Ich habe das Buch nun auch beendet - wie gut, dass ich es noch mal gelesen habe! Ein großartiges Stück Literatur, finde ich. Nicht leicht zu lesen, da es sehr viel Arbeit der Leserin verlangt, viel Zwischen-den-Zeilen-lesen, viel aus Andeutungen zusammenreimen. Beim ersten Lesen vor Jahrzehnten habe ich das nicht in ausreichendem Maße geschafft - oder ich hatte einfach die falschen Erwartungen. Es könnte sein, dass es mir damals nicht nah genug an Jane Eyre dran war und glaube, dass es gut war, dass ich Jane Eyre nicht kürzlich wieder gelesen habe. So hatte das Buch eher die Chance, für sich selbst zu stehen.
Das Gefühlschaos zwischen ihr und Rochester im zweiten Teil hingegen fand ich ganz furchtbar, dieser sich immer mehr aufschaukelnde Hass und schwer nachvollziehbare Handlungen und Gefühle. Da habe ich immer wieder den Faden verloren, weil ich das alles so unverständlich fand.
Ich konnte das recht gut nachvollziehen, interessanterweise besonders Rochesters Seite. Der ist eigentlich eine arme Socke, der überzählige Sohn, der in die Karibik abgeschoben, "verkauft" wird, wo er - von all der Fremdheit um ihn herum total überfordert - völlig den Boden unter den Füßen verliert. Bei dem Versuch, wieder einen festen Stand, den ihm als Engländer und Mann selbstverständlich zustehenden, zu bekommen, bleibt leider die einzige schwächere Person auf der Strecke. Sie macht er kaputt, um sich selbst wieder aufzubauen. Machtlos, hilflos war er, aber das ändert er, indem er Macht über Antoinette gewinnt.
Und warum nennt Rochester sie dauernd Bertha?
Antoinette gibt die Antwort (S. 121/155): "You are trying to make me into someone else, calling me by another name. I know, that's obeah too." Rochester möchte sie, noch bevor die Situation zwischen den beiden völlig eskaliert, zu einer besser zu ihm passenden Frau machen. Keine ausländische, fremde Antoinette, sondern eine einheimische Bertha.