Beiträge von Voyageur

    Ich habe das Buch kürzlich auf Englisch gelesen. Anfangs fand ich es sogar irgendwie spannend, auch wenn es rein chronologisch vorgeht. Anders als die neue TV-Serie, deren erste Folge ich kostenlos (als Probe) auf Apple-TV sah. Aber letztendlich gibt es in dem Buch keinerlei Cliffhanger, die Kapitel wirken in sich abschließend erzählt, der Plot läuft ohne große Überraschungen. Am Rande fand ich es komisch, dass der Protagonist 1989 sich wunderte, dass er das Gefühl hatte, er habe vergessen wie man Excel benutzt; Excel gab es 1989 erst 2 Jahre und war sicherlich kein Haushaltsbegriff wie heutzutage. Da ist der Autorin wohl die Gegenwart in die Vergangenheit gerutscht. Fraglich ist auch, ob es 1974 in Yokohama einen Park gab, in dem - auch wenn möglicherweise hinter Büschen - freie Liebe (hetero und homo) praktiziert wurde. Ob da das Kalifornien der frühen 1970er Jahre Pate gestanden hat?

    Über das Leben von Koreanern in Japan zu lesen hat der Roman schon was gebracht, aber ein "Muss" ist er eher nicht ... IMHO versteht sich.


    In der Übersetzung sind einige mathematische Dinge nicht richtig (fachsprachengerecht) übertragen worden, sie wurden zu frei übersetzt: Nicht "Die Zahl 24 besitzt die Fakultät 4" (S. 12), sondern 24 ist die Fakultät von 4 ...


    Bei dem "nichtfachsprachlichen" Übersetzen bedenkt doch: Es schreibt ja alles die Haushälterin auf, die nicht mal im Entferntesten Mathematik studiert hat und dementsprechend auch keine Fachsprache spricht/ beherrscht.

    Ja, im Prinzip ein guter Einwand.


    Den Satz "Oh, eine würdevolle Zahl! Sie besitzt die Fakultät 4." (S. 24 unten) spricht der Professor auf die Nennung der Zahl "24" durch die Haushälterin. Statt "[24] besitzt die Fakultät 4" wäre richtig übersetzt "[24] ist die Fakultät von 4", oder besser gesagt "Sie ist gleich 4 Fakultät" wie man fachsprachlich "24 = 4!" ausspricht.


    Hans Magnus Enzensberger lässt in seinem "Der Zahlenteufel - Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben" (ISBN 978-3-446-18900-3) von 1997, das er seiner Tochter Theresia gewidmet hat, die damals 11 Jahre alt war, den Zahlenteufel sagen: "Man schreibt die Zahl [...] und macht ein Ausrufezeichen dahinter: 4! = 24. Ausgesprochen wird das so: Vier wumm!" (S. 156).


    Weder die Haushälterin noch der Professor sprechen zwar derart "kindgerecht". Aber im ganzen Buch gibt es keine Stelle, wo jemand "nicht fachsprachlich" spricht. Und auf Englisch heißt der Satz "There's a sturdy number," he said. "It's the factorial of four." in der Übersetzung von Stephen Snyder. Im Original:「ほお、実に潔い数字だ。4の階乗だ」 (hō, jitsuni isagiyoi sūji da. yon no kaijō da)


    In beiden Sprachen ist der zweite Satz "mathematisch" richtig, nur die deutsche Übersetzung ist schräg. Dafür ist der erste Satz im Deutschen vielleicht besser als im Englischen getroffen ... schwierig: https://www.wadoku.de/search/潔い


    Jedenfalls: hier fehlte der deutschen Übersetzerin die durchweg erforderliche "Fachsprache".


    Anhand nur des einen Satzes ist es vielleicht Spekulation zu vermuten, dass auch Stephen Snyder keine Ahnung davon hatte, was er da übersetzte. Sein "there's a sturdy number" deutet nach meinem Englisch-Verständnis darauf hin, dass er sich auf die folgende "vier Fakultät" bezieht, statt auf die vorangehende Zahl "24". Im Original merkt der Professor jedoch an, "Oh, das ist wirklich eine 'würdevolle' Zahl.", also die 24, die nämlich die Faklutät einer anderen Zahl (4) ist.


    Beide Übersetzer haben "ihre" Schulmathematik vergessen, wobei Snyder nur die Überesetzung von "kaijō" aus dem Jap.-Engl. Mathelexikon abschreiben und Mangold aus diesem erst noch Deutsch machen musste. Dafür ist ihre Übertragung von "isagiyoi" als "würdevoll" sprachlich weniger problematisch als Snyders "sturdy" (zumindest nach meinem Sprachgefühl): "isagiyoi" heißt so etwas wie "rein, sauber, klar, unschuldig, unverdorben, aufrecht, gerecht, integer", aber auch "männlich, sportsmännisch, mutig" - während "sturdy" eher rein materiell "robust, kräftig, stabil" sowie "standhaft, entschlossen" heißt.


    Also nichts gegen Sabine Mangold als Übersetzerin. In der Liebeskind-Redaktion fehlt(e?) es nur an elementarer Mathematik.


    Das Ende jedoch stellt alles in den Schatten. Auf der letzten Seite schließt man fassungslos das Buch mit der Überlegung es unter ganz neuen Aspekten noch einmal zu lesen.


    Tina: Hast Du das Buch darufhin noch einmal gelesen? Mich würde interessieren, ob sich bei einer zweiten Lektüre Dein Verdacht erhärtet hat?


