Zoran Drvenkar - Der letzte Engel

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    Zoran Drvenkar - Der letzte Engel


    Stell dir vor, du wachst auf und bist tot!


    Genau das passiert dem 16-jährigen Markus, genannt Motte, genau so wurde es in der Mail angekündigt, die er kurz zuvor bekommen hat. Irgendwie ist Motte aber auch nicht richtig tot, immerhin kann er noch seinen besten Freund Lars anrufen, aber er atmet definitiv nicht mehr – dafür hat er Flügel auf dem Rücken! Was Motte nicht weiß, daß er als Engel mitten in eine uralte Geschichte rein geraten ist: plötzlich hat er Feinde und Freunde, die er bisher noch nie gesehen hat.


    Laut Autorenseite ist dieses Buch der Auftakt zu einer Dilogie und ohne bisher den zweiten Teil zu kennen, behaupte ich, daß man in jedem Fall dieses Buch zuerst lesen sollte, um die ganzen Zusammenhänge und Hintergründe zu kennen.


    Der Autor erzählt eine spannende Geschichte von Engel und Menschen, „der Familie“ und der Bruderschaft, mysteriöse Experimente, gnadenlose Rächer und Erlöser, die Gebrüder Grimm und russische Gräfinnen sowie einer uralten Prophezeiung.


    Wie man das bei Zoran Drvenkar kennt, springen die Zeitebenen munter hin und her, der Leser bekommt immer mehr Brocken hingeworfen, ohne sie wirklich einordnen zu können. Dann, wenn die Verwirrung am größten ist, führt der Autor die verschiedenen Handlungsstränge geschickt zusammen und gibt dem Leser Antworten auf seine zahlreichen Fragen.
    Der Zeitrahmen beläuft sich von 1816 bis in die Gegenwart – obwohl, das ist nicht ganz richtig, denn es spielt noch eine Schlacht zwischen Engel und Menschen eine Rolle, die vor ungefähr einer halben Million Jahren stattgefunden hat, so genau können sich die Beteiligten auch nicht mehr daran erinnern.


    Ebenfalls gewohnt, wechselt der Autor immer wieder die Erzählsperspektiven, oftmals wird der Leser miteinbezogen, in dem Drvenkar in die Du-Perspektive wechselt.


    Die Charaktere sind ebenfalls wieder sehr gelungen, es gibt kein einfaches Gut und Böse – und nach der Lektüre dieses ersten Bandes bin ich mir immer noch nicht sicher, wer auf welcher Seite steht und welche Ziele verfolgt. Ich habe den Verdacht, es steckt ein uralter Plan dahinter, nur habe ich keine Ahnung (und wahrscheinlich auch die Beteiligten), wer die Regeln tatsächlich bestimmt.
    Ebenfalls typisch für den Autor ist, daß nicht gerade wenige Figuren ihr Leben lassen – und nie ist vorher klar, wer überlebt und wer nicht.


    Ich fand es etwas schade, daß Motte schlussendlich relativ wenig Raum in dem Buch hat, aber ich denke, das wird sich im zweiten Teil grundlegend ändern; der erste Band lässt den Leser und Motte in die Vergangenheit eintauchen, um zu verstehen, warum er zum letzten Engel wurde.


    Einige Fragen werden beantwortet, aber es bleiben auch noch genügend Fragen offen, auf deren Beantwortung im zweiten Band ich sehr gespannt bin. Da das Buch mit einem fiesen Cliffhanger endet, bin ich froh, daß der zweite Teil in wenigen Tagen erscheinen wird.


    5ratten

    Liebe Grüße

    Karin

  • "Das Leben ist manchmal voller Zufälle, das Leben ist manchmal voller Absichten." (Seite 371)

    Kannst du dir das vorstellen? Du denkst an nichts Böses, und dann bekommst du eine E-Mail, in der steht, dass du am nächsten Tag tot bist. Du glaubst, einer erlaubt sich einen Scherz mit dir und lachst, als du dich am nächsten Morgen noch lebendig fühlst. Und doch musst du begreifen, oder zumindest es versuchen, dass MOTTE, der du bisher warst, tatsächlich tot im Bett liegt und nicht mehr atmet. Und dass dir auf deinem Rücken Flügel wachsen.

    Da vergeht dir echt das Lachen, und Verwirrung macht sich in dir breit. Denn deine Zukunft sieht nicht rosig aus: Du wirfst keinen Schatten, dein Herz schlägt nicht, und am nächsten Pinkelwettbewerb darfst du nicht teilnehmen, weil dir das Werkzeug fehlt. Da ist es ein schwacher Trost, dass dich dein bester Freund Lars sehen kann. Denn dein Vater kann es nicht.

