Mozart / Schikaneder – Die Zauberflöte (Operntextbuch)
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Tatsächlich würde ich die Ausgabe von Holzinger gegenüber der Version von Reclam vorziehen;
denn Holzinger liefert ein vollständiges Textbuch, während in meiner Reclam-Ausgabe sonderbare,
unnachvollziehbare Kürzungen vorgenommen worden waren.
Das Textbuch der "Zauberflöte" – zwischen Bewunderung und Spott
Nicht nur der Text der "Zauberflöte", sondern auch das Operntextbuch (das sogenannte Libretto) im Allgemeinen, hat in der Welt der Literatur einen schweren Stand. Besonders das Konzept oder die These von der Präeminenz der Musik vor dem Text in der Oper ("Prima la musica e poi le parole" / "Erst die Musik und dann die Worte") ist Ausgangspunkt vieler Vorurteile gegenüber Operntexten. Hiernach werden beispielsweise die Libretti als intellektuell anspruchslose und schnell gemachte Nebenprodukte der Musik betrachtet. Ein Vorurteil, welches sich in vielen Fällen sogar bestätigen mag, und dennoch einen vorurteilsfreien Blick dann leider auf ebenfalls viele Fälle verstellt hat. Mozarts und Schikaneders "Zauberflöte" scheint mir hierfür ein besonders gutes Beispiel. In den Gesprächen von Eckermann und Goethe wird dieser Zwiespalt des "Zauberflöten"-Librettos zwischen großem Lob und heftiger Kritik deutlich:
ZitatWir sprachen sodann über den Text der ›Zauberflöte‹, wovon Goethe die Fortsetzung gemacht, aber noch keinen Komponisten gefunden hat, um den Gegenstand gehörig zu behandeln. Er [Goethe] gibt zu, daß der bekannte erste Teil [also Schikaneders „Zauberflöte“] voller Unwahrscheinlichkeiten und Späße sei, die nicht jeder zurechtzulegen und zu würdigen wisse; aber man müsse doch auf alle Fälle dem Autor zugestehen, daß er im hohen Grade die Kunst verstanden habe, durch Kontraste zu wirken und große theatralische Effekte herbeizuführen. (Quelle: Johann Peter Eckermann "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens")
Goethe verteidigt hier also Schikaneder, der als Librettist (Textschreiber) der "Zauberflöte" offiziell der Hauptverantwortliche für den Operntext war, diesen aber eigentlich mit Mozart zusammen erdacht hatte. Und besonders interessant ist dabei, dass Goethe in dem "Zauberflöten"-Text scheinbar etwas erkennt und "zu würdigen" weiß, was vielen anderen hingegen entgeht.
Im Übrigen erfahren wir aus dieser Passage, dass Goethe von der "Zauberflöte" so inspiriert worden war, dass er selbst eine "Zauberflöte", also eine Fortsetzung von Mozarts "Zauberflöte", schreiben wollte. So erklärt sich auch, dass hier von einem "erste[n] Teil" und einer "Fortsetzung" gesprochen und entsprechend unterschieden werden kann. Goethes Versuch eine Fortsetzung zu Mozarts Zauberoper zu schreiben endete allerdings in einem fragmentarischen Leselibretto: Goethes "Zauberflöte II". Ja – das "Leselibretto" gibt es sogar als eine richtige, eigene Literaturgattung, die in ihrer lebendigsten Zeit zwar vor allem in Romanen oder auch anderen Libretti oder Lesedramen mitgeliefert worden ist, aber dennoch bekannt und lebendig war. Goethes Leselibretto "Die Zauberflöte II" ist neben einem kurzweiligen Unterhaltungsstück auch auf jeden Fall ein interessantes Stück Literaturgeschichte. Denn viele Gedanken und Motive seiner "Zauberflöte II" entwickelte Goethe in anderen seiner Werke aus – hierunter wohl am deutlichsten und populärsten im "Helena"-Akt aus "Faust II".
Ganz bemerkenswert ist übrigens, was Goethe sich gegenüber Eckermann für seinen "Helena"-Akt wünschte:
Zitat»Es steckt ein ganzes Altertum darin«, sagte ich. – »Ja,« sagte Goethe, »die Philologen werden daran zu tun finden.« – »Für den antiken Teil«, sagte ich, »fürchte ich nicht, denn es ist da das große Detail, die gründlichste Entfaltung des einzelnen, wo jedes geradezu das sagt, was es sagen soll. Allein der moderne, romantische Teil ist sehr schwer, denn eine halbe Weltgeschichte steckt dahinter; die Behandlung ist bei so großem Stoff nur andeutend und macht sehr große Ansprüche an den Leser.« – »Aber doch«, sagte Goethe, »ist alles sinnlich und wird, auf dem Theater gedacht, jedem gut in die Augen fallen. Und mehr habe ich nicht gewollt. Wenn es nur so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat; dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der ›Zauberflöte‹ und andern Dingen der Fall ist.«
»Es wird«, sagte ich, »auf der Bühne einen ungewohnten Eindruck machen, daß ein Stück als Tragödie anfängt und als Oper endigt.« (Quelle: Johann Peter Eckermann "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens")
Also zunächst: Goethe spricht der "Zauberflöte" einen "höhere[n] Sinn" zu, welcher für die Menge der Zuschauer (die sich an der Erscheinung, dem Spektakel erfreut) scheinbar größtenteils unerkannt bleibt. Und nicht zuletzt vergleicht Goethe hier nicht die künstlerische Intention von irgendeinem Werk mit der "Zauberflöte", sondern die "Faust"-Dichtung gilt als das bedeutendste und meistzitierte Werk der deutschen Literatur. Und den "Helena"-Akt besprachen Goethe und Schiller in ihren Briefen als "Gipfel" des Ganzen.
Zitat
Gelingt Ihnen diese Synthese des Edeln mit dem Barbarischen, wie ich nicht zweifle, so wird auch der Schlüssel zu dem übrigen Theil des Ganzen gefunden seyn, und es wird Ihnen alsdann nicht schwer seyn, gleichsam analytisch von diesem Punkt aus den Sinn und Geist der übrigen Partien zu bestimmen und zu vertheilen: denn dieser Gipfel, wie Sie ihn selbst nennen, muß von allen Punkten des Ganzen gesehen werden und nach allen hinsehen. (Schiller an Goethe)
Vor diesem Hintergrund deutet sich doch langsam ein literarischer Wert und eine literarische Bedeutung der "Zauberflöte" an. Und sogar die Operntexttradition, ja die Tradition der Libretti, wird hier angesprochen, da ja der "Helena"-Akt (sozusagen der "Gipfel" der "Faust"-Dichtung) offensichtlich einer Oper nachempfunden ist. Und damit sind wichtige Teile der "Faust"-Dichtung (dem ja vielleicht bedeutendsten Werk der dt. Literatur) auch einem Operntextbuch nachempfunden. Beziehungsweise da ja die "Faust"-Dichtung nicht offiziell unter Leitung Goethes vertont wurde sogar eher einem Leselibretto!
"Die Zauberflöte" und ihr Ruf als einfache Märchenoper
Gerne wird die "Zauberflöte" als unterhaltsame, aber sehr simple Märchenoper verstanden. Oder der "Zauberflöten"-Text wird als bloßes kommerzielles Produkt betrachtet, welches allerlei populäre Strömungen der Zeit in sich aufnahm; diese Elemente aber wahllos zusammenmischte, und dies ohne den Anspruch dabei einen tieferen Zusammenhang oder gar höheren Sinn zu verfolgen. Und natürlich orientierte sich die "Zauberflöte" am Massengeschmack und an Profitmöglichkeiten. Doch dies schließt ja keine Zeitkritik oder eine tiefere Sinngebung aus. Tatsächlich ist es nämlich so, dass die "Zauberflöte" Bezug auf die gesellschaftlichen Probleme ihrer Zeit nimmt; und darüber hinaus auf einer abstrakten Symbolebene arbeitet.
Es ist eigentlich recht offensichtlich, dass die "Zauberflöte" eine Freimaurer-Oper ist. Die letzten Verse der Oper gehören dem Chor der Eingeweihten, die den Sieg ihres Ordens über die Königin der Nacht verkünden:
ZitatEs siegte die Stärke, und krönet zum Lohn
Die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron'.
Mit Weisheit, Stärke und Schönheit sind die drei Ideale der Freimaurerei angesprochen (auch als drei Säulen bekannt). Die "Zauberflöte" zeigt also den Sieg eines Freimaurer-Ordens über eine Königin der Nacht. Während der Orden der Freimaurer um 1800 für die neue Ordnung, die Aufklärung stand; lässt sich die Königin der Nacht als Monarchin natürlich als Vertreterin der alten Ordnung, des Feudalismus, der Ständeordnung des Mittelalters verstehen. Passend zum dunklen Mittelalter und heller Aufklärung natürlich auch die gegensätzliche Farbgebung: Auf der einen Seite die dunkle, verschleierte Königin der Nacht, wie das dunkle Mittelalter (engl. auch "Dark Ages"). Und dann auf der anderen Seite natürlich der Orden der Eingeweihten, dessen Vorsteher Sarastro einen Sonnenkreis trägt oder wie auch der Sieg am Ende ja durch eine Sonne gefeiert wird, was natürlich dem Begriff Aufklärung (engl. auch "Enlightenment") im Sinne von geistiger Erleuchtung entspricht.
Also der Sieg der aufgeklärten Eingeweihten über die mittelalterliche Königin war in der österreichischen Monarchie Habsburg schon eine mutige oder vielmehr waghalsige Botschaft.
Zumal als die "Zauberflöte" ihre Uraufführung 1791 in Wien hatte, warf die bürgerliche Revolution in Frankreich (Sturm auf die Bastille 1789) einen bedrohlichen Schatten auf die anderen Monarchien Europas. 1792 mit dem neuen Kaiser Franz II., aber auch wegen den schrecklichen Entwicklungen in Frankreich (Aufstand der Vendée und "terreur"), wurde in Wien bald sehr energisch gegen jegliches Aufrührertum vorgegangen. Verhaftungen und Strafvollzüge wirkten direkt in Schikaneders Umfeld hinein. Er selbst stand auch unter Verdacht und musste von nun an vorsichtiger agieren. Schließlich ließ Franz II. 1795 noch die Freimaurerei verbieten.
Vor diesem Hintergrund erscheint es von Mozart und Schikaneder – beide waren übrigens wie auch Goethe Freimaurer (wobei Schikaneder aufgrund seines Lebensstils nach recht kurzer Zeit wieder aus seiner Loge geschmissen worden ist) – doch als sehr clever und geschickt, dass man ihre "Zauberflöte" auch als triviale und somit harmlose Märchenoper verstehen konnte.
Eine Annäherung an den Inhalt – Am Beispiel "Frauenbild"
Die einfache Zugangsmöglichkeit zur "Zauberflöte" einfach als kurzweiliges Unterhaltungsstück ist für mich im Übrigen auch ein Pluspunkt, und war meine erste Berührung mit der "Zauberflöte". Nur dann ist es ebenfalls schön, dass bei wiederholter Betrachtung die "Zauberflöte" auch die Möglichkeit gibt (für die, die denn möchten) noch weitere Dinge zu entdecken, beziehungsweise auch Dinge ganz neu zu betrachten.
Da mir die "Zauberflöte" hier zu groß und wirklich zu komplex ist, möchte ich nur einen inhaltlichen Punkt herausgreifen bzw. aufgreifen, den ich hier im Forum zur "Zauberflöte" finden konnte (führwahr gab es doch erfreulicherweise zur "Zauberflöte" zumindest ein paar Treffer im Forum ; wobei die Bewertung recht gemischt und durchaus sehr kritisch ausfiel). Ich denke mit diesem Punkt kann ich aber ein paar schöne und mir wichtige Elemente der "Zauberflöte" darstellen.
Also es geht um die Frauenrolle im "Zauberflöten"-Libretto, die hier scheinbar von einem Foren-Mitglied als "total frauenfeindlich" gewertet wird, worauf ein anderes Foren-Mitglied es mit den "älteren Zeiten" zu relativieren scheint:
Ist zwar schon eine Weile her, aber mir fiele jetzt spontan nichts ein, was mir sehr aufgestoßen wäre *überleg*
Gib mir mal nen Tip, was Du meinst!