    Ich selber habe das Buch auf Deutsch vor rund 20 Jahren gelesen und kann mich außer an einige Szenen am Fluss bzw. auf einer der Brücken nur noch daran erinnern, dass ich irgendwie verwirrt war. Ich habe es letzte Woche endlich auf English gelesen und fand es soweit ganz gut verständlich, auch in seiner vagen aber nicht (mehr) irritierenden Unbestimmtheit.



    Mir ist bei der zweiten Lektüre nach so langer Zeit (wieder) nichts aufgefallen, was das Drama am Fluss andeutet. Obwohl es in der Tat Merkwürdigkeiten gibt:



    All dies ist eingebettet eine düstere, mysteriöse Stimmung. Ishiguro, ein Meister der Atmosphäre, vermittelt eine subtile Bedrohung, die permanent präsent ist und einem stellenweise die Kehle zuschnürt.
    Man spürt eine lauernde Gefahr, kann sie dennoch nicht benennen.


    Am subtilsten fand ich, dass es zweimal - am Anfang vom Ersten und am Ende vom Zehnten Kapitel - vorkam, dass Etsuko Mariko an den Fluss hinterherlief um sie zu suchen und dass sich beidesmal ein Seil an ihren Füßen verhedderte, was Mariko erschreckte, so dass Etsuko ihr versichern musste, sie wolle ihr nicht wehtun.


    Holunderbeere,


    ich bin jetzt auch etwa 100 Seiten vor dem Ende, aber ich werde mir weiter diese Kinkerlitzchen antun, dieses seichte Dahergeschwafel teilweise hölzern geschriebener (oder übersetzter) Poesiealbeneinträge. Ich lese nämlich zum einen alles Deutsche von Banana in der Reihenfolge ihrer japanischen Originalveröffentlichung und zum anderen interessiert mich dann doch, was aus dem armen auf den Kopf gefallenen Mädchen nach all den Erlebnissen wird.


    Was die "Poetik", also die (Lehre von der) Dichtkunst, dieses Romans angeht, so halte ich sie, wie bis Amrita alles von ihr Übersetzte, für schwach ausgeprägt und noch im Versuchsstadium steckend, sperrig, aufgesetzt, wie aus einem Lehrbuch für kreatives Schreiben nachgemacht. Alle paar Seiten geht das Erzählen in vollständigen Sätzen über in poesieüberfrachtete Nominalsätze.

    Zitat

    Die Wärme von Ryūichirōs Beinen an meinen, wenn wir zusammen im Bett lagen [...]
    Das blendende Sonnenlicht, wenn ich tagsüber aus dem Kino trat.
    Die Kühle der Erde an meinen Händen, wenn ich Pflanzen umtopfte.
    Allein die Nachbilder all dieser Sinneseindrücke schürten die Lust in mir, leben zu wollen, mich erinnern zu wollen, zusammenwachsen zu wollen. (S. 367)


    Mir erscheinen viele Sätze in dem Roman wie in grammatikalisch korrekte Reihenfolge gebrachte, nach dem Zufallsprinzip aus des Dichters Wundertüte herausgegriffene Worte. Es wimmelt von schiefen Bildern (möglicherweise ein Übersetzungsproblem), wie auf S. 366 nach einer anderen Auflistung, diesmal von Leuchten wie die Feuerwerke an Sommerabenden, die blinkenden Lichter der Leuchtkäfer, das Licht der Nachttischlampe, lauter solche Sachen, die glühenden Wangen von Saseko:

    Zitat

    Alles paßte zusammen - wie wenn man die Nase in einen sich gerade öffnenden Tulpenkelch steckt und es duftet so wunderbar. (S. 366)


    Meiner Unsensibilität entgeht, wie Nase und Tulpenkelch - oder Leuchten und Duften - zusammenpassen ...


    Wie dem auch sei, eine Ratte dürfte genügen.

    Inzwischen gibt es eine seitengleiche "Ungekürzte Taschenbuchausgabe"

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    im Piper Verlag, in der die oben ganannten Fehler in der Wiedergabe von Ortsnamen korrigiert wurden: Kiyosumi-Garten statt Seicho-Garten (S. 5), Kiyosubashi-Straße statt Kiyobashi-Straße (S. 19, S. 133) und der Bahnhof Hamacho statt Hamamatsu (S. 124). Die "Unbekannte / unbekannte Größe" (michisū) ist aber immer noch eine "unvorhergesehene Variable" (S. 172) und der im Taschenbuch-Original sinnvollerweise fehlende sinnlose Satz über den angeblich hohen Sonnenstand bei Sonnenuntergang (S. 183) wurde nicht gestrichen.
    Dafür erscheint in zwei Wochen ein weiterer Krimi von Higashino

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    und - Edit: - im April 2016 ein weiterer.

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Wenn ich mich recht erinnere, dann liest du viel japanische Literatur, voyageur.


    Derzeit leider weniger als ich möchte. Habe in der Zwischenzeit nur

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    gelesen, zu mehr bin ich nicht gekommen.



    Könnte es am kulturellen Hintergrund liegen, falls ich mit meiner Vermutung richitg liegen sollte?


    Das ist schwer zu sagen, zumal wir Leser ja noch weniger über die Vergangenheit des Professors und der Schwägerin kennen als die Haushälterin. Gründe für die Distanzierung müssen nicht unbedingt kulturell bedingt sein.



    Zu deinen Bemerkungen die Zahlen betreffend müsste man das Original kennen, um zu wissen wer nun die Fehler gemacht hat.


