Beiträge von Steerpike

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    Manhattan Transfer ist einer der bekanntesten Großstadtromane der klassischen Moderne. Er war bei seinem erscheinen ein Verkaufserfolg und begründete den Ruhm von John Dos Passos, der gern in einem Atemzug mit Alfred Döblin und James Joyce genannt wird. Tatsächlich habe ich daher auch etwas anderes erwartet, als ich das Buch zur Hand genommen habe, und muss sagen: Im Vergleich zu Ulysses oder Berlin Alexanderplatz halte ich Manhattan Transfer für wenig spektakulär und eher uninteressant.


    Erzählt werden schlaglichtartig die Leben verschiedener New Yorker Einwanderer oder Ansässiger. Oft kann der Leser nur einen kurzen Blick auf ein bestimmtes Leben werfen, doch einige andere Figuren tauchen immer wieder auf. Die wichtigsten sind Jimmy Herf, der als kleiner Junge aus wohlhabender Familie seine Mutter verliert, bei seinem Onkel aufwächst und schließlich Journalist wird, sein Leben aber die ganze Zeit als leer und bedeutungslos empfindet. Er ist verheiratet mit Elaine Herf geschiedene Oglethorpe, geborene Thatcher, die eine gefeierte Schauspielerin ist und ihr Leben damit zubringt, Glück in Beziehungen zu suchen. Auch von Herf, mit dem sie ein Kind hat, lässt sie sich wieder scheiden und heiratet am Ende den Anwalt George Baldwin. Baldwin ist ein Jurist, der durch einen ersten erfolgreich gelösten Fall immer weiter auf der Karriereleiter nach oben steigt, und sich dann entschließt, in die Politik zu gehen.
    Baldwin und Herf heiratet Elaine Thatcher noch John Oglethorpe, einen faulen aber genialen homosexuellen Theaterregisseur, der mit seinen Fähigkeiten den Grundstein zu ihrer Karriere legt. Elaines große Liebe ist allerdings der Sohn aus reichem Hause Stanwood Emery, der mit dem Leben nicht zurande kommt und schließlich – Unfall oder Selbstmord? – bei einem Brand ums Leben kommt.


    Wenn ich Manhattan Transfer mit Ulysses oder Berlin Alexanderplatz vergleiche, dann schneidet es am schlechtesten ab. Es ist für mich als heutigen Leser nicht besonders originell geschrieben, Romane, die episodenhaft verschiedenen Figuren folgen und deren Lebenswege dann irgendwann miteinander verschränken, sind mir und wahrscheinlich allen anderen hier auch vertraut. Die Technik des stream of consciousnesss habe ich in MT vergleichsweise selten bemerkt, die Episoden sind vergleichsweise herkömmlich geschrieben und die für den Bewusstseinsstrom irgendwie konstitutive Innenperspektive bleibt hier relativ zurückgenommen, kein Vergleich zu Experimenten wie dem Ohne Punkt und Komma-Reden einer Molly Bloom.
    Mit dem Etikett „Großstadtroman“ kann ich ohnehin relativ wenig anfangen, wenn es auf eine bestimmte Stadt gemünzt wird. Großstadterfahrungen gleichen sich natürlich ein Stück weit, und was das Leben in Dublin von dem in Berlin oder in New York unterscheidet sind in meinen Augen eher die geschichtlichen Rahmenbedingungen als die Verhaltensweisen der Protagonisten. In MT stehen diese auch viel mehr im Vordergrund als etwa beim Ulysses, man kann das Buch gut lesen, ohne über den 1. Weltkrieg oder die Prohibition Bescheid zu wissen, wohingegen die Lektüre des Ulysses ohne genauere Kenntnis der irischen Unabhängigkeitsbewegung doch häufig dunkel bleibt.


    Insofern ist Manhattan Transfer ein Buch, das man der Vollständigkeit halber sicher lesen kann, das aber jemandem, der sich in der klassischen Moderne gut auskennt eher wenig Neues bietet.



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    Paul Scheerbart ist eine der interessantesten Figuren der Berliner Bohème um 1900. Sein ganzes Leben lang war er praktisch pleite, was ihn nicht daran hinderte, ein paar der interessantesten und einflussreichsten Texte – tja, wie soll man es nennen? – expressionistischer Phantastik jeglicher Couleur zu schreiben. Seine Romane sind meistens kurz, er hat einiges an Gedichten und kurzen Erzählungen hinterlassen, aber auch Sachtexte, etwa über die Konstruktion eines Perpetuum mobile, über Glasarchitektur oder auch eine satirisch-pazifistische Schrift über den Luftmilitarismus.