Valentine, ok, also was ist zB mit dem Duett der beiden Torwächter (heißen die so?) vor Sarastros Palast: "Hütet euch vor Weibertücken"...?
Tatsächlich wurde dem "Zauberflöten"-Libretto auch in der Sekundärliteratur schon öfters Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. Dennoch sehe ich es ganz anders und würde sogar sagen:
Das "Zauberflöten"-Libretto spielt regelrecht mit Geschlechterrollen und zeigt dabei sogar ein geradezu revolutionäres Frauenbild auf!
Denn es scheint mir so, dass die "Zauberflöte" zwar eine Freimaurer-Oper ist, die die Ideen der Freimaurerei und Aufklärung sehr hoch schätzt und würdigt; aber dennoch lassen sich die Macher der "Zauberflöte" nicht dazu hinreißen, die Freimaurerei blind zu glorifizieren, sondern setzen eben auch kritische Töne an. Und einer dieser Kritikpunkte wäre eben die Frauenrolle in der Freimaurerei beziehungsweise der Ausschluss von Frauen aus den freimaurerischen Orden, die damals ja reine Männerorden waren. Auch Sarastros Orden von Eingeweihten in der "Zauberflöte" ist ja ein Bruderbund. Aus den Mündern dieser Ordensbrüder stammen dann ja auch die genannten Worte:
Zitat"Bewahret euch vor Weibertücken:
Dies ist des Bundes erste Pflicht!"
Oder auch schön:
Zitat"Ein Weib thut wenig, plaudert viel.
Du Jüngling glaubst dem Zungenspiel?"
Doch schauen wir auf die realen Handlungen der Frauen in der "Zauberflöte", dann bleibt für mich eigentlich kein Zweifel mehr offen, dass Mozart und Schikaneder eben nicht wie die Ordensbrüder dachten, sondern deren Frauenfeindlichkeit kritisieren und ironisieren wollten.
1.) Tamino (der scheinbare Held oder wenigstens ja Hauptfigur der "Zauberflöte") muss am Anfang der "Zauberflöte" vor seinem Gegner der Riesenschlange flüchten und fällt schließlich im Angesichte der Bedrohung weibisch in Ohnmacht. Stattdessen sind es die drei Damen der Königin der Nacht, die die Schlange besiegen. – Von wegen also "Ein Weib thut wenig"!
2.) Dies wiederholt sich dann ganz ähnlich auf dem Höhepunkt der Prüfungen, denen sich Tamino im Prüfungstempel der Eingeweihten unterziehen möchte. Als dort wo "Noth und Tod [ihm] dräun" kommt Pamina ihm zu Hilfe gesprungen, nimmt ihn bei der Hand, und führt ihn durch den Prüfungsweg:
ZitatPAMINA
Ich werde aller Orten
An deiner Seite seyn.
Ich selbsten führe dich;
Die Liebe leite mich!
nimmt ihn bey der Hand
Dadurch bewältigt auch Pamina den Prüfungsweg und wird als Frau in den Bruderbund eingeweiht:
ZitatCHOR
Triumph, Triumph! du edles Paar!
Besieget hast du die Gefahr!
Der Isis Weihe ist nun dein!
Kommt, tretet in den Tempel ein!
Also auch hier wieder von wegen: "Ein Weib thut wenig". Darüber hinaus zeigt Paminas Einweihung in den Bund der offensichtlich freimaurerischen Brüder der "Zauberflöte" Mozarts und Schikaneders Kritik bzw. Wunsch und Hoffnung für die Zukunft der Freimaurerei: Die Öffnung der Freimaurerei für Frauen. Denn wie lassen sich die fünf Grundideale der Freimaurerei (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität) mit dem Ausschluss von Frauen vereinbaren? Die Freimaurerei hatte schöne Ideen entwickelt und war damals ihrer Zeit in vielen Punkten voraus; dies wussten Mozart und Schikaneder sehr zu schätzen. Und dennoch gab es für die Macher der "Zauberflöte" auch freimaurerische Elemente, die sie verbessern wollten – wie eben das Frauenbild und den Ausschluss von Frauen.
