Beiträge von Marlino

    Mich wundert es ehrlich gesagt sehr, daß ich keinen Thread zu diesem großartigen Roman Iwan A. Gontscharows finden kann.


    Da ich hier den Thread eröffne, sollte ich einiges zu diesem Roman schreiben. Natürlich ohne Einzelheiten zur Handlung zu verraten.


    Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen, wobei dieses ein Wiederlesen war, aber meine erste Leseerfahrung lag solange zurück, daß ich eigentlich gar keine Erinnerungen mehr daran hatte. Es ist ein langes, dickes, aber großartiges Buch.


    Das Thema des Buches ist die Auseinandersetzung um Passivität und Aktivität, wobei diese Dualität durch zwei Personen verkörpert wird, den trägen, passivischen Antihelden Oblomov und seinen Freund, den aktiven, "lebenstüchtigen" Stolz.


    Ich habe die Ausgabe von DTV. Dieses enthält ein Nachwort, das interessant zu lesen ist. Natürlich geht es um die Deutung und Bewertung der Hauptfigur Oblomov und seines Antagonisten Stolz. Dabei ist es klar und soweit kann ich diesem Nachwort auch folgen, daß man sich von der platten Auslegung des Werkes, wie sie wohl oft erfolgt ist, als einer Kritik an der trägen Lebensform Oblomovs, frei macht. Nur daß das dann im Nachwort ins Gegenteil umschlägt, so daß der Antiheld Oblomov zum eigentlichen Helden umgedeutet wird und sein Antagonist Stolz zur eigentlich negativen, problematischen Figur.

    In der Tat sollte man das Werk lesen ohne irgendeine platte Moral im Hinterkopf. Ein großes Werk zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß es sich irgendeiner allzu platten Deutung entzieht. Beide Positionen, die von Stolz wie die Oblomovs sind letztenendes problematisch. Trotz ihrer vollkommenen Gegensätzlichkeit der beiden Freunde muß man allerdings auch das Verbindende sehen: Beide Positionen sind menschlich integer, die eigentliche moralische Gegenpostition findet sich im Schurken Tarantiev. Diese Figur ist allerdings menschlich völlig uninteressant.


    Natürlich darf man auch nicht übersehen, daß diese Auseinandersetzung um passivisches und aktivisches Leben vor dem Hintergrund des russischen Feudalismus statt findet. Oblomov ist ein Adliger. Er ist damit jemand, der sich die träge, manchmal aber auch geradezu ängstlich um seine Ruhe besorgte Lebensform auch leisten kann. Die Position des Autors zu diesem Feudalismus ist mir unklar - nur ein Sozialrevolutionär ist er ganz sicher nicht und es gehört zu den fragwürdigen Dingen dieses Buchs, daß die Herrschafts-, Knechtschaftsverhältnisse ein bißchen idealisiert erscheinen.


    Trotz allem muß ich sagen, daß mir die Figur des Oblomow im Vergleich zu Stolz letztenendes die Sympathischere zu sein scheint. Man mag diesen furchtbar trägen, faulen, ständig um seine Ruhe besorgten, in Bezug auf das Leben etwas ängstlichen Oblomov irgendwie. Dagegen hat mich Stolz Tatsachensinn, diese aus einer positivistischen Weltanschauung gespeiste Energie offen gesagt kalt gelassen. Allerdings ist Oblomov in gewisser Hinsicht eine extreme Figur ( wie Stolz allerdings auch). Oblomovs Existenz ist im Grunde nicht einmal kontemplativ. Selbst für das Kontemplative ist Oblomov zu träge; er liest keine Bücher ( in seiner Jugend allerdings sehr wohl), er hat der Lebensform Stolz so eigentlich gar nichts entgegenzusetzen als eine beschauliche, verträumte Trägheit.


    Damit allerdings gehört Oblomov zu den großen, klassischen, sprichwörtlich gewordenen Figuren der Weltliteratur. Und obwohl Oblomov auch für die Kontemplation eigentlich zu faul ist und wirklich nur "irgendwie dahin lebt", hat er doch ein reiches Innenleben und eben dieses Innenleben, diese Verträumtheit und Güte ist es, was diese Figur so anziehend macht.


    Ich kann dieses Buch sehr empfehlen, es hat in der Figur des Oblomov eine eigenartige Poesie.


    Gruß Martin

    Ich habe dieses Buch jetzt auch einmal im Urlaub gelesen und fand es recht interessant. Es gibt diese eine Passage im Buch, auf das schon meine Vorredner hin gewiesen haben, wo beschrieben wird, wie sich Dorian Gray mit irgendwelchen Edelsteinen, historischen Musikinstrumenten und ähnlichem sehr teurem Schrödel beschäftigt, was ich sehr langweilig finde und den Gang der Handlung sehr lähmt und das ich nur überflogen habe, da ich dies wiegesagt langweilig und preziös fand. Ansonsten ist das Buch großartig und aus einem Guß.


    Dieses Buch gehört sicher zu den Klassikern in der Darstellung dekadenter Lebensformen. Dekadenz in dem Sinne, daß die Ästhetik zum allein Seligmachenden gehört, was im Grunde alles andere, insbesondere die moralische Empfindung aber auch die Liebesfähigkeit vollkommen absorbiert. In diesem Sinne gewinnt Wert all das was irgendwie "schön" ist und das ganze Leben wird nur noch nach der "Schönheit" beurteilt. Das scheinen mir allerdings Gedanken zu sein, die irgendwie in der Luft der Zeit des späten 19. Jahrhunderts zu liegen scheinen, auch bei Nietzsche wird man wohl ähnliche Überlegungen finden.


    Wie bei Nietzsche etwa findet sich bei Dorian Gray eine gewisse Vergötterung der Renaissance, die ja durchaus einen kulturellen Aufschwung in der abendländischen Kulturgeschichte bedeutet, anderseits aber auch durch Gesetzlosigkeit und Inhumanität sich auszeichnet. Diesen Bezug zur Renaissance findet sich etwa noch in dem Film "Der dritte Mann", wo der amoralische Protagonist sein inhumanes Tun mit einem Bezug zur Renaissance quasi rechtfertigt.


    Das beinhaltet natürlich, daß weder Dorian Gray noch sein geistiger Mentor Lord Henry sonderlich sympathische Personen sind, wobei mir Lord Henry dagegen eher ein Maulheld zu sein scheint und man dabei selten weiß, wie ernst er es mit seinen paradoxen Thesen eigentlich meint. Dorian Gray ist aber der, der den immoralistischen Ästhetizismus Lord Henry dann wirklich in die Tat umsetzt. Man muß dabei fast sagen, daß diese Beziehung von Lord Henry und Dorian Gray das ist, was das eigentlich unheilvolle der Konstellation ausmacht. Lord Henry für sich wäre vielleicht nur ein geistreicher Provokateur und Dorian Gray ein vielleicht etwas gefühlskalter Snob - für sich eigentlich gar nicht gefährlich, aber in dieser unheilvollen Beziehung wird Dorian Gray zum wie ich finde anderseits dann auch wieder erstaunlich naiven Werkzeug von Lord Henrys Weltanschauungen.


    Wie auch immer: Ein sehr interessantes Buch, das ich gerne gelesen habe.


    Gruß Martin

    Das Buch liegt wohl zumindestens noch in anderen Titeln vor, in neueren Ausgaben heißt es wohl "nach der Bombe" oder ähnlich. Ich habe eine ältere Ausgabe.


    Das Buch weiß mit bizarren Einfällen zu fesseln und ist gelegentlich recht unterhaltsam, aber es ist auf der anderen Seite ästhetisch doch auch wieder sehr zweifelhaft. Zum Plot der Geschichte ( ohne zuviel zu verraten): Der Roman beschreibt eine Welt nach einem erfolgten Atomkrieg. Einzelheiten der Handlung will ich mir sparen, nur vermittelt sich mir das Entsetzen über eine furchtbare Katastrophe auf keinen Fall. Und genau dies ist mein Einwand gegen dieses Buch. Die entstehende Welt wird mit so vielen phantastischen Einzelheiten beschrieben, daß man geradezu das Gefühl hat, daß der Atomkrieg hier nur als eine Art Vorwand dient, eine "phantastische Welt" nach der Katastrophe aufzubauen. Und da beginnt für mich mein Widerwille: Das Thema ist für mich zu ernst, um den Leser mit einer irrealen Welt aus tausend unterhaltsamen Freaks zu konfrontieren.


    Da das Buch trotzdem unterhaltsam ist und voller phantastischer Einzelheiten, gibt es von mir 4 Sterne, da 5 Sterne für ein Buch reserviert sein sollten, das es vermag, dem Thema wirklich gerecht zu werden und dies tut dieses Buch nicht.


    4ratten


    Gruß Martin


    EDIT: Betreff angepasst und ein "l" aus Philip entfernt. LG, Saltanah

    Ich habe die Puschkin Erzählungen mal gelesen, aber das ist sehr lange her. Ich habe sie aber immer noch im Regal stehen und will sie mal wieder lesen. Mit dem Gesamtwerk von Gogol bin ich jetzt durch und da dachte ich daran, den Puschkin mal wieder zu lesen. Da haben sich die Erzählungen von Kafka aber mal wieder vorgedrängelt.


    Insgesamt bin ich aber froh, die Gnade eines schlechten Gedächtnisses zu haben und im Laufe der Jahre immer viel zu vergessen und deshalb kann ich mir den Puschkin ja noch mal vorknöpfen. Die Russen von Puschkin, über Gogol, Dostojewski, Gontscharov bis zu Tschechov schätze ich allerdings sehr. Politisch waren das sicherlich elende Zeiten, mit Leibeigenschaft und Rückständigkeit und trotzdem greifen einem die Schriftsteller dieser Epoche des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts doch immer ans Herz.


    Übrigens habe ich die Dünndruckausgabe von DTV, die dürfte aber auch vollständig sein!?


    Gruß Martin

    Ich weise mal darauf hin, daß die ( sicher nicht vollständigen) gesammelten Werke Gogols bei Zweitausendeins erschienen sind. Das Buch ist relativ großformatig und umfaßt 1079 Seiten und wohl alles wichtige ist drin. Kostet 7,99 also ein echtes Schnäppchen. Gibts auch noch, wie ich mich überzeugt habe. Zweitausendeins versendet auch, hat aber auch eine Menge Läden.


    Gelesen habe ich bisher: "Die toten Seelen". Den ersten Band hat er veröffentlich und dies ist ein großartiges Buch. Den zweiten Band hat er vernichtet, offensichtlich ist aber doch einiges davon aufgetaucht. Ich bedaure, ihn gelesen zu haben - so großartig der erste Band ist, so langweilig der fragmentarische zweite.


    Dann las ich "Abende auf dem Vorwerk bei Dikanja". Das sind verschiedene Erzählungen größtenteils phantastischer volkstümlicher Natur. Das läßt sich gut lesen.


    Im moment bin ich dann bei den Petersburger Erzählungen angelangt. Die Nase natürlich, die ich schon früher mal gelesen habe und im Moment lese ich das Porträt.


    Außerdem ist in dem Buch noch der Revisor und die Erzählung "Der Wij". Aber schenkt Euch den zweiten Teil der "Toten Seelen"!


    :winken:


    Gruß Martin

    Hallo Mombour, hallo Klassikfreund,


    schön, daß es übersetzt wurde. Meine sehr schöne gebundene Ausgabe ist mindestens schon 20 Jahre alt und tut es nicht. Ich werde mir mal eine neue Ausgabe aus der Bibliothek holen. Danke für die Auskunft :winken:


    Gruß Martin

    Ich lese das Buch auch mal wieder seit langer Zeit und bin doch sehr begeistert. Trotzdem ist mir einiges zu ausgewalzt. Was mich aber ärgert, ist, daß ich nur ein paar Brocken Französisch kann. Der erste Band kulminiert ja in der Begegnung von Hans Castorp und Madame Chauchat - nur ist dieses längere Gespräch auf Französisch und ich verstehe nur Bahnhof. :grmpf:Ist das jemals übersetzt worden?

    Also den Zauberberg von Thomas Mann lese ich mittlerweile wieder sehr gerne, bin aber nachwievor der Meinung, daß es dem Buch nicht schlecht getan hätte, wenn es an einigen Stellen etwas kürzer wäre. Es tut mir leid, wenn ich uralte Diskussionen wieder aufgewärmt haben sollte. Mir geht es allerdings keinesfalls darum, die Klassiker in die Pfanne zu hauen. Mir geht es nur darum, ins Gespräch zu kommen.


    Hermann Hesse etwa gehört für mich zu den Autoren, die kein Gramm Fett angesetzt haben. Und so etwas schätze ich. Dann erinnere ich mich auch wieder daran, daß eben dieser Hermann Hesse den Titan von Jean Paul um ein drittel kürzte, um ihn zu "retten". Jean Paul gehört für mich zu den überaus geschätzten Autoren, die mir ihre Lektüre überaus schwierig machen, mit all ihren gelehrten Rand- und Nebennotizen, die anderseits natürlich auch einen gewissen Reiz entfalten. Bei Stifter wiederum ist mir bekannt, daß sein Stil von Hebbel sehr kritisiert wurde, obwohl ich die lange nicht gelesenen Erzählungen oder Novellen in guter Erinnerung habe.


    Insgesamt lese ich Klassiker schon lieber als modernere Autoren. Man sollte nicht immer die bequemste Lektüre anstreben, sondern die mit dem größten Nährwert - aber dann bin ich trotzdem der Meinung, daß man ehrlich damit umgehen sollte, wenn einen etwas auch gelangweilt hat.


    Geschmäcker sind auch verschieden. Mein Vorrednerin Bettina etwa würde sich den Moliere nur im Theater ansehen - das habe ich neulich mit dem Menschenfeind auch gemacht - aber Moliere zu lesen, vor allem die großen Stücke, gehört für mich zu den großen Vergnügen, die ich keinesfalls missen möchte. Ich kenne allerdings nicht alles von Moliere - es sind allerdings keine Ablachkomödien, sondern Stücke, die geistvoll menschliche Schwächen aufs Korn nehmen :winken:


    Ansonsten habe ich bei mir den Hebbel schon lange im Regal stehen, was ich aus den Tagebüchern las, gefiel mir nicht schlecht. Modernen Autoren gegenüber bin ich skeptisch, kenne aber auch wenig. Gelesen habe ich etwa Schwerenöter und Agenten von Ortheil, ein brillianter Stilist und großartiger Romanautor - und doch haben mich diese Bücher nicht zu berühren vermocht, wie es gewisse Klassiker eben tun. Ich habe bei manchen modernen Autoren den Eindruck, daß sie irgendwie gut sind und daß das auch keiner bestreitet, daß sie aber wichtige Kategorien wie "Tiefe" oder "existentielle Auseinandersetzung" für mich nicht erfüllen.


    Friedrich Nietzsche hat mal an einer Stelle, die ich natürlich nicht wiederfinde, geschrieben, daß es die politisch schwachen Zeiten seien, die die größten künstlerischen Werke hervor bringen. Da mag etwas daran sein. Wir leben in politisch starken Zeiten, auch wenn wir jetzt gerade in eine Weltwirtschaftskrise hinein schlittern. Fast 65 Jahre Frieden und Wohlstand. Dieses Gefühl von Saturiertheit und gesichertem Leben greift für mich irgendwie auch auf die Kultur über. Das ist ja auch nicht schlimm. Niemand wünscht die Vergangenheit zurück.


    Vielleicht waren frühere Zeiten auch irgendwie "wahnhafter" und niemand wünscht diesen Wahn zurück. Trotzdem liegt im Wahn auch die Möglichkeit der Individualisierung und der Kristallisierung von Persönlichkeit. Darin liegt vielleicht auch das, was an der Vergangenheit so interessant ist. Friedrich Nietzsche etwa ist ein hochinteressanter Autor, der die unverantwortlichsten Dinge schreibt, das Phänomen Wagner etwa oder die Farbenlehre von Goethe.


    Und vielleicht ist auch das, was an Klassikern gelegentlich langweilig erscheint, ein Zeichen einer solchen Individualisierung. Es fehlt da vielleicht der gewiefte Lektor, der dem Autoren immer klar macht, wie mans richtig macht. In diesem Sinne mag auch die Langeweile gelegentlich ein Zeichen einer größeren Individualität der Klassiker gewesen sein, in diesem Sinne etwa mag der "unmögliche Stil" von Jean Paul und Adalbert Stifter auch ein Ausdruck ihrer Individualität gewesen sein.


    Gruß Martin


    Tut mir leid, Sandhofer, aber das IST beleidigend. Mit einem Affen verglichen zu werden, aber das dann nicht persönlich nehmen zu sollen ist beleidigend. Ich finde dies reichlich daneben, zumal es mir kaum darum ging, Klassiker pauschal abzuwerten, sondern es mir insbesondere darum ging, daß für mich gewisse Bücher ihre Längen haben. Das hat mit Pauschalität nichts zu tun. Ich jedenfalls fühle mich durch Dein Posting beleidigt! Ich habe da eigentlich keine Lust mehr, in diesem Forum zu schreiben, wenn ich mich mit solchen Leute wie Dir auseinandersetzen muß.


    Mit unfreundlichen Grüßen
    Martin

    Wie geht es Euch mit den Klassikern? Ich lese gerade mal wieder Thomas Manns Zauberberg. Ein teilweise spannendes Buch - aber dann auch wieder über weite Strecken stinklangweilig. So muß ich allerdings sagen geht es mir mit den Klassikern häufig. Also meinetwegen Musils Mann ohne Eigenschaften hat faszinierende Passagen, aber dann ist es wieder sehr langweilig. Wollte ihn vor einigen Monaten wieder lesen, aber nach einiger Zeit gab ich es wieder auf. Oder Stifters Romane - furchtbar langweilig.


    Natürlich gibt es auch tolle Klassiker. Also den Dostojewski zu lesen fand ich mal sehr spannend -bis auf den Jüngling. Und so in letzter Zeit habe ich viel Moliere gelesen, jedenfalls so die bekanntesten Stücke, und dies hat mir gut gefallen.


    Es ist die Frage, wie man zu der ganzen Sache steht. Klassiker haben einem denke ich viel zu sagen, aber es gibt so das Phänomen, daß da manchmal über drei Seiten ein Stuhl oder ein Gänselblümchen beschrieben wird, wo man sich dann schon fragt: Muß das wirklich sein? Und warum müssen Bücher überhaupt so lang sein - ist das "klassisch" oder sind das nicht vielleicht doch einfach mehr schlechte Angewohnheiten tradierter Erzählkunst, die man als solche auch benennen kann?


    Dabei zieht mich eigenlich viel zu älterer Literatur, aber ich denke man soll sie nicht so verherrlichen, man sollte ihre Schwächen auch benennen. Und deren eine ist wohl, daß dieser Satz "Auch die besten Schriftsteller reden zu viel" ( von wem stammt er?) leider auch auf viele ältere Literatur anwendbar ist. Wie ist Eure Meinung?


    Gruß Martin

    Hallo Sandhofer,


    ja, vielleicht solltest Du es mal mit kürzerem versuchen, wie mit den wenn ich mich recht erinnere auch bei Bibliothek Suhrkamp erschienenen Erzählungen oder eben dieser "Nacht aus Blei".


    Habe mir wiegesagt noch mal den eigentlich recht informativen Wikipediaartikel durch gelesen und landete dann auch auf der liebevoll gestalteten Seite: www.Hans-Henny-Jahnn.de . Diese gibt noch mehr Informationen.


    Was ich für mich dabei heraus gezogen habe, ist, daß Hans Henny Jahnn schon ein sehr seltsamer Mensch gewesen sein muß, einschließlich der Gründung einer eigenen Religionsgemeinschaft, der Ugrinogemeinschaft, die eigene Bestattungsriten hatte. Hans Henny Jahnn ließ sich ja auch in einem Bleisarg beerdigen, da die Beerdigung in einem Bleisarg sehr im Sinne der von ihm selbst gestifteten Religion war.


    So habe ich insgesamt den Eindruck, daß Hans Henny Jahnn mit den Maßstäben unserer heutigen nüchternen Kultur nicht zu messen ist, sondern daß er sehr in seiner eigenen von ihm selbst geschaffenen Welt lebte - ein eigener Kosmos sozusagen. Und das finde ich schon interessant.


    Gruß Martin

    Hallo Sandhofer,


    ich muß errötend fest stellen :redface:, daß ich den Wikipediaartikel über Jahnn nicht vernünftig gelesen und nur überflogen habe. Die Nacht aus Blei ist wohl Teil eines unvollendet gebliebenen Romans, der allerdings bei Wikipedia explizit erwähnt wird. Er ist allerdings als Buch heraus gekommen. Vielleicht kennst Du ihn deshalb nicht.


    Gruß Martin

    Erschienen ist das Buch bei Bibliothek Suhrkamp. Ich habe das Buch allerdings schon sehr lange. 4. bis 5. Tausend, 1982. Das ist nicht eben eine Millionenauflage. ISBN 3-518-01682-2. Trotz kurzer Seitenzahl habe ich das Buch bei Wikipedia als Roman gefunden. Ich las da erschienen 1956, könnte also Jahnns letztes Werk sein.


    Von Jahnn habe ich auch mal die Erzählungen gelesen, meines Wissens auch von Bibliothek Suhrkamp und die gefielen mir gut, aber ich finde das Buch nicht mehr bei mir, vielleicht leihe ich es mir mal aus, würde es gerne mal wieder lesen. In Fluß ohne Ufer habe ich vor langer Zeit mal rein gelesen, aber dann reichte meine Kondition nicht.


    Gruß Martin

    Ich stelle mal ein Buch vor, das nicht allzu lang ist, 104 Seiten, also eine Art Kurzroman und daß ich vor ein paar Jahren schon mal las und jetzt wieder gelesen habe.


    Das Buch ist ein phantastisches Buch, aber keine Science Fiction und kein Märchen, sondern eher eine phantastische Verfremdung des Realen. Was mir jetzt beim Wiederlesen aufgefallen ist, ist diese absolute vollkommene Negativität dieses Buchs, daß nur düster, nur dunkel, nur grauenhaft, nur ekelhaft, nur angsterfüllt ist, ein großer Depressionsbrocken - im Vergleich dazu ist Kafka ein lustiger Vogel. Es hat nicht einen Hauch von Humor oder es ist doch ein sehr grimmiger. Trotzdem gibt es phantastische Einzelheiten in diesem Buch, die für es einnehmen, vor allem auch im ersten Teil. Über die ( ohnehin sehr magere ) Handlung kann ich nicht viel erzählen. Es passiert ja auch nicht eigentlich sehr viel und das wenige will ich nicht verraten. Im Grunde handelt alles nur davon, daß jemand in eine Stadt kommt, ohne daß man eigentlich weiß warum und diese Stadt wird von Anfang an als völlig fremdartig, phantastisch geschildert. Er kommt in der Nacht und diese Nacht scheint niemals zu enden. Eigentliche "Beziehungen" zu Personen bauen sich nicht auf, alles ist fremdartig und abweisend, schließlich lernt er einen Jungen kennen, aber der stellt sich als ein früheres Ich heraus - und ist doch irgendwie eine eigene Person.


    Ich gebe 4 von 5 Ratten. Ich könnte auch 5 Ratten geben, weil das Buch schon ein Erlebnis ist. Ich glaube so ein Buch könnte heute nicht mehr geschrieben werden. Man sollte sich vergegenwärtigen, daß Hans Henny Jahnn 1894 geboren wurde, mithin zwei Weltkriege erlebte, in seinen letzten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg noch verzweifelt gegen die atomare Rüstung kämpfte. Dann aber erscheint in dem Buch auch so eine merkwürdige Dämonisierung des Leiblichen und Sexuellen. Ich glaube so ein Buch könnte heute nicht mehr geschrieben werden, gelegentlich scheint es einem fremd geworden zu sein - so ist es für mich auch eine Art Zeitreise. Übrigens war es wohl auch Jahnns letztes Buch, aber mit der seichten Unterhaltungskultur der 50er Jahre hat es rein gar nichts zu tun. Aber ein "absolutes Meisterwerk" ist es wohl nicht, dazu spiegelt es wohl zu sehr seine eigene Zeit ( einschließlich wohl der Tatsache, daß er an Freud glaubte ) und die "Steigerung des Grauens und der Negativität" am Schluß erscheint mir dann doch zu gewalttätig und nicht völlig überzeugend. Aber ein Erlebnis ist es wiegesagt schon.


    4ratten


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    EDIT: Betreff etwas angepasst und Amazon-Link eingefügt. LG Seychella

    Hallo Sandhofer,


    Doktor Katzenbergers Badereise habe ich sehr lange nicht mehr gelesen. Es ging da wohl um einen reichlich spleenigen Doktor, mit ausgeprägt bizarren Leidenschaften ( sammelte er nicht Mißgeburten?), seine Tochter und ihren Verehrer und ich glaube er bricht dann zu seiner Reise auf, um einen Rezensenten zu verprügeln. Ich habe das Buch als sehr lustig in Erinnerung und sehr gut zu lesen, obwohl sozusagen der "Hymnisch Sentimentale" Jean Paul in diesem Buch etwas zu kurz kommt. Ich kann es zum Einstieg auch guten Gewissens empfehlen. Danach vielleicht das Schulmeisterlein Wutz.


