgang 1954, ist Buchhändlerin in Rente. Sie lebt im schwäbischen Hochdorf und hat bereits mehrere Regionalkrimis mit schwäbisch heiterer Note veröffentlicht, die eine wachsende Fangemeinde haben. Wenn man einmal nicht weiß, wo sie gerade ist, findet man sie mit Sicherheit in der nächsten Buchhandlung. Durch ihren Ehemann, der jahrzehntelang Gräber gebaggert hat, ist sie mit dem lokalen Friedhofswesen und seinen Eigenheiten bestens vertraut. Kein Wunder, dass ihr Roman „Das kleine Seelencafé“ auf einem schwäbischen Friedhof spielt. Im neuen Buch „Sommerträume im kleinen Seelencafé“ geht die Geschichte genauso warmherzig weiter, wie sie im ersten Band begonnen hat.

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    Melanie Metzenthin: Wer aus dem Schatten tritt, Roman. (Band 1), Luxembourg 2025, Tinte & Feder, ISBN 978-2-49671662-7, Softcover, 309 Seiten, Format: 12,6 x 2,54 x 18,59 cm, Buch: EUR 11,99, Kindle: EUR 4,49, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Ich glaube, die meisten Leute sind ganz froh, wenn keiner mehr darüber redet und man alles unter den Teppich kehren kann. Damals hat kaum einer Fragen gestellt, weil es zu gefährlich war, und heute stellt kaum noch jemand Fragen, weil es zu schambesetzt ist.“ Er seufzte. (Seite 170)


    Fräulein Doktor im Kampf gegen die Ewiggestrigen


    Hamburg 1958: Fräulein Doktor Renate Schwarz, 26, tritt ihre erste Arbeitsstelle im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll an, einer psychiatrischen Klinik. Sie hätte auch in der Hausarztpraxis ihres Onkels anfangen können, aber das wollte sie nicht. Die Arbeit in der Psychiatrie interessiert sie mehr.


    Eingestellt wurde sie von Chefarzt Dr. Siemko. Ihm hat die Vorstellung gefallen, dass eine moderne junge Frau frischen Wind in den Klinikalltag bringen würde. Doch seit dem Vorstellungsgespräch hat sie ihn nicht mehr gesehen. Er verschanzt sich in seinem Büro und überlässt sie zwei misogynen alten Grantlern: Oberarzt Dr. Kleinschmidt und Dr. Lehmann, der trotz fortgeschrittenen Alters noch immer einfacher Stationsarzt ist.


    Diese zwei Intriganten tun alles, um die junge Ärztin schnellstmöglich zu vergraulen. Renate kommt auf die Männerstation zu den „hoffnungslosen Fällen“ und wird dort nach allen Regeln der Kunst schikaniert. Ohne den guten Draht zu Oberpfleger Karlsson und anderen Mitarbeitern wäre dieses Arbeitsklima gar nicht auszuhalten.



    Das rettende Netzwerk


    Was Renate schließlich hilft: Der Club „Die Akademikerinnen“, den die Kinderärztin Ella Thiessen zusammen mit der Juristin Sophia Kellermann ins Leben ruft. Renate ist Gründungsmitglied. Sie knüpft dort wertvolle Kontakte und findet eine gute Freundin. Das macht manches leichter.



    Rätselhafter Tod eines Patienten


    Als einer von Renates Patienten zu Tode kommt, hat sie Zweifel und Fragen: Wenn es Suizid war, hat sie dann eine Mitschuld, weil sie in den Therapiegesprächen seine sorgsam verdrängten Kriegserinnerungen aufgewühlt hat? Und wenn es Mord war? Wenn er sich nicht nur wahnhaft eingebildet hat, verfolgt zu werden? Vielleicht hat er ja im Krieg etwas Schreckliches getan oder mit angesehen und ist jetzt von jemandem erkannt und getötet worden? In diesem Fall müsste man doch zur Polizei gehen!


    Ein Mitglied des Akademikerinnen-Clubs macht sie mit Hauptkommissar Alfred Studt von der Mordkommission bekannt, der ihr inoffiziell einen Rat geben soll. Die beiden verstehen sich auf Anhieb und diskutieren - anonymisiert - nicht nur diesen einen Fall. Dabei merken sie, wie sehr sie von den Fachkenntnissen des jeweils anderen profitieren. Bald hat Renate bei Studts Familienanschluss, was auch ihren Kollegen nicht verborgen bleibt.


    Ein ungeheuerlicher Vorwurf


    Als der Kommissar eines Tages tatsächlich dienstlich in der Klinik vorstellig wird, geben Dr. Kleinschmidt und Dr. Lehmann Renate die Schuld daran. Sie muss Interna ausgeplaudert haben, sonst wäre die Polizei nicht hier! Schon reiben sie sich die Hände: Nun ist sie fällig! Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht, ja! Jetzt fliegt sie in hohem Bogen aus der Klinik!


    Oh, oh, denkt der Leser, das kann übel enden! Mal sehen, für wen!


    Der Roman ist eine interessante Mischung aus Krimi („Wie ist der Patient ums Leben gekommen?“), feministischem Manifest (der Akademikerinnen-Club und Renates Erfahrungen im Beruf), „Abenteuer Diagnose“ („Was fehlt dem Patienten? Das ist doch keine klassische Schizophrenie!“) und einer politischen Zeitreise in die 50er-Jahre.


    Zeitreise in die 50er-Jahre


    Es stellt sich die Frage, wie schwierig es für jemanden wie Renate war, herauszufinden, was während des Krieges wirklich passiert ist, wer wovon wusste und wer Dreck am Stecken hat.


    WER AUS DEM SCHATTEN TRITT ist der erste Band einer Reihe (Trilogie?). Ich bin schon gespannt auf neue Geschichten aus Renates beruflichem Werdegang und auf den regen Austausch zwischen Psychiaterin und Polizist. Ich weiß natürlich nicht, ob diese gemeinsamen Ermittlungen weiterhin Thema sein werden, aber ich würde es mir wünschen.


    Die Autorin


    Melanie Metzenthin lebt in Hamburg, wo sie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen psychische Erkrankungen oft eine wichtige Rolle spielen, darunter die beiden Bestseller »Im Lautlosen« und »Die Stimmlosen«. Für »Mehr als die Erinnerung«, den Auftakt zu ihrer »Gut Mohlenberg«-Reihe, wurde Melanie Metzenthin mit dem DELIA-Literaturpreis ausgezeichnet. Beim Schreiben greift die Autorin gern auf ihre berufliche Erfahrung zurück, um aus ihren fiktiven Charakteren glaubhafte Figuren vor einem realistischen Hintergrund zu machen.

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    Petra Hucke: Die Architektin von New York. Roman, München 2021, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-06238-1, Klappenbroschur, 398 Seiten, Format: 13,6 x 3,25 x 20,5 cm, Buch: EUR 12,99 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99.


    „Wir reden über die Brücke, aber nicht über uns. Du sagst mir nicht mehr, wie es dir geht. Was du so machst.“
    „Was ich mache?“ Sie musste lachen und verschluckte sich fast. „Ich mache deine Arbeit, Washington.“
    (Seite 294)


    Von der Hausfrau zum Brückenbau


    Vor ein paar Jahren habe ich in einer TV-Doku zufällig von Emily Warren Roebling gehört, die in den 1870er-/80er-Jahren anstelle ihres schwer erkrankten Ehemanns als inoffizielle Chefingenieurin den Bau der Brooklyn Bridge abgeschlossen hat. Das war mir völlig neu. Ich habe mich natürlich gefragt, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Von einer Hausfrau und Mutter des 19. Jahrhunderts erwartet man gemeinhin keine Kenntnisse im Brückenbau.



    Vieles musste sich die Autorin selbst zusammenreimen, weil zwar die technische Seite des Brückenbaus gut dokumentiert ist, aber keine persönlichen Aufzeichnungen von Emily W. Roebling existieren. Außer einigen Briefen an die Familie gibt’s da nichts (mehr).


    Emily liebt die Naturwissenschaften …


    Sie interessiert sich sehr für Naturwissenschaften, besonders für Mathematik. Wenn ihr älterer Bruder GK, ein Ingenieur, von seiner Arbeit erzählt, ist das für sie das Größte. Und sie kann ebenso gut auf den Fingern pfeifen wie ihre Brüder. 😉


    … und heiratet einen Bauingenieur


    Durch GK lernt sie Washington Augustus Roebling, den Sohn des Bauingenieurs John Roebling kennen und lieben. 1865 heiraten sie. Washington, ebenfalls Bauingenieur, kennt die außergewöhnlichen Talente und Interessen seiner Frau und diskutiert von Anfang an seine Bauprojekte mit ihr.


    Obwohl Washington nicht mit seinem Vater klarkommt – die Roeblings sind schon ziemlich speziell – arbeitet er für ihn und ringt um seine Anerkennung. Ihr aktuelles Projekt: Eine Brücke über den East River, die die New Yorker Stadtteile Brooklyn und Manhattan miteinander verbinden soll. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten wird das die damals längste Hängebrücke der Welt. Pionierarbeit in jeder Hinsicht!


    Gefährliche Baustelle Brooklyn Bridge


    Als Roebling Senior einen Arbeitsunfall hat und in seiner unglaublichen Sturheit alles besser wissen will als der behandelnde Arzt, hat das fatale Folgen. Nach seinem Tod ist Washington der Chefingenieur. Er ist ebenso ehrgeizig wie gründlich, will jedes Detail im Blick behalten und geht sogar mit seinen Arbeitern in die Caissons. Ein Caisson ist ein unten offener Senkkasten, der für Unterwasserarbeiten eingesetzt wird. Das funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.


    Mit dieser Technologie hat man damals noch nicht viel Erfahrung. Den gesundheitlichen Problemen, unter denen die Arbeiter leiden, hat man nichts entgegenzusetzen, weil man die Zusammenhänge noch nicht versteht. Heute weiß man, dass sie die Dekompressionskrankheit („Taucherkrankheit“) hatten.


    Ihr Mann erkrankt – Emily übernimmt


    Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Washington daran erkrankt. Die Folgen: Lähmungen, Schmerzen, Sehprobleme, Migräne … Er ist lange Zeit bettlägerig und kann seine Arbeit nicht mehr ausüben. Doch sein Amt als „Chefingenieur der East River Bridge“ zur Verfügung zu stellen kommt für ihn nicht in Frage. Also vertuscht die Familie seinen Gesundheitszustand so gut es geht. Er leitet die Baustelle fortan vom Krankenbett aus. Emily und ein paar seiner engsten Mitarbeiter sind für ihn vor Ort und überbringen Nachrichten.


    Emily wächst schnell in ihre Aufgabe hinein und muss ihren Mann in vielen Punkten bald nicht mehr um Rat fragen. Sie liebt die Arbeit an „ihrer“ Brücke, auch wenn ihr misogyne Wichtigtuer, Ewiggestrige, korrupte Politiker und gehässige Anverwandte das Leben schwer machen. Es ist nie leicht, seiner Zeit voraus zu sein und aus den herkömmlichen Rollenzuschreibungen auszubrechen.


