Alberto Grandi - Mythos Nationalgericht

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    In seinem sehr unterhaltsamen Sachbuch "Mythos Nationalgericht. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche: Warum Parmesan politisch ist" räumt Alberto Grandi tatsächlich mit den Mythen rund um die italienische Küche auf - ob es um die mediterrane Lebensweise oder die kocherprobten Nonnas geht - und hat viele seiner Landsleute damit wohl ziemlich verärgert. Das ist bei Lektüre des Buches durchaus verständlich: Grandi liefert viele Informationen rund um "typisch italienische" Lebensmittel, die eher ernüchternd wirken, und das in einem oft satirisch anmutenden Tonfall - doch gerade das macht das Buch so unterhaltsam.


    Die Grundannahme Grandis, die er in Bezug auf verschiedene Gerichte und Lebensmittel auch immer wieder belegt, ist die, dass die italienische Küche noch keine fünfzig Jahre alt ist - die meisten Spezialitäten stammen aus den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jhdts., es kann also keine Rede davon sein, dass sich die italienische Küche im Laufe von Jahrhunderten entwickelt hat, geschweige denn, dass bestimmte Rezepte bis zu den Römern zurückverfolgt werden können. Andere Buchautoren waren da weniger genau, wie er auch schon in seiner Einführung bemerkt:

    Zitat

    Bevilaqua beginnt sogar noch vor den Römern, und wenn man ihn nicht gebremst hätte, hätte er sicher auch Ötzi noch erwähnt, den ersten Sternekoch Italiens, denn schließlich hatte der kurz vor seinem Tod noch Hirsch und Steinbock zubereitet und gegessen. (S. 14)

    Grandi selbst möchte rationaler an das Problem herangehen, und derartige Romantisierungen außen vor lassen:

    Zitat

    Ich versuche also, die Geschichte der italienischen Küche so zu erzählen, wie es sich eigentlich gehört, möglichst ohne Mythen und Legenden; schließlich handelt es sich ja nicht um Götter des Olymps, sondern um das uralte Menschheitsproblem, den Bauch vollzukriegen, und es lässt sich einfach kein realer historischer Grund denken, warum die Bevölkerung des Landstrichs, den wie heute Italien nennen, dies besser als andere Völker der Erde hingekriegt haben sollte (ich würde sogar das Gegenteil behaupten...). (S. 25)

    In den Kapiteln zu unterschiedlichen, vermeintlich "typisch italienischen" Nahrungs- und Genussmitteln verdeutlicht Grandi dann, dass eine üppige und geschmackvolle Küche im Bereich des heutigen Italien für den größten Teil der Bevölkerung aufgrund der Armut lange Zeit gar nicht zu verwirklichen war. Vielmehr trieb diese Armut große Gruppen von Auswanderern fort, die dann in ihren neuen Lebensräumen einige der typischen Gerichte entwickelten und quasi re-importierten. Bei vielen Lebensmitteln sorgten zudem ab den 1980er Jahren systematische Vermarktungsstrategien für ihren Kultstatus, die mit der tatsächlichen Herkunft wenig zu tun hatten. Das erläutert Grandi kenntnisreich und in teils sarkastischem Tonfall, wodurch ich mit gut unterhalten gefühlt habe.


    In den Anmerkungen zur Bibliographie greift Grandi selbst das Dilemma der LeserInnen auf, die in vielen Fällen offenbar entweder für oder gegen seine Sichtweise sind, indem er diese in zwei Abschnitte unterteilt, die auch hinsichtlich des Umfangs unterschiedlich ausfallen: der zweite Abschnitt der Bibliographie für die Skeptiker wird als wissenschaftlicher und umfangreicher betitelt.


    Nach der Lektüre dieses Sachbuches habe ich nicht weniger Lust auf die italienische Küche, werde manche Produkte aber bestimmt mit anderen Augen sehen. Alberto Grandis Auseinandersetzung mit der italienische Küche ist kenntnisreich und unterhaltsam, ich hatte damit einige vergnügliche Stunden.


    5ratten