    Wie es mit dem Christentum Jean Pauls eigentlich aussieht, weiß ich nicht. Irgendwie faszinierend ist ja diese "Rede des toten Christus, daß kein Gott sei" aus dem Siebenkäs. Ich habe Jean Paul ein bißchen als Parteigänger des Christentums in Verdacht, der christliches Gedankengut zwar in herrlich sentimentaler Weise verarbeiten kann, aber was Jean Paul ganz persönlich wirklich geglaubt hat, weiß ja kein Mensch. Oder sehe ich das Deiner Meinung nach falsch? Vielleicht wußte es Jean Paul ja selber nicht.


    Die Frage, wie christlich waren eigentlich die christlichen Autoren ( zum Beispiel auch Dostojevski), ist eine Frage, die einen schon beschäftigen sollte. Es sind doch hochintelligente Leute, waren sie da wirklich offen in ihrem Christentum? Oder waren sie Christen nur insofern, als sie Protagonisten in einem Kulturkampf waren? Mich hat diese Frage schon immer sehr beschäftigt. Möglicherweise hat sich Jean Paul auch nur eingeredet, ein Christ zu sein. Möglicherweise hat er das Christentum tatsächlich geliebt, aber etwas zu lieben und an etwas zu glauben, sind zwei verschiedene Paar Stiefel.


    Gruß Martin

    Hallo Sandhofer,


    vielen Dank für den Hinweis. Daß Jean Paul sich als Christ verstand, war mir selbstverständlich bekannt. Nur ist das Christentum als solches ja wohl keine Philosophie, sondern ein Glaubenssystem. Es wäre also interessant zu wissen, welche explizit philosophischen Ansichten Jean Paul nun hatte. War er Materialist oder Idealist? An welche Erkenntnismöglichkeiten des Menschen glaubte er? Hat er sich überhaupt gründlich mit philosophischen Systemen auseinandergesetzt?


    Zitat

    Auch wenn ich die Unsichtbare Loge nicht unbedingt empfehlen würde.


    Ich habe aber schon viel von Jean Paul gelesen ( Titan, Siebenkäs, Flegeljahre, Quintus Fixlein ...) und die Unsichtbare Loge war irgendwann mal dran. Ich finde auch, daß sie sehr vielversprechend beginnt. Was hältst Du eigentlich vom Hesperus? Den habe ich auch bei mir zu Hause, aber nicht gelesen. Lohnt sich der? Immerhin war der Hesperus zu seiner Zeit ja ein ungeheurer Erfolg und wurde sehr viel gelesen, war wohl das erfolgreichste Buch von Jean Paul, wenn ich richtig informiert bin.


    Gruß Martin

    Hallo Sandhofer,


    die Geschichte mit dem deutschen Idealismus ist interessant. Ich habe schon einige Bücher von Jean Paul gelesen, was allerdings einige Zeit her ist und mir ist davon nie etwas aufgefallen. Weißt Du vielleicht, was Jean Paul am deutschen Idealismus zu kritisieren hatte und was seine Gegenpositionen waren?


    Gruß Martin

    Dieses Buch lese ich im moment gerade, bin aber noch nicht durch. Ich habe auch schon andere Bücher von Jean Paul gelesen, so den Titan, Quintus Fixlein, Siebenkäs und die Flegeljahre. Allerdings ist das auch schon wieder so lange her, daß ich kaum noch klare Erinnerungen habe ( habe ein sehr schlechtes Gedächtnis für Literatur. Jean Paul ist übrigens Goethezeit, also schon ziemlich alt.


    Was haltet ihr von Jean Paul? Also ich muß sagen, daß ich ihn irgendwie mag, aber ich finde ihn furchtbar schwer zu lesen. Nicht nur die ganzen gelehrten Anspielungen, die ich so gut wie nie verstehe - dafür gibt es dann meistens dicke Buchanhänge - auch sonst hat er gelegentlich einen schwierigen Stil.


    Ich halte ihn irgendwie schon für einen großen Schriftsteller, aber auch für einen guten?


    Wie mir scheint, ist Jean Paul ein sehr deutsches Phänomen geblieben, im Ausland scheint er kaum bekannt ( jedenfalls fand ich beim englischsprachigen Wikipedia keine Angabe von Übersetzungen und mein Mailfreund Julian aus London, der viel kennt, kennt ihn auch nicht).


    Die unsichtbare Loge gefällt mir bisher ganz gut. Es ist halt Jean Paul. Es ist sein typischer Stil, den schon sein erstes Buch hat und den er glaube ich sein ganzes Leben bei behalten hat.


    Gruß Martin