    Gegen alle Widerstände


    Die Brücke ist zu einem Wahrzeichen New Yorks geworden und es wurde auch niemand anders für ihre Konstruktion und Errichtung gefeiert als die Roeblings. Es ist also nicht die Frage, ob Emily das Projekt erfolgreich zum Abschluss gebracht hat, sondern wie sie das gegen alle Widerstände geschafft hat.


    Obwohl ich die TV-Doku mehrfach gesehen habe, habe ich beim Lesen nicht immer gleich verstanden, mit welchen technischen Schwierigkeiten die Brückenbauer gerade kämpften. Wahrscheinlich wäre es für den Fortgang der Handlung gar nicht so wichtig gewesen, alles bis ins Detail nachvollziehen zu können, aber wenn es schon ausführlich geschildert wird, will ich es auch begreifen.


    Die erstaunliche Leistung einer eindrucksvollen Frau


    Den Personen gegenüber bin ich ein wenig distanziert geblieben, weil sich die Geschichte eben auf die Abläufe konzentriert hat und weniger auf das Gefühlsleben. Da hat mich das Schicksal von Mac und Miss Fraser emotional mehr berührt als das der Heldin. Vielleicht war Emily W. Roebling ja auch so pragmatisch veranlagt und hat einfach getan, was getan werden musste, ohne groß darüber nachzudenken. Aber okay: Ich wollte ja auch „nur“ eine Vorstellung davon bekommen, wie Emily in diese Situation geraten und sich dort auch noch behaupten konnte. Und die habe ich jetzt.


    Gestutzt habe ich über Emilys Wortspiele mit dem „Wash-Bär“. Das funktioniert doch im Englischen gar nicht,


    Emily W. Roebling muss schon eine tolle Frau gewesen sein! Sie verstand was von Mathe, vom Brückenbauen sowie von Fremdsprachen und kannte sich gut in der Krankenpflege aus. Sie ist viel gereist und hat 1899, mit 56 Jahren, sogar noch einen Jura-Abschluss der New York University gemacht! Und solche ungewöhnlichen Lebensgeschichten lese ich sehr gern.


    Die Autorin


    Petra Hucke ist Autorin historischer und zeitgenössischer Romane. Sie veröffentlicht auch unter dem Namen Mara Konrad. Außerdem ist sie Übersetzerin für die englische und französische Sprache, Lektorin und Host des Podcasts "Frauenleben" über inspirierende Frauen und ihre Zeit. Sie lebt in München.

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    Oksana Havryliv: Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen. Wirklich ALLES über das Schimpfen, Beschimpfen, Fluchen und Verwünschen, München 2023, Verlag Komplett Media GmbH, ISBN 978-3-8312-0612-4, Klappenbroschur, 221 Seiten, Format: 13,6 x 2,3 x 21,3 cm, Buch: EUR 22,00 (D), EUR 22,60 (A), Kindle: EUR 18,99.


    Weil mich das Thema „Schimpfen“ fasziniert, seit wir vor über 20 Jahren im internationalen Kollegenkreis unsere Schimpfwörter verglichen haben (und weil ich kein Depp sein wollte), habe ich mir dieses Buch zugelegt.


    Unser kollegialer Schimpfwörtervergleich war ebenso unwissenschaftlich wie lustig. Damals habe ich zum ersten Mal registriert, dass in unterschiedlichen Gegenden unterschiedliche Themenbereiche fürs Schimpfen herhalten müssen, je nachdem, welche Tabus dort vorherrschen. Der Autorin ist das Phänomen vertraut: Sie stammt aus der Ukraine, hat Germanistik studiert und lebt und arbeitet in Österreich.


    Natürlich hat das Thema noch mehr interessante Aspekte zu bieten.


    Warum wir schimpfen


    Geschimpft wird immer und überall, mit anderen Worten aber aus den gleichen Gründen: wenn zum Beispiel etwas nicht klappt wie erhofft oder wir uns über jemanden aufregen. Fluchen und Schimpfen verschafft uns Erleichterung. Gleichzeitig sind alle, die uns hören, gewarnt: „Achtung! Diese Person ist gerade auf 180! Kopf einziehen und warten, bis die Gefahr vorüber ist!“


    Schimpfen baut Stress ab, kann tatsächlich schmerzlindernd wirken, der Angstbewältigung dienen und in Form von Protestgesängen den Zusammenhalt Gleichgesinnter fördern. Schimpft man solidarisch mit Freunden über einen Dritten, kann das auch eine tröstende Funktion haben („Dieser XXX hat dich doch gar nicht verdient!“).


    Gründe zum Schimpfen gibt es irgendwie immer, und manchmal hat so eine emotionale Unmutskundgebung ja auch eine positive Wirkung. Doch die Sache ist ambivalent. Schimpfen kann Ersatz für körperliche Aggressionen sein oder diese erst provozieren. Verbale Aggression kann ebenso Machtdemonstration wie ein Ausdruck der Hilflosigkeit sein. Und man kann einander in beleidigender Absicht beschimpfen oder nur im Scherz.


    Fluchen, Schimpfen und Verwünschen


    Wir lernen den Unterschied zwischen Fluchen, Schimpfen und Verwünschen kennen – mit zahlreichen Anwendungsbeispielen. Wobei die kreativen und bildgewaltigen Verwünschungen meine Lieblingsdisziplin sind. 😉


    Wir erfahren, warum Kinder von Schimpfwörtern so begeistert sind und wie man am besten damit umgeht … welche besondere Funktion das Schimpfen und Fluchen bei Teenagern hat und wie stark das Schimpfverhalten bildungs- und geschlechtsabhängig ist.


    Verschiedene Schimpfkulturen


    Wie eingangs erwähnt: Es gibt regionale Unterschiede. Die einen schimpfen fäkal, andere mit Begriffen aus Religion („Sakrament!“) oder Sexualität. Wieder andere beleidigen wortreich und fantasievoll die Verwandten des Gegners. Warum das so ist, erklärt uns die Autorin auch.


    Wenn man in einer Sprache auf eine Weise schimpft und in einer anderen ganz anders, wie geht man dann vor, wenn man Beschimpfungen (in Büchern oder Filmen) übersetzen muss? Sicher nicht wörtlich! Um den richtigen „Beschimpfungsgrad“ wiedergeben zu können, muss man sich in den Schimpfkulturen beider Sprachen sehr gut auskennen. Aber so funktioniert Übersetzen ja generell.


    Verbale Aggression und verbale Gewalt


    Es gibt also verschiedene Beschimpfungs-Codes. Wird eigentlich verbale Gewalt ausgeübt, wenn der Empfänger den Code gar nicht versteht und die Beleidigung nicht als solche bei ihm ankommt? Was ist überhaupt der Unterschied zwischen verbaler Aggression und verbaler Gewalt? Die Autorin zitiert im Buch einen ihrer Schüler, der die Sache treffend auf den Punkt bringt.


    So unterhaltsam die zum Teil typisch österreichischen Beispiele sind – besser wär’s natürlich, wir würden uns einer gewaltfreien Kommunikation befleißigen. Störrische Maschinen kann man gern weiterhin beschimpfen, doch seine Mitmenschen besser nicht.


    Ich fürchte aber, so ganz wird man das nicht aus den Leuten herauskriegen. Verbale Gewalt umfasst ja nicht nur absichtliche persönliche Beleidigungen, sondern auch Drohungen und das Verbreiten von Lügen und anderen Falschinformationen. Und das ist für viele einfach zu „nützlich“. ☹


    Gewaltfreie Kommunikation – kriegen wir das hin?


    Am Beispiel ihrer Schüler-Workshops zeigt die Autorin, dass Kinder oft Schimpfwörter aufschnappen und ganz selbstverständlich verwenden, ohne eine konkrete Vorstellung von deren Bedeutung zu haben. Wenn man ihnen erklärt, was sie da gerade gesagt haben, sind sie überrascht bis entsetzt. Nein, DAS hatten sie nicht zum Ausdruck bringen wollen! Sie wollten den anderen nur in seine Schranken weisen oder ein bisschen ärgern. Manchen Ausdruck wollten sie in Zukunft nicht mehr verwenden. Immerhin! Sie haben über die Bedeutung und Wirkung ihrer Worte nachgedacht.


    Wie sollen wir eigentlich reagieren, wenn uns jemand in beleidigender Absicht anspricht und wir nicht wollen, dass die Situation eskaliert?


    Interessante Aha-Erlebnisse


    Mir hat das Buch einige Aha-Erlebnisse beschert. So hätten wir beispielsweise gar nicht so entsetzt sein müssen über die Ausdrucksweise früherer Nachbarn. Wir hatte das Gesagte lediglich wortwörtlich verstanden, nicht aber die anders geartete Schimpfkultur.



    Dass die Autorin ihre Beispiele auch aus dem politischen Bereich wählt, ist naheliegend und nachvollziehbar, wird aber vielleicht nicht jedem gefallen. Das wollte ich hier nur kurz erwähnt haben.


    Die Autorin


    Dr. Oksana Havryliv ist gebürtige Ukrainerin, studierte dort Germanistik und lehrt und forscht seit vielen Jahren als Sprachwissenschaftlerin an der Universität Wien. Mit dem Schimpfen beschäftigt sie sich nun schon seit mehr als 30 Jahren und ist eine echte Expertin der Malediktologie. Angefangen hat ihre Begeisterung für und die Beschäftigung mit dem Schimpfen als Witz bei einem Wiener Heurigen, woraufhin sie das Thema für ihre Promotionsarbeit wählte.

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    Karen Kliewe: Die Brandung – Leichenfischer. Ein Ostsee-Krimi, Band 2 der Reihe, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-264174-5, Klappenbroschur, 416 Seiten, Format: 13,6 x 3,4 x 21 cm, Buch: EUR 16,00 (D), EUR 16,50 (A), Kindle: EUR 12,99. Auch als Hörbuch lieferbar.


    „Ihr Täter fuhr also durch ganz Deutschland, tötete junge Frauen und vergrub sie weit entfernt von ihrem Lebensumfeld. […] Ohlsen beschlich ein mieses Gefühl. Wenn wie es mit jemandem zu tun hatten, der sich weder bei der Wahl seiner Opfer noch bei der des Ablageortes ihrer Leichen einem bestimmten Raum zuordnen ließ, erschwerte das ihre Ermittlungen.“ (Seite 113)


    Band 1 der Reihe, MOORENGEL, habe ich gelesen. Das Stammpersonal kenne ich also: Hauptkommissar Ohlsen von der Kripo Flensburg/Außenstelle Norgaard plus Kolleginnen und Kollegen und die dänische Archäologin Fria Svensson, die aus einer Polizistenfamilie stammt und gelegentlich als Beraterin für die Polizei diesseits und jenseits der dänischen Grenze arbeitet.


    Es wuselt hier aber so viel zusätzliches Romanpersonal herum, dass ich mir während des Lesens ein zweiseitiges Personenverzeichnis angelegt habe, um den Überblick zu behalten. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus sechs Perspektiven. Wenn man die ermittelnden Beamten einzeln zählt, sind es sogar noch mehr.


    Die Archäologin denkt wie ein Polizist


    Den „Hauptcast“ finde ich klasse: Fria Svensson, die das Wissen einer Archäologin und Historikerin hat und denkt wie eine Polizistin. Und das nicht nur wegen ihrer Familie, sondern weil sie selbst eine (abgebrochene) Polizeiausbildung hat.

    Und dann ist da noch Hauptkommissar Ohlsen, wortkarg, grantig und stets im Zweifel, ob seine Beziehung mit der abenteuerlustigen Industriekletterin Lies Kallsen eine Zukunft hat.


    Bestattet nach Wikinger-Art


    Der aktuelle Fall: Bei archäologischen Ausgrabungen in der Nähe von Flensburg stößt Frias Team auf eine weibliche Leiche, die trotz Bestattung nach Wikinger-Art erst seit ein paar Monaten da liegt.


    Fria ist beleidigt, weil Ohlsen und seine Leute nicht sie als Beraterin beauftragen, sondern einen Ur- und Frühgeschichtler aus Deutschland. Am liebsten würde sie den deutschen Polizisten trotzig vorenthalten, dass ihre Brüder in Dänemark an einem ganz ähnlichen Fall arbeiten. Das bringt sie dann doch nicht fertig, weil’s einfach unprofessionell wäre.


    Nun ermitteln die Deutschen zusammen mit den Dänen und fragen sich: Was hatten die toten Frauen gemeinsam, außer dass sie ungefähr gleichaltrig waren? Die eine stammte aus Ingolstadt, die andere aus Mönchengladbach, sie hatten unterschiedliche Interessen und Berufe, nichts mit Wikingern am Hut und sahen einander auch nicht ähnlich. Zufallsopfer? Aber wer tötet willkürlich Frauen aus weit entfernten Gegenden und bringt sie dann hoch in den Norden, um sie dort zu bestatten? Jemand, der beruflich dauernd auf Achse ist, vermutlich. Also ein Außendienstler, Monteur oder Fernfahrer?


    Zwei weitere Opfer in Gefangenschaft


    Wer und warum, das wissen wir Leser:innen auch nicht. Was uns die Autorin aber wissen lässt, ist, dass zwei weitere junge Frauen von einer maskierten Person gefangen gehalten werden


    Außerdem erfahren wir, dass die Studentin Samantha von einem Kommilitonen gestalkt wird.


    Worauf wir uns lange keinen Reim machen können: auf die immer wieder „eingeblendeten“ wirren Gedankengänge einer naiven jungen Mutter, die einem dominanten Mann ausgeliefert ist. Was tatsächlich geschieht und was sie sich nur einbildet oder ausdenkt, bleibt im Dunkeln.


    Viele Verdächtige! Wir sind ratlos


    Bald geht es dem Leser wie den Ermittlern: Wir sind völlig ratlos und verdächtigen alles, was sich bewegt. 😉



    Irgendwann kommt der Punkt, an dem alle erleichtert aufatmen und denken, jetzt sei der Spuk vorbei. Doch wir Leser:innen wissen, dass irgendwo noch eine Frau gefangen gehalten wird, deren Schicksal nun besiegelt zu sein scheint. Aber vielleicht ist die Geschichte in Wahrheit noch viel komplizierter …



    Kein Entkommen aus dem Schema?


    Schwierigkeiten habe ich ein wenig mit den Kriminalfällen. Wenn man zu einer Mordermittlung Archäologen hinzuziehen muss, ist man fast zwangsläufig im Themenbereich „Psychopath inszeniert den Tatort / den Fundort / das Opfer nach einem historischen Vorbild“.


    Wenn in den Folgebänden nicht irgendwann ein Mord geschieht, bei dem Kunstfälschung, Raubgrabungen, Schmuggel oder der Diebstahl antiker Artefakte die Expertise eines Archäologen erfordern, gibt es aus diesem Schema kein Entkommen.


    Ich bin gespannt, wie das bei Band 3 ist. Den möchte ich schon noch lesen. Ich muss wissen, was mit Poul los ist, dem neuen Freund von Frias WG-Mitbewohner Marten! Mit dem Kerl stimmt doch was nicht!


    Die Autorin


    Karen Kliewe, Jahrgang 1970, hat als Fotografin, Illustratorin und Grafik-Designerin gearbeitet, bevor sie das Krimi-Schreiben entdeckte. Sie lebt mit ihrer Familie im Westfälischen.

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    Karen Kliewe: Die Brandung – Moorengel. Ein Ostsee-Krimi, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-26382-5, Klappenbroschur, 380 Seiten, Format: 13,6 x 3,15 x 21 cm, Buch: EUR 16,00 (D), EUR 16,50 (A), Kindle: EUR 12,99. Auch als Hörbuch lieferbar.


    MOORENGEL ist der Auftakt zu einer neuen Krimireihe. Das bedeutet für uns zunächst einmal, die Romanfiguren kennenzulernen, die diese Serie bevölkern werden.


    Hier wäre ein Personenverzeichnis hilfreich gewesen: eine kurze Vorstellung der Beamten der Kripo Flensburg/Außenstelle Norgaard, der Mitarbeiter des archäologischen Museums in Ørerup/Dänemark, der Familie der Museumsleiterin (alles Polizisten und Juristen), und vielleicht noch der Personen, die nur in diesem Band eine wichtige Rolle spielen aber nicht zum Hauptcast gehören.


    Makaberer Fund im Thorsberger Moor


    Deutsch-dänisches Grenzgebiet, Sommer 2021 - Geert Holm hat ein etwas dubioses Hobby: Mit einem Metalldetektor zieht er durch die Gegend und sucht archäologische Schätze. Im Thorsberger Moor findet er am Rand eines austrocknenden Sees eine Metalldose mit dem Finger einer Moorleiche. Fria Svensson (39), Leiterin des archäologischen Museums in Ørerup/Dänemark muss ihm leider erklären, dass der Fund nicht alt genug ist fürs Museum. Das ist ein Fall für die Kripo. Sie bringt das Fundstück nach Noorgard (Deutschland) zu Hauptkommissar Ohlsen.


    Damit wäre der Fall für sie eigentlich erledigt. Doch als Spross einer Polizistenfamilie will sie unbedingt wissen, was hinter dem Fund steckt. Und weil sie selbst eine abgebrochene Polizei-Ausbildung hat, bewegt sie sich so selbstverständlich in den Kreisen der Ermittler, dass die manchmal glatt vergessen, dass sie keine von ihnen ist.


    Ob in dem See, in dem der Finger gefunden wurde, auch der Rest der Leiche liegt? Ohlsens Leute gehen der Sache nach und finden in Ufernähe nicht nur eine, sondern gleich sechs Wasserleichen! Alle wurden nach dem gleichen Muster auf dem Grund des Sees fixiert. Bei der „frischesten“ Leiche ist noch erkennbar, dass ihr runenartige Zeichen in den Brustkorb geritzt wurden. Fria versucht, die Botschaft zu entschlüsseln. Was aber, wenn die Zeichen nur in der Fantasie des Täters etwas bedeuten?


    Was haben die Opfer gemeinsam?


    Der Tote mit den Schriftzeichen ist schnell identifiziert, bei den anderen dauert’s. Ob sich jetzt die rätselhaften Vermisstenfälle der letzten paar Jahre klären, fragt sich Kommissar Ohlsen. Ja und nein. Selbst wenn man ihren Verbleib nun kennt, ist immer noch zu klären, wer sie aus welchem Grund getötet und auf diese makabere Weise bestattet hat.


    Die Opfer hatten anscheinend nichts gemeinsam.


    Wie passt die vermisste Schülerin ins Bild?


    Hoffentlich wird der jüngste Vermisstenfall nicht auch noch im See gefunden! Tilda Dietrich (7) ist auf dem Weg zur Schule verschwunden, was ihre Mutter allerdings erst nach drei Tagen (!) bemerkt und der Polizei gemeldet hat. Insgeheim rechnen alle schon mit dem Schlimmsten – auch damit, dass sich die überforderte Mutter des Mädchens entledigt haben könnte.


    Wir Leser:innen wissen ein wenig mehr als die ermittelnden Beamten, können uns aber nicht immer einen Reim auf diese kurzen Informations-Schnipsel aus Sicht einer unbekannten Frau machen. Wer denkt, spricht, handelt hier? Und wer ist das jeweilige Gegenüber?


    Vor lauter Einmischung in polizeiliche Angelegenheiten kommt Archäologin Fria mit ihrer Arbeit im Museum nicht mehr um die Kurve. Wie gut, dass ihr plötzlich ein ehemaliger Kommilitone über den Weg läuft, der gerade Zeit hat, bei ihnen auszuhelfen. Sechs Jahre haben sie einander nicht mehr gesehen,


    Wem kann man überhaupt noch trauen?


    Doch für die Macken und Marotten ihrer Mitmenschen hat Fria jetzt keine Zeit. Sie hängt sich so sehr in die Kriminalfälle rein, dass sie schließlich selbst unter Verdacht gerät. Wie kommt sie aus dieser Nummer wieder raus? Und wer ist eigentlich der „Maulwurf“, der einem Journalisten vertrauliche polizeiliche Informationen steckt? Bald weiß niemand mehr, wem er oder sie noch trauen kann …


    Spannend? Oh ja! Gerne rätselt man mit, was Opfer, Motiv und Täter angeht und wie das verschwundene Schulmädchen wohl in diese Geschichte passt. Allerdings haben wir Leser keine Chance, die Fälle vor der Polizei zu lösen oder auch nur in die richtige Richtung zu denken. Dafür fehlen uns wichtige Informationen. Wenn uns am Schluss die Zusammenhänge erklärt werden, ist das zwar recht einleuchtend (wenn mir noch schnell einer sagt, warum Frau B. unter den Opfern war), aber die Aufklärung des Falles wird aus dem Hut gezaubert. Das habe ich nicht so gern, das darf bei mir nur Agatha Christie. 😉 Persönliche Präferenzen!


    Eine vielversprechende Mischung


    Weil mir der Mix aus Kimi und Archäologie aber interessant und vielversprechend erscheint, habe ich den Folgeband schon hier und werde vom Fortgang der Ereignisse berichten.


    Die Autorin


    Karen Kliewe, Jahrgang 1970, hat als Fotografin, Illustratorin und Grafik-Designerin gearbeitet, bevor sie das Krimi-Schreiben entdeckte. Sie lebt mit ihrer Familie im Westfälischen.

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    Angelika Godau: Jackpot mit vier Eseln, Türkei für Anfänger, Band 4, Zweibrücken 2024, Independently Published, ISBN 979-8-32753568-8, Softcover, 229 Seiten, Format: 12,7 x 1,32 x 20,32 cm, Buch: EUR 12,99, Kindle: EUR 3,99.


    „Warum ich seit einem halben Jahr […] Eigentümer eines Hotels in Side bin, ist eine lange, irre Geschichte. Sie gehört genau zu diesen Merkwürdigkeiten […], die mir ständig passieren.“ (Seite 8)


    Yusuf Karamak, Ende 40, der türkische Berufskraftfahrer, der kein Wort türkisch spricht, wurstelt sich seit Monaten als Hotelier in Side durch. Hilfe hat er von seiner deutschen Frau Marie, seinen Eltern und sogar von der 90jährigen Großmutter, „Nene“, die als Übersetzerin fungiert. Tochter Dilek (18) arbeitet unter Murren und Knurren als Zimmermädchen, Sohn Elyas (23) macht nix als Ärger. Alle paar Tage hat er eine neue haarsträubende Geschäftsidee und eine neue große Liebe.


    Neustart in Side: Fluch oder Segen?


    Wenn Karamaks ihre Nachbarn Mustafa und Zeynep nicht hätten und ihren bestens vernetzten künftigen Schwiegersohn Duran, wären sie ihn ihrer Wahlheimat nicht überlebensfähig. Noch immer fragen sie sich, ob es ein Fluch oder ein Segen war, dass sie in Deutschland ihre Zelte abgebrochen haben um sich ins Abenteuer Türkei zu stürzen. Das gleiche gilt auch für ihre Freundschaft mit dem Schlagerstar Cem. Seine Kontakte eröffnen der Familie Karamak ungeahnte Möglichkeiten, was Werbung und Öffentlichkeitsarbeit angeht. Aber was Cem in bester Absicht initiiert, hat die fatale Tendenz, völlig aus dem Ruder zu laufen. Und so hat er stets alle Hände voll zu tun, seine Freunde aus Schwierigkeiten herauszupauken, in die sie ohne ihn niemals geraten wären. 😊


    Oma will unbedingt nach Las Vegas


    Aktuell hat sich Cem in eine Fernseh-Produktionsfirma eingekauft und arbeitet an einer TV-Doku-Reihe, die Menschen Wünsche erfüllt. Kandidatin der Pilotfolge ist Yusufs Oma, Nene. Die wollte schon immer mal nach Las Vegas


    Die Oma ist noch fit, aber sie ist eben 90, und die Familie macht sich Sorgen, ob eine so lange Reise gut für sie ist. Zwar hat sie Enkelin Dilek dabei und Cem samt seinem Fernsehteam, aber das bringt nicht viel. Da muss eher die Oma auf ihre Begleiter aufpassen. Am liebsten würden Karamaks der Oma die Reise ausreden, vor allem Yusuf. Der will sowieso immer alle beschützen und hat einen Hang zur wohlmeinenden Einmischung.


    Einmischen oder heraushalten? – Gute Frage!


    Doch wann ist es klug und sinnvoll, einem intelligenten erwachsenen Menschen in seine Angelegenheiten hineinzureden? Sollte man das überhaupt jemals tun?

    Ehefrau Marie kann ihren Gatten gerade noch davon abhalten, sich in die Familienangelegenheiten eines Hotelgäste-Paars „einzubringen“. Das Konzept „nicht mein Zirkus, nicht meine Affen“ ist dem Neu-Hotelier offensichtlich fremd. Es ist nicht leicht, ein guter Mensch zu sein, wenn einen die anderen ständig daran hindern!


    Beziehungs-Chaos beim Personal


    Wo Yusuf sich gerne herausgehalten hätte: aus dem Beziehungs-Chaos seiner Angestellten. Wegen einer heimlichen Affäre drohen gleich zwei Hochzeiten zu platzen. Jetzt wird von ihm als Chef, der ja die Verantwortung für seine Leute trägt, verlangt, dass er die Sache irgendwie in Ordnung bringt. Aber wie?


    Und alles verdanken sie Cem


    Unterdessen haben Oma und Dilek einen Mordsspaß in Las Vegas. Das haben sie alles Cem und seiner Produktionsfirma zu verdanken. Die kommt für sämtliche Kosten auf. Davon bekommt Familie Karamak in Side nicht viel mit. Die hat gerade ganz andere Sorgen:


    Für die Video-Juxbotschaft, dass die Oma in einem Casino ein paar Millionen gewonnen haben soll, haben Karamaks im Moment keinen Nerv. Der Wahnsinn tobt an allen Fronten:


    Yusufs Mutter, die zickige Hatice, hat jetzt sehr oft Gelegenheit, mit säuerlichem Gesicht zu fragen. „Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?“ Und die Leser überlegen sich, wie in jedem Band, wie die Romanhelden dieses Chaos jemals wieder sortiert bekommen wollen.


    Humorvoll und unterhaltsam


    Band 4 ist humorvoll und unterhaltsam, wie wir es von dieser Reihe gewohnt sind. Ein bisschen zum Nachdenken kommt man dabei auch. Die hier immer wieder aufkommende Frage, ob und wann man sich in das Leben anderer einmischen sollte, ist der näheren Betrachtung wert. Ein bisschen was über Land und Leute erfährt man ebenfalls. Und im Anhang gibt es ein Rezept für eines der leckeren Gerichte, mit denen die Gäste in Yusufs Hotel verwöhnt werden. (Ausprobiert und für gut befunden!)


    Dass Band 4 noch nicht das Ende der Reihe ist, ist klar. Dazu sind am Schluss zu viele Fragen offengeblieben. Mich interessiert vor allem, was wirklich in Las Vegas los war. Und was der Sohn des Hauses gerade wieder mit großer Begeisterung vermasselt. Bei diesem jungen Mann habe ich öfter mal das Bedürfnis, kopfschüttelnd zu fragen: „Was hast du denn jetzt wieder angestellt?“


    Die Autorin


    Angelika Godau, geboren in Oberbayern, hat in verschiedenen Regionen Deutschlands gelebt und fast 10 Jahre lang in der Türkei. Sie hat als Journalistin gearbeitet, Psychologie studiert und in Mannheim eine eigene Praxis betrieben. Heute lebt sie mit ihrem Mann, zwei Hunden und einer Katze in Zweibrücken, schreibt Bücher und engagiert sich im Tierschutz.

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    Lisa Roy: Keine gute Geschichte. Roman, Hamburg 2023, Rowohlt Verlag GmbH, ISBN 978-3-498-00345-6, Hardcover mit Lesebändchen, 236 Seiten, Format: 13,1 x 2,35 x 21 cm, Buch: EUR 22,00 (D), EUR 22,70 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Ich hab was mit Jessy, der Mutter von Ashanti“, sagte Meryem und schaute in ihren Cappuccino.
    „Perfekt. Ich hab was mit Ashantis Vater. Wir sind quasi verschwägert“, sagte ich und zog das weiße Hallhuber-Shirt aus einer der Taschen.
    (Seite 121)


    Essen-Katernberg: Arielle Freytag, 33, ist in diesem prekären Stadtteil aufgewachsen. Vor 12 Jahren war sie zuletzt hier. Sie hat’s herausgeschafft, hat studiert und arbeitet erfolgreich als Social-Media-Managerin in einer Düsseldorfer Werbeagentur.


    Der Anruf der Essener Sozialarbeitern Meryem ereilt sie in einem Moment der Schwäche: Sie war gerade erst in einer psychiatrischen Klinik, wo man sie wegen einer Depression behandelt hat. Noch ist sie nicht wieder in ihrem Agenturalltag angekommen, und so hat sie Meryems Bitte, sich um ihre Großmutter zu kümmern, die nach einem Reha-Aufenthalt Hilfe braucht, nichts entgegenzusetzen. Ihr fällt auf die Schnelle einfach keine Ausrede ein.


    Zurück in Essen-Katernberg


    Nie mehr hatte Arielle an den Ort zurückkehren wollen, an dem sie aufgewachsen ist, und jetzt steht sie doch wieder in der düsteren, überladenen Wohnung ihrer exzentrischen Hippie-Oma Varuna, die Kakteen züchtet, N*cktkatzen hält und hässliches Geschirr töpfert. Und sie muss sich irgendwann komplett neu erfunden haben. Nicht einmal der göttliche indische Vorname ist echt.


    Vor 27 Jahren ist Varunas einzige Tochter Rita (24) von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden. Notgedrungen hat sie ihre damals sechsjährige Enkelin Arielle aufgenommen und großgezogen. Viel Liebe gab es bei Varuna nicht, die hat sich das Mädchen anderswo gesucht. Und sie hat sich schnellstmöglich aus dieser Umgebung abgesetzt.



    Nichts hat sich verändert


    Bei Oma daheim hat sich nicht viel verändert, im Viertel auch nicht. Arielle sieht Kindheitsfreundinnen wieder, die nie aus dieser Umgebung herausgekommen sind und gruselt sich bei der Vorstellung, so leben zu müssen wie sie. Da hat sie es doch viel besser! Melanie, eine ehemalige Schulkameradin, sieht zwischen ihnen beiden keinen großen Unterschied und findet:


    „Man kann das Mädchen aus der Gosse holen, aber nicht die Gosse aus dem Mädchen.“ (Seite 20)


    Das sitzt!


    Zwei Kinder werden vermisst


    Warum gibt sich Arielle überhaupt mit Leuten aus ihrer Vergangenheit ab, wenn sie doch gar nichts mit ihnen zu tun haben will? Hauptsächlich deshalb, weil sie Melanies und Jessys Schicksal an ihr eigenes erinnert. Bei Arielle war’s die Mutter, die verschwunden ist, bei ihren ehemaligen Mitschülerinnen sind’s die neunjährigen Töchter Lara und Ashanti, die vor ein paar Tagen nach der Schule nicht nach Hause gekommen sind.



    Was weiß Wolfgang über Arielles verschollene Mutter?


    Im Rahmen der Suchaktion trifft Arielle auch Wolfgang Becker, einen ihrer ehemaligen Lehrer, wieder. Der quasselt ziemlich viel und macht irgendwann eine Bemerkung, die sie aufhorchen lässt. Weiß er etwa mehr über den Verbleib ihrer Mutter als er bislang zu erkennen gegeben hat?



    Wenn Wolfgang Becker mehr weiß, als er sagt, gilt das dann auch für andere Menschen aus ihrem gemeinsamen Umfeld? Besteht tatsächlich die Chance, den Vermisstenfall nach all den Jahren noch aufzuklären?


    Doch eine gute Geschichte. Nur nicht für alle


    Man muss die Heldin nicht mögen, um die Geschichte mitreißend zu finden und Arielles Besessenheit vom Thema „vermisste Personen“ nachvollziehen zu können. Und wie die Autorin das Verhalten und die Motive ihrer Figuren seziert, ist eindrucksvoll.


    Auch wenn der Buchtitel etwas anderes behauptet: Das ist eine gute Geschichte! Nur eben nicht für alle Beteiligten. Elend scheint hier tatsächlich erblich zu sein, und die Chance, dem Milieu und den alten Mustern zu entkommen, ist offenbar verschwindend gering. Der Roman ist keine Milieustudie, die auf die handelnden Personen herabsieht. Es ist in meinen Augen ein Gesellschaftsroman mit einem Hauch von Krimi. Ein düsterer Plot erzählt mit-trockenem Humor.


    Die Autorin


    Lisa Roy wurde 1990 in Leipzig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte in Dortmund und Köln und veröffentlichte in verschiedene Literaturzeitschriften und Anthologien. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman KEINE GUTE GESCHICHTE erhielt sie 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den GWK-Förderpreis Literatur. Lisa Roy lebt mit ihrer Familie in Köln.

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    Eric Weißmann: Tod im Friesenhaus. Kristan Dennermann ermittelt – Ein Sylt-Krimi (Band 2), München 2025, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-22108-5, Klappenbroschur, 349 Seiten, Format: 12,3 x 2,53 x 19,1 cm, Buch: EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99.