Ich denke, meine Sicht auf die Frauenrolle in der "Zauberflöte" ist somit schon ganz deutlich geworden. Mein Blick ließe sich eigentlich aber noch mit einem weiteren Punkt bestärken, der mir recht wichtig ist bei der "Zauberflöte":
3.) Die Mysterienbegeisterung
Die Freimaurer sind ja Mysterienbegeisterte und pflegen die Kultur der Mysterien, der Mysterieneinweihung. Und so verehren ja auch die Eingeweihten-Brüder der "Zauberflöte" den Mysterienkult der ägyptischen Götter Isis und Osiris, vielleicht sogar eher mit einer Vorrangstellung der weiblichen Isis:
ZitatCHOR
Triumph, Triumph! du edles Paar!
Besieget hast du die Gefahr!
Der Isis Weihe ist nun dein!
Kommt, tretet in den Tempel ein!
Mit der Isis verehren die Eingeweihten-Brüder ja eigentlich auch eine Frau, und machen sich dann auf der anderen Seite mit ihrer Abwertung der Weiblichkeit ("Ein Weib thut wenig" etc.) nur selbst lächerlich. Und dies ist für mich auch bei der realen Freimaurerei genau der Punkt, der weder zu den fünf Grundidealen passt, noch zur Pflege und Übernahme der antiken Mysterien in die freimaurerische Mysterienkultur.
Die antiken Mysterien sehen Gegensätze weniger in einem unvereinbaren Konflikt gegenübergestellt, sondern verstehen sie vielmehr als harmonische Ergänzungen, als eine Entfaltung der Einheit.
Beispielsweise zeigt uns die "Zauberflöte" diese Gegensätze von Mann und Frau in Sarastro und der Königin der Nacht. In Sarastro, dem Träger des Sonnenkreises, lässt sich symbolisch die Sonne sehen. In der Königin der Nacht eine Göttin der Nacht oder Mondgöttin (Tamino: "Sag mir, guter Freund! warst du schon so glücklich, diese Göttinn der Nacht zu sehen?"). Nun ist es aber so, dass in den antiken Mysterien der Ägypter, Griechen und Römer die Sonne/Sarastro/Mann von der Nacht=Mond/Königin-der-Nacht/Frau geboren wird – a) die wie der Halbmond gehörnte Isis gebärt den Sonnengott Horus; b) die Nachtgöttin Leto/Latona gebärt den Sonnengott Apollo c) dabei fungiert die Mondgöttin Artemis/Diana als Geburtshelferin ihres Bruders und Sonnengottes Apollo.
Es gibt dazu noch kompliziertere Ausführungen der Mysterien, die die Abhängigkeit der Gegensätze von Sonne/Licht und Nacht/Dunkelheit aufzeigen, z.B. soll Apollos Geburt durch einen Fluch der Göttin Hera auf der ganzen Erde unmöglich gemacht worden sein, wo jemals Licht die Erde berührt hatte (nach dieser Mysteriengeschichte hatte sich Hera dafür mit dem alten Lichtgott Helios zusammen getan). Auch die Apollonische Weisheit "Alles in Maßen" scheint mir auf dieses komplexe Verhältnis hinzuweisen, die eben die Demut des Lichtgottes Apollo zeigt, der bei seiner Geburt auf die Nacht (als Mutter) und Dunkelheit (gegen Heras Fluch) angewiesen war.
Also kurz: Sarastro, der sich mit einem Sonnensymbol kleidet und das Licht sowie die Sonne verehrt, macht sich vor dem Hintergrund der Mysterien lächerlich, wenn er die Nacht und das Weibliche der Königin verspottet. Denn die Sonne (in den Mysterien) wie auch der Mann (in der Realität) werden von der Nacht bzw. der Frau geboren.
Und nun ja, während die Gegensätze zwischen der Königin und Sarastro sich nicht so recht auflösen, zeigt die "Zauberflöte" dennoch ein positives Beispiel. Es ist ein zukunftsweisender Wink, denn die Versöhnung gelingt der jüngeren Generation: Pamina und Tamino.
Pamina lässt sich als Tochter der Königin der Nacht recht einfach der Nacht oder noch besser dem Mond zuordnen (wie ja auch Artemis und Diana als Mondgöttinnen Töchter der Nachtgöttin sind).