    Das glaube ich nicht. Es liegt eher daran, dass der Übersetzerin der mathematische Jargon im Deutschen fremd ist und/oder kein Fachlexikon zur Verfügung stand und/oder Erinnerungen an den eigenen Mathe-Unterricht abhanden gekommen sind :)

    Ich finde, das Buch hat ein paar zu viele Fragen offen gelassen, was ich unbefriedigend fand: Wer ist "N", wie ist das Verhältnis zwischen Professor und seiner Schwägerin, wieso hat die Schwägerin die Erzählerin/Haushälterin erst so erbost rausgeworfen und dann einen Monat später wieder eingestellt als ob nichts gewesen wäre? Da hätte ich mir mehr Inhalt gewünscht. Dafür hätte eine bisschen weniger Mathematik auch nicht geschadet, wobei mir auch nicht ganz glaubwürdig erschien, wie intensiv sich die Haushälterin um Zahlentheorie kümmert, und die Begeisterung für die Schönheit der Eulerschen Formel kam nicht gut nachvollziehbar rüber.
    In der Übersetzung sind einige mathematische Dinge nicht richtig (fachsprachengerecht) übertragen worden, sie wurden zu frei übersetzt: Nicht "Die Zahl 24 besitzt die Fakultät 4" (S. 12), sondern 24 ist die Fakultät von 4, die "Zwillings-Primzahlen" (S. 92) sind Primzahl-Zwillinge, Zahlen werden nicht mit anderen Zahlen "erhöht" (S. 179) sondern potenziert; was sollen "Definitionen von Lösungen" (S. 118) sein, eine "Konjektur" ist eine Vermutung, die kinetische Energie wird nicht in Studenkilometern gemessen (S. 134). Ansonsten ist die Übersetzung ganz gut (sprachlich fand ich aber "Hotel Iris" etwas besser) ...

    Ich bin froh, dass ich das Buch auf Englisch

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    gelesen habe. Dadurch von der Gewalt, den Obszönitäten und Ekelhaftigkeiten weniger mitbekommen als wenn ich mich dem in der Muttersprache ausgesetzt hätte. Schon bei Kaneharas Debütroman

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    hatte ich mir meine eingeschränkten Englischkenntnisse zunutze gemacht und wurde nicht von den ekligen Details abgehalten. Beide Bücher wirklich gut zu finden, fällt mir wegen besagter Überfrachtung mit Sex und sinnloser Gewalt schwer. Aber besonders "Autofiction" ist (auf Englisch) stilistisch clever aufgebaut.


    Die Eingangsszene im Flugzeug, wo Rin vor Eifersucht ausrastet, stellt sich als Kurzgeschichte heraus, die später einen Verlagslektor anregen wird, Rin zu bitten, einen ganzen Roman in diesem Stil einer fiktiven Autobiographie zu schreiben. Zudem ist das intellektuelle Niveau des ersten Kapitels, in dem Rin 22 Jahre alt und verheiratet ist, vergleichsweise hoch, die Beschreibung der Selbstzweifel und der Streitereien der vielen inneren Ichs ("selfs") sind durchaus glaubwürdig.


    Die drei folgenden Kapitel dürften die erbetene Auto-Fiktion sein, auch wenn es keinen Übergang zwischen der Beschreibung von Rins Leben in Ich-Form und der fiktionalen "Autobiographie" gibt wie innerhalb des ersten Kapitels. Das Niveau der Kapitel nimmt mit dem Alter der Erzählerin Jahr für Jahr ab. Waren es mit 22 noch endlose psychologische Dispute zwischen verschiedenen Ichs, sind es mit 18 seitenlange Selbstgespräche zwischen Rin und ihrer "pussy". Mit 16 stehen Sex und Pachinko-Spiel im Mittelpunkt des geistigen Interesses, während mit 15 die Aufmerksamkeit ganz den abgeschlagenen Samuraiköpfen dient, von der finalen Abtreibung einmal abgesehen. Sprachlich wird dieser Niedergang sehr gut widergespiegelt: mit 22 strukturierter und intellektueller, mit 15 simpler und infantiler. Dass dieser Niedergang so gut deutlich wird, liegt größtenteils daran, dass er rückwärts erzählt wird, es sich also eigentlich um einen Reifeprozess handelt.


    Die Handlung hingegen ist für mich nicht immer nachzuvollziehbar und wirkt doch sehr extrem. Was Sprache, Stil und Struktur angeht allerdings ein beachtliches Werk. Für 5 Ratten sollte eigentlich beides zusammenpassen, hier klaffen jedoch die Qualität von Handlung und Stil krass auseinander. Nur durch den Filter der Fremdsprache betrachtet vergebe ich
    4ratten

    Endlich habe ich "Sly" gelesen, dass seit 10 Jahren im Bücherregal steht. Von all den Bananas, die ich über die letzten 15 Jahre gelesen habe (in der wikipedia-Auflistung: Kitchen, Tsugumi, Dornröschenschlaf, N.P., Eidechse und jetzt Sly) kann ich nicht einmal behaupten, Sly sei der schlechteste. Ganz wie Katia oben gesagt hat


    Zitat von "Katia"

    [...] irgendwie geben mir die Bücher nicht mehr so viel wie anfangs.
    Ob das daran liegt, dass sich Bananas Art zu schreiben oder ihre Themen abnutzen, oder einfach nur an mir, kann ich nicht beurteilen.


    unterscheiden sich die Geschichten so wenig, dass ich mir nicht einmal mehr sicher bin, ob ich "Hard-boiled, Hard luck" nicht auch schon gelesen habe: gestern hatte ich da kurz mal reingeschaut, Hard-boiled kam mir irgendwie bekannt vor, Hard luck aber nicht; und da ich das Buch bestimmt nicht mitten drin abgebrochen habe, habe ich entweder Hard luck vergessen oder ich kann Hard-boiled von den anderen nicht unterscheiden.


    Und zu "Sly": da kann ich nur aus dem Nachwort zitieren, in dem Banana beschreibt wie sie im Frühjahr 1995 mit ihrem Verlag einen Betriebsausflug nach Ägypten unternimmt:


    Zitat

    Vor uns liegt eine wunderschöne Reise, und ich werde Tagebuch führen. Keine Ahnung, ob dabei ein Roman herauskommen wird. Das war es in etwa, was mir durch den Kopf ging, bevor wir aufbrachen. Aber einen Schauplatz vom Kaliber Ägyptens in den Griff zu bekommen war nicht einfach. Ich erlitt einen solchen Schock, daß ich, die Schriftstellerin, beschloß, ich müsse einen Roman schreiben. [...] Und so entschied ich mich für einen Roman, der von den Gedanken seiner Protagonisten handelt, die zu nichts anderem fähig sind, als sich listig und dabei traurig in dieser Landschaft treiben zu lassen.


    Diese Unstimmigkeit der Gedankengänge. Eine Schriftstellerin, die mit ihrer Verlags-Entourage eine Reise Ägypten unternimmt und mit dem Gedanken spielt einen Roman daraus zu machen, braucht einen Schock, um zu beschließen, einen Roman zu schreiben: lächerlich. Während das wohl auf Banans Mist gewachsen ist, ist die verquere Ausdrucksweise "einen Schauplatz vom Kaliber Ägyptens in den Griff bekommen" der Übersetzerin zuzuschreiben. Dass sich die Protagonisten "listig" in der Landschaft treiben lassen, ist mir beim Lesen völlig entgangen. Eine der unzähligen Stellen (bestimmt eine pro Seite) wo ich mich gefragt habe, ob es an Banana, der Übersetzerin oder etwa an mir liegt, dass ich die Stelle schief, unpassend, hölzern, sperrig, platt, plump, verquast, blödsinnig, kindisch, dümmlich ... finde.


    Doris

    Zitat

    Enttäuschend fand ich, dass die Handlung nicht in Japan, sondern hauptsächlich in Ägypten spielt. Das war schon etwas befremdend, wenn man Einblicke in die japanische Lebensart erwartet.


    Mir erging es genau anders herum. Ich hatte gehofft, dass der Roman merklich in Ägypten spielt, dass Land und Leute eine Rolle spielen. Aber weit gefehlt. In "Sly" geht es ausschließlich um die Befindlichkeiten der Erzählerin, die von Ägypten unbeeinflusst bleiben. Beschreibungen von Land und Leuten hat die Autorin aus Reiseführern abgeschrieben, eine Verarbeitung eigener Reiseerfahrungen ist nicht erkennbar.

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Klappentext


    Ishigami, der Mathelehrer, gegen Dr. Yukawa, den Physiker: Die beiden haben seit Langem eine Rechnung miteinander offen. Nun kämpfen sie gegeneinander: Ishigami, um die Wahrheit zu vertuschen, und Yukawa, um sie aufzudecken. Gelingt es ihm, der geliebten Mörderin und deren Tochter ein Alibi zu verschaffen, oder werden sie am Ende allesamt des Mordes und der Lüge überführt? Gewinner dieses Zweikampfes zweier Genies sind die Leser: Keigo Higashino dreht in seinem Bestseller die gängigen Krimi-Rollen raffiniert um und lässt uns mit der Täterin mitfiebern.


    Mein Eindruck


    Falsch ist, dass die beiden erstgenannten eine offene Rechnung haben (zumindest ergibt sich das nicht aus der Story), richtig hingegen, dass der Krimi raffiniert konstruiert und spannend bis zuletzt ist, auch wenn von Anfang klar ist, wer die Mörderin ist.


    Anders als in bereits 2003 übersetzten Krimi "Mord am See"

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    greift Higashino allerdings keine gesellschaftlichen Probleme kritisch auf. Hier geht es nur um die Konstruktion eines perfekten Alibis.


    Der Titel des Originals (als Buch 2005 erschienen, aber schon ab 2003 in 4 Folgen in einer Zeitschrift veröffentlicht) lautet "yōgisha X no kenshin", also soviel wie "Die Aufopferung der/des Verdächtigen X", während der deutsche Titel arg murakamisch klingt. Im Klappentext wird auch für die Übersetzerin Ursula Gräfe entsprechend geworben: "Besonders gelobt wurden ihre [U.G.s] Übertragungen des Werks von Haruki Murakami."


    Zu recht, die Übersetzung ist flüssig geschrieben und gut zu lesen. Insgesamt


    5ratten


    auch wenn ich mir einige kleine Anmerkungen zur Übersetzung nicht verkneifen kann.


    Bei Ortsnamen gibt's gelegentlich Ungenauigkeiten: Der Park in der Nähe des Tatorts heißt nicht "Seicho-Garten" (S. 5), sondern "Kiyosumi-kōen" (kōen = Park/Garten); die Straße zur Kiyosu-Brücke heißt "Kiyosubashi-Straße" und nicht "Kiyobashi-Straße" (S. 19) und der U-Bahnhof "Hamachō" heißt nicht "Hamamatsu" (S. 124; auf S. 181 bekommt er allerdings seinen richtigen Namen wieder). Mathematik ist auch nicht jedermanns Stärke: Die "unvorhergesehene Variable" (S. 172) ist eine "Unbekannte" (michisū 未知数) - wenn auch nicht das X aus dem Titel - und es ist nicht eine "algebraische Lösung" (S. 222) gemeint, sondern eine "funktionale" (kansū 関数, nicht daisū 代数 - was immer das heißen soll). Schließlich steht auf Seite 183 der Satz "Die Sonne stand noch hoch, und die Umgebnung war ausreichend beleuchtet", obwohl es Mitte März (also ungefähr Tag-Nacht-Gleiche) abends um 17:50 ist (also eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang): im Japanischen Original das mir vorliegt (Taschenbuchausgabe von 2008) fehlt ein solcher Satz; vermutlich liegt der Übersetzung eine ältere Ausgabe zugrunde.


    Das einzige an der Übersetzung, das mir als unpassend auffiel, war die wiederkehrende Übersetzung von " 何でしょうか。nandeshōka" als "Was kann ich für Sie tun?" in Situationen an der Haustür, am Telefon oder auf eine Bitte um ein Gespräch (S. 29, 32, 148, 222). Die wörtliche Übersetzung "Was ist? / Um was geht es?" klingt hier m.E. natürlicher, während "Was kann ich für Sie tun?" im Deutschen besser in ein Kundengespräch passt - wie z.B. im "Klub Marian" (S. 203):

    Zitat

    "Guten Abend Was kann ich für Sie tun?", fragte sie liebenswürdig.

    Im Original sagt die Bar-Hostess

    Zitat

    「いらっしゃいませ。何か御用がおありだとか」おさえた声で尋ねてきた。

    also vielleicht so viel wie "'Seien Sie willkommen. Es heißt, Sie hätten ein Anliegen', fragte sie mit gedämpfter Stimme als sie hinzutrat."


    Wie dem auch sei: lange nicht mehr eine so gute Übersetzung und so eine spannende Story gelesen!

    HoldenCaulfield
    stimmt, einigermaßen gefallen (mit den genannten Abstrichen) hat mir bisher nur Eine denkwürdige Begebenheit am Großen Fluß, weil da am Ende eine "Botschaft" anklingt, mit der ich etwas anfangen kann. Bei allen bisher gelesenen Geschichten störte mich hauptsächlich die Sprache, was vielleicht an den Übersetzungen liegt, und die Handlung: einfältig, holprig und gekünstelt, konstruiert. So dass es mir bisher nicht recht gelang, zu den möglicherweise intendierten Aussagen durchzudringen.


    Ich habe aber vor, alles von Yoshimoto zu lesen, was auf Deutsch erschienen ist. Das habe ich mit allen japanischen Schriftstellern vor ... :)

    Mich hat Eidechse nicht überzeugt. Die erste drei Geschichten erzählt Yoshimoto aus der Sicht eines Mannes, was ihr nicht recht gelingen will, wie ich finde. Beispielsweise beschreibt sie (als ein "er") in der Titelgeschichte, wie der Ich-Erzähler sich in "sie" (genannt Eidechse) verliebt, und "er" spürt,


    [quote author=Yoshimoto Banana, Taschenbuch S. 32f][...] daß tief in mir etwas zu keimen begann.
    Würde ich es vergleichen wollen, dann mit der heiteren Stimmung, in der man an einem lauen Frühlingsabend auf dem Weg zu einem Rendezvous mit einer Frau, die man zwar kaum kennt, zu der man sich aber hingezogen fühlt, in die S-Bahn steigt und sich dabei überlegt, wo man etwas essen oder trinken gehen sollte. Auch wenn man darüber nachgedacht hat, ob man noch am gleichen Abend zusammen im Bett landen wird oder nicht, fühlt man sich in Anbetracht ihres verhaltenen Benehmens, des Lächelns in ihrem Gesicht, des Musters ihres Schals oder des Schnitts ihres Mantels, den sie extra für unser Treffen ausgewählt hat, bis in den letzten Winkel seines Herzens hinein rein. Genauso unschuldig, als würde man eine weit entfernte, schöne Landschaft betrachten. Solche beschwingten Augenblicke, die ich längst vergessen hatte, wurden in diesem Moment wieder zum Leben erweckt wie ein frischer Duft.[/quote]


    Mal von der mir doch eher feminin erscheinenden Wort- und Bildwahl abgesehen, kann ich mir einen "Mann" nur schwer vorstellen, der beim Gedanken, ob er mit einer Frau schlafen wird, Augen für das Schnittmuster ihres Mantels hat.


    In den anderen drei Geschichten ist der Ich-Erzählende eine Frau, und dabei sollte es Yoshimoto belassen. Nicht, dass die nächsten beiden Geschichten besser wären, und auch die letzte, Eine denkwürdige Begebenheit am Großen Fluß, fängt typisch Banana an: Eine Frau mit ehemals aus dem Ruder gelaufenen Sexualleben ...


    [quote author=Seite 137]Ich trieb es mit Männern und mit Frauen und mit beiden gleichzeitig [...] ich glaube, außer extremen Perversitäten und Techniken, die direkt zum Tode führen, habe ich so ziemlich alles ausprobiert, was man sich vorstellen kann.[/quote]


    ... woraus sie gelernt hat,


    [quote author=ebd.] [...] daß es auf dieser Welt wirklich und wahrhaftig eine Menge Menschen gibt, die Tag für Tag ihres Lebens noch wesentlich Unglaublicheres und Abstruseres tun, bis ihr letztes Stündlein geschlagen hat.[/quote]


    Nach all dieser Angeberei fällt Banana dann, als die inzwischen ein normales Single-Leben führende Erzählerin zufällig eine Gespielin aus alten Zeiten wiedertrifft, nichts besseres ein, als dass diese eine Dame mittleren Alters ist, mit der sie mal in deren Ferienhaus ein paar Tage homoerotischer Zweisamkeit verbracht hat: Ein wenig einfallsreicher Lärm um nichts.


    Bisher kann ich also noch keine Ratte vergeben. Aber die Geschichte nimmt dann auf den nächsten 60 Seiten ihren Lauf und es kommt, wieso, das erpare ich mir nachzuerzählen,


    [quote author=Seit 194] [...] der Augenblick, in dem ich mich einen ersten, winzigen Schritt von der Vorstellung löste, ich sei der Nabel der Welt.
    Ich verspürte weder Freude noch Enttäuschung, sondern ein seltsam gelöstes Gefühl der Unruhe, der Ungewißheit, so als hätte ich endlich einen Muskel locker gelassen, den ich bis dahin immer unnötig angespannt hatte.[/quote]


    Ich hoffe, dass sich die sprachliche Verkrampfung, die mich bei aller Prosa von Yoshimoto Banana störte, die ich bisher gelesen habe (Kitchen, N.P., Tsugumi, Dornröschenschlaf, Hard-boiled Hard luck), jetzt endlich gelöst hat. D.h.: eine Ratte als Vorschusslorbeer für meine nächste Yoshimoto-Lektüre:


    1ratten


    Zur Geschichte selbst kann ich kaum mehr was sagen. Das ist eigentlich schade, aber ich kann das Buch ja jederzeit nochmal lesen.


    @Nimue: mein Vorschlag: lass es. Es gibt bessere Romane.


    "Naokos Lächeln" ist mein dritter Roman von Murakami, nach "Wilde Schafsjagd" und "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt". Und ich muss sagen: die erste Hälfte hat mich nicht enttäuscht. Flüssig geschrieben, ruhig erzählt taucht man ein in die Erlebnisse des Ich-Erzählers Tôru aus seiner Studentenzeit - über eine zweistufige Rückblende, von der Gegenwart des Anflugs auf Hamburg über die Geschichte mit Naoko am Brunnen ins 1968er Studentenwohnheim. Weit ausholend aber nicht weitschweifend werden die Hauptpersonen so vorgestellt, dass man sich gut ein Bild von ihnen machen kann. Schön fand ich wieder die Spaziergänge durch Tokyo - es könnten meine eigenen gewesen sein. Und selbst die bei Murakami offenbar unvermeidlichen Zitate aus der Musik - hier ein Song der Beatles, da ein Klassiker von Mozart - kommen ohne die altklugen Empfehlungen der wilden Schafsjagd aus, welche Bach-Fuge am besten zu welcher Pasta passt.


    Allerdings sinkt das Niveau in der zweiten Hälfte ins Bodenlose, mehr und mehr versteifen sich die Dialoge auf das eine: "Wenn Du das nächste Mal masturbierst, bittebitte denke ganz feste an mich, ja?" trällert Midori mädchenhaft-unschuldig ein ums andere Mal. Naoko wird genau einmal in ihrem kurzen Leben feucht, auf dass der Erzähler so richtig in sie kommt, während er in ihren trockenen Phasen ins allzeit bereite Handtuch kommt. Midori, dieser penispickende Grünschnabel, ist ganz heiß auf SM-Pornos: "Bitte komm nicht zur Beerdingung meines Papas, ich hasse so was. Aber danach, dann gehen wir bestimmt in einen Pornofilm, einen ganz säuischen, versprochen?" Wer wollte der närrischen Midori so eine süße Bitte abschlagen? Midori kann einem aber auch Leid tun, ständig stirbt ihr ein Elternteil weg, an offenbar ansteckendem Gehirntumor; da kann ja niemand normal bei bleiben. Der Erzähler beschränkt sich derweil darauf, zwischen der Lektüre von Manns Zauberberg und Hesses Unterm Rad, zwischen Schallplatten verkaufen und Radiomusik hören, sich abwechselnd von Naoko und Midori den Schwanz ablutschen zu lassen und zum großen Finale Reiko die grabentiefen Altersfalten in Gesicht und Gesäß auszulecken, womit der Prozess seines Erwachsenwerdens wohl abgeschlossen sein dürfte.


    Das aber bleibt offen. So wie Sinn und Zeitpunkt der Brunnengeschichte. Offen und unerklärbar bleibt auch, wie ein 20-Jähriger jedes aber auch wirklich jedes im Roman erwähnte Musikstück, das er hört, mitsingen oder gar vorspielen kann - und zwar nicht nur die zeitgenössischen Pop-Songs, sondern auch Klassisches ("das Konzert von Berlioz, das mit den Celli zu Beginn des zweiten Satzes, Du weißt schon").


    Das Niveau des Romans jenseits von Seite 200 ist unterhalb jeder Gürtellinie. Murakami konstruiert unglaubwürdige Charaktere und bleibt eine Erklärung für das erratische Hin und Her des Erzählers zwischen Naoko und Midori schuldig; die literarische Form der Rückblende eines End-Dreißigers auf seine Pubertät nutzt Murakami nicht zur Reflexion, sie ist nur ein Trick, die ersten paar Seiten des Romans einnehmend zu gestalten.


    Immerhin hat Murakami mit diesem Machwerk Geschichte geschrieben. Das Genre "Erwachsen werden unter erschwerten Bedingungen: Geschwister und Eltern, Freunde und Freundesfreunde, alle sind entweder bereits tot oder verunfallen oder bringen sich um" erhält 1987 durch "Naokos Lächeln" Einzug in die ins Deutsche übersetzte japanische Literatur. Ihm folgt 1988 Yoshimoto Banana mit "Kitchen", die das Genre um den im Koma liegenden Bekanntenkreis medienwirksam erweitert und grobe Schwanzphantasien gender-konform durch poetisch-berührende Inzestszenarien ersetzt.


    Zwei Ratten sind eigentlich zu viel und gelten nur für die ersten zwei Hundert Seiten. Murakami kann gut schreiben, aber für einen tadellosen ganzen Roman hat es bis 1987 jedenfalls nicht gereicht. Bis dahin ist "HbW und das EdW" (1985, dt. 1995) sein bester Roman, dann kommt mit Abstand die belanglose "Wilde Schafsjagd" (1982, dt. 1991), und am abstoßendsten ist "Naokos Lächeln" (1987, dt. 2001). Dem Verriss durch Rose-Maria Gropp in der FAZ vom 21. März 2001 kann ich mich nur anschließen. Murakamis Kurzgeschichten sind besser. Ich hoffe, er hat mit "Tanz mit dem Schafsmann" (1988, dt. 2002) den Durchbruch geschafft.


    2ratten

    Ich fand "Seide" sprachlich eher flach, etwas einfältig. Die Wiederholungen - im Gedächtnis geblieben sind mir nur die der Beschreibung der Reiseroute von Frankreich nach Japan - habe ich allerdings überhaupt nicht als störend empfunden, eher als passend zur Eintönigkeit der Reisen durch das kalte Sibirien. Der ganze Roman ist eintönig geschrieben, ohne Höhepunkte. Die Einteilung der 130 Seiten in 65 nummerierte Abschnitte ist größtenteils willkürlich, mal geht es ohne Schnitt nahtlos weiter, mal springt die Erzählung ein Jahr weiter. Wenn die Handlung schon ans Ende der Edo-Zeit gelegt wird, sollten wenigstens auch die Ortsnamen aus der Zeit stammen. Dass der mysteriöse Hara Kei anno 1861 gar Französisch gesprochen haben soll, ist ziemlich unwahrscheinlich. In der Filmfassung heißt er etwas zeitgenössischer Hara Jubei, aber Barrico hat den Namen vielleicht von Hara Tomitarô (1868-1939) alias Hara Sankei abgeleitet, einem wohlhabenden Seidenhändler in Yokohama und Gründer des dortigen Gartens Sankei-en. Unwahrscheinlich ist auch, dass um diese Zeit eine Japanerin in Nîmes ein Bordell ("Die Mädchen waren alle jung und Französinnen") geleitet haben soll.


    Neben der Eintönigkeit der Erzählung gibt's zu viele Stellen, die ich geschmacklos finde. So hat "die Stumme Schöne" hat kursiv gesetzte, "nicht asiatisch geschnittene Augen" von "verwirrender Intensität". Es bleiben lose Enden, wie das Geheimnis hinter Agnes der Heiligen und Agnes der Tochter des Lariot und ihrer beider Beziehung zu Baldabiou. Statt dessen erfährt der Leser fernöstliche Weisheiten made by Baricco: Dass asiatische Männer ihren Geliebten nicht Schmuck, wie wir das tun, sondern Vögel schenken, statt sie zu vögeln, wie wir das denken. Dass es im altmodischen Japan 12 Verbrechen gibt, für die ein Mensch zum Tode verurteilt werden kann, z.B. das Überbringen eines Liebesbriefes seiner Herrin. All das ist Teil der poetischen Mystik: Der Geheimnisse sind viele, raunt der Dichter, und keines wird von Seide je enthüllt.


    Was mich aber am meisten stört, ist das exotisch-erotische Japanklischee: Den einsamen, wortkargen europäischen Mann zieht es nach Japan, wo er von stummen Schönen nächtens in die Künste der Liebe eingeweiht wird, von denen er schon immer feucht geträumt hat - ohne recht zu wissen wie ihm geschieht.


    Von mir gibt es nur 1ratten für "Seide" als willkommenem Anlass, ein paar Bücher über das Japan der Vor- und frühen Meiji-Zeit zu lesen:


    über Sakamoto Ryôma (1836-1867):
    Sakamoto Ryoma and the Meiji Restoration von Marius B. Jansen


    über Thomas Blake Glover (1838-1911):

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Pure Land von Alan Spence und

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    At the Edge of Empire von Michael Gardiner


    von und über Ernest Satow (1843-1929):

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    A Diplomat in Japan

    Die Struktur des Romans ist tatsächlich interessant angelegt, mit den kapitelweise abwechselnden Erzählperspektiven des chinesischen Mädchens und des japanischen Soldaten, die beide in der Ich-Form erzählen. Aber diese Konstruktion ist stümperhaft ausgeführt. Beide Erzählstränge sind in der Gegenwartsform geschrieben, was dem Ganzen zwar das Gefühl einer Gleichzeitigkeit gibt, es wird aber ständig durch Rückblenden in die Vergangenheit des jeweils Erzählenden zerstört. Erst in der Mitte des Buches sind die rückgeblendeten Vergangenheiten der Erzähler so weit zeitlich aufgearbeitet, dass beide in der tatsächlichen Gegenwart der Go-Partie angekommen sind. Ein weiterer misslungener Versuch der Gegenwartsliteratur, in der Präsenzform zu erzählen.