    „Die Wahrheit ist, ich helfe dem Kommissar gerade wieder bei der Aufklärung eines Falles. Die Sache betrifft mich […], weil ich den Immobiliennachlass der Verstorbenen […] betreue. Oder, besser gesagt, der Ermordeten.“ (Seite 292)


    Ein Antiheld als Amateur-Detektiv


    Immobilienmakler Kristan Dennermann, erfolgreich, kultiviert, hochsensibel und von diversen Ängsten geplagt, ist nicht gerade zum Helden geboren. Seit vor über 10 Jahren seine damalige Lebensgefährtin Laura tödlich verunglückt ist, leidet er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und will nur seine Arbeit machen und ansonsten in Ruhe gelassen werden.



    Leider hat unser Antiheld die unselige Neigung, bei der Arbeit immer mal wieder über Leichen zu stolpern. Wortwörtlich! Ja, nun, bei den Friesenhäusern auf Sylt geht es nun mal um sehr viel Geld, da bedienen sich manche Menschen eben drastischer Methoden. Neugierig, wie Dennermann nun mal ist, „ermittelt“ er dann selbst und kommt dadurch zwangsläufig Kommissar Bernhard Kröger in die Quere, und das gibt Ärger. So auch jetzt:


    Doro ist nicht auf Kreuzfahrt. Doro ist tot!


    Kristan Dennermann hat den Auftrag, einen Käufer für ein Ladenlokal zu finden. Der Besitzer der Immobilie lebt im Ausland, die bisherige Mieterin, Antiquitätenhändlerin Dorothea Hußmann, hat sich in den Ruhestand verabschiedet und sich den Traum von einer Weltreise erfüllt. Davon geht Makler Dennermann zumindest aus, als er den Laden betritt. Doch – wir ahnen es schon — „Doro“ lässt sich mitnichten auf einem Kreuzfahrtschiff den Wind um die Nase wehen. Sie liegt erschlagen in einem Nebenraum!



    In Wahrheit war alles ganz anders



    Eine Nichte und eine Großnichte tauchen auf und stürzen sich wie die Aasgeierinnen auf das Erbe. Und so nett und umgänglich, wie Dennermann gedacht hat, ist die Ermordete wohl nicht gewesen. Ihre Verwandten erzählen da ganz andere Geschichten. Auch sonst gibt’s ein paar Leute, die allen Grund gehabt haben, auf Doro Hußmann sauer zu sein. Sehr, sehr sauer!


    Der Kommissar macht es sich leicht


    Anders als bisher macht sich Kommissar Kröger dieses Mal die Spürnase und die Verbindungen des Maklers zunutze und spannt ihn kurzerhand für seine Ermittlungen ein. Wenn dieser schon den Laden und das Privathaus der Ermordeten verkaufen soll, kann er ja bei der Gelegenheit den Erbinnen auf die Finger schauen und ein bisschen herumschnüffeln. Vielleicht findet er was Sachdienliches.


    Das klingt nicht besonders legal und ist der Psyche des angeschlagenen Maklers auch alles andere als zuträglich. Er sollte sich nicht dauernd mit gewaltsamen Todesfällen konfrontieren. Dass er zufällig Frida, eine Freundin seiner verstorbenen Lebensgefährtin, wiedertrifft, die unbedingt seine Ängste therapieren will, obwohl sie dafür in keiner Weise qualifiziert ist, trägt auch nicht zur Verbesserung seines Gemütszustands bei.


    Amateur-Schnüffler im Krisenmodus



    Dennoch klaubt er sich akribisch seine Informationskrümel zusammen und ist dem Mörder bald dicht auf den Fersen. Dumm nur, dass dieser das noch lange vor Dennermann kapiert! Und schon schwebt unser Held, der gar keiner sein will, wieder mal in tödlicher Gefahr …


    Die Reichen und die Schönen


    So geht das also zu bei den Reichen und Schönen auf Sylt! 😉 Der Autor muss es ja wissen, denn er arbeitet tatsächlich, genau wie sein Protagonist, als Makler auf der Insel. Ich gehe davon aus, dass er bei seinen Schilderungen allenfalls ein kleines bisschen übertreibt, wenn überhaupt.


    Mit dem supersensiblen „Helden“, der nichts als seine Ruhe will, hatte ich im ersten Band noch meine Probleme. Jetzt habe ich mich an ihn und seine Eigenheiten gewöhnt. Aber er kann mir noch so viel von Laura und Cheyenne vorschwärmen, ich bleibe dabei: Er flirtet mit dem Kommissar!


    Was genau der Mörder sich von seiner aufwändig vorbereiteten Aktion versprochen hat, habe ich nicht so ganz verstanden. Wer so viel Zeit und Energie in ein Vorhaben investiert, muss doch ein lohnendes Ziel vor Augen haben! Ich konnte keines erkennen.


    Kleine Nachlässigkeiten


    Was mich genervt hat, weil’s mich immer nervt: Dass der Name einer der Tatverdächtigen stets zwischen Mina und Nina hin und her wabert.

    Da bin ich mindestens ebenso hartnäckig wie Makler Eric Dennermann, wenn er bei seinen Amateur-Ermittlungen auf eine Ungereimtheit stößt.


    Der Autor


    Eric Weißmann, Jahrgang 1987, ist selbständiger Immobilienmakler auf Sylt. Er lebt seit fast 20 Jahren auf der Lieblingsinsel der Deutschen und hat seither zahlreiche Traum-Immobilien vermittelt. Mit seinem Buch ›Aber bitte mit Reet! Ein Sylter Makler erzählt Geschichten von der schönsten Insel der Welt‹ gelang ihm auf Anhieb ein Bestsellererfolg.

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    Mark Spörrle: Der Maulwurf. Roman, München 2025, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-42983-3, Klappenbroschur, 352 Seiten, Format: 13,7 x 3,1 x 20,6 cm, Buch: EUR 17,00, Kindle: EUR 9,99.


    „Ich brauche erst mal etwas Abstand“, sagte Lisa.
    „Ich auch. Mein Mann sitzt im Schneidersitz im Garten und spricht mit unserem Maulwurf. Wertschätzend. Achtsam. Mit verstellter Stimme.“
    Lisa musste lachen. „Im Ernst?“
    „Im Ernst!“
    (Seite 247)


    Auch wenn im Klappentext von einem Toten die Rede ist: Das ist kein Krimi! Oder nur ganz am Rande. Es ist eher eine Gesellschaftssatire oder Familienkomödie. Hier geht es nicht ganz so schräg und abgefahren zu wie in den Romanen von Tom Sharpe („Puppenmord“), aber die Richtung stimmt.


    Drei Städter ziehen aufs Land


    Die Story: Familie Paulmann – Papa Sascha, leicht zwangsneurotischer Sustainability-Chef bei einem großen Versandhandelsunternehmen, seine Frau Anna, Psychologin und Podcasterin sowie Teenie-Tochter Marie – ziehen von Hamburg in ein Häuschen auf dem Land. Die direkten Nachbarn sind alte Bekannte, also fällt Paulmanns die Eingewöhnung recht leicht.


    Zwar ist der Weg zur Arbeit und zur Schule nach dem Umzug weiter, dafür haben Paulmanns nun deutlich mehr Platz, und sie besitzen erstmals einen Garten. Alles ganz prima, nur ist das für den Ordnungsfanatiker Sascha offenbar zu viel Natur: In ihrem Rasen buddelt ein Maulwurf und baut massenweise Hügel und das macht ihn wahnsinnig.



    Hilfe, ein Maulwurf!


    Maulwürfe stehen unter Naturschutz, man darf Blacky also nichts tun. Man kann ihn allenfalls vergrämen. Doch das ist leichter gesagt als getan! Sascha steigert sich in dieses Projekt mehr und mehr hinein, sehr zum Verdruss seiner Familie. Baumarktverkäufer Schnappauf, der selbsternannte Maulwurf-Experte Schmitter und der dubiose Internethändler Van Helsing reiben sich unterdessen die Hände: Mit Fanatikern wie Sascha Paulmann lässt sich gutes Geld verdienen!


    Anna erkennt ihren Mann kaum wieder. Zwanghaft ordentlich war er schon immer, aber so verbissen wie jetzt war er noch nie! Sein Krieg gegen den Maulwurf nimmt ihn so in Beschlag, dass er alles andere vernachlässigt: sich selbst, die Familie und seinen Job.


    Der Held ist eine arme Wurst


    Am Arbeitsplatz ist Sascha echt eine arme Wurst: Umgeben von Intriganten und Dilettanten soll er stets Unmögliches vollbringen.


    Ich schwankte beim Lesen zwischen Lachen, Mitleid und Fremdschämen. Der arme Sascha kriegt überhaupt nichts auf die Reihe und merkt oft nicht einmal, wie sehr er sich zum Affen macht. Und er lässt sich auch viel zu leicht übers Ohr hauen! Manche Szenen waren mir so peinlich, dass ich sie nur querlesen konnte.


    Ermittelt die Kripo bei Maulwurfsmord?


    Wenn Sascha sich nur mit der Natur anlegt, ist die Geschichte aber sehr vergnüglich. Vor Maulwurf, Nachbarshund, Baum und Rasen kann man sich wenigstens nicht blamieren. Man muss nur darauf achten, dass von den skurrilen Aktivitäten nichts im Internet landet und viral geht. Denn das kann 1. oberpeinlich werden und 2. teuer. Angeblich muss man 50.000,- Euro Strafe zahlen, wenn ein Maulwurf bei Vergrämungsversuchen ums Leben kommt. Das jedenfalls sagen Paulmanns Nachbarn, denn in deren Gärten gibt es diese Viecher natürlich auch.


    Kein Wunder, dass einige Leute im Dorf nervös werden, als die Kripo von Haus zu Haus geht. Wer weiß, ob die wirklich nur im Fall eines tot aufgefundenen Mannes ermitteln oder ob sie nicht doch auch für Maulwurfsleichen zuständig sind …?


    Jetzt hilft nur noch ein Wunder!


    Am Schluss der Geschichte steht Sascha Paulmann in jedem Bereich seines Lebens mit dem Rücken zur Wand: rechtlich, gärtnerisch, beruflich und familiär. Und all das wegen seines verbissenen Kampfes gegen einen winzigen Maulwurf! Um sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, bräuchte er dringend ein Wunder. Oder zwei … oder drei.


    In diesem Buch kriegen alle auf höchst unterhaltsame Weise ihr Fett weg: Städter und Dörfler, Psychologen, Naturschützer, Erbsenzähler, Podcaster, Eltern, Teenager, fiese Kollegen, schimmerlose Führungskräfte, skrupellose Geschäftemacher und andere Halunken. Das sorgt für Heiterkeit, genau wie der wüst eskalierende Kampf „Mann gegen Maulwurf“.


    Ich mag Geschichten, die harmlos anfangen und in irrwitzigem Chaos enden. Weil ich mich aber nicht gerne fremdschäme, war DER MAULWURF nicht zu 100% mein Humor. Das sind natürlich persönliche Präferenzen, die man nicht dem Buch anlasten kann. Ich wollte es nur kurz erwähnt haben.


    Der Autor


    Mark Spörrle ist Redakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT und schreibt viel beachtete Bücher über den irrwitzigen Alltag. Zu den erfolgreichsten zählen »Ist der Herd wirklich aus?« und »Aber dieses Jahr schenken wir uns nichts!«. Der Bahnreiseführer »Senk ju vor träwelling«, den er mit Lutz Schumacher verfasste, stand über ein Jahr unter den Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste. Mark Spörrle lebt mit seiner Familie in Hamburg.