    Das Buch, das ich hier vorstellen möchte ist eine Art Erzählungssammlung, verbunden durch eine typisch Scheerbartsche Rahmenhandlung: Der Ich-Erzähler (der Dichter Scheerbart) gerät bei einer Bergtour in Lebensgefahr und wird erstaunlicherweise von einem kleinen sprechenden Nilpferd gerettet, das erstaunlicherweise an Literatur interessiert ist und Scheerbart immer auffordert, neue Manuskripte herauszurücken, um sie zu lesen. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass das Nilpferd nicht das einzige ist, das die Höhlen bewohnt. Insgesamt sind die Nilpferde zu siebt und außerdem wohnen noch unsichtbare Geisthelfer bei ihnen, die als Diener fungieren.
    Die Nilpferde lesen nun die Texte des Dichters und diskutieren mit ihm darüber, treiben ihm zunächst das allzu Pathetische und Tragische aus, und fordern von ihm Texte, die den zentralen Punkt ihrer Poetik beherzigen, dass nämlich jede Erscheinung in der Welt nur eine Möglichkeit ist und eigentlich immer auch ganz andere Form annehmen könnte. So kommen die Nilpferdchen zu der Erkenntnis, dass alles seinen Sinn hat und für allzu großen Katzenjammer kein Platz sein sollte.
    Die Texte, die wir von Scheerbart zu lesen bekommen sind ganz unterschiedlich, das reicht von Texten, die eigentlich nur mit Lautwerten spielen bis zu kleinen Lehrstücken oder Märchen, einmal sogar in mehreren Kapiteln.


    Der Humor Scheerbarts ist dabei ein recht spezieller und dürfte nicht dem gesamten Lesepublikum liegen. Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen und Erzählungen Scheerbarts, ist Immer mutig! Vielleicht auch nicht so eingängig. Die poetologischen und allgemein philosophischen Betrachtungen der Nilpferde stehen ziemlich im Vordergrund. Zwar werden auch ein paar Details über die Lebensweise der Nilpferde in ihrem Berg zum besten gegeben; aber wenn das nicht eher den Charakter einer Opiumfantasie hat, bleibt es im Vergleich zu anderen Texten Scheerbarts doch eher zurückgenommen. Die Rahmenhandlung bleibt so sehr kommentarartig und verbindet die einzelnen sehr disparaten Geschichten nur über das poetologische Programm, das für den heutigen Leser allerdings eher schwergängig sein dürfte.


    Der Stil Scheerbarts ist sehr expressiv und zum Teil auch repetitiv. Auch das muss man mögen und ertragen können, um aus diesem Buch ein Lesevergnügen im herkömmlichen Sinn zu ziehen. Immer mutig! Ist sicherlich nicht das Buch, das ich dem- oder derjenigen empfehlen würde, die zum ersten Mal einen Blick in das Schaffen dieses ziemlich einzigartigen, wenn auch durchaus modernetypischen Dichters werfen will. Hier eignen sich eher die Romane wie Lesabéndio oder Die große Revolution. Doch für Leser, die das Experiment nicht scheuen und ein Faible für das auch formal Skurrile haben, ist Scheerbart sicher immer ein Geheimtipp.



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    Eine Familiengeschichte wird aus der Perspektive ihrer Mitglieder erzählt und zwar immer im August in vier aufeinanderfolgenden Jahren. Im ersten Jahr wird Robert Melroses kleiner Bruder Thomas geboren. Die Familie, der wir begegnen wirkt sehr liebevoll und scheint gut miteinander auszukommen. Wir werden in das große Familiendrama väterlicherseits eingeführt, das darin besteht, dass die Mutter von Patrick, des Vaters von Robert und Thomas, ihr Anwesen St. Nazaire in Südfrankreich einer Stiftung überlassen will, die dort esoterische Seminare abhält.
    In den folgenden Jahren eskaliert diese Situation. Eleanor, Patricks Mutter, kommt ins Pflegeheim und drängt darauf, dass ihr Besitz noch zu ihren Lebzeiten der Stiftung überschrieben wird. Sobald dies geschieht kümmert sich Seamus, der Leiter der Stiftung und vorgebliche Seelenverwandte Eleanors, nicht mehr um die alte Frau, die immer mehr ihre Fähigkeit zu sprechen verliert.
    Während Eleanor verfällt, beginnt Patrick zu trinken und hat eine Affäre mit einer Ex-Freundin. Seine Frau Mary zieht sich immer mehr auf die Mutterrolle zurück, die sie überbehütend ausfüllt. So driften die Eheleute auseinander, ohne dass die Konsequenz der Scheidung gezogen wird. Im vorletzten Jahr reisen die Melroses dann vorzeitig aus St. Nazaire ab, wo sie eigentlich jeden August ein Aufenthaltsrecht haben. Im letzten Jahr verbringen sie den Jahresurlaub in den USA, wo Patrick Verwandte hat. Der Urlaub verläuft wenig erquicklich und bei der Heimkehr bittet die völlig vereinsamte Eleanor ihren Sohn um Sterbehilfe, die sie im letzten Moment aber dann doch ablehnt. Ihr Sohn betrachtet dies als Befreiung von seiner Mutter, so dass am Ende des Buches eine Art Hoffnung entsteht, dass das Joch, das die Familienverhältnisse für ihn bilden vielleicht doch noch abgeschüttelt werden kann.


