Halldór Laxness - Atomstation

Es gibt 48 Antworten in diesem Thema, welches 16.225 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Bettina.

  • Zitat von "Manjula"

    Leider kenne ich mich in der nordischen Sagenwelt nun gar nicht aus :sauer: deshalb finde ich Deine Erklärungen dazu sehr interessant.


    Dasselbe gilt für mich - also nur her mit Deinem Wissen, Saltanah :smile:
    Ich habe mich beim Lesen ertappt, wie ich mit der Islandkarte in der Hand überlegt habe, wo Ugla herkommen könnte. Die Region lässt sich schon grob eindämmen (weil sie mal Saudarkrokur erwähnt), aber genaue Angaben lässt dieses Buch genauso wenig zu wie die Sagas.
    Wobei: In Island gibt es häufig nur kleine Ansammlungen von Höfen oder Einzelhöfe - mit Ortsnamen tut man sich da dann ohnehin schwer und es sind nie alle Höfe auf einer Karte drauf - immer mal einer, damit man weiss, dass man noch auf der richtigen Straße ist *gg*
    Ich stelle in den Tread mal ein Bild von einem Straßenschild, dann wisst Ihr, was ich meine...


    Manjula: Danke für die Nachfrage :blume:
    Nach dem Start am Freitag ist heute endlich der erste gute Tag. Dank Antibiotikum. Ich hatte kaum Lust zum Lesen und habe mich ständig nur von irgendwas auf dem Bett ausgeruht. Weiß der Geier, was die Marokkaner da serviert haben :breitgrins:

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  • Hallo,


    ich melde mich auch nochmal,
    obwohl ich das Buch ja schon ausgelsen habe, habe ich eure Kommentare noch mit großen Interesse weiterverfolgt!
    War echt gut für mich! Denn alleine wäre ich mit so einem Buch vollkommen überfordert gewesen. Und duch die Leserunde bin ich doch auf vieles aufmerksam geworden.
    Ihr seid ja richtige Islandexperten!


    Also, die Leserunde hat mir großen Spaß gemacht, auch wenn ich mehr gute Beiträge gelesen als geschrieben habe...


    Grüße
    Jule

    Gern lesen heißt, die einem im Leben zugeteilten Stunden der Langeweile gegen solche des Entzückens einzutauschen.  Montesquieu

  • Ich habe das Buch endlich fertig (scusi, aber als Kranke hatte ich partout keine Lust und jetzt musste es fertig werden, bevor ich in Vor-Messe-Arbeit ersaufe).


    Die letzten Seiten haben mich noch einmal vor große Rätsel gestellt. Hinter das Geheimnis der beiden Götter bin ich das ganze Buch über nicht gekommen. Wer sind die, was ist an denen so Besonderes?


    Überraschend fand ich, dass Ugla sich am Ende doch für den Vater ihrer Kinder entscheidet. Ist das einfach eine logische Entscheidung, weil er der Vater von Gudrun ist oder hofft sie, dass er aufgrund des Gefängnis-Aufenthalts eine Lehre kassiert hat? Immerhin, ZUVOR als Geschäftsmann hat sie ihn ja abgewimmelt.


    Und was das mit der Beerdigung Oli Figurs sollte? Da hat zuvor ja schon jemand hier im Thread dumm geschaut. Hat Laxness dem eigentlichen Lieblingssohn aus schriftstellerischer Freiheit heraus einfach nur einen anderen Namen gegeben - ich habe keinen Hinweis bisher gefunden, ob der Name irgendeine Doppelbedeutung haben könnte.
    Oder habe ich im Buch verpasst, wer Oli Figur ist?

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  • Zitat von "Saltanah"

    Ich sehe das eher analog zum "Helden" der isländischen Sagas. Die Hauptpersonen haben mit dem typischen Hollywoodhelden zwar dessen außergewöhnliche Stärke und andere überragende Fertigkeiten gemeinsam, weisen aber auch entscheidende Unterschiede auf: Sie sind nicht unbedingt "gut", können morden, stehlen etc, und berechtigterweise dafür aus der Gesellschaft ausgestoßen werden - aber sie geben nie nach oder gar auf, und am Ende einer jeden Saga steht der Tod des Helden.


