Beiträge von Zoltar

    Hallo Bartlebooth,


    tja, da wirst du unbestritten Recht haben und ich würde mich hüten, dir zu widersprechen. Im ersten Teil des Essays konzentriert sich Angenot nur auf recht einfache Kriterien, wie z. B. Neologismen. Vielleicht hilft ein kleines Beispiel aus derselben Quelle, um zumindest das Begreifen seiner Thesen zu erleichtern:


    Madame Bovary: "Herr Bovary wurde an der Tür von einer jungen Frau in einem blauen Wollkleid mit drei Falten begrüßt."


    Complot Venus Terre: "Sie hatte ein fließendes Kleid aus Vovax, verziert durch Applikationen aus Bernital."


    Einem Leser fällt es unschwer, den SF-Text auszuwählen, weil er den Kode kennt, der in dieser Gattung verwendet wird. Würden wir diese Passagen einem Vertreter eines Naturvolkes vorlesen, könnte er das womöglich nicht, weil für ihn "blaues Wollkleid mit drei Falten" und "fließendes Kleid aus Vovax" ähnlich "esoterisch" klingen.


    Solche "Kode-Paradigmen" (mein Neologismus :rollen: ) verwendet Angenot dann als, wie bereits gesagt, recht einfaches Unterscheidungskriterium. Im Lauf seiner Argumentationen geht er freilich wesentlich weiter und untersucht kompliziertere Zusammenhänge. Ich möchte jedoch "meine" Argumentation möglichst einfach halten (schon aus Selbsterhaltungstrieb :zwinker: ). Solltest du ihr ablehnend gegenüber stehen, so habe ich das rechtzeitig erfahren, um mir eventuelle unnötigen Ausführungen zu ersparen.

    Hallo zusammen,


    ist denn jemandem die Arbeit von Prof. Marc Angenot mit dem Titel "Einführung in die Semiotik der SF" bekannt (erschienen ursprünglich in "Science Fiction Studies 17/1979)?


    Ich fand seinen Standpunkt (auch wenn ich wirklich sehr mit dem hochwissenschaftlichen Text zu kämpfen hatte) als recht einleuchtend. Anbei die wichtigsten Aussagen aus dem Essay in meiner Übersetzung aus dem Polnischen:


    "Von semiotischem Standpunkt kann man SF als einen fiktionalen Diskurs betrachten, der sich auf deutlich formulierten syntagmatischen Regeln gründet, die nicht-existente Paradigmen sowohl steuern, als auch von ihnen gesteuert werden."


    "SF wird nicht durch ein direktes Verhältnis zwischen ihrer fiktiven Welt und der empirischen Welt definiert, sondern durch die Relationen zwischen Syntagmen und Paradigmen."


    Wenn ich nun tollkühn annehme, dass ich diese Sätze richtig verstehe, dann wäre SF durch bestimmte Neologismen, fiktive Worte, die Anwendung von Exolinguistik, und (vor allem) durch die Schaffung einer "paradigmatischen Täuschung" des Lesers zu definieren. Die "Aufgabe" des Lesenden bestünde darin, aus einigen wenigen vorhandenen Paradigmen auf eine ganze, fiktive, doch "gesetzmäßige" Welt zu schließen. Das Lesevergnügen manifestiert sich dort, wo der Leser diese Aufgabe meistert.


    Was mir gefällt, ist der Versuch Angenots, die Definition der Gattung von ihren Themenkreisen zu trennen. Diese Themenkreise nahmen (wie schon oben in der Diskussion erwähnt) immer mehr Elemente anderer Gattungen in sich auf, wodurch der Begriff SF (auf diese Art und Weise definiert) ad absurdum geführt wird.


    Was meint ihr dazu?

    Zitat von "Bartlebooth"

    Hallo Zoltar,


    Ich lasse mir gern neue Horizonte eröffnen. Wenn also meine Deutung (nimm die Polemik mal ein bisschen raus ;-)) so "ganz falsch" ist, welche Aspekte sind es denn dann, die Soderbergh aus dem Stoff herausarbeitet?


    Hallo Bartlebooth,


    ich gebe gerne zu, dass ich den Satz mit "falsch, ganz falsch" nur auf meine eigene Sicht der Dinge bezog und es nicht entsprechend gekennzeichnet habe. Deine Deutung ist es nämlich nicht - sie ist eine der vielen, die möglich sind. Sie hat nur einen "kleinen" Haken - es ist nicht die meine. :zwinker:


    Ich gehe sogar noch weiter und sage frei heraus, dass ich keine eindeutige Interpretation des Filmes habe und eine solche auch nicht suche. Mir gefiel der Streifen wegen der Bilder, der Musik, wegen dem "Lem-agehauchten" Hintergrund. Ich habe mir Soderberghs Werk so angeschaut, wie ein Vater einen übermütigen pubertierenden Teenager anguckt, der da glaubt, ihm würde die Welt gehören: Schmunzelnd, verständnisvoll, die Situation, in der sich der Regisseur befand, als er die Arbeit übernahm berücksichtigend: Im Hollywood werde Filme für das so genannte "breite Publikum" gedreht. Von dieser Filmstadt zu verlangen, ein Werk von "Solaris'" Kaliber 1:1 auf die Leinwand zu bannen, kam mir einfach nicht in den Sinn. Geschweige denn, dass H-wood es überhaupt schafft ...


    Einfaltslos, Zoltar :schulterzuck:

    Upps, da habe ich etwas zu spät gepostet. Da du, Bartlebooth nun auch mit einer Antwort bedacht werden solltest, schreibe ich einfach darunter.


    Zitat von "Bartlebooth"


    Von den Verfilmungen kenne ich nur die neue mit Schorsch Clooney, und die finde ich, gelinde gesagt, grottig. "Neu" sind die Interpretationsmöglichkeiten, die Soderbergh in dem alten Stoff findet, nun beileibe nicht, lieber Zoltar, sondern schlimmstes Hollywood-Klischee :lachen:.


    Was die Ideen-Neuheit betrifft, so meinte ich NICHT, dass sie revolutionär und Bahn brechend an sich sind, sondern, dass Soderbergh eine andere Möglichkeit der Perzeption von "Solaris" geboten hat. Interpretation heißt für mich nämlich (auch :zwinker: ) nicht, dass man sich sklavisch an die Buchvorlage halten muss.



    Zitat von "Bartlebooth"


    Das Kommunikationsthema gerät bei diesem Film vollkommen an den Rand, im Zentrum steht doch tatsächlich die bessere Wiederholung einer verpfuschten Liebesgeschichte mit Hilfe der ozeanischen Kopie. Hier wird also ein Sinn suggeriert, der der Buchvorlage aber so was von fernliegt: Der Ozean wird zu einer rätselhaften, quasigöttlichen Instanz, der durch eine Transzendierung der Lie-hie-be den Verblendeten auf den rechten Weg zurückhilft.


    Falsch, Bartlebooth, ganz falsch. Was du schilderst, ist doch nur deine persönliche Wahrnehmung, die meine innere Interpretation in keinster Weise tangiert. Ich verstehe das, was du meinst, kann es aber unmöglich teilen, weil ich eben völlig andere Gedanken mit Soderberghs Version verbinde. Ich vermute, dass ich, aufgrund der Tatsache, dass ich vor dem Betrachten des Films nicht damit rechnete, eine Visualisierung von Lems Gedanken zum Thema "Kommunikation und ihr Scheitern im Wandel der Zeiten" (:zwinker:) zu erleben, folgerichtig auch nicht enttäuscht wurde, als sich die Story "nur" um die Menschen drehte. Es war praktisch die einzige mögliche Annahme für mich, denn ich halte "Solaris" an sich für nicht verfilmbar (auch Tarkowski hat es nämlich nur angerissen). Eine anderslautende Annahme fände ich in diesem Zusammenhang als ..., ja, Hybris ist das richtige Wort. Freilich kanst du dann zutreffend argumentieren, dass der Regisseur in diesem Fall am Thema vorbei schwadronierte, dennoch betrifft es meine Sicht der Dinge nicht.
    Ich hoffe, du kannst das verstehen, was ich so schreibe. Meine Erwartung war eine völlig andere, daher wurde ich auch nicht enttäuscht. Ich möchte auch niemanden verübeln, dass ihm/ihr "Solaris 2" nicht gefiel - nur kann ich es persönlich nicht nachvollziehen. (Übrigens: Wäre das nicht ein Beispiel für gescheiterte Kommunikation? :breitgrins: ).

    Zitat von "Saltanah"

    Auch bei dem Film denke ich, dass viele sich langweilen würden, aber ich fand ihn faszinierend.


    Da wirst du wohl recht haben ... :zwinker:

    Zitat von "Saltanah"


    Es ist unglaublich: da besitze ich nicht weniger als 23 Bücher von Lem, aber keines der von dir genannten schwierigen.
    Ich glaube allerdings, dass ich "Friede auf Erden" mal in schwedischer Übersetzung geliehen und gelesen habe. Ist es das, in dem dem Helden durch einen Strahl der Balken zwischen den beiden Gehirnhälften durchgetrennt wird, und seine rechte Hand buchstäblich nicht weiß, was die linke Hand tut?


    Deine Erinenrung trügt dich nicht. Und genauso empfand ich auch beim Lesen dieses Werkes: Der Anfang war sehr interessant - doch die Mitte und das Ende zunehmend schwer und ermüdend.

    Zitat von "Aeria"


    Die Hollywood-Verfilmung fand ich wirklich zum Heulen schlecht, da konnte auch ein George Clooney nichts retten.


    Einerseits verstehe ich das, andererseit muss ich mich immer wieder fragen, was denn die potentiellen Zuschauer von einem Regisseur erwarten, wenn er/sie so ein Buch wie "Solaris" verfilmt? Es ist doch beinahe unmöglich, "Solaris" wortwörtlich zu nehmen, meine ich.

    Zitat von "Saltanah"


    Kennt jemand den Film?


    Zoltar:
    Welche Bücher fandest du denn komplizierter?


    Ja, ich kenne BEIDE Verfilmungen und finde sie BEIDE gut. Tarkowski schuf Großes mit einfachsten Mitteln, Soderbergh erzählt eine atmosphärisch dichte Geschichte einer "Zweiten Chance im Leben" und findet in dem alten Stoff neue Interpretationsmöglichkeiten. Lobenswert, das! Gerade höre ich die entsprechende Filmmusik von Cliff Martinez :klatschen:


    An Büchern fand ich z. B. "Summa technologiae" geradezu erschreckend prophetisch und sehr schwierig zugleich. Ferner denke ich an die "Dialoge", die sehr lesenswert, aber nicht gerade nur unterhaltsam sind. Vor allem Lems spätere Werke, wo er sich deutlich von der SF abwendet und sie nur kulissenhaft anwendet, sind schon schwer zu lesen (für mich): "Fiasko", "Die Megabit-Bombe" oder "Frieden auf Erden".


    Als extrem faszinierend finde ich immer noch "Stimme des Herrn" und "Golem XIV", dazu "Der Unbesiegbare" und einige Kurzgeschichten. Wirklich unheimlich, und in meinen Augen durchaus anderen Ikonen des Horrors ebenbürtig, fand ich "Die Untersuchung". Die köstlichste Unterhaltung mit vielen zum Nachdenken zwingenden Fragen bieten "Die Sterntagebücher", "Die Kyberiade", "Die Robotermärchen", aber auch Lems fiktive Kritiken und Buchbesprechungen in "Imaginäre Größe" sowie "Absolutes Vakuum".

    Aeria, wir leben doch in einem freien Land (so hoffe ich doch) und wenn`s dir nicht gefallen hat, dann ist es halt so. Schade, aber nicht zu ändern ... :sauer: Ich darf dir versichern, dass Lem wesentlich komplizierter schreiben kann als bei seinem ersten Erfolg ("Solaris") und auch wenn ich Polnisch lesen kann, ist es nicht unbedingt einfacher.

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    Im Zuge meiner literarischen Recherche nach den Ursprüngen der SF-Literatur (s. hier), wurde ich auf die "Wahre Geschichten" von Lukian aufmerksam gemacht.


    Zu diesem kleinen Buch wurde schon sicherlich immens viel ausgesagt. Daher werde ich mich nur ganz kurz mit dem Inhalt der Geschichte befassen und anschließend auf einige Elemente eingehen, die die Bedeutung des Werkes für die Entwicklung der phantastischen Literatur hervorheben.


    Zum Inhalt: Lukian setzt sich selbst als Erzähler eines Reiseberichtes ein - Getrieben von Abenteuerlust und Neugier auf das Unbekannte, bricht er mit 49 Gleichgesinnten auf die Reise durch die Weiten des Westlichen Ozeans jenseits der Säulen des Herakles auf. Dort bereist er fremde Länder und erlebt schließlich eine phantastische Reise, die ihn und die Besatzung seines Schiffes bis zum Mond, der Sonne, der Venus und wieder zurück zur Erde führt. Ähnlich wie Odysseus wird er dabei eher passiv durch die zahlreichen Götter, Halbgötter und Heroen der griechischen Mythologie in ihre Ranken, Kriege und Machenschaften verstrickt. Mehrmals entkommt er nur knapp einem grausamen Tod, monatelanger Gefangenschaft oder auch einer Verzauberung, bis er letztendlich die Nähe seines Heimatlandes erreicht.


    Warum ist nun Lukians "Wahre Geschichten" für das Genre wichtig? Nun, obwohl es eindeutig eine Satire ist, enthält es bereits so gut wie alle Elemente, die viel später auch in der SF reichlich Anwendung fanden. Erwähnt werden z. B. fremde Wesen, die teilweise recht genau beschrieben werden sowie eine Reise durch das Sonnensystem mit Informationen über die Bewohner weit entfernter Sterne. Das aus meiner Sicht bedeutendste an Lukians Lügengeschichte ist jedoch, dass der Autor es teilweise versucht, eine pseudo-wissenschaftliche Erklärung für das Erlebte zu liefern. Sei es, dass er sich auf die Autoritäten anerkannter Philosophen und Reisender seiner Zeit beruft (die von ihm jedoch stets sehr geschickt kritisiert und lächerlich gemacht werden), sei es, dass er die Ursachen irdischer Phänomene "erklärt", OHNE die Götter zu bemühen.


    Abschließend kann ich nur betonen, dass mir die "Reife" der "Wahren Geschichten", ihre schriftstellerische Güte sozusagen, sehr gefiel. Die Lektüre war nicht nur vergnüglich, sondern auch, vermutlich Dank der modern wirkenden Übersetzung von Manuel Baumbach, die mit einigen Fußnoten, einem Namensregister und einem erklärenden Nachwort versehen ist, ohne größere Verständnisprobleme zu bewältigen. Ein Vergleich mit einer älteren polnischen Übersetzung zeigte mir deutlich, dass der Versuch, Lukians Geschichte mit einer antiquierten Sprache wiederzugeben, als nicht gelungen anzusehen ist.


    Ich vergebe: 4ratten

    Hallo zurück!


    Zitat von "sandhofer"


    Deswegen frage ich mich mittlerweile - und die Idee ist mir wirklich erst unter unserer Diskussion gekommen -, ob ich nicht "Milch" und "Kaffee" als Unterscheidung in der Vergangenheit und "Milchkaffee" als neues Phänomen in der Gegenwart unterscheiden sollte.


    Eine durchaus verlockende Idee. Ich glaube, ich sprach von etwas Ähnlichem, als ich anmerkte:


    "Die Lügengeschichten von gestern konnten vor dem neuen "Kritizismus" nicht mehr bestehen. Dieser Prozeß beschleunigt sich heutzutage (höchstwahrscheinlich sogar mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit) und die SF breitet, in einem vergeblichen (?) Versuch, dem rasant wachsenden Wissenshorizont zu entkommen, ihre "Fühler" zunehmend in Bereiche der Literatur aus, in denen sie früher wenig zu suchen hatte."


    Spinnt man diesen Gedanken konsequent weiter, so wird vielleicht irgendwann in der Zukunft ein Otto-Normalleser in der Lage sein, wesentlich komplexere Themen der Wissenschaft zu verstehen, als es heutzutage der Fall ist. Die Entwicklungen des WWW und der Biotechnologien könnten uns irgendwann dahin bringen, dass wir immense Mengen an Information aufnehmen und behalten werden können. Und ALLES wird von der SF- Literatur betroffen werden (ein vollständiges Auflösen der Milch im Kaffee).


    Aber auch ohne dieser Spekulation glaube ich wirklich, dass die SF deswegen so schwer fassbar ist, weil sie praktisch zu einem jeden Aspekt des menschlichen Lebens eine "Meinung" beisteuern kann. Ein historischer Roman wird immer ein solcher bleiben - doch es gibt genügend SF-Werke, die Historisches zum Thema haben. Krimis, Horror, Liebesgeschichten, Reiseberichte: Alle diese Genres sind klar umrissen (verglichen mit SF natürlich) - sie wirken auf mich wie die Schoko-Stückchen im Stracciatella. SF dagegen schein die homogene Speiseeismasse dazwischen zu sein ... :eis:

    Zitat von "sandhofer"


    Gut, ich sehe jetzt, was Du meinst. Ich sehe die Sachlage allerdings anders, wie ja schon mein Hunde-Mischlings-Beispiel zeigt: Nicht Öl in Milch, sondern Milch in Kaffee ...


    Dann hast du aber ein Problem. Man kann "Milchkaffee" in der Tat schlecht kompartimentieren. Sicherlich gibt es in einem solchen Gebräu gewisse Aggregationen und Dichteunterschiede. Aber, ob die für eine Definition ausreichen ...?


    Zitat von "sandhofer"


    Ich gehöre zu den 0.00000000000000000000000000000000001 %, die das als "Buch zum Film" (bzw. zur TV-Serie) betrachten.


    Sympthomatisch das: Ein Buch zum Film ist es AUCH. Zu einem SF-Film, allerdings. :zwinker:


    Zitat von "sandhofer"


    Film und Fernsehen haben die SF gerade erst entdeckt, während sie in der Literatur ihre Blütezeit (ihre Reinrassigkeit, wenn man so will!) hinter sich und verloren hat.


    Na, ja. "Gerade erst" ist (mit einem schielenden Blick auf "Metropolis") vielleicht etwas zu hart ausgedrückt.


    Zitat von "sandhofer"


    Und die Frage bleibt bestehen: Aufgrund welcher Kriterien werden solche Werke als SF eingestuft?


    Handlung in einer (sozio- und technologisch pseudo-möglichen) Zukunft reicht, würde ich sagen.

    OK, BigBen, danke für den Tipp. Wenn Gunn dort auch Kommentare unterbringt, wäre das tatsächlich etwas für mich. Ich gucke es mir an. Eine "bloße" Anthologie wäre aber nicht so interessant. Ich möchte nämlich immer wissen, WARUM ein bestimmtes Werk für die Entwicklung der SF von Bedeutung ist.[/b]

    Zitat von "sandhofer"

    Sagst Du hier nicht mit andern Worten dasselbe wie ich? Bejahst Du im zweiten Teil Deiner Aussage nicht genau das, was Du im ersten Satz verneinst?


    Absolut nicht. Dazu möchte ich ein Gleichnis entwerfen:


    Wenn ich unter dem Mikroskop einen Öltropfen beobachte, der sich in der Milch nach den Regeln der Thermodynamik hin und herbewegt (Brownsche Bewegung) und seine Formen ändert, eingeengt durch andere benachbarte Öltröpfchen, dann habe ich IMMER NOCH mit einem und denselben Tröpfchen zu tun.


    Zitat von "sandhofer"


    Tut mir leid, bei Definitionen denke ich zweiwertig: Ja oder nein. Kein Veilleicht, kein Sowohl-als-auch. Wenn ich einen Bernhardiner mit einem Dackel kreuze, habe ich nachher auch etwas Neues, weder einen Bernhardiner, noch einen Dackel. (Und schon gar keinen Hund, den ich sowohl an einer Bernhardiner- als auch an einer Dackelschau zeigen könnte!)


    Hier gehst du zu hart mit mir um, sandhofer. Ich habe von den Ausnahmen geredet, die die Regel bestätigen (und die zweifelsfrei bei einem so hochkomplexen Phänomen, wie eine literarische Gattung es ist, vorhanden sind), du unterstellst mir Wischi-waschi-Definieren. Ein "Hund" wird durch die "harten" Gesetze der Genetik definiert - da hat man ein leichtes Spiel. Wie du selbst zuvor geschrieben hast, ist ein(e) Schriftsteller(in) in der Lage, bewußt ein Buch zu schreiben, mit dem er/sie sich zwischen zwei Genres positioniert. Und, wie du selbst sagst, mit einem solchen "Bernhardiner-Dackel-Werk" gehört er/sie eben in KEINE der beiden Genres uneingeschränkt hinein. Das ist aber allgemeingültig und negiert in unserem speziellen Fall die Definitionen der Genres überhaupt nicht, sondern ermöglicht sogar unter Umständen deren Präzisierung.



    Zitat von "sandhofer"


    Ein SF-Instinkt? :entsetzt: Im Ernst, ich verstehe jetzt nicht ganz, was Du meinst.


    Es gibt immer noch Werke, die 99,99% aller Kritiker als SF-Literatur einordnen würden (z. B. die Bücher aus dem STAR Trek-Universum). Oder willst du jetzt unbedingt zu den 0,01% gehören, die darin Tatsachenberichte sehen? :zwinker: Und da es eben solche Bücher gibt, die ich bildhaft als "den ruhenden Pol im Zentrum des Öltröpfchens" bezeichnen möchte, GIBT es das "Tröpfchen" SF noch, unabhängig von allen Veränderungen an seinen Rändern.

    Zitat von "Bartlebooth"


    Uiuiui, damit machst du dir aber eine ganz andere Flanke auf, denn was ist die "real existierende" Welt? Mit so einer Definition wird bei böswilliger Auslegung ein großer Teil der Trivialliteratur zu SF, die ja gerade von ihrem irrealen Weltentwurf lebt.


    Ja, ja, ist ja gut, ich sehe es ein. :ohnmacht: Ich kann leider "real" nicht definieren. Dazu fehlt mir schlichtergreifend die Semantik. Ich kann nur hoffen, dass ihr mich versteht. In meiner Definition fehlt sowieso die doch so essentielle (glaube ich zumindest) Aussage zu der "pseuso-wissenschaftlichen Pseudo-Erklärung". Das "Seltsame" wäre aber nicht darin, weil Seltsames durchaus "real" ist.


    sandhofer:
    Ist es nicht so, dass uns Klassifizierungsversuche sowieso viel leichter fallen, wenn sie auf die Vergangenheit bezogen sind? Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich hier versuche, wie ein Fernsichtiger, eine Zeitung zu lesen, die viel zu nah an meiner Nase liegt: Nur die weit entfernten Artikel sind leidlich lesbar...


    Dennoch: Wenn ich etwas definiere, so muss ich immer damit rechnen, dass ich die berühmten Ausnahmen habe, die die Regel bestätigen. Wenn die "Kollateralschäden" nicht allzu groß sind, habe ich da kein Problem.


    Dass die SF nicht mehr existiert, kann ich so ohne weiteres nicht unterschreiben. Es wird ja immer noch viel geschrieben, was man sofort, beinahe instinktiv, hinzuordnen kann. Aber die "Randerscheinungen" sind es, die uns hier in die Suppe spucken. Die "Verzahnung" mit anderen Genres (potenziert durch die Medien Radio und Film) schreitet voran. Seitdem SF auch etwas salonfähiger geworden ist, werden aus ihrem Fundus reichlich "Leckerbissen" herausgepickt. Und sie gibt es mit der gleichen Münze zurück, indem sie "Neuland" entdeckt und einverleibt.

    Zitat von "Bartlebooth"


    Wichtig ist in meinen Augen, was zwischendrin passiert, so dass man am Ende vielleicht nicht mehr ganz genau an dem Ort steht, an dem man vorher stand.


    Absolut einverstanden, Bartlebooth. Ich habe schon eine ganze Menge dazu gelernt. Und Spaß macht es auch, also nur her mit den Argumenten!


    Zitat von "Bartlebooth"


    Dass SF eine Unterkategorie der Phantastischen Literatur ist, und zwar genau in dieser Weise eingeschränkt (technische Phantastik), ist eigentlich common sense. Dass heutzutage auch Texte zur SF gerechnet werden, die im strengen Sinne gar keine technischen Neuerungen enthalten ("Report der Magd" wäre so ein Beispiel), macht die Diskussion so schwierig - da wird SF ganz schnell zu "Social Fiction" und bringt dadurch die ganze Gattung in ein schiefes Verhältnis zu sich selbst.


    Obwohl ich das Problem sehe, habe ich es irgendwie nicht. Vielleicht liegt es daran, dass für mich "SF" eigentlich nie die "technische Phantastik", sondern, wesentlich breiter gefaßt, die "wissenschaftliche Phantastik" war. Und die Soziologie, mit allen anderen verwandten Disziplinen, gehört dahin mit ebenso viel Recht wie die Atomphysik. Ausdrücklich möchte ich auch die Theologie hinzufügen.


    Daher postuliere ich hier: SF ist die Kunst der intellektuellen Spekulation über die Einflüsse einer "raum-zeitlich" beliebig wandelbaren Welt auf den Menschen. Sozusagen ein Gedankenexperiment, das den Menschen außerhalb des "gewohnten" Rahmens der "real existierenden" Welt untersucht und bestimmte Aussagen über den Menschen (z. B. sein Verhalten oder seine Verarbeitung der "äußeren Reize") extrapoliert. Diese Definition ist allerdings nur von mir (freilich NACH der Lektüre einiger oben erwähnten Werke entstanden).


    Zitat von "Bartlebooth"


    Man könnte also auch argumentieren, dass sich die Gattung mit Texten wie denen Atwoods auf ihre Wurzeln zurückwendet. Damit würde dann aber das Technik-Merkmal hinfällig.