    "Mother's Milk" war mit seiner Nominierung für die Shortlist des Booker-Preises 2006 bisher Edward St Aubyns erfolgreichstes Buch. Als Sprössling einer Familie der englischen Upper Class hat er eine Vorlieb für dieses Thema. St Aubyn selbst blickt wohl auf eine Kindheit zurück, die von Gewalt durch den Vater und Wegschauen durch die Mutter geprägt war.
    Das Buch bezieht seine Kraft aus der Art, wie die Familie um etwas wie Normalität kämpft, das am Anfang im Vergleich etwa zu der Familie von Roberts Schulfreund auch ziemlich gut funktioniert. Was noch besser ist, ist der Kniff, dass, obwohl die Figuren sich alle redlich mühen und allesamt sympathisch sind, duldsam, nicht gemein zueinander, es trotzdem mit dem schönen Leben nicht so klappen will, weil sie eben alle ihr Päckchen zu tragen haben, das sie nicht abwerfen können, so sehr sie sich auch bemühen.


    Der ständige Perspektivenwechsel und die allmähliche Eskalation beim Streit um das Haus und alles, was durch diesen Umstand wieder nach oben gespült wird, tun das Ihre, um die Lektüre kurzweilig werden zu lassen. St Aubyn schreibt einen klaren und einfachen, dabei keinen trockenen Stil.


    Alles in allem ein Autor, der sein Thema vielleicht schon gefunden hat. Interessant wäre zu sehen, was er sonst noch kann. Da es das bisher einzige Buch ist, das ich von ihm gelesen habe, kann ich nicht beurteilen, wie variantenreich seine Beschreibung der englischen besseren Familie ist. Jedenfalls gehört er auch mit diesem Text allein schon zu den lesenswerteren Zeitgenossen.



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    Aleksandar Krsmanović ist ein sonderbarer Junge, noch sonderbarer als sein Freund Edin, der Ballett tanzt, obwohl er sich mit seinen langen Gliedmaßen eigentlich nur staksend fortbewegen kann. Doch Aleksandar liebt seine Heimat, vor allem den Fluss Drina, der durch sein geliebtes Višegrad fließt und manchmal sogar mit ihm spricht, und seinen toten Opa Slavko, den „Cicero von Višegrad“, der zu Titos Zeiten ein begnadeter Redner und respektierter Parteigenosse war. In eine Kindheit wie viele andere bricht der Krieg ein, vor dem Aleksandar mit seinen Eltern und seiner angeblich taubstummen Großmutter nach Essen flieht. Aleksandar bleibt in Deutschland, auch als der Rest der Familie in die USA übersiedelt. Und dann kommt der Tag, an dem er von seiner anderen Großmutter hört, die ihm ein Paket mit seinen gesammelten Schulaufsätzen, die stets das Thema verfehlt haben, aber voller Phantasie steckten, schicken will. Aleksandar beschließt, nach Sarajevo zu fliegen und sich das Paket abzuholen. Dabei lernt er einige Geschichten aus dem Krieg, vor allem die eines denkwürdigen Fußballspiels um Leben und Tod.


    Saša Stanišić verarbeitet in seinem Romandebüt Geschichten aus dem Krieg, einem Krieg in Europa, dessen Ausbruch in den 90er Jahren eigentlich niemand mehr so recht fassen konnte. Das Grauen wollte sich bei mir nicht so recht einstellen (die Episode mit dem Fußballspiel bildet hier vielleicht die größte Ausnahme). Für meinen Geschmack zu viel Raum nimmt die Rekonstruktion der Kindheit ein, die sich wenig von ähnlichen Texten, die eben über eine Kindheit auf dem Land bzw. in der Kleinstadt schreiben, unterscheiden. Die gesammelten Aufsätze in der Mitte des Buches wirken größtenteils auch wie ein Fremdkörper, entweder kennt man die Geschichten bereits aus dem Teil über die Kindheit, oder sie wirken nicht wie Schulaufsätze eines 12-jährigen.


    Der gelungenste Teil, der dem ganzen auch eine Klammer gibt - bis Seite 213 war ich mir nicht sicher, ob ich mit der Genrebezeichnung „Roman“ bei einem Text einverstanden bin, der eigentlich aus einer Aneinanderreihung von mäßig aufeinander bezogenen Anekdoten besteht. Aber dann nimmt sich Stanišić Zeit für seine Figuren und erzählt die Geschichte des Fußballspiels zwischen Bosnien und Serbien. Er begleitet Aleksandar erst nach Sarajevo, dann nach Višegrad und viele der vorher aufgebrachten Motive tauchen wieder auf und fallen an ihren Platz im Gesamtgefüge. Die Komposition erschien mir vom Ende aus betrachtet daher viel weniger beliebig, was dem Buch natürlich guttut.


    Am Ende versammelt sich die Familie noch am Grab von Aleksandars Großvater Slavko. Die Urgroßeltern stehen neben dem Urenkel, neben der Schwiegertochter und dem Enkel, der selbst zum Kriegsverbrecher geworden ist und sich mit Gewalt gegen jede Art der Verurteilung wehrt. Aufarbeitung gibt es nicht, Zivilcourage gibt es auch nicht, aber sie wäre für einen Rückkehrer, der nur einige Wochen bleibt und dann wieder in das andere, das „zivilisierte“ Europa zurückkehrt, vielleicht auch ein bisschen billig.


    Dennoch hat mich der Text nicht so sehr ergriffen, er ist zu fragmentarisch, zu sehr auf die unterbrochene, die unvollständige Kindheit Aleksandars fixiert. Die Kriegsgeschehnisse und die Beweggründe für die eine oder anderen Eindrücke bleiben Ornament und weitgehend im Dunkeln. Das macht erzählerisch Sinn, da Aleksandar als Kind nicht begreift, was geschieht, als Erwachsener nicht nach dem, was geschehen ist, zu fragen wagt.


    Ein Buch, das sich recht leicht liest, wenn auch die Sprache manchmal etwas zu überladen daherkommt, und einen sehr speziellen Blick auf diesen Krieg wirft, für den der Krieg dann wieder fast Nebensache ist, was dem Roman dann wieder ein bisschen von seiner Besonderheit nimmt.

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    Der südafrikanische Schriftsteller J.M. Coetzee ist zweimaliger Träger des Booker-Preises sowie Nobelpreisträger des Jahres 2003.


    „Elizabeth Costello“ gehört nicht zu den prämierten Titeln, der Roman stammt aus dem Jahr 2004. Erzählt wird die Geschichte einer alternden australischen Schriftstellerin anhand einiger Episoden aus ihrem zumeist öffentlichen Leben. Zunächst begleiten wir sie zu einer Preisverleihung, wo sie eine Dankesrede hält, dann auf eine Kreuzfahrt, auf der bekannte Persönlichkeiten aus dem Geistesleben umsonst mitreisen, wenn sie dafür für das bildungsbürgerliche Publikum einen Vortrag oder einen Workshop abhalten. Wir begleiten sie zu ihrem Sohn und der Schwiegertochter, zu der sie ein gespanntes Verhältnis hat, was sich bei dem Vortrag, den sie an der Universität hält, an der Sohn und Schwiegertochter beschäftigt sind, deutlich zeigt. Es zeigt sich, dass Elizabeth Costello eine engagierte Tierrechtlerin ist, die auch nicht vor Vergleichen zwischen Massentierhaltung und KZs zurückschreckt. Diese Thematik wird in einer späteren Episode in Amsterdam noch einmal aufgenommen. Zwischendrin reisen wir mit Elizabeth Costello noch zu ihrer Schwester, einer Nonne, die in Afrika humanitäre Dienste leistet, und dafür mit einem Preis ausgezeichnet werden soll. Auch um das Verhältnis der beiden Schwestern ist es nicht zum Besten bestellt. Schließlich steht am Ende des Buches eine kafkaeske Episode, in der Elizabeth Costello (vor dem Himmelstor? Die Episode ist mit „Vor dem Tor“ überschrieben) über ihr Leben Rechenschaft ablegen soll. Doch sie weigert sich Ziele und klare Positionen ihres Lebens zu formulieren, besteht auf ihrer Rolle als unparteiische Chronistin. Das Buch endet mit einer Variation über den Hofmannsthalschen Chandos-Brief, einem berühmten Dokument der klassischen Moderne zur Unzulänglichkeit der Sprache.


    Insgesamt eine durchaus interessante Lektüre, die nicht so sehr auf zusammenhängende Handlung, denn auf genaue Charakterstudie setzt. Dabei ist die tiefe Resignation der Hauptfigur, die ihre besten Zeiten, in denen sie durch ihr Buch über Molly Bloom einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, hinter sich hat. Eine Frau, nicht geliebt, nicht bewundert, durchaus von einigem Geist, aber nicht brillant und ohne wirkliche Lust am Dialog. Eher eine Person, die die Neugier verloren hat und auf ihren zum Teil abseitigen Positionen beharrt. Im Gegensatz zu ihrer – auch nicht unbedingt sympathisch gezeichneten – Schwester eine Frau ohne tiefe Überzeugungen. Die Tierrechtsdebatte erscheint eher wie ein trotziges Festhalten an irgendetwas, das eben auch etwas anderes sein könnte.
    Kein verstörender, aber ein gedämpfter, hoffnungsloser Text, der zugleich in seiner Abkehr von jedem echten Dialog etwas Müdes und Resigniertes aus jeder Zeile ausstrahlt. Ein Dokument der Enttäuschung und der Selbstaufgabe, das dabei durchaus gut lesbar bleibt.



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    Pierre Boileau und Thomas Narcejac waren ein französisches Autorenteam, die vor allem Krimis verfasst haben, jedenfalls Romane im Spannungsbereich. Sie lieferten etwa die Vorlage für Alfred Hitchcocks „Vertigo“.


    Auch „Les louves“ ist verfilmt worden (dt. Titel „Einer starb zu früh“) Es geht hier um zwei entflohene Kriegsgefangene, die zur „marraine de guerre“ (wörtlich: Kriegspatin) des einen fliehen und sich dort verstecken wollen. Wir reden vom Vichy-Regime und also vom Frankreich Ende der 30er Jahre. Auf der Flucht kommt jedoch Bernard um, so dass sich sein Freund Gervais bei Hélène, der Patin zu der er flieht, aus Angst als Bernard ausgibt. Aus dieser Konstellation ergeben sich einige Verwicklungen, die ich, da es sich hier um eine Art von Krimi (eher ein Thriller, es gibt hier keinen Kommissar, wir erleben die Entwicklungen zwar in der Rückschau aber simultan) handelt. Jedenfalls wird bald klar, dass Hélène und ihre Schwester Agnès, die vorgibt, hellseherische Fähigkeiten zu haben, irgendetwas im Schilde führen. Als auch noch die ungeliebte Schwester Bernards, Julia, in Lyon auftaucht, scheint der Schwindel aufzufliegen, doch weit gefehlt…


    Ich bin kein ausgiebiger Krimileser. Das vorliegende Buch liegt schon seit über 15 Jahren auf meinem SUB. Ich bin also keine wirklich verlässliche Instanz bei der Bewertung der Originalität des Plots. Mir hat er recht gut gefallen, wer hier welche Ziele verfolgt, bleibt lange im Dunkeln, und es tauchen immer wieder überraschende Details auf, die der Handlung eine etwas andere Wendung geben. Die konsequente Ich-Perspektive, die alles aus dem Blickwinkel des falschen Bernard erzählt, lässt die drei Frauenfiguren umso mysteriöser erscheinen. Allerdings fehlte mir am Ende ein wenig die Plausibilisierung der Motive, die dann doch recht banal zu sein scheinen. Gut ist, dass eigentlich auch am Ende noch ein Zweifel darüber bleibt, was nun eigentlich genau vorgefallen ist. Auch hierzu lädt die konsequente Ich-Perspektive ein, aber ich will nicht zu viel verraten.
    Ein Buch für zwei spannende Abende.

    Ich weiß überhaupt nicht, warum du so uncharmant wirst. Wenn eine Frage gestellt wird, ist es ein vollkommen gewöhnlicher Vorgang zu überlegen, wie sinnvoll die Fragestellung ist. Du hast keine Probleme mit Verallgemeinerungen, ich habe sie. Du kannst daher von einer „Gültigkeit der Klassiker“ sprechen, ich kann das nicht, weil ich gar nicht wüsste, was ich selbst damit meinen würde. Du wolltest in deinem ursprünglichen Posting wissen, warum sich so verhalten über „die Klassiker“ geäußert werde; das war ein Teil meiner Antwort. Wenn du keine Antworten auf Fragen lesen willst, warum stellst du sie dann?


    Differenzierung kannst du gern als „biedere Wortklauberei“ abtun, ich für meinen Teil halte Differenzierung für notwendig und meistens sehr hilfreich, weil man sich durch sie viel eher den Kernen diskutierter Probleme nähert als durch das Werfen mit großen Worten wie „Wahrheit“. Aber auch das kannst du gern halten, wie du willst, es ist nur eine Antwort auf deine Frage.


    In deinen Aussagen sind so viele Details, die ich für problematisch halte, es gäbe wirklich Raum zur Diskussion, aber die musst du dann auch zulassen. Ich glaube etwa nicht, dass jede Generation prüft, ob ihnen ein beliebiger Klassiker noch etwas zu sagen hat, schon gar nicht unweigerlich. Ich bezweifle sogar, dass die „Aktualität“ der Klassiker unbedingt ihren Reiz ausmacht. Bei manchen mag es so sein, aber sicherlich nicht bei allen. Es gibt so vieles, was aus (literatur)historischer Sicht interessant ist, mich aber selbst nicht mehr angeht (das ist aber auch nicht meine Erwartung bei der Lektüre). Ich glaube außerdem, dass viele große Klassiker nur für eine sehr kleine und noch viel homogenere Gruppe, als es 14jährige Mädchen je sein könnten, interessant sind. Der Punkt ist, und das machst du ja nun sehr klar, dass du dem Urteil dieser Gruppe traust, während du den Millionen 14jähriger (und sie sind ja bei weitem nicht die einzigen, die Stephenie Meyer lesen, das weißt du sicher auch, und in diese Richtung müssen wir nicht weiter diskutieren) misstraust.


