Nur was ist mit Beorn los?
Phileasson nimmt damit in Kauf, dass der Bruder wirklich stirbt und Irulla damit schon beraubt wird.
Sowohl das Verhalten von Beorn als auch das von Phileasson - obwohl in völlig unterschiedlichen Zusammenhängen - wurzeln in dem Faktor, der ihrer beider Leben bestimmt: ihrer Rivalität. Ohne die beinahe schon wahnhafte Besessenheit, dem jeweils anderen beweisen zu wollen, dass man besser ist als er, wäre Beorn niemals Thorwals größter Plünderfahrer geworden und Phileasson wäre niemals der größte Entdecker seiner Zeit geworden. Vielleicht hätte sich Beorn schon bald auf seinen erbeuteten Schätzen ausgeruht und Swafnir einen guten Wal sein lassen. Vielleicht hätte sich Phileasson nach seiner ersten Güldenlandfahrt im schönen Brattasö niedergelassen, um sich anzuhören, was die Skalden über ihn singen.
Aber für Beorn geht es schon lange nicht mehr um Schätze. Er will in Phileassons Augen blicken und sehen, wie dieser Mann an der Erkenntnis zerbricht, dass er gegen ihn, gegen Beorn, nicht ankommt.
Und Phileasson will dasselbe bei Beorn sehen.
Nur: Bisher konnte man immer anzweifeln, wer wirklich der Größere und Bedeutendere der beiden ist, denn sie haben sich in unterschiedlichen Disziplinen hervorgetan. Was zählt mehr - die kühnste Plünderfahrt oder die atemberaubendste Entdeckung? Darüber kann man streiten, und solange man streiten kann, ist der Sieg nicht vollkommen.
Aber jetzt ist da die Wettfahrt um den Titel König der Meere. Jetzt geht es um alles. Triumph auf der einen Seite, totales Versagen und ein verpfuschtes Leben auf der anderen. Und hinter allem steht die Wurzel der Rivalität, der Tod von Beorns Schwester.
Sowohl Phileasson als auch Beorn leben für die Entscheidung in dieser Frage. Sie definieren sich darüber - vollkommen. Es ist der Sinn ihres Lebens, in diesem Wettstreit zu triumphieren - und deswegen würden sie auch für den Sieg sterben. Als Verlierer wollen sie nämlich ohnehin nicht weiterleben.
Und sie brauchen sich. Nur dadurch, dass sie sich aneinander messen, können sie sich selbst und der Welt beweisen, dass sie der Beste sind (und jenseits von "der Beste" gibt es in diesem Fall keinen Zweiten, sondern nur noch "Abfall" - da sind sich beide einig).
Beorn hat es nun in eine andere Welt verschlagen. Jenseits von allem Schönreden, dass alles irgendwie doch noch mit der Wettfahrt zu tun hat, frisst der Zweifel in ihm. Jeden Tag kann Phileasson weitere Punkte sammeln. Beorn nicht. Vielleicht wird er auch nie wieder nach Thorwal zurückfinden, dann hätte Phileasson auf jeden Fall gewonnen. In diesen düsteren Momenten sieht sich Beorn als Totalversager. Sein Leben ist vorbei. Er hat verloren - und zwar, weil er so dämlich war, Orima gegenüber einen unüberlegten Wunsch zu äußern. Er ist auch noch selbst schuld! So gesehen hat er sogar verdient, gegen Phileasson zu verlieren. Seine eigene Dämlichkeit macht ihn zum Versager, zum Schlechteren.
In dieser Lage schließt er weitgehend mit seinem Leben ab. Er ist in einer tiefen Krise und stochert im Nebel danach, was jetzt noch kommen könnte. Ein Leben mit Zidaine? Soll er sich in der Elfenwelt arrangieren? Oder aus lauter Trotz doch wieder plündernd durch die Welt ziehen, obwohl das schon lange keine Befriedigung mehr für ihn birgt und nur noch Mittel zum Zweck war, zum Einzigen, was in seinem Leben überhaupt noch gezählt hat: Phileasson zu demütigen?
An Phileassons Nerven zehrt, dass er nicht weiß, wo sein Rivale abgeblieben ist und was er treibt. Und mit der Wettfahrt geht es nicht vorwärts. Wochen- und mondelang hängt er im Dschungel fest. Hat er etwas übersehen? Einen Fehler begangen? Sich irgendwie aus dem Rennen geschossen? Jeder Tag, der vergeht, bringt ihn näher an die 80-Wochen-Deadline. Wenn er dann nicht in Thorwal zurück ist und mehr Punkte hat als Beorn, hat er verloren. Und wo ist Beorn? Hat er die Aufgabe schon gelöst? Ist er bereits an der nächsten oder übernächsten? Wird ihn ein höhnisch lachender Blender erwarten, wenn er in den Hafen einläuft?
In dieser Situation ist jede Verzögerung zu viel. Auch für eine Freundin wie Irulla. Und auch jede Schwächung seiner Ottajasko ist inakzeptabel. Phileasson muss König der Meere werden, oder sein gesamtes Leben wird sich anfühlen wie die Lüge eines Aufschneiders. Er wird Irulla nicht ziehen lassen, und er wird sie erst recht nicht begleiten. Er will Beorn besiegen. Das steht über allem, dafür wird er am Ende des Tages auch alles opfern. Er hat dafür die Liebe seines Lebens in Khunchom zurückgelassen. Er würde selbst dafür sterben. Und wer wird auch eine Freundin und deren Fragen nach ihrem Bruder dafür opfern.
Die beiden Drachenführer sind sich im Kern eben doch ähnlich ...
Und wenn, wie bekommt man dann die alte Seele aus Faelanthîr wieder heraus?
Können sich eigentlich auch mehrere Seelen einen Körper teilen? Sozusagen als Wirt bis zur nächsten Wiedergeburt?
Ich verweise mal auf Seite 199:
Zitat
Anfangs, als ich noch von dem Anderen besessen war, da habe ich mir nicht viele Gedanken gemacht.« Er strich nachdenklich über die schrecklichen Narben in seinem Gesicht und rieb das Lid des von einem milchig weißen Film überzogenen Auges. »Yrbilya hat mir geholfen. Sie hat ihn aus mir herausgezogen, hat ihn für immer verbannt. Ich musste ein Opfer bringen … Ein Auge für meine Freiheit, der Preis war nicht zu hoch. Yrbilya ist überzeugt, dass er mich irgendwann ausgelöscht hätte, wenn wir nichts gegen ihn unternommen hätten. Sie hat gespürt, wie er immer stärker wurde und wie ich begann zu verschwinden.
Also ...
- Etwas oder jemand war in Faelanthîr
- Seit einigen Jahrzehnten ist dieses Etwas oder dieser Jemand nicht mehr in Faelanthîr
- Er oder Es wurde aber nicht getötet, ergo ist er oder es jetzt wohl in jemand anderem
- Und diesem Jemand mag Galayne bereits begegnet sein ... Möglicherweise schon vor den Inseln im Nebel ...