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    Claudia Rimkus: Nordstrøm – Die Jagd. Ostsee-Krimi, Hameln 2025, CW Niemeyer Buchverlage GmbH, ISBN 978-3-827-19279-0, Klappenbroschur, 464 Seiten, Format: 19 x 12,5 x 2,8 cm, Buch: EUR 17,00, Kindle: EUR 9,99.


    „Wenn wir es mit mehreren Tätern zu tun haben, erschwert das unsere Ermittlungen.“
    „Nicht unbedingt“, widersprach Erik. „Je mehr Leute in eine Sache involviert sind, umso mehr Schwachstellen könnte es […] geben. Menschen machen Fehler. – Viele Menschen machen mehr Fehler.“
    (Seite 338)


    „Die Agentur“: Detektei plus Beratungsstelle


    Hat die abenteuerlustige Globetrotterin Sara Sachs (36) das Falsche studiert? Die Juristin stellt nämlich fest, dass es ihr auf Dauer zu langweilig ist, zwischen Kanzlei und Gericht zu pendeln. Sie wirft ihren Job hin und fährt erst einmal zum Nachdenken an die Ostsee. Auf Rügen erfährt sie zufällig, dass „die Agentur“ von Dr. Erik Nordstrøm einen juristisch versierten Mitarbeitenden sucht.


    Was diese Agentur macht, ist ziemlich abgefahren: Es ist ein Mix aus einer Detektei und einer Beratungsstelle mit Hilfsangeboten. Sie ermittelt vorzugsweise in Mord- und Vermisstenfällen und setzt da an, wo die Polizei nicht weiterkommt oder die Akten schon geschlossen hat.


    Vor vier Jahren hat Dr. Erik Nordstrøm, 39, seine Stelle als Polizeipsychologe aufgegeben und diese Firma gegründet. Warum? Dahinter steckt eine sehr persönliche und tragische Geschichte, die sich uns erst nach und nach erschließt.


    Sara Sachs bewirbt sich spontan


    Sara Sachs bewirbt sich spontan und wird ebenso spontan eingestellt.

    und arbeitet sogleich an den aktuellen Fällen mit. Nicht alles, was sie da tut, hat auch was mit der Juristerei zu tun. Die 6 Agentur-Mitarbeiter:innen müssen flexibel sein, wenn sie Fälle bearbeiten wie diese:


    Ein Mord und ein Vermisstenfall


    Eine Rentnerin vermisst ihre zwei erwachsenen Neffen. Dass der jüngere ohne Vorankündigung ein Weilchen untertaucht, ist nichts Neues. Der taugt nichts. Doch der ältere führt ein solides, geregeltes Leben. Wenn er plötzlich wochenlang verschwindet und nicht einmal seinen Arbeitgeber informiert hat, dann muss etwas passiert sein. Die Polizei unternimmt aber nichts,


    In die Welt der Reichen und Schönen geht es, als der Landtagsabgeordnete Rolf Vonhagen tot im Nationalpark Jasmund aufgefunden wird – erschossen mit einer Armbrust und grausam verstümmelt. Seine Witwe, eine Bekannte von Nordstrøms Ziehmutter Vera, beauftragt die Agentur mit der Aufklärung des Falls.


    Verblüffende Zusammenhänge


    Die Agentur ermittelt jetzt also in zwei größeren Fällen. Weil für die Polizeibeamten die verschwundenen Neffen kein Fall sind, bemerken sie auch nicht, was für Nordstrøms Team ganz offensichtlich ist: dass nämlich die Vermisstenfälle mit dem Mord an dem Politiker zusammenhängen. Nur wie genau, das wissen die Agenturleute auch noch nicht.



    Erst als es weitere Mordfälle nach demselben Modus Operandi gibt und Nordstrøm persönlich bedroht wird, beginnt er zu verstehen, aus welcher Richtung der Wind weht …


    Auftakt zu einer Serie


    Wenn das ein Serien-Auftakt ist – wunderbar! Ich bin dabei. Nordstrøm schart eindrucksvolle Leute um sich und hat ein Händchen für verzwickte Fälle.


    Bei Sara zeigt sich schnell, dass sie an einen konventionellen Bürojob verschwendet wäre.


    Am Schluss habe ich nicht bei allen Leuten verstanden, warum sie getan haben, was sie getan haben. Ich sehe in diesen Fällen einfach kein zwingendes Motiv. Aber vielleicht wird das in einem Folgeband aufgelöst, denn, wie gesagt, das sieht hier nach einer Serie aus.


    Zu meiner großen Freude gibt’s gleich zu Anfang des Buchs ein ausführliches Personenverzeichnis. Wenn mehr als ein Dutzend Figuren agieren, hilft das ungemein bei der Orientierung. Vor allem bei einem Serien-Einstieg, bei dem ja naturgemäß viel vorgestellt und erklärt werden muss.


    Die Autorin


    Claudia Rimkus lebt und genießt ihren Unruhestand in ihrer Geburtsstadt Hannover. Sie hat zwei Kinder und drei Enkel. Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte, Kurzgeschichten und Romane. Ihre ersten Erzählungen wurden erfolgreich als Fortsetzungsromane in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und den angeschlossenen Lokalzeitungen veröffentlicht. Trotz aller Spannung sind ihre Werke stets mit Humor gewürzt. Als Ausgleich zur Schreibtischarbeit ist die Autorin gern mit der Kamera unterwegs. Das genaue Beobachten ihrer Umwelt inspiriert sie sowohl beim Fotografieren als auch beim Schreiben. Ihre Fotos haben mehrere Preise gewonnen.

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    Kate Elizabeth Russell: Meine dunkle Vanessa. Roman. OT: My Dark Vanessa, aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer, München 2020 bzw. 2022, C. Bertelsmann bzw. Penguin, beides Imprints von Random House, Hardcover mit Schutzumschlag: ISBN 978-3-570-10427-9, 448 Seiten, Format: 14,7 x 4,1 x 22,1 cm, Taschenbuch: 978-3-328-10898-6, 448 Seiten, Format: 12,2 x 3 x 18,3 cm, EUR 13,00, Kindle: EUR 9,99.


    >>> Hier halte ich es erstmals für angebracht, eine Triggerwarnung auszusprechen: Menschen mit Missbrauchserfahrung tut dieser Roman womöglich nicht gut. Das kann natürlich jede:r selbst entscheiden. Ich wollte es nur gesagt haben. <<<


    „Es muss eine Liebesgeschichte sein, darauf kann ich nicht verzichten. Verstehen Sie? Das ist ganz, ganz wichtig für mich.“
    „Ich weiß.“ […]
    „Es ist mein Leben“, sage ich. „Das ist mein ganzes Leben gewesen.“
    (Seite 384/385)


    Portland, Maine 2017: Vanessa Wye, 32, arbeitet als Concierge in einem Luxushotel und erzählt uns aus ihrem Leben. Besser gesagt: Sie schildert uns ihre Interpretation davon. Ich-Erzähler sind ja nicht immer objektiv. Ob sie tatsächlich so abgebrüht, schlau und verkorkst ist, wie sie sich darstellt, werden wir noch sehen.


    Englisch-Lehrer unter Verdacht


    Der Anlass für ihre Rückschau: Sie hat gerade erfahren, dass ihr ehemaliger Englischlehrer Jacob Strane (59) von fünf ehemaligen Schülerinnen der se*uellen Übergriffe bezichtigt wird.

    Nun sind alle möglichen Leute hinter Vanessa her und wollen, dass sie ebenfalls eine Aussage macht. Denn schon im Jahr 2000 war das Gerücht im Umlauf, dass sie ein Verhältnis mit genau diesem Lehrer hätte.


    Vanessa, die immer noch in Kontakt mit Jacob Strane steht, fragt ihn, was an den Vorwürfen dran ist. Er beschwichtigt sie. Ach, was, alles nur Missverständnisse! Sie glaubt ihm nur zu gern, wie sie ihm schon damals nur zu gern geglaubt hat: dass sie seine Lieblingsschülerin sei, etwas ganz Besonderes, so begabt, so erwachsen, seine Seelenverwandte, seine große Liebe … blablabla.


    Liebe oder Missbrauch?


    Mit solchen Sprüchen hat er sie eingewickelt, als sie 15 war und er 42. Und sie, die etwas nerdige Eigenbrötlerin, die sich nach Aufmerksamkeit und Liebe gesehnt hat, hat sich wertgeschätzt und geschmeichelt gefühlt und sich mit Feuereifer in diese Affäre gestürzt. Bis heute glaubt sie, dass das Liebe war und kein Missbrauchsverhältnis. Nein, sie ist kein Opfer, sie hat geliebt und ist geliebt worden. Sie wollte das alles ebenso wie er und hat freiwillig mitgemacht.


    Wirklich? Dass sie das so sehen möchte, ist nachvollziehbar. Sie hat jahrelang in diese Beziehung investiert, hat vieles geopfert und verloren. Da will sie nicht auch noch hören, dass sie benutzt und verar***t worden ist! Doch wenn sie beschreibt, wie sie damals ein Paar geworden sind, sieht man als erwachsene Leserin sehr deutlich, wie der Kerl die Kleine nach allen Regeln der Kunst manipuliert.



    Alles freiwillig. Wirklich?


    Das junge Mädchen ist fasziniert davon, dass ein erwachsener Mann und erfahrener Liebhaber sie liebt und begehrt. Die Tricks, mit denen er sie ins Bett kriegt, durchschaut sie nicht. Den Leserinnen ist dagegen klar: Der Teenager fühlt sich nicht bereit, sondern überrumpelt, genötigt und verpflichtet.


    Wird Vanessa zu seiner Demaskierung beitragen? Dazu müsste sie erst einmal erkennen (wollen), dass sie nicht Stranes große und einzige Liebe war, sondern nur die erste in einer langen Reihe missbrauchter Schulmädchen.


    Alte Unterlagen tauchen auf …


    Wenn Vanessa das klar würde, hätte sie womöglich eine Chance, mit der Geschichte abzuschließen und ein „normales“ Leben zu führen. Therapeutin Ruby gibt sich alle Mühe, doch Vanessa klammert sich eisern an ihre verzerrte Wahrnehmung. Dann tauchen 17 Jahre alte Unterlagen auf, die Jacob Strane selbst in Vanessas Augen in einem anderen Licht erscheinen lassen müssten …


    Ich habe vor ein paar Jahren Jennifer Fox‘ verstörenden Film THE TALE gesehen und gedacht, dieses Buch sei vielleicht die literarische Vorlage dazu. Ist es nicht, aber die Geschichten ähneln sich. Im Film und in diesem Roman geht es darum, wie sehr ein Missbrauchsopfer verinnerlicht, was ihm der Täter eingeredet hat – und wie schwer es ist, sich davon wieder zu lösen. Auch nach vielen Jahren noch.


    Selbst wenn man die Heldin nicht unbedingt ins Herz schließt, wünscht man ihr doch, dass es ihr gelingen möge, die Ereignisse aus ihrer Vergangenheit aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und dass es in der Realität undenkbar wäre, dass man einen Mann wie Jacob Strane 20 Jahre lang unbehelligt gewähren lässt, das wünscht man sich auch. Aber ich fürchte, sowas gibt es öfter, als uns allen lieb ist. Für einen Unterhaltungsroman ist das ziemlich starker Tobak.