    Ich bin der letzte, der nicht fordert, dass man sich vor einem Urteil bitte eingehend mit einem Text befasst, dass man bitte auch in Erwägung zieht, dass man selbst das Problem sein könnte, wenn ein Verständnis nicht zustande kommt. Doch ich ziehe auch die Möglichkeit in Betracht, dass ein großer „Klassiker“ wohlbegründet und wohlüberlegt durchfallen kann. Und weil das so ist, kann ich „den Klassikern“ in toto keine „Gültigkeit“ unterstellen. Wenn wir uns darauf einigen können, ist ja alles gut. :winken:


    Diese Gruppe existiert; der Thread verlangt sie. Sie mit dem Kommentar von sich zu weisen, es sei unmöglich über sie zu sprechen, halte ich für grundsätzlich nicht sehr hilfreich. Auch ich sehe zwar maßlos über- wie unterschätzte Klassiker, aber das ändert für mich überhaupt nichts an der Legitimität dieses Sammelbegriffs.


    Das verstehe ich nicht. Wieso muss ich über "die Klassiker" sprechen? Wieso kann ich nicht über einzelne Texte und Autoren sprechen? Ob der Begriff "legitim" ist, ist dabei eine völlig andere Frage. Hilfreich ist er nicht, wenn man unter ihn einfach alles subsumiert, das ... ja, was eigentlich?



    Nein, wir sprechen hier nicht von einer esoterischen Wahrheit, und ich frage mich mit einiger Besorgnis, warum das Wort Wahrheit von Dir mit Anführungszeichen versehen wird. Das wirkt so nihilistisch. Jedenfalls kann durchaus von einer den Klassikern innewohnenden Wahrheit die Rede sein, eine Wahrheit, die man freilich nicht allein in klassischen Werken findet, doch auffallend oft in klassischen Werken. Mit Max Frisch gesagt: "Manchmal scheint mir auch, daß jedes Buch, so es sich nicht befasst mit der Verhinderung des Krieges, mit der Schaffung einer besseren Gesellschaft und so weiter, sinnlos ist, müßig, unverantwortlich, langweilig, nicht wert, daß man es liest, unstatthaft. Es ist nicht Zeit für Ichgeschichten. Und doch vollzieht sich das menschliche Leben oder verfehlt sich am einzelnen Ich, nirgends sonst." Die klassischen Werke (nicht alle!, nicht nur von Europäern! und wahrscheinlich auch von Frauen!) stecken also vielleicht nur voller grandioser Ichgeschichten, deren Schicksale viele Menschen teilen oder nachvollziehen können. Das ist ihre Wahrheit, ihre Gültigkeit und ein wichtiger Grund ihrer Langlebigkeit.


    Ich weiß nicht, was an Anführungszeichen um einen metaphysischen Begriff wie "Wahrheit" nihilistisch sein soll, aber sei's drum. Ichgeschichten, die viele Menschen teilen oder nachvollziehen können, mögen sich bei den Klassikern finden - aber sicherlich nicht nur da. Wenn du Millionen von 14jährigen Mädchen (und viele andere, aber ich will das Ganze nicht unnötig verkomplizieren) fragst, werden sie solche Geschichten wahrscheinlich auch bei Stephenie Meyer finden. Macht das "Biss zum Morgengrauen" zu einem Klassiker"?


    Beste Grüße, Steerpike.


    1) Warum wird sich so verhalten über die Klassiker geäußert?
    Homer, Boccaccio, Cervantes, Shakespeare, Goethe, Schiller, Stendhal, Balzac, Wilde, Mann, Musil, Kafka usw.; ihre Werke sind nicht bloß kulturhistorische Dokumente und Wegbereiter neuerer Literatur. Ich weiß schon, es klingt nach hohlem Pathos (aber wie will man es anders formulieren?): unter diesen Werken findet sich das Beste, was Menschen je geschrieben haben. Muss man noch eigens anführen, dass die Lektüre der großen Romantiker Frankreichs interessant sein kann, wenn man sich für die Französische Revolution interessiert? Der zeitgeschichtliche Rahmen dieser Werke ist unabdingbar, aber er macht gewiss nicht ihren eigentlichen Wert aus. Was ist also interessant an Klassikern? Knapp gesagt: Ihre Gültigkeit. Neben dieser Gültigkeit lassen sich ganz individuelle Merkmale festmachen. Als Beispiel Heines und Tucholskys glänzender Humor, Balzacs und Musils genaue Menschenkenntnis, Dostojewskis und Kafkas faszinierende Dunkelheit. Wer nun die Gültigkeit, das heißt, die innere Wahrheit, gewisser Werke gar nicht sieht, dem sei es zugestanden, sich besser mit Anne Rice zu gruseln oder mit Walter Moers zu amüsieren. Denn viele Leser unserer Tage bemerken den feinen Witz Goethes nicht und lachen umso herzlicher über Helge Schneider, vergleichbar mit einem Gaumen, der sich zu sehr an Aromastoffe und Geschmacksverstärker gewöhnt hat, und darum nicht mehr auf dieses Zuviel der Currywurst mit Gewürzketchup verzichten kann oder möchte. Jeder, wie er mag!


    Ich finde diese Darstellung, bei aller Zustimmung im Einzelnen, grundsätzlich nicht sehr hilfreich. Mir ist das zu sehr vom Autor her gedacht. Im Grunde sagst du, es gibt großartige Autoren, die eine grundsätzliche Wahrheit und Qualität haben, die sieht man - oder man gehört eben zu den geistigen Fast-Food-Konsumenten und sieht sie nicht. Erst diese Darstellung führt überhaupt zu dem weiteren von dir angesprochenen Problem, dass Leute, die wen auch immer weder mögen noch verstehen, ihn dennoch lesen und ihn klug (oder auch nicht) im Munde führen - sie wollen eben keine geistigen Fast-Food-Konsumenten sein.
    Was ist denn mit den Leuten, die Kafka eben nicht faszinierend, sondern einfach nur dunkel finden? Das sind ja nicht automatisch alles Kandidaten für Anne Rice. Ich sehe "die Klassiker" ganz ungern auf diesem sehr hohen Sockel, der sie sakrosankt und mit einer esoterischen "Wahrheit" ausgestattet erscheinen lässt, die sie m.E. gar nicht haben. Ich muss Kafka, Shakespeare oder Goethe nicht der Kritik entrücken, das haben sie gar nicht nötig, denn sie halten der Kritik ja stand. Und dennoch liegt es im Einzelfall nicht immer am Leser, wenn er sie nicht mag. Es gibt eine Reihe von Klassikern, die ich für maßlos überschätzt halte (und das Gegenteil). Über "die Klassiker" zu reden, wie über eine homogene Gruppe, das halte ich, wie eingangs erwähnt, für völlig unmöglich. Und ergo kann ich sie weder in Bausch und Bogen glorifizieren noch verdammen.


    Mag sein, dass du die Literatur falsch angehst. Aber unabhängig von sich bietenden Möglichkeiten, solltest du sie erstmal "prüfungsrelevant" angehen - in Ermangelung von Handlungsalternativen (s.o.). Weiteres kannst du privat oder nach dem Abitur machen.


    Wenn ich es recht verstanden habe, ist die Prüfung rum und in die Hose gegangen. Ansonsten wäre dem Problem so natürlich in sehr pragmatischer Weise beizukommen.

    Wenn ich so ein Buch schon in die Hand nahm, hatte ich eine negative Einstellung: Oh nein, nicht schon wieder so ein langweiliges Ding. Dann schlug ich die erste Zeile auf, fing an zu lesen und ich wollte das Buch nur noch vernichten :redface:. Keine Angst, alle genannten Bücher sind noch heil :smile:.
    Mir ist schon klar, dass ich Büchern (und Menschen) nicht sofort ansehen kann, was sie beabsichtigen und ich habe auch immer wieder versucht zu verstehen, aber es ging nicht.


    Naja, nun ist es natürlich nicht gerade einfach, Bücher zu mögen, die man schon voreingenommen aufschlägt und nach ein paar Seiten (oder Zeilen, wie du oben schriebst) wieder zu. Wie sollst du da in irgendwelche Texte reinkommen?


    Das ist ja mein Problem. Ich habe kein Interesse an dieser Literatur. Das liegt wohl daran, dass ich sie falsch angehe. Deswegen frage ich ja hier.


    Es hilft nicht wirklich, dass du "diese Literatur" immer als Einheit behandelst. Wir reden über so unterschiedliche Texte aus wenigstens einem knappen Jahrtausend, wenn wir mal nur berücksichtigen, was an deutschsprachiger Literatur in der Schule gelesen wird.
    Die Auswahl, die du oben präsentiert hast, ist natürlich zeitlich sehr eng gefasst. Das Modernste auf der Liste ist noch der Fontane und der ist nun auch nicht unbedingt jedermanns Sache (wie so vieles). Ansonsten ist das alles sehr spätes 18./frühes 19. Jhdt.-lastig. Hast du schon einmal drüber nachgedacht ein paar jüngere Klassiker zu lesen. Oder am Ende gefallen dir die ganz alten besonders gut? Ich persönlich habe ja durchaus eine Schwäche für den Höfischen Roman.


    Zu Steerpike:
    Bei "neueren" Büchern habe ich die Probleme nicht. Nur bei den Klassikern, die ich lesen musste. Das Klassiker keine Literaturgattung sind, ist mir klar. Es fällt mir aber auf, dass ich gerade mit diesen Werken nicht klar komme.


    Vielleicht liegt das daran, dass sie alt sind und deine Leseerwartung nicht mehr erfüllen. Erfolgreicher "Lesestoff" (Verzeihung) ist heute ja anders geschrieben als vor 200 Jahren. Das ist z.B. eine Sache, die du von Klassikern sehr allgemein lernen kannst. Und das ist doch schon mal nicht ganz uninteressant, oder?