    Neben dieser grammatikalischen Fehlkonstruktion hat die Autorin auch nicht die geringste Ahnung vom Go-Spiel und ergeht sich in angelesenen Spinnereien über die angeblichen philosophischen Tiefgänge des Spiels. Go-Steine, die einmal gesetzt unverrückbar auf dem Brett stehenbleiben, wirbeln bei Shan Sa "gelenkig umher ... in kreisenden Spiralen", die Spieler "tauchen ein in die Abgründe der Mathematik" um dann festzustellen, dass Go "auf die Berechnung pfeift, die Phantasie brüskiert... das Spiel der Lüge", oder dass Go "ausschließlich der Elite vorbehalten ist, eine Zeremonie, die mit allerhöchstem Respekt zelebriert wird". Aber auch die beiden Spieler selbst haben offenbar vorher noch nie Go gespielt, wie ihre amateurhaften ersten Züge der Partie zeigen. Und dass die Züge des Mädchens im Endspiel "schneller und schneller" werden, das Mädchen "immer listiger" werde, beweist, dass nicht vom Go-Spiel die Rede ist, sondern höchstens von einer weit hergeholten Metapher. Ein weiterer sprachlicher Fehlgriff ist, dass die Ränder des Spielbrettes - wie auf dem französischen Schachbrett - von dem chinesischen Mädchen und vom japanischen Soldaten mit Himmelrichtungen Norden und Süden usw. bezeichnet werden, statt mit oben und unten. Spätestens in der deutschen Übersetzung hätte dieser Frankismus(?) bereinigt werden müssen, zumal auch Japaner auf dem Go-Brett definitiv nicht in Himmelsrichtungen denken und Chinesen wohl auch nicht, außer vielleicht in mythischen Urschriften über das Spiel aus dem drittletzten Jahrtausend, was ich aber bezweifele.


    Dass eine derartige Verballhornung des Go-Spiels es durch die Lektorate an sich angesehener Verlage geschafft hat, liegt wohl an dem durch von Kenntnis völlig verschont gebliebenem Exotismus aufgeputschten Hype in den fränzösischen Literatursalons, dem sich alle zustimmend-nickend wissend-unwissend gerne anschließen. Die wenn auch mangelhaft ausgeführte theoretisch sehr interessante Grundkonstruktion von Sprache und Handlung des Romans zeigt aber, dass Shan Sa ein gewisses, bisher unter einigen deutschsprachlichen Steifigkeiten der Übersetzung vergrabenes Schreibtalent besitzt, das hoffentlich in ihrem von mir (noch?) nicht gelesenen Spätwerk zur Entfaltung gekommen ist.


    Daher zwei Ratten, eine davon eine Vorschussratte: 2ratten

    In der FAZ vom 24.12.2008 stand auf Seite N3 passend zu Christi Geburt unter der Überschrift "Pure Paare" eine Betrachtung eines gewissen Lorenz Jäger über das Thema Abtreibung im Roman Zeit der Reife von Jean-Paul Sartre (1945) und in dem "feministischen Klassiker" Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir (1949). In letzterem widme sich ein Kapitel dem Thema der Mutterschaft, und Jäger schreibt:


    Zitat

    In diesem Zusammenhang fallen die berüchtigten Sätze über den Fötus als Parasiten und später als "Polypen": "Aber die Schwangerschaft ist vor allem ein Drama, das sich bei der Frau zwischen ihren beiden Ich abspielt. Sie empfindet sie gleichzeitig als eine Bereicherung und als eine Verstümmelung. Der Fötus ist ein Teil ihres Körpers und auch wieder ein Parasit, der auf ihre Kosten lebt. Sie besitzt ihn und wird doch wieder von ihm besessen."


    Vielleicht kannte Ôe Kenzaburô, der ja seine Studienabschlussarbeit über Sartre schrieb, Das andere Geschlecht, das immerhin 1955 beim Verlag Shinchôsha auf Japanisch erschienen war, und lässt deshalb 1958 im Stolz der Toten die Studentin sagen:


    Zitat

    "Außerdem erinnert mich der Klumpen aus Knorpel und Fleisch in meinem Bauch an die Leichen hier in der Wanne."


    Nur der Vollständigkeit halber: Sujata Massey hat bis heute insgesamt 10 (zehn) Bücher mit Rei Shimura als Hauptperson geschrieben.


    Wie ich gerade hier lese, wird es auch bei zehn Shimura-Bänden bleiben. Schade, aber glücklicherweise habe ich noch die Hälfte vor mir.


    Man merkt den Büchern an, dass sie gut recherchiert sind. Sujata Massey lebte von 1991 bis 1993 in Japan und ihr erster Shimura-Roman erschien 1997. Zu Recherchen war sie jedes Jahr für einen Monat in Japan, schreibt sie an anderer Stelle - und wohnte dann gelegentlich im Asia Kaikan, in dem ich auch mal ein paar Wochen preis- und empfehlenswert gewohnt habe, einen Steinwurf entfernt von der besagten Ikebana-Schule :)