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Da Bram Stokers "Dracula" zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehört war ich jetzt doch auch neugierig auf die Graphic Novel von Georges Bess, zumal diese bei Amazon richtige gute Bewertungen bekommen hat. Und ich wurde nicht enttäuscht, die Graphic Novel ist durchaus gelungen, sowohl hinsichtlich der Handlung (die natürlich gestrafft und auch an einigen Stellen umgestellt wurde) als auch der Zeichnungen, die die Atmosphäre des Originalromans gut treffen.
Es ist etwas überraschend, dass die Geschichte in Georges Bess´ Variante nicht mit Jonathans Reise nach Transsilvanien beginnt, sondern stattdessen Minas und Lucys Reise nach Whitby am Anfang des Geschehens steht. Diese Umstellung hat aber den Vorteil, dass die unheimliche Atmosphäre, die der Zeichner hervorrufen will, viel schneller zutage tritt, allein schon weil der alte Friedhof in Whitby hier der Haupthandlungsort ist. Überhaupt dienen die Umstellungen innerhalb der Geschichte, die oft auch mit Wechseln des Ortes und der handelnden Figuren einhergehen, in erster Linie der Spannung, geben meiner Ansicht nach aber auch die Multiperspektivität des Originals, die dort durch die verschiedenen Briefe und Tagebucheinträge erzeugt wird, gut wieder.
Dass in einer Graphic Novel stärker zeitraffend gearbeitet werden muss als in einem Roman, der in den deutschen Ausgaben um die 600 Seiten Umfang hat, ist klar, trotzdem ist mir das Ende zu stark gerafft und damit deutlich zu reißerisch, hier fühlte ich mich eher in einen Western als nach Transsilvanien versetzt. Zudem hat mich hinsichtlich der Zeitgestaltung gewundert, dass Jonathans Reise, mit der die Geschichte beginnt, vom Mai in den September versetzt wurde, zumal sich im Anhang auch eine Comicversion der Vorgeschichte des Romans (die ursprünglich wohl das erste Kapitel werden sollte) "Draculas Gast" befindet, die in der Walpurgisnacht spielt: Wieso sollte Jonathan für seine Weiterreise von München nach Transsilvanien vom 30. April bis September brauchen? Das ergibt wenig Sinn.
Ebenso habe ich mich gewundert, warum der Figur des Renfield bei allen Abstrichen, die hier inhaltlich gemacht werden (und gemacht werden müssen), trotzdem so viel Raum gegeben wird. Die eigentliche Funktion im Roman, dass er nämlich derjenige ist, der Dracula ins Haus bittet und ihm damit den Weg zu Mina frei macht, entfällt hier wegen der geänderten Handlung, damit ist Renfield eigentlich überflüssig. Ein wenig Aufschluss liefert hier das Zusatzmaterial im Anhang, hier hat der Zeichner auf einer ganzen Seite Einblick in die Gestaltung dieser Figur gegeben, bei der er sich als Fan der Rolling Stones zu erkennen gibt, da er die Figur offenbar unter Berücksichtigung der "Charakterköpfe" der Band gestaltet hat.
Mein größter Kritikpunkt ist die Gestaltung der Frauenfiguren in der Graphic Novel, diese sind mir eindeutig zu freizügig und sexistisch gestaltet. Natürlich hat der Vampirismus, wie Stoker ihn in seinem Roman beschreibt, eine starke erotische Komponente, aber müssen deshalb ständig nackte Brüste oder zumindest sich abzeichnende Brustwarzen zu sehen sein? Bei den Vampirinnen auf Draculas Schloss wäre das in der Szene, als sie Jonathan verführen wollen, noch zu verstehen, aber bei Lucy und Mina (bei der diese Darstellungsart wenigstens nicht ganz so ausgeprägt ist) finde ich das doch ziemlich übertrieben und ehrlich gesagt auch überhaupt nicht zeitgemäß für eine 2020 veröffentliche Graphic Novel.
Insgesamt kann ich die Graphic Novel für Dracula-Fans durchaus empfehlen, die düstere Atmosphäre der Romanvorlage wird hier gut abgebildet und ich finde diese Variante trotz der Kürzungen und Umstellungen der Handlungselemente erstaunlich textnah. Die Bilder sind zum Teil wirklich gruselig, dadurch gewinnt die altbekannte Geschichte nochmal neue Ansatzpunkte.