    Ich habe bis heute nicht verstanden, was man daran interessant finden kann. Wenn ich ein Buch lese (meist Science-Fiction oder Fantasy), dann will ich mich in den Protagonisten hineinversetzen und die Geschichte erleben. Meist verstehe ich sogar sehr gut, was der Autor mir mit der Geschichte vermitteln möchte. Bei den oben genannten Büchern kann ich das aber gar nicht. Ich lege sie schon nach ein paar Seiten bzw. Zeilen wieder weg, weil ich sie einfach nicht lesen kann. Deswegen habe ich nach 3 Jahren Literaturwissenschaften in Deutsch auch nur die Note 5 in der mündlichen Prüfung :sauer:.[/b]


    So pauschal kann ich da gar nicht antworten. Zum einen ist ja "Klassiker" kein Begriff für eine bestimmte Literaturgattung, sondern ein Etikett für seit langem im (kollektiven) Bewusstsein befindliche Texte, die das dadurch geschafft haben, weil irgendetwas an ihnen interessant ist. Was das genau ist, kann von Text zu Text natürlich ganz unterschiedlich sein, weshalb deine Liste auch eher ornamentalen Charakter in Bezug auf die Fragestellung hat. ;)
    Du kannst davon ausgehen, dass Klassiker Klassiker sind, weil sie irgendetwas ganz musterhaft zeigen bzw. man an ihnen etwas musterhaft zeigen kann. Das können, wie gesagt, ganz unterschiedliche Dinge sein. Man kann keinen Klassiker schreiben wie man ein Fantasybuch schreibt. Klassiker werden Klassiker durch ihre Rezeption, nicht durch ihr Thema.
    Ich kann mich übrigens auch in die Protagonisten vieler Klassiker hineinversetzen und fühle mich von vielen auch ausgezeichnet unterhalten. Insofern sind diese Punkte nichts, was Klassiker von anderen Büchern unterscheidet. :)

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    Der ehemalige Lebemann Ippolit Worobjaninow, der als Standesbeamter in der russischen Provinz arbeitet, erfährt von seiner Schwiegermutter auf deren Sterbebett, dass sie vor der Oktoberrevolution ihre Juwelen in einen der zwölf Stühle eingenäht hat, die einst im Salon des Worobjaninowschen Hauses standen, um sie so vor dem Zugriff der Sowjets zu schützen.
    Da Worobjaninow sich nie ganz mit seinem Beamtenleben anfreunden konnte, beschließt er, sich auf die Suche nach den Stühlen zu machen, um durch den Verkauf der Juwelen wieder an alte, glanzvolle Tage in der Gesellschaft der oberen Zehntausend anknüpfen zu können.
    Leider befinden sich die Stühle nicht mehr in dem Möbeldepot, wo sie nach der Revolution hingebracht worden waren, sondern sind zu einem Großteil in ein Moskauer Möbelmuseum gebracht worden. Doch als Worobjaninow und sein ihm in allen Belangen überlegener Komplize, der liebenswürdige und sehr clevere Kleinganove Ostap Bender, in Moskau ankommen, stellt sich heraus, dass die Stühle am nächsten Tag versteigert werden sollen. Siegessicher begeben sich Bender und Worobjaninow zu der Auktion, doch da Worobjaninow sein Geld am Abend zuvor für eine erfolglose Becircungstour durchgebracht hat, müssen es die beiden hinnehmen, dass die Stühle einzeln versteigert werden und sich in alle Winde zerstreuen. Geistesgegenwärtig schickt Bender Straßenkinder den einzelnen Käufern hinterher und erfährt so, wo es die einzelnen Stühle hin verschlägt. Mit viel Einfallsreichtum beginnt nun die Jagd auf die Stühle und auf den in ihnen verborgenen Schatz. Dabei lernen die Leser eine ganze Menge über das Leben im postrevolutionären Russland und begegnen einer ganzen Reihe skurriler Figuren.
    Ein unglaublich humorvoller Roman, der von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow zuerst als Fortsetzungsroman veröffentlicht wurde und in der Sowjetunion einen unglaublichen Erfolg verzeichnen konnte. Figuren und Redewendungen des Romans gehören immer noch zum allgemeinen Kulturgut in Russland.
    Nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die zahlreichen Nebenfiguren, wie die „Menschenfresserin“ Ellotschka, der nur 20 Äußerungen zur Verfügung stehen, oder Nikifor Ljapis-Trubezkoi, der mit seinen schlechten Gedichten über die Kunstfigur Gawrila, die Redaktionen aller Moskauer Zeitungen in den Wahnsinn treibt, machen „Zwölf Stühle“ zu einem außerordentlichen Lesevergnügen.
    Die Pointe (es gibt eine) ist ein bisschen sehr sowjetisch geraten, aber eigentlich kein schlechter Einfall.
    Wegen der zum Teil sehr sichtbaren Seitenhiebe auf den sowjetischen bürokratischen Apparat, durfte der Roman in der Sowjetunion selbst nie vollständig erscheinen. Das hat ihm in Bezug auf seine Popularität nicht geschadet. Erstaunlicherweise ist das Buch hinter dem Eisernen Vorhang allerdings nie so recht angekommen. Sehr schade, denn hier geht dem Liebhaber der humorvollen russischen Erzähltraditionen (von den Großen sind Ilf/Petrow wohl am ehesten mit Gogol zu vergleichen) eine Perle durch die Lappen.


    EDIT: Autorennamen korrigiert. LG, Saltanah