    Jetzt bist du DER LETZTE ENGEL.

    Und es ist der Anfang von etwas Neuem.
    Oder das Ende?
    Oder das Mittendrin?
    Jedenfalls ist es ein Hin und Her.
    Eine Irrfahrt. Für dich. Für den Leser.
    Zwischen die Zeiten.
    Zwischen die Welten.
    Zwischen die Interessen.

    In ein Haus nach Irland, in dem acht Mädchen und ihre Gouvernanten gemeuchelt werden. Es gibt nur eine einzige Überlebende: MONA, die Erinnerungen der Person abrufen kann, die sie berührt. Und sich einen weiteren ENGEL damit an Land zieht: ESKO. Das ist der, der später die E-Mail schreibt. Aber das nur am Rande. Verantwortlich für das Massaker zeichnet LAZAR, ein Söldner, der aussieht wie Christopher Walken, ein schwer bis gar nicht zu durchschauender Typ.

    Der Leser lernt viele weitere Protagonisten kennen, unter anderem zwei Gräfinnen, die Brüder Grimm und den Zaren in Sankt Petersburg. In einem Moment ist es 1815, dann wieder heute, und erneut wandert der Leser in die Vergangenheit. Fliegende Wechsel allenthalben. Daneben abstruse Experimente, viele sterbende Jungen, die meisten davon tun dies nicht freiwillig, eine Bruderschaft, die (sogenannte) Familie, über deren Zweck und Ziele der Leser wenig Klarheit erhält. Gleichzeitig lässt sich die Frage nach Gut oder Böse nicht beantworten. Eine ständige Ungewissheit liegt über dem Geschehen.

    Die vielen unerwarteten Zeitsprünge und Positionswechsel und die Informationsdichte verlangen hohe Aufmerksamkeit vom Leser. Gekonnt werden nicht nur Zeitepochen und Schauplätze und Zeitformen, sondern auch das biblische ENGELsmotiv mit fantastischen Fäden verwoben. Denn Zoran Drvenkar greift die Thematik der Existenz von ENGELN auf eine besondere Weise auf. Seine ENGEL sind männlich, gleichwohl (im wahrsten Sinne des Wortes) geschlechtslos.

    So erscheint die Geschichte des letzten ENGELS zwar äußerst komplex und unübersichtlich. Trotzdem reizen die zügigen Wechsel den Leser zum Weiterlesen, bannen ihn ans Buch und lassen ihn hoffen, einen angefangenen Faden verfolgen zu können. Allerdings hält er oft ein loses Ende in der Hand, so dass sich der Sinn (noch) nicht begreifen lässt.

    Dadurch bleibt die Charakterisierung der Figuren manchmal etwas auf der Strecke, der Leser entwickelt zum Teil nur andeutungsweise Sympathie und Ablehnung.


    Mit MOTTE trifft der Leser auf einen Jungen einnehmenden Wesens, mit dem er sich identifizieren kann, weil er vielleicht ein wenig träge, aber trotzdem mit seiner Zuversicht versehen ist, dass er alles packen wird, was auf ihn zukommt. Ihm zur Seite steht Lars, sein bester Freund, nicht der Mutigste, der erst wegrennt, den aber danach sein Ego schüttelt und fragt, ob er denn vollkommen ohne Ehre und Würde wäre. Das ist er natürlich nicht. Und auch Rike muss erwähnt werden, das Mädchen, bei dem Motte von Liebe spricht, und die es wert ist.

    Äußerst geschickt positioniert der Autor historische Personen in der Geschichte und haucht diesen gleich den fiktiven Figuren Leben ein, spielt mit dem ihm dadurch gegebenen Möglichkeiten.

    Zoran Drvenkars Erzähltempo ist durchaus rasant und anspruchsvoll, dürfte den jugendlichen Leser jedoch nicht überfordern. Wer sich darauf einlässt, den erwartet ein mitreißendes Abenteuer, dessen offenes Ende und ungelösten Fragen zugegebenermaßen einerseits nicht befriedigt, andererseits jedoch zum Lesen der Fortsetzung verlockt.


    "Sucht den Schlüssel, der das Tor zu den Engeln öffnet. Und suchen müsst ihr, denn der Schlüssel ist verborgen im Kern des Lebens, verborgen tief in den Gebeinen. Denn wie das Wasser die Erde erweckt, werden es vier Engel sein, die uns erwecken." (Seite 212)


    4ratten

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen