Wilhelm Genazino - Tarzan am Main

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  • Wilhelm Genazino - Tarzan am Main. Sparziergänge in der Mitte Deutschlands. Hanser Verlag, 138 Seiten.


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    Kurzbeschreibung (Amazon)
    Wer Deutschland sehen will, fährt nach Berlin oder München, auch an den Rhein. Aber liegt das wirkliche Deutschland nicht ganz woanders? Dort, wo man keine Stadtrundfahrten macht? Vielleicht sogar in einer Fußgängerunterführung in Frankfurt am Main? Wilhelm Genazino hat sich auf den Weg gemacht, die unansehnliche, aber wirkliche Mitte Deutschlands zu erkunden: Einkaufsstraßen und Vororte, Katzen in Schaufenstern, nächtlich knabbernde Mäuse in der U-Bahn und alkoholbedürftige Menschen an grauen Kiosken. Zugleich rekonstruiert er voller Witz den eigenen Weg durch Frankfurt - als stiller Beobachter einer gewöhnlichen Stadt, die exotischer ist als die Ferne, die inzwischen jeder kennt.


    Rezension
    Dieses Buch ist ein U-Bahn-Buch. Ja, ein U-Bahn-Buch. Es enthält auf 138 Seiten etwa 50 kurze Essays, Eindrücke und Gedanken eines umherwandernden Autors. Die meisten dieser Essays sind nur jeweils zwei Seiten lang. Der lockere Plauderton liest sich schnell, ideal für die Lektüre in der U-Bahn oder für anderweitige kurze Wartezeiten. Frankfurt ist sein Hauptthema, so geht Genazino einkaufen oder triftt auf dem Weg dorthin meist alkoholisierte Menschen. Nach der Lektüre gewinnt man den Eindruck, Frankfurt sei vor allem durch seine Alkoholiker gekennzeichnet. Genazino verzichtet auf die Schilderung lustiger Begegnungen, wie man sie vielleicht im Laufe von Jahren sammeln könnte. Nur selten überzeugt er mit sprachlich anspruchsvollen Bildern, ab und zu kommt sein Sprachwitz ans Licht. "Jeder Supermarkt von einiger Größe ist eine Art Fluchtraum. Ein Fluchtraum für Menschen, denen die Welt des heimischen Wohnzimmers, der Küche oder des Büros gerade zu nahe tritt." So bleibt Frankfurt auch nach der Lektüre genauso langweilig wie man es sich zuvor vorgestellt hat. Das Buch enthält am Rande auch ein paar Episoden, in denen der Autor etwas über sich preisgibt. Wie er an seinen ersten Verlag gekommen ist, oder er schildert den Besuch zweier Herren aus Marbach, die sich für seinen literarischen Vorlass interessieren (der inzwischen in Marbach lagert). Er sinniert darüber, ob er noch einen Roman schreiben solle und wann es Zeit ist, mit dem Schreiben aufzuhören. Diese Einblicke sind interessant für den Liebhaber dieses Autors. Zu einer Werkausgabe gehört dieses schmale Bändchen also unbedingt dazu. Und alle anderen können sich am lockeren Plauderton erfreuen. Sensationell ist das aus inhaltlicher und leider auch aus literarischer Sicht jedoch alles nicht.


    3ratten


    Gruß, Thomas


    P.S. Das Hörbuch wird immerhin 4 Euro günstiger angeboten. Nur signieren lassen kann man es sich nicht. Der 70jährige Genazino startet morgen mit seiner Lesereise in Frankfurt und besucht anschließend noch andere Städte.

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Ein Nachtrag: Gestern abend nun die erste Lesung im Frankfurter Literaturhaus. Ausverkauftes Haus. Genazino liest ausgewählte Stücke. Das Buch gewinnt in der Lesung deutlich. Das mag auch an der hervorragenden Einleitung durch den Gastgeber liegen. Er zeigt gekonnt auf, worin die "Kunst" von Genazinos Schreiben liegt. Mir wird klar, dass seine Beobachtungen zwar in Frankfurt gemacht wurden, aber genauso gut in gleich typischer Weise in Kassel, Hannover oder Bremen hätten spielen können. Vielleicht nicht in echten Großstädten wie München, Hamburg und Berlin.


    Am Abend mit dabei war der Lektor des Hanser-Verlages, der einige Anekdoten von Genazino zum Besten gab. So hat man im Kloster Andechs zu den Andechser Literaturtagen sich erstmals getroffen, um über einen Verlagswechsel von Rowohl zu Hanser zu sprechen. Damals waren nur 12-15 Leute bei Genazinos Lesung anwesend. Trotz einiger Berühmtheit aufgrund seiner Abschaffel-Romane. Warum kommen die Menschen zu seinen Lesungen? Genzino gibt darauf die Antwort, er sei einer von ihnen, ganz ähnlich wie das Publikum, er versteht den Menschen in seinem Alltagsleiden.


    Ein Höhepunkt seiner Lesung ist die kurze Schilderung der großen Schalterhallen der Deutschen Bundespost aus den 70/80er Jahren. Ich kenne sie noch aus Hannover. Treffender kann man das nicht beschreiben. Die Leichtigkeit der Sprache, die ohne akademischen Jargon auskommt, tut gut, fließt dahin, auch wenn mir so manche Kante darin fehlt.


    Mit drei Sternen etwas zu schlecht bewertet, setze ich das Buch einen Punkt höher.


    4ratten


    Gruß, Thomas

  • Ich glaube, der Genazino ist einfach ein netter Kerl, der sich nicht verstellt. Ich habe kürzlich im Tagesspiegel ein Interview mit ihm gelesen, in dem er sympathisch und authentisch rüberkommt und auch über sein neues Buch plaudert:
    Der Tagesspiegel 20.01.2013 - „Früher war ich ein Nachttiger“


    Eine schöne Buchkritik gab's zwei Tage später:
    Der Tagesspiegel 22.01.2013 - Das Stück Torte muss stehen



    Gestern abend nun die erste Lesung im Frankfurter Literaturhaus. Ausverkauftes Haus. Genazino liest ausgewählte Stücke. Das Buch gewinnt in der Lesung deutlich. Das mag auch an der hervorragenden Einleitung durch den Gastgeber liegen.


    Wer war denn der Gastgeber?



    Mit drei Sternen etwas zu schlecht bewertet, setze ich das Buch einen Punkt höher.


    :daumen: