Mir schwirrt noch ein wenig der Kopf und ich habe so viel und doch nichts zu sagen, was mir ein wenig leid tut - es wurde quasi schon alles oben geschrieben, was mir so durch den Verstand geschwirrt ist. Ich fand die Auflösung und die Rollen die die einzelnen Figuren dabei gespielt haben total gelungen und es hat Spaß gemacht sie zu lesen. Und: Ich musste sehr weinen als Bernhard gestorben ist. Ich hatte ja mehr und mehr damit gerechnet, je weiter die Handlung fortgeschritten ist. Schon als Viktor und er sich gegenüber standen hatte ich das Schlimmste befürchtet.
Und ich weiß jetzt auch, was gemeint war mit dem Hinweis, dass Wotan noch eine Rolle spielen würde, Melanie Metzenthin
Wie ich auch schon schrieb - bei der Sterbeszene von Bernhard hatte ich beim Schreiben auch Tränen in den Augen. Aber ich denke, gerade weil es weh tut, beantwortet sich die Frage - kein Leben, um das man aufrichtig trauert, ist wertlos. Trauer auch in dem Sinne, als dass es eine andere Trauer wie bei einem 100-jährigen ist - um den trauert man auch, aber zugleich hat man das Gefühl, das Leben ist vollendet. Bei Bernhard bleibt viel Spielraum für Fantasie, wie es noch hätte werden können, gerade jetzt, wo er wieder anfing, Friederikes Ehemann in jeder Hinsicht zu sein und sich auch bestimmt seinen Möglichkeiten entsprechend gut um sein Kind gekümmert hätte. Wäre es ein echtes "Happy-End" geworden, wäre es m.E. banal geworden, man hätte es vergessen, manch einer hätte es vielleicht auch unglaubwürdig gefunden. Gerade durch den Schmerz beim Schreiben und auch beim Lesen, weil man den Verlust spürt, bleibt die wahre Aussage im Gedächtnis.
Im Übrigen fand ich auch den Auftritt des Bruders authentisch und sehr gut geschrieben. Ich habe ihn abwechselnd verachtet und ein wenig Mitleid mit ihm gehabt, und ich fand das genau richtig. Seine Erinnerungen und Gefühle sind ja beileibe nicht toll und er ist nun mal traumatisiert (der arme 7-jährige Viktor ), aber was aus ihm geworden war ist nun mal echt schlimm.
Ja, genau das wollte ich auch darstellen - man versteht, warum er so geworden ist, aber das ändert nichts daran, dass er ein Verbrecher ist. Aber es zeigt, dass niemand so geboren wird. Und während Juliane die Möglichkeit hatte, das Trauma zu überwinden und zu wachsen, hat Viktor sich im Grunde selbst vernichtet, als er aufhörte, Menschen menschlich zu betrachten und für Dr. Weiß' Manipulationen empfänglich wurde. Weil er letztlich seelisch zerstört war. Das ist der Unterschied zwischen ihm und Bernhard. Ein Teil von Bernhards Fähigkeiten waren zerstört, aber nicht das, was ihn als Menschen ausmachte. Viktor hatte noch alle Fähigkeiten, aber sein Vater hatte seine Seele zerstört. Und in dieser Leere, die geblieben war, in der menschlichen Verwüstung und Verrohung, da konnte Dr. Weiß' böse Saat schnell aufgehen. Interessant ist ja auch, dass viele der hohen Nazi-Schergen, die KZs leiteten, selbst eine kriminelle Vorgeschichte oder eine seelische Verrohung dieser Art hatten. Und das wurde dann von den Nazis rekrutiert - und dann genügt das eine Prozent an Psychopathen, das jede Gesellschaft hat, um sie komplett zu entwurzeln.
Toll, dass Magnus Hirschfeld erwähnt wurde! Das mag ich an historischen Romanen: Das man, wenn der Roman gut ist, einiges dazulernen kann. Mir war Hirschfeld tatsächlich nicht unbekannt und wurde aber inspiriert, um nochmal ein bisschen zu ihm zu recherchieren. Großartig!
An dieser Stelle sei auch mal erwähnt, dass ich die Einstellung von Friederikes Vater zu diversen Belangen einfach wunderbar finde. Vater-Figuren kommen ja nicht immer besonders gut weg, insbesondere wenn es um Töchter/Frauen geht. Friederikes Vater und ihre Beziehung zu ihm sind hier aber mutmachend und haben mir gut gefallen!
M.E. haben die meisten starken Frauen eine positive Vaterfigur im Hintergrund, die ihnen schon immer vermittelte, dass sie etwas wert sind und alles erreichen können. Vor allem in den Zeiten, in denen Frauen noch nicht die gleichen Rechte wie Männer hatten. Väter sind ungemein wichtig - sie können das beste ebenso wie das schlimmste aus ihren Kindern holen - auf der einen Seite Dr. Meinhardt, auf der anderen Seite der Vater von Juliane und Viktor.
Übrigens spielt Hirschfeld (bzw. seine Schriften) auch in "Die Stimmlosen" eine Rolle. Ich fand es hochinteressant, dass Hirschfeld schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Grundzüge der Sexualmedizin legte, die heute noch gültig sind, auch wenn er von den Nazis deshalb natürlich verfemt wurde.