    Da kommt am Ende des Buchs ja auch noch eine Schlussfolgerung des Organisten im Zusammenhang mit den Nazis: Nach der Definition, dass sich der Held nicht über die Sache, sondern über seinen Ehrgeiz definiert, hätten sowohl Alliierte als auch Nazis Helden in ihren Reihen gehabt.


    Wenn man die isländische Heldendefinition akzeptiert, macht der Organist eigentlich nur eine logische Übertragung von den Sagas auf andere Länder. Politisch korrekt ist das nach unseren Maßstäben nicht und wird es in fünfzig Jahren vermutlich auch nicht sein. Aber so ist das ganze Buch: Es stellt eine ganze Menge Maßstäbe auf den Prüfstand und sorgt für widersprüchliche Grübeleien und intensives Nachdenken.


    Die Schlussfolgerung hat sicher nicht nur bei Erscheinen des Werks für Zündstoff gesorgt, sondern tut es zu 100% auch noch heute. Manjula hatte an anderer Stelle ja auch auf Begriffe hingewiesen, die bei den ersten Übersetzungen vermieden worden sind.


    Insgesamt macht mich das Werk nachdenklich, weil ich inzwischen glaube, die Atomstation bzw. die Verhandlungen darüber mit den Amerikanern, waren für Laxness nur eine Initialzündung für ein Werk, in dem er insgesamt aktuelle Sichtweisen und Umgangsformen hinterfragen wollte. Die Verhandlungen ziehen sich zwar wie ein roter Faden durch das Buch, aber drumherum bauen sich eigentlich die Fragen auf, die das tägliche Leben und den Umgang miteinander viel direkter betreffen. Die Politik ist lediglich ein Spiegelbild der Gesellschaft.


    Sein Credo (zumindest das, was ich sehe): Die Wahrhaftigkeit der Landbewohner und ihr pragmatischer Umgang mit der Umwelt und anderen Menschen ist verloren gegangen und in der Stadt durch Taktieren und Fallstricke ersetzt worden.
    Auf dem Land würde so etwas nie funktionieren, weil man sich und andere dadurch in Gefahr bringen und isolieren würde. Und die aufrichtige Gesellschaft ist stärker und besser überlebensfähig.


    Welchen Eindruck habt Ihr?

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  • Zitat von "Bettina"

    Da kommt am Ende des Buchs ja auch noch eine Schlussfolgerung des Organisten im Zusammenhang mit den Nazis: Nach der Definition, dass sich der Held nicht über die Sache, sondern über seinen Ehrgeiz definiert, hätten sowohl Alliierte als auch Nazis Helden in ihren Reihen gehabt.


    Die herkömmliche Auffassung von Heldentum ist ja eigentlich sehr subjektiv. Wer ein Held ist, entscheidet immer der eigene Standpunkt. Für viele Amis sind die Besatzungen der Atombombenflugzeuge immer noch Helden, die Japaner sehen das sicherlich anders - um mal ein extremes Beispiel zu nennen. Laxness hingegen "objektiviert" die Definition, und gerade das ist so verblüffend und zum Nachdenken anregend.



    Zitat von "Bettina"

    Insgesamt macht mich das Werk nachdenklich, weil ich inzwischen glaube, die Atomstation bzw. die Verhandlungen darüber mit den Amerikanern, waren für Laxness nur eine Initialzündung für ein Werk, in dem er insgesamt aktuelle Sichtweisen und Umgangsformen hinterfragen wollte. Die Verhandlungen ziehen sich zwar wie ein roter Faden durch das Buch, aber drumherum bauen sich eigentlich die Fragen auf, die das tägliche Leben und den Umgang miteinander viel direkter betreffen. Die Politik ist lediglich ein Spiegelbild der Gesellschaft.


    Auch mich überraschte, wie nebensächlich der Verkauf des Landes im Buch war. Der Inhaltsangabe zufolge hatte ich diese Frage mehr im Zentrum des Buches erwartet.
    Was mich auf die Frage brachte, wie viel Einfluss die Existenz oder Nichtexistenz einer solchen Atomstation eigentlich auf das Leben der Isländer hat. Und da lautet meine Antwort überraschenderweise: sehr wenig. Das Leben geht in den alten Bahnen weiter. Wichtiger für das tägliche Leben ist die Existenz einer Kinderkrippe. Indirekt hat die Atomstation vielleicht größere Bedeutung, z. B. für das Nationalgefühl, den Stolz der Isländer darauf, endlich in einem eigenen, unabhängigen Staat zu leben. Aber ich habe mit dem Konzept des Nationalstolzes eh' meine Probleme, was sicherlich mit der deutschen Geschichte zusammenhängt. Von daher kann es gut sein, dass ich die Bedeutung des Landesverkaufs stark unterschätze.


    Zitat von "Bettina"

    Sein Credo (zumindest das, was ich sehe): Die Wahrhaftigkeit der Landbewohner und ihr pragmatischer Umgang mit der Umwelt und anderen Menschen ist verloren gegangen und in der Stadt durch Taktieren und Fallstricke ersetzt worden.
    Auf dem Land würde so etwas nie funktionieren, weil man sich und andere dadurch in Gefahr bringen und isolieren würde. Und die aufrichtige Gesellschaft ist stärker und besser überlebensfähig.


    Das halte ich für eine gute Zusammenfassung des Buches.
    Was den Wahrheitsgehalt der Aussage angeht, bin ich allerdings sehr skeptisch. Ich werde immer misstrauisch, wenn bei dem Vergleich Land-Stadt erzählt wird, das Landleben wäre so viel "echter" und "wahrer", weniger verlogen. Das geht mir zu sehr in die Richtung von "früher war alles viel besser".
    Wenn ich mir anhöre, was mein Bruder über den Ortsbeirat meines Heimatkaffs und die Stadtverordneten und Bürgermeister der nahegelegenen Kleinstadt erzählt, kann ich keinen Unterschied zu dem sehen, was so über die großen Politiker auf Bundesebene ab und an ans Licht kommt. (Außer dem vielleicht, dass das Geküngel auf unterer Ebene leichter durchschaubar ist, da man die Leute kennt, und leichter an Informationen kommt.) Mensch ist Mensch, egal ob auf dem Land oder in der Stadt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Zitat von "Saltanah"

    Die herkömmliche Auffassung von Heldentum ist ja eigentlich sehr subjektiv.


    Das ist sie in der Tat. Ich kann mich mit der Schlussfolgerung des Organisten z.B. nicht so recht anfreuden, weil in meinen Augen Helden Gutes tun - da bin ich einfach das Kind der hiesigen Gesellschaft.


    Verurteilen tue ich die Meinung des Organisten allerdings nicht - da ich von Dir weiß, wie Island Helden definiert, denkt der Organist einfach nur konsequent diese traditionelle Haltung zu Ende. Das ist eigentlich die Kernsubstanz von Geisteshaltungen: Das, was man glaubt, muss man konsequent leben oder denken.
    Wer die Haltung der Isländer zum Heldentum nicht kennt, hat da verständlicherweise seine Probleme; möglicherweise war das bei der Neuerscheinung auch eines der Probleme.


    Zitat von "Saltanah"


    Was den Wahrheitsgehalt der Aussage angeht, bin ich allerdings sehr skeptisch. Ich werde immer misstrauisch, wenn bei dem Vergleich Land-Stadt erzählt wird, das Landleben wäre so viel "echter" und "wahrer", weniger verlogen. Das geht mir zu sehr in die Richtung von "früher war alles viel besser".


    Ein Freund der Stadt-Land-Separierung bin ich auch nicht unbedingt, wenn ich als Stadtpflanze da auch so meine verschiedenen Klischee-Bilder vom Land habe. Bei Laxness glaube ich aber nicht, dass man das mit der hiesigen oder heutigen Situation vergleichen kann.


    "Land" hier ist ein anderes "Land" als in Island. Wenn Du wirklich nur drei Höfe um die Ecke hast, manchmal in Rufweite, manchmal Sichtweite, manchmal noch weiter weg, dann kannst Du fast nicht klüngeln (denke ich zumindest). Wenn dann mal ein Problem auftritt und der andere ist gestern dummerweise anderer Meinung gewesen, hilft alles nichts - man muss zusammen anpacken. Alles andere kann bei den extremen Klimabedingungen, der Einsamkeit oder ungewöhnlichen Lichtverhältnissen schon gefährlich werden.