    Die Autorin


    Kate Elizabeth Russell wurde in Maine geboren und hat an der University of Kansas promoviert. Sie schreibt für verschiedene Magazine, und eine ihrer Erzählungen wurde für den renommierten Pushcart Preis nominiert. Ihr Debütroman »Meine dunkle Vanessa« ist ein internationaler Bestseller und stand auch in Deutschland auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Das Buch ist in rund 25 Ländern erschienen. Kate Elizabeth Russell lebt in Madison, Wisconsin.


    Die Übersetzerin


    Ulrike Thiesmeyer, 1967 geboren, studierte Literatur-Übersetzen in Düsseldorf, wo sie auch bis heute lebt. Sie hat zahlreiche Romane wie Sachbücher aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche übertragen. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören u. a. William Boyd, Raymond Khoury, Ann Patchett, Kamila Shamsie und Joanna Trollope.

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    Helga Kausel: Meine Patienten laufen Trab. Unterwegs als Pferdeärztin auf dem Land, München 2025, Knaur Verlag, ISBN 978-3-426-28491-9, Klappenbroschur, 232 Seiten, Format: 13,6 x 1,93 x 21 cm, Buch: EUR 18,00, Kindle: EUR 15,99.


    „In der Praxis wurde es schon zum Running Gag – ständig fragte mich jemand, in welchen Schlamassel ich heute reingeraten war. Gab es wieder mal ein totes Huhn, war ein Auto in den Zaun gekracht, oder musste mich ein Traktor vom Feld ziehen?“ (Seite 149)


    Falls jemand romantische Vorstellungen von der Arbeit als mobile Pferdetierärztin haben sollte: Nachdem man dieses Buch gelesen hat, ist ein für alle Mal Schluss damit!


    Als Notfall-Pferdeärztin unterwegs


    Die pragmatische österreichische Tierärztin Helga Meier hat ihren Job noch nie romantisiert. Sie wollte ihn zunächst nicht mal haben! Ihr Plan war es, nach dem Studium der Veterinärmedizin in einer Pferdeklinik zu arbeiten und mit ihrem Freund, dem Musiker Tobias Kausel, zusammenzuleben. Aber wie das mit Plänen manchmal ist: Sie gehen sich nicht aus. Helga (zu der Zeit Mitte 20) landet als mobile Notfall-Tierärztin in der auf Pferde spezialisierten Praxis von Herbert Pflaum – in Bayern. Tobias bleibt beruflich bedingt in Österreich. Eine Fernbeziehung war jetzt nicht das, wovon das junge Paar geträumt hat. Aber gut …


    Helgas Wohnsituation ist bescheiden, die Arbeitszeiten sind krass: viel Bereitschaftsdienst und Einsätze rund um die Uhr. Und weil man ein erkranktes Pferd nicht mal eben zum Tierarzt bringt wie einen Hund, eine Katze oder ein Meerschweinchen, fahren Herberts Tierärzt:innen bei Wind und Wetter mit ihrer Ausrüstung im Auto durch die Gegend. Schwierig, wenn man sich in der Region nicht auskennt und auf diffuse Wegbeschreibungen angewiesen ist. Das Navi ist oft auch keine Hilfe.


    Jeder Arbeitstag ein Abenteuer


    Wenn man schließlich vor Ort ist, ist man auf sich allein gestellt. Das macht die berufsunerfahrene Helga zunächst mächtig nervös. Und was bei ihren Einsätzen alles passieren kann!


    Manchmal sind nicht die tierischen Patienten das Problem, sondern deren Besitzer. Doch die energische junge Medizinerin weiß, wie man sich Respekt verschafft. Da erlebt manch ein zickiger Zwei- oder Vierbeiner eine ordentliche Überraschung!


    Mit dem Ruf der „ungehobelten Tante aus Österreich“ kann Helga sehr gut leben. Was die Leute von ihr halten, ist ihr nicht so wichtig, Hauptsache, den Tieren geht es gut.


    Nicht immer appetitlich …


    Helga ist auch körperlich hart im Nehmen. 10 Jahre Handball (Bundesliga!) haben sie abgehärtet. Und anders als viele Tierarzt-Kolleg:innen, die es in dem Job im Schnitt 18 Monate aushalten, ist sie jetzt schon seit einigen Jahren dabei und kann uns deshalb die verrücktesten und berührendsten Geschichten erzählen. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Manches, was eine Pferdeärztin tun muss, ist nicht sehr appetitlich.


    Die Autorin beschönigt nichts


    Das beschönigt die Autorin ebenso wenig wie ihre gelegentliche Unsicherheit, ihre Zweifel und Unzulänglichkeiten: Ja, sie hat noch nicht die jahrzehntelange Berufserfahrung ihres Chefs (wie auch?). Okay, sie hat auch nicht immer alles so im Griff, wie es wünschenswert wäre. Würde sonst einer ihrer Hunde, die sie zu ihren Terminen begleiten, auf einem Hof ein Huhn reißen? Oder regelmäßig den Nachbarskatzen das Futter wegfressen? Und sie sollte den Menschen gegenüber wohl auch etwas diplomatischer sein. Aber dafür ist sie einfach zu impulsiv. Die Leut‘ können schon froh sein, dass sie nicht auch noch hören, was Helga denkt! Uns Leser:innen verrät sie es. 😉


    Wie gesagt: Das Leben als mobile Pferdetierärztin ist kein Ponyhof. Es gibt viele wunderbare Augenblicke, wenn sie Tieren helfen kann und Patient, Besitzer und sie selbst froh und erleichtert sind. Aber nicht alle Tiere kann sie retten. Und das geht ihr nahe.


    Der Stress fordert seinen Tribut


    Der ständige Stress fordert irgendwann seinen Tribut: Helga fühlt sich müde, ausgelaugt und unkonzentriert. Sie schleppt sich trotzdem zur Arbeit und beginnt Fehler zu machen. Und wie wir alle wissen: Im medizinischen Bereich kann das dramatisch enden!


    Endlich hat sie Urlaub. Und was macht sie da? Am Strand liegen und entspannen? Von wegen! In Tansania unentgeltlich Tiere behandeln! Dass sie da wertvolle Hilfe leistet und die Menschen unendlich dankbar sind, macht sie glücklich. Eine wirkliche Erholung ist das aber nicht …


    Ein tierisch interessanter Beruf


    Von Pferden verstehe ich nicht viel, ich verfüge lediglich über ein wenig angelesenes Wissen. Manche Begriffe wie z.B. „Nasenbremse“, „Schlundverstopfung“ oder „Nasenschlundsonde“ hatte ich noch nie zuvor gehört. Aber egal. Ich habe dieses Buch als eine der „Job-Geschichten“ gelesen, die ich so liebe. Ich finde die Einblicke in anderer Leute Berufsleben einfach tierisch interessant. Und: wieder eine Tätigkeit, bei der ich froh bin, dass sich andere darum reißen. Für mich wäre das nichts! Und ich finde es gut, dass die Autorin ihre Arbeit nicht romantisch verklärt.


    Sollte sich jemand in meinem Umfeld je mit dem Gedanken tragen, Pferdetierarzt/Pferdetierärztin werden zu wollen, würde ich ihm/ihr dieses Buch wärmstens ans Herz legen, damit gleich klar ist, was da auf einen zukommt. Man muss schon über eine besondere Zähigkeit verfügen, um diese Arbeit gut und vor allem gern zu machen.


    Sympathische Heldin, abwechslungsreiche Episoden


    Die raubeinig wirkende Heldin fand ich sympathisch, die geschilderten Episoden abwechslungsreich, unterhaltsam und obendrein informativ. Ich kann’s empfehlen. Nur allzu zart besaitet sollte man als Leser:in nicht sein.


    Die Autorin


    Helga Kausel, geb. Meier, Jahrgang 1989, ist eine österreichische Tierärztin und Influencerin (@travelling_vet und @_travelling_family). Nach vielen Jahren des Studiums und des Reisens hat sie 2015 ihren Job als mobile Tierärztin in Bayern angenommen Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in Niederösterreich.

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    Sarah Crouch: Middletide. Was die Gezeiten verbergen. Roman, OT: Middletide, aus dem amerikanischen Englisch von Lena Kraus, München 2025, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28474-5, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 379 Seiten, Format: 13,8 x 3,9 x 21,5 cm, Buch: EUR 24,00, Kindle: EUR 16,99, auch als Hörbuch erhältlich.


    „Das Gefängnis von Point Orchards war eigentlich nicht wirklich ein Gefängnis. Es war eher ein Anbau hinten an der Polizeiwache. […] Elijah drehte sich immer wieder von einer Seite auf die andere, während ihm die Frage nicht aus dem Kopf ging, die sich sicher sämtliche Insassen dieser Zelle stellten: Wie war er nur hier gelandet?“ (Seite 294/295)


    Das Blockhaus im Wald


    Orchards Point/Washington State 1973: Als Elijah Leith, 17, noch ein Kind war, war das Leben am Rande des Küstenstädtchens im Puget Sound für ihn in Ordnung. Seit er denken kann, hat er mit seinen Eltern in ihrem Blockhaus im Wald gewohnt. Die Mutter hat sich um Familie, Haushalt, den Gemüsegarten und die Hühner gekümmert, sein Vater, ein Automechaniker, ist mit ihm zum Jagen und Fischen gegangen. Doch inzwischen ist dem jungen Mann diese Welt zu eng geworden. Auch wenn er hier eine Freundin hat – Nakita Mills, die Tochter des Reverends aus dem Squalomah-Reservat —, zieht er nach San Francisco. Schriftsteller will er werden.


    Anfangs schreibt sich das Pärchen noch Briefe, doch irgendwann reißt der Kontakt ab. Vergessen können sie einander nie.


    Rückkehr nach 20 Jahren


    Rund 20 Jahre später: Nach dem Tod seiner Eltern kehrt Elijah Leith nach Orchards Point zurück. Als Autor ist er krachend gescheitert.


    Er jobbt also in der Autowerkstatt, in der schon sein Vater gearbeitet hat und bringt sein Zuhause auf Vordermann. Sein Leben ist fast so wie vor 20 Jahren, nur seine Jugendfreundin Nakita ist nicht mehr für ihn frei.


    Ein paar Mal geht er mit der attraktiven geschiedenen Ärztin Dr. Erin Landry aus, aber die Beziehung funktioniert nicht und er trennt sich von ihr. Das nimmt sie gar nicht gut auf, wie bald die ganze Stadt weiß. Und als Erin im Januar 1994 tot auf Elijahs Grundstück gefunden wird, steht für die Leute fest, dass er sie umgebracht hat. Zumal die Tat genau so begangen wurde, wie er es in seinem Roman beschrieben hat.


    Wer will Elijah den Mord anhängen?


    Wäre es nicht total bescheuert von ihm, so vorzugehen? Da versucht doch jemand, ihm die Tat anzuhängen! Aber wer? Und warum?


    Die einzigen, die zu ihm halten, sind Jugendfreundin Nakita und ihr Vater, der Reverend. Die setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um herauszufinden, wer die Ärztin wirklich auf dem Gewissen hat und warum ausgerechnet Elijah dafür büßen soll. Eliah selbst kann nicht viel unternehmen. Er sitzt entweder in Untersuchungshaft oder mit einer elektronischen Fußfessel auf seinem Grundstück fest. Er kann nur in seinen Erinnerungen kramen – und in seinen Unterlagen.


    Ein ungeheuerlicher Verdacht


    Ein altes Foto bringt ihn auf einen ungeheuerlichen Verdacht.


    Elijah, der Held in diesem Mix aus Krimi und Liebesgeschichte, ist kein Supermann. Er hat Fehler und er macht Fehler. Als Leser:in hofft und bangt man mit ihm. Er steckt ja auch in einer völlig absurden Situation!


    Ich bin sonst kein Freund stark konstruierter Kriminalfälle. Hier mache ich eine Ausnahme, weil genau das der Punkt ist: Werden die Geschworenen und „die Leute“ an einen raffinierten, komplexen Masterplan glauben, wenn es für alles auch eine ganz einfache Erklärung gibt? Und gibt es das perfekte Verbrechen? – Hoffentlich nicht!


    Zeitsprünge und spannende Unterhaltung


    Man muss schon gut aufpassen, weil die Geschichte von 1973 bis 1994 kreuz und quer durch die Jahre springt, sonst kommt man leicht durcheinander: Moment …! Was ist bereits passiert und was noch nicht? Wo steht der Held gerade beruflich, persönlich und beziehungstechnisch? Das ist, vor allem gegen Schluss, ein bisschen anstrengend, aber es bringt uns der Wahrheit schrittweise näher.


    Der Roman dient der Unterhaltung, das ist jetzt nichts besonders Tiefsinniges. Aber ich fand die Geschichte spannend und clever konstruiert. Man mag beizeiten ahnen, wer dem verkrachten Schriftsteller einen Mord anhängen will, aber es bleibt immer noch die Frage nach dem Motiv. Und ob und wie er vor Gericht aus der Nummer wieder rauskommt, das muss sich auch erst weisen.


    Aufgrund der Anmerkung der Autorin hatte ich gehofft, dass man vom Leben des indigenen Stammes der Squalomah ein bisschen mehr mitkriegt. Das spielt hier aber nur eine Nebenrolle. Aber gut …!


    Die Autorin


    Sarah Crouch ist vor allem für ihre Leistungen im Bereich der Leichtathletik als Profi-Marathonläuferin bekannt. Die Autorin ist im Pazifischen Nordwesten der USA aufgewachsen und lebt momentan mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern im Süden. ›Middletide – Was die Gezeiten verbergen‹ ist ihr Debütroman.


    Die Übersetzerin


    Lena Kraus schreibt auf Englisch und übersetzt aus dem Englischen und Norwegischen ins Deutsche. Nach ihrem Studium in Anglistik und Skandinavistik in Freiburg ist sie nun Doktorandin in kreativem Schreiben an der Universität von Edinburgh und arbeitet an ihrem ersten Roman. Sitzt sie nicht am Schreibtisch, ist sie oft in ihrem Kajak auf der Nordsee vor der Küste Schottlands zu finden. Sie lebt in Deutschland und Schottland.

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    Maximilian Doeckel, Jonathan Focke: «Aber meiner Tante hat’s geholfen». Wie wir Scheinargumente, unwissenschaftlichen Unsinn und Pseudoexperten entlarven, Hamburg 2025, Rowohlt Verlag, ISBN 978-3-49-901538-0, Klappenbroschur, 285 Seiten mit diversen s/w-Grafiken, Format: 13,3 x 2,19 x 21 cm, Buch: EUR 18,00, Kindle: EUR 14,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Populismus und Wissenschaftsleugnung werden wohl nie ganz verschwinden. Umso wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die die Tricks der Scharlatane kennen und unwissenschaftlichem Unfug entschieden entgegentreten.“ (Seite 258)


    Mumpitz? Nein, danke!


    Es ist eines meiner Lieblingsthemen: Wie Leute versuchen, uns in ihrem Interesse ein X für ein U vorzumachen und wie wir sie dabei ertappen können. Die „Quarks Science Cops“ – wieder zwei Podcaster, die ich nicht kannte – helfen uns da kompetent und unterhaltsam auf die Sprünge. Und das ist gut so, denn je mehr Leserinnen und Leser wissen, wie unseriöse Zeitgenossen vorgehen, um uns ihre Bullsh*t-Produkte oder -Ideen zu verkaufen, desto geringer ist die Gefahr, dass die damit durchkommen.


    Kapitel 1: Die Fehler der menschlichen Wahrnehmung


    Wir sollten nicht alles glauben, was wir denken! Wir haben ein schnell funktionierendes, intuitives Denksystem („Gefahr! Weg hier!“) und ein willentliches System fürs bewusste Nachdenken über komplexe Sachverhalte. Das ist etwas langsamer und anstrengender. Beide Systeme haben ihre Berechtigung.


    Wir erfahren, wie der Placebo-Effekt wirkt, was ein Bestätigungsfehler ist und wir lernen, was es mit der anekdotischen Evidenz auf sich hat: Unser Gehirn liebt Geschichten. Die sind leichter zu erfassen als Zahlen und Fakten. Kommt also eine Story gefällig und halbwegs plausibel daher und passt sie in unser Weltbild, neigen wir dazu, sie zu glauben. Und das kann uns in die Irre führen!


    Kapitel 2: Warum Wissenschaft so wichtig ist und wie sie funktioniert


    Zugegeben; dieses Kapitel ist ein bisschen dröge. Aber ganz ohne Grundlagen geht es eben nicht. Hier sehen wir, wie weit uns die Wissenschaft gebracht hat, wie sie entstanden ist und wie man wissenschaftlich denkt. Weil aber auch Wissenschaftler nur Menschen sind, zeigen uns die Autoren auch, was da manchmal schiefläuft.


    Kapitel 3: Sciencewashing für Einsteiger


    Jetzt kommen die fiesen Tricks! Zum Beispiel sinnfreier, aber wichtig klingender Mumpitz in der Werbung. Es hört sich nach „wissenschaftlich bewiesen“ an, ist aber Quatsch statt Quantenmechanik. Besonders gut wirkt dieser Unfug, wenn er in Werbespots von angeblichen Expert:innen präsentiert wird: Vom Schauspieler im weißen Doktorkittel, z.B., oder von Wissenschaftler:innen, die zwar welche sind, aber auf einem ganz anderen Gebiet. Wenn also die Linguistin im Labor herumfuhrwerkt, uns etwas vom Mikrobiom erzählt, um uns damit ihr Heilmittel zu verkaufen.


    Nicht einmal auf zitierte Institute, Akademien und Gesellschaften ist unbedingt Verlass. Das klingt zwar seriös und offiziell, muss es aber nicht sein. Die Begriffe sind nicht geschützt.


    Kapitel 4: Sciencewashing für Fortgeschrittene


    Wenn mit Studien geworben wird, muss man sich zuerst einmal fragen, ob es die tatsächlich gibt. Das kann man herausfinden. Wer aber weder Wissenschaftler noch Wissenschaftsjournalist ist, wird in der Regel nicht wissen, wie er das prüfen kann. Sowas erfährt man hier.


    Existieren die Studien, sind die nächsten Fragen: Wer hat sie durchgeführt? Wer hat sie bezahlt? Wurden sie korrekt ausgeführt, geprüft und in seriösen Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht? Wurde mit Auslassungen und/oder statistischen Tricks gearbeitet? Und haben die genannten Studien überhaupt was mit dem beworbenen Produkt und dessen angeblicher Wirkung zu tun oder befassen sie sich mit ganz anderen Themen?


    Wie da teilweise getrickst und geschummelt wird, macht einen fassungslos. K*ckdreist! Und das wenigste davon könnte ein Laie herausfinden.


    Kapitel 5: Wie man sich vor wissenschaftlichen Belegen drückt


    Hier geht es um Totschlagargumente wie zum Beispiel:

    • „… aber das machen Menschen doch seit Jahrhunderten so!“ Was die Sache nicht automatisch sinnvoller oder richtiger macht.
    • „… aber es ist doch als Arzneimittel zugelassen!“ – Man reibt sich verwundert die Augen, wenn man hier liest, wie das in Deutschland mit der Arzneimittelzulassung in manchen Bereichen funktioniert.
    • „… aber in der Wissenschaft gibt es auch Mindermeinungen!“ – Ja, doch nur wenige konnten sich als bahnbrechende neue Erkenntnis durchsetzen. Sie mussten wissenschaftlich belegbar sein. Reine Behauptungen bringen nichts.


    Es existieren noch mehr dieser Pseudoargumente, die wir alle kennen. („Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …“). Wie man sie entkräften kann, steht im Buch.


    Kapitel 6: Die Macht des Zweifels


    Nicht nur Verkäufer dubioser Produkte bedienen sich dieser Techniken. Populisten auch. Und sie verstehen es, Zweifel zu säen,

    Und, zack, haben die gewonnen, in deren Interesse es ist, dass alles beim Alten bleibt.


    „Zucker, Tabak, Klima – unabhängig von der Branche oder vom Themengebiet sind Großkonzerne, Parteien und andere mächtige Interessensgruppen mit ihren Strategien der wissenschaftlichen Desinformation immer wieder erfolgreich. (Seite 237)


    Kapitel 7: Was jetzt passieren muss


    Man kann natürlich individuell gegen unwissenschaftliche Aussagen anargumentieren, aber eigentlich müsste viel mehr geschehen als das. Die Tricks der Scharlatane zu kennen, ist erst der Anfang. Es wäre z.B. sinnvoll, generell das Wissenschaftsverständnis zu fördern und strengere Regeln für unbelegte Werbeversprechen zu implementieren. Die Autoren haben noch mehr kluge und einleuchtende Vorschläge. Es müsste sie nur jemand umsetzen.


    Die Beispiele in dem Buch sind amüsant bis schockierend. Auch, wenn man von manchen Methoden vielleicht schon gehört hat: Es ist interessant und aufschlussreich, vor Augen geführt zu bekommen, wie wir manipuliert werden sollen. Unterhaltsam ist das ganze auch. Podcaster können gut Geschichten erzählen! Die Fußnoten haben die Funktion witziger Zwischenrufe, was zwar manchmal den Lesefluss hemmt, aber zum Amüsement beiträgt. Ich kann die Lektüre empfehlen.


    Die Autoren


    Maximilian Doeckel ist Wissenschaftsjournalist und arbeitete als freier Journalist für verschiedene Sendungen des WDRs, vor allem für Wissenschafts- und Unterhaltungsformate. Inzwischen ist er festangestellter Redakteur in der Quarks-Redaktion. Zusammen mit Jonathan Focke ist er einer von zwei Science Cops.


    Jonathan Focke hat Wissenschaftsjournalismus mit dem Schwerpunkt Physik an der TU Dortmund studiert und als Redakteur für die Sendung „Quarks & Co“ und die Wissenschaftsredaktion im Hörfunk gearbeitet. Seit 2016 ist er Redakteur im Digitalteam von Quarks und inzwischen Produktverantwortlicher der digitalen Marke. Zusammen mit Maximilian Doeckel ist er einer von zwei Science Cops.