Tamino hingegen wird recht bald zumindest zum Sohn im Geiste von Sarastro. Sarastro ist ja Ordensvater und bereitet Tamino als eine Art Ziehsohn auf die Einweihung vor. Doch es gibt noch ein schöneres Bild, welches Tamino symbolhaft als Sonne zeigt: Gleich Taminos erster Auftritt führt ihn als Karikatur des Sonnengottes Apollo ein. Denn Taminos unheldenhafte Flucht ohne Pfeile vor der Riesenschlange karikiert den Kampf von Apollo gegen Python.
(Wobei vielleicht die Fortführung charakterlicher Gegensätze hier noch einsichtiger ist: z.B. Königin/Pamina = Gefühl versus Sarastro/Tamino = Vernunft)
Die Auflösung dieser Gegensätze von Pamina und Tamino zeigt sich dann natürlich in der Liebe, die Pamina auf den Prüfungsweg springen lässt, wo sie Tamino an die Hand nimmt und führt! Der Mond (Pamina) führt/trägt die Sonne (Tamino) – das ist ein Bild, welches besonders an die ägyptische Sonnenbarke erinnert; wo die Mondsichel die Sonnenscheibe trägt.
Ein Bild, welches Goethe scheinbar sogar für seine Aufführung der "Zauberflöte" in Weimar nutzte, um damit die Königin der Nacht zu dekorieren:
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Auf diesem Buch-Cover zu Goethes "Zauberflöte II" sehen wir eine Bühnenbildzeichnung von Goethe. Es zeigt eben die Königin der Nacht, wie Goethe sie bei seinen Aufführungen der "Zauberflöte" unter seiner Theaterleitung in Weimar sehen wollte. Zu sehen ist die Königin auf einer Mondsichel mit einer Aureole (körpergroßer Heiligenschein), der (wenn man sich bspw. die Königin wegdenkt) ja nichts anderes ist als ein großer Stern bzw. eine Sonne!
In diesen vermeintlichen Kampf der absolut unvereinbaren Gegensätze von Licht/Sarastro und Dunkelheit/Königin, die häufig auch gleichgesetzt worden mit Gut und Böse, setzt Goethe also dieses harmonische Bild aus den Mysterien. Und Goethe war ja als Freimaurer ein wirklicher Eingeweihter im Sinne der Mysterienbünde oder wie sich auch die Brüder der "Zauberflöte" gerne als "Eingeweihte" bezeichnen. Vielleicht wie ja auch diese Worte Goethes über den höheren Sinn der "Zauberflöte" eben einen solchen Eingeweihten im Sinne der Mysterien meinen könnten:
ZitatWenn es nur so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat; dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der ›Zauberflöte‹ und andern Dingen der Fall ist.
Tja, was mag dieser höhere Sinn nun genau sein? Ich denke die Betrachtung der "Zauberflöte" über die antike und freimaurerische Mysterienkultur kann hier eine vielversprechende Annäherung bieten. Ich finde diesen Zugang jedenfalls sehr anregend; wobei es tatsächlich wohl nur ein Element ist, wie die Anknüpfungspunkte zur Zeitkritik nahe legen. So bleibt die "Zauberflöte" für mich als Ganzes ein großes Rätselwerk, dem man sich annähern kann, aber das wohl kaum absolut in nur einer Lesart auszudeuten möglich ist. Doch das ist doch auch ein Reiz, dass es immer noch etwas zu entdecken und zu diskutieren gibt.
Am Ende hoffe ich, dass ich zeigen konnte, dass man es sich zu einfach macht, wenn man die "Zauberflöte" als einfache Märchenoper oder anspruchsloses Modestück abqualifiziert. Natürlich ist es zu letzt auch viel Geschmacks- und Interpretationssache, ob einem die "Zauberflöte" zu sagt, oder nicht. Doch gerade mit Goethes Vergleich und Würdigung sowie der Bedeutung für die "Faust"-Dichtung konnte ich vielleicht zumindest den Einfluss der "Zauberflöte" bzw. der Libretto-Tradition in der deutschen Literatur verdeutlichen; und den einen oder die andere überraschen und anregen sich einmal mit einem Libretto wie dem "Zauberflöten"-Textbuch als Lese-Literatur zu beschäftigen.