"Ans Eingemachte" - eine Veranstaltungsreihe des Darmstädter Literaturhauses

  • Am gestrigen Abend gab es die Eröffnungsveranstaltung der Reihe "Ans Eingemachte" des Darmstädter Literaturhauses.


    Darin geht es um folgendes, Zitat:
    In unserer Veranstaltungsreihe in diesem Herbst wollen wir über den Kern der Dinge sprechen, an die schriftstellerische und damit literarische Substanz gehen. In offenen Gesprächen unterhalten sich Autoren über die Grundlage ihres Schreibens, über Literatur im Allgemeinen und ihren persönlichen Hintergrund – kurzum es geht: „Ans Eingemachte!“.


    Am ersten Abend trafen sich Alban Nicolai Herbst sowie Benjamin Stein. Leider fanden sich nur etwa 10 Personen am Abend ein. Was sich dann nämlich dort abspielte, gehörte wohl zu den spannendsten, intelligentesten und unterhaltsamsten Literaturgesprächen, die ich je erlebt habe.


    Beide Autoren schreiben unter Pseudonym. Alban N. Herbst, der 1955 geboren wurde, erst seit den frühen 80er Jahren. Er hatte sein erstes Manuskript zur Veröffentlichung fertig und wollte dies unter seinem echten Namen veröffentlichen. Man wies ihn darauf hin, dass er mit seinem Namen niemals einen deutschen Verlag finden würde. Kaum hatte er seinen Namen gewechselt, fand er einen Monat später einen Verlag und fortan konnte er sich diesen Namen auch als Künstlernamen in seinen Ausweis eintragen lassen. Sein bürgerlicher Name lautet Alexander von Ribbentrop und wer sich nur ein wenig in deutscher Geschichte auskennt, weiß, dass sein Großvater Außenminister im Dritten Reich war. Bei Stein liegt der Fall anders. Sein Geburtsname ist auch Wikipedia nicht bekannt. Er veröffentlichte erste Texte mit bereits 12 Jahren, die ihm mit 17 jedoch so peinlich waren, dass er seinen Namen änderte. Seine erste Frau hieß Klein und somit seine Kinder auch, da ein Künstlername nicht weitergegeben werden kann. Und so war er mal Herr Stein und in anderen Zirkeln Herr Klein, je nachdem ob er oder seine Frau die führende Rolle einnahm. Später heiratete er ein zweites Mal in Israel. Da man dort den Namen beliebig oft wechseln kann (das liegt daran, dass man in Israel wie in vielen anderen Ländern über eine Nummer identifiziert wird, worin eine gewisse Pikanterie liegt, wenn man den geschichtlichen Hintergrund betrachtet, aber das nur nebenbei) nahm seine Frau vor der Hochzeit den Namen "Stein" an. Er konnte somit eine Frau Stein heiraten und besaß nun auch den bürgerlichen Namen Stein.


    Beide Schriftsteller haben sich über ihren Web-Blog kennengelernt. Während Herbst mit seinem schwarzen Anzug, seiner Glatze und dem Lederarmschmuck dem (klischeehaften) Bild eines Künstlers entspricht (was nicht abwertend gemeint sein soll), wirkt Stein mit seiner Jeans-Pulli-Kombination wie ein Journalist für Computerzeitschriften, was er auch tatsächlich ist. Stein ist der einzige, der eine literarische Kostprobe aus seinem Buch "Ein anderes Blau" gibt. Wow. Stille im Raum. Da fragt man sich, warum man diesen Namen nicht kennt und warum er nicht einen Literaturpreis nach dem anderen gewinnt. Bei Herbst, der gerne seine eigene Autobiografie literarisch bearbeitet, böse Zungen würden von Fälschung sprechen, und dann mal schaut, in welchen Medien diese Mythen zitiert werden, findet eine Missachtung durch die Literaturkritik statt. Warum dies so ist, ist nicht ganz herausgekommen, da man oft abschweifte und so einige Gesprächsfäden offen blieben. Herbst war einige Zeit als Börsenmakler in Frankfurt tätig und er bezeichnete diese Tätigkeit, ohne dass die meisten Börsenmakler dies erkennen, als höchst poetisch. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen. Und es gab andere spannende Themen: Nämlich das Schriftsteller von der Literaturkritik immer wieder totgeschwiegen werden. Er zählte mir unbekannte Namen auf. Auch Marcel Reich-Ranicki und Walter Jens hätten da mitgemacht, in dem sie Heinrich Böll förderten, obwohl es den literarisch besseren ?? (Name entfallen) gab, der jedoch Verbindungen in das dritte Reich hatte. Und da Herbst gegen die Literaturkritik aufbegehrt, sich auch mit der FAZ anlegt, wird er schon seit über 10 Jahren einfach ignoriert. Nach dem Gespräch kann jedoch kein Zweifel bestehen, dass hier zwei der intelligentesten lebenden Autoren vor mir saßen.


    Beide sprachen dann darüber, welche Rolle der Web-Blog für ihr Schreiben habe. Nachdem Steins Erstlingswerk im Ammann-Verlag veröffentlicht war, lehnte der Verleger sein zweites Werk "Ein anderes Blau" rundherum ab. Daraufhin beschloss Stein, der keine literarischen Kompromisse eingehen wollte, es als IT Consultant und IT Journalist zu versuchen. Davon konnte er auch gut leben. Einige Jahre später reizte ihn aber das Schreiben eines neuen Buches. Wie sollte er das anstellen? Er hatte einen Beruf. Er sagte, dass jeder, wirklich jeder noch eingespannte Mensch, eine gute Seite pro Tag produzieren könne. Nur Disziplin gehöre dazu. Um sich diese Disziplin zu erarbeiten, fing er an über Literatur im Blog zu schreiben. Inzwischen sind dort das Äquivalent von 10.000 Druckseiten zu finden. Und so fand er zurück zur Literatur. Für Herbst war der Anlass, dass eines seiner Bücher wegen Persönlichkeitsverletzung verboten wurde. Dabei wäre er mit einer Änderung der vier kritischen Seiten einverstanden gewesen, der Verlag wollte es jedoch durchkämpfen, verlor dann aber. Es gab dann parallel andere Vorfälle, in denen es um die Freiheit des Wortes ging und da er sich nicht den Mund verbieten lassen wollte, eröffnete er einen Blog, den er auch als politisches Statement versteht. Stein ist der Immigrant, Herbst der Bombenleger. Beide gingen darauf ein, dass Web-Schriftsteller nach wie vor vom Feuilleton nicht Ernst genommen werden. Dabei finden sich die besten Lyriker deutscher Sprache im Netz (auch hier fehlen mir die Namen). In Osteuropa hingegen kann man von gedruckter Lyrik besser leben. Der Suhrkamp-Verlag nahm in den ersten Jahren Manuskripte auf Diskette gar nicht erst an, was auch die Schwerfälligkeit eines Wandels in der Verlagswelt illustriert.


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    Nach 1,5 Stunden, die beiden Autoren hatten inzwischen die Flasche Rotwein geleert, wurde das Gespräch jäh von der Leiterin des Literaturhauses unterbrochen. Dabei hätte man gern noch mehr über deutsche Literatur gelernt. Die 10 Zuhörer haben eine Sternstunde erlebt.


    Schöne Grüße,
    Thomas

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