Die Welt der Schatten ist für uns Menschen gänzlich unbekannt und viele von uns bemerken den eigenen Wegbegleiter nicht einmal. So ist es nicht verwunderlich, dass Christian von Aster mich mit seinem Fantasy-Roman „Der letzte Schattenschnitzer“ überrascht und staunend zurückgelassen hat.
Der Schatten von Jonas Mandelbrodt hat schon vielen Herren gedient und ist sich sicher, dass Besondere in den Menschen zu sehen. Bei Jonas gab es zwar keine direkten Anzeichen wie bestimmte Planetenkonstellationen o.Ä. doch er spürt, wie dieser Junge dazu geboren wurde, Großes zu schaffen. Deswegen entschließt sich der Schatten, gegen die Regeln der Schattenwelt zu handeln und Jonas in dem geheimen und uralten Wissen der Alchemisten zu lehren.
Das Kind fällt in seiner Familie schon bald durch merkwürdiges Verhalten auf, denn er interessiert sich nicht für seine Spielkameraden und starrt unentwegt auf den schwarzen Fleck, den sein Körper wirft. Jonas spürt – besonders durch das Verhalten seiner überforderten Mutter und übermotivierten Ärzten -, dass er nicht wie andere Kinder ist und wünscht sich nichts sehnlicher, als normal zu sein.
Eines Tages wird ein Mädchen ohne Schatten geboren und Jonas weiß, dass die kleine Maria mit ihm das selbe Schicksal teilt, doch er ahnt nicht, wie recht er mit seiner Vermutung hat und wie wichtig die beiden für das Gleichgewicht der Schattenwelt sein werden, welches der Rat der Ältesten unbedingt zu wahren hofft – da sonst das Erbe von dem mächtigen Alchemisten Ripley, was seit nunmehr 500 Jahren beschützt wird, an Stärke gewinnt.
Die Handlung ist für Fantasy-Fans bestimmt ein wahrer Genuss und für mich persönlich waren die Auszüge aus John Dees „Alchimia Umbrarum“ ein großes Highlight und eine nützliche Hilfe bei der Entschlüsselung vom Tun und Denken der Protagonisten.
Verschiedene Erzählperspektiven machen neugierig auf die Schicksale der einzelnen Charaktere und sie sind in unterschiedlichen Schriftarten gedruckt, sodass man beim Lesen nicht durcheinander kommt. Zu Beginn war es für mich schon etwas merkwürdig, die Geschehnisse von einem Schatten erklärt zu bekommen, der in seiner Wahrnehmung (meist) neutral ist und uns die schonungslose Wahrheit seiner Beobachtungen berichtet. Indem er andere Schatten berührt, gelingt es ihm zum Beispiel, interne Probleme eines - für Außenstehende intakten - Familienbundes zu durchleuchten, wodurch kaum ein Geheimnis vor ihm sicher bleibt. Die einzige Möglichkeit, das abzuwenden und seine Schatten gegenüber anderen zu verschließen, bedarf einer langen Übungszeit und eines guten Lehrers!
Wenn man in die ersten Seiten eintaucht, fällt auf, dass man hier keinen „normalen“ Schreibstil liest, sondern ein wahrer Künstler am Werk war. Man spürt die Liebe des Autors aus jeder Zeile und kein Satz gleicht in seiner Art klassischer Unterhaltungslektüre. Für mich war es zu Beginn deswegen schwierig in einen guten Lesefluss zu verfallen, doch nach kurzer Zeit ging das vorüber und die Freude über die Worte siegte! Diese spezielle Art des Autors spiegelt sich auch in den vielen Details, wie zum Beispiel Zitaten zu jedem Kapitel oder der Widmung am Anfang wieder, wodurch man als Leser das Gefühl hat, ein gut durchdachtes und nicht lieblos verfasstes Buch in den Händen zu halten.
Mein Lob ist aber gleichzeitig auch Kritik, denn „Der letzte Schattenschnitzer“ ist kein Buch für zwischendurch und ohne ein bisschen Ruhe wird es schwer sein, der Handlung gut zu folgen. Doch wenn man sich darauf einlässt, wird man für schöne Lesestunden belohnt!