    Sehe ich genauso. Technik ist nur eine Untermenge der Wissenschaft und sie kann nicht als alleiniges Unterscheidungskriterium verwendet werden. SF entstand, weil sich der Bildungsstand der Leser im 19. Jh. dramatisch verändert hat (Alpers). Die Lügengeschichten von gestern konnten vor dem neuen "Kritizismus" nicht mehr bestehen. Dieser Prozeß beschleunigt sich heutzutage (höchstwahrscheinlich sogar mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit) und die SF breitet, in einem vergeblichen (?) Versuch, dem rasant wachsenden Wissenshorizont zu entkommen, ihre "Fühler" zunehmend in Bereiche der Literatur aus, in denen sie früher wenig zu suchen hatte. Daher ist das klare Definieren dieser Gattung auch zunehmend schwieriger und deswegen tauchen immer wieder neue Bezeichnungen für bestimmte SF-Nischenprodukte auf.


    Zitat von "Bartlebooth"


    Ich sehe keinen Ausweg aus dieser terminologischen Schwierigkeit.


    Wäre meine Definition nicht eine Möglichkeit?


    Zitat von "Bartlebooth"


    Und jetzt geh ich wieder spielen :zunge:.


    :breitgrins::zunge:

    Zitat von "Bartlebooth"

    Hey Zoltar,
    Aber das tun wir doch auch! Wenn auch gerade auf einem Nebengeleis ;-).


    Tja, das erklärt wohl, warum ich nur "Bahnhof" verstehe. Na, dann spielt schön weiter - Nur: Zum Abendessen sind die Züge und die Gleise wieder im Karton! :breitgrins:


    Zitat von "Bartlebooth"


    Aber sich mit dieser - Verzeihung - banalen Erkenntnis zufrieden zu geben, hieße doch auf sämtliche Diskussion von vornherein zu verzichten.


    Warum das denn? Wahrheit kann doch auch mal trivial sein. Und ich habe Aldiss nicht zitiert, um die Diskussion abzuwürgen, sondern um eine andere Perspektive anzubieten. Innerlich finde ich seine Erklärung ebenfalls unbefriedigend, kann sie jedoch nicht ohne weiteres abtun.


    Was, wenn "SF" keine Definition einer Gattung, sondern ein darüber befindlicher Sammelbegriff für "technische Phantastik" ist? Ich halte sogar die Wortbildung "SF" für irgendwie veraltet, weil es die momentane "Konsistenz" des Genres nur unzureichend widerspiegelt. In meinen Augen unterscheidet sich SF von anderen Strömungen der phantastischen Literatur nur durch ihren Anspruch auf eine, bevorzugt, "pseudo-wissenschaftliche Pseudo-Erklärung" (Alpers) der geschilderten Vorgänge. Sehr einleuchtend fand ich das Beispiel mit Mark Twains "A Connecticut Yankee in King Arthur's Court" und Wells "Time Machine": Beide beschreiben eine Zeitreise und die Erklärung einer solchen von Wells ist um keinen Deut "logischer " als die von Twain.


    Andere Deffinitionen im Alpers kommen von Herbert W. Franke ("SF ist eine kontrollierte Spekulation.") und Carl Amery ("SF ist die Fortsetzung des traditionellen Lügenromans mit anderen Mitteln.").

    Hallo,


    ich möchte diese Diskussion mehr auf den ursprünglichen Pfad lenken. Sprich, über die Abgrenzung/Definition der SF streiten. Hierzu als Anregung Folgendes:


    Brian W. Aldiss: "SF ist, was in den Bücherständern und Regalen der Buchhandlungen als SF angeboten wird."


    Somit wäre Aldiss sogar mein Alibi, als ich von dem "Auge des Betrachters" sprach, nur andersherum, sozusagen.


    Ein Satz in Diodors "Berühmte Grabstätten" macht mich ebenfalls hellhörig: "Wenn es Sache der Politiker und Rhetoren ist, die Intrigen des Alltags zu deuten, so besteht die Aufgabe der Dichter und Geschichtenerzähler darin, die Fabelwesen auf den Inseln zu besuchen, die Toten im Hades und die Ungeborenen auf ihrem Stern."


    Darf ich das denn als ein "Gehet hin und schreibet Fantasy und SF!" deuten?