    Ich habe bei einem Museumsbesuch gelesen, dass die Menschen auf Höfen in sehr engen Verhältnissen und daher nach strengen Regeln gelebt haben, die das Zusammenleben organisiert haben. Ein Beispiel: Wenn ein Mann etwas unter seinem Kopfkissen versteckte, dann hatte das Kopfkissen die Funktion eines Tresors. Keiner wäre auf die Idee gekommen, unter das Kissen zu linsen.
    Auf diese Weise bleibt ein Vertrauensverhältnis und der Respekt zwischen den Bewohnern bestehen. Ohne solche und ähnliche Regeln hätte das nie funtioniert.
    Daher denke ich, dass Laxness mit der Aufrichtigkeit der Landbevölkerung eine besondere Geisteshaltung beschreibt; bedingt durch die Lebensumstände und sehr spezifisch für Island.

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  • Zitat von "Manjula"

    Religion und Glauben: richtig religiös lässt Laxness ja keinen sein. Die Köchin wird eher als Exotin hingestellt und Uglas Vater und seine Nachbarn bauen zwar eine Kirche, sind aber doch mitsamt ihrem Pfarrer eher einer Art Natur- und Sagenreligion zuzurechnen. ... Nachdenkenswert die Ausführungen des Pfarrers darüber, dass das Christentum dazu da sei, das "Blendwerk der Schöpfung" zu verdecken. Heißt das nicht, dass die Religion eigentlich Gott (als Schöpfer) verdecken will und sich mehr oder weniger verselbständigt? Oder wie habt Ihr diese Stelle verstanden?


    Da bin ich Dir noch eine Antwort schuldig. Aber: So ganz klar ist mir die Bemerkung auch nicht. "Blendwerk" bedeutet doch eigentlich etwas ähnliches wie Tand oder Schmuckwerk - also Blendwerk ist eigentlich nicht der wahre Kern der Sache, sondern versteckt ihn.
    Soll Christentum also helfen, den wahren Kern in der Schöpfung zu finden? Das ist zwar eine ungeheuer tiefe Aussage, aber wie passt die in das Buch?


    Religion funktioniert irgendwie nach dem Motto Was nicht passt, wird passend gemacht. Irgendein Bild, das vom Christentum gezeichnet wird, passt nicht, also vergisst man es und erklärt sich ein Phänomen anders. Passt das Christentum, z.B. bei der Taufe als rituelle Aufnahme in eine Gemeinschaft, dann wird das gerne zelebriert.
    So weit ist dieses Bild gar nicht von unserem heutigen Umgang mit Religon weg, oder?


    Die Köchin nimmt Religion als einzige sehr ernst, sucht ständig den Dialog mit Gott und will es mit Taten Recht machen.

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  • oohh :redface:


    Ich war ja eigentlich auch bei dieser Leserunde angemeldet. Tut mir leid aber ich habe das total vergessen.

  • Zitat von "Manjula"

    Religion und Glauben: richtig religiös lässt Laxness ja keinen sein. Die Köchin wird eher als Exotin hingestellt und Uglas Vater und seine Nachbarn bauen zwar eine Kirche, sind aber doch mitsamt ihrem Pfarrer eher einer Art Natur- und Sagenreligion zuzurechnen. ... Nachdenkenswert die Ausführungen des Pfarrers darüber, dass das Christentum dazu da sei, das "Blendwerk der Schöpfung" zu verdecken. Heißt das nicht, dass die Religion eigentlich Gott (als Schöpfer) verdecken will und sich mehr oder weniger verselbständigt? Oder wie habt Ihr diese Stelle verstanden?


    Mir ist noch eine andere Deutung eingefallen: Ist die Schöpfung selbst das Blendwerk? Das würde zumindest zu einer Haltung passen, in der Religion - aus welchen Gründen auch immer - keine Platz hat.
    Aber schlüssig bin ich mir immer noch nicht, musste dieses Gedankenblitz aber mal loswerden.


    @MOMO: Ich hatte Dich zwischendurch schon vermisst :zwinker:

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