Beiträge von Vandam

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    Heiko Volz (Text), Isabell Löwe (Illustrationen): Der schüchterne Uwe. Das Mutmachbuch aus dem Schwarzwald (3 bis 6 J.), Sindelfingen 2024, Molino Verlag, ISBN 978-3-948696-60-3, Hardcover, 40 Seiten, durchgehend farbige Illustrationen, Format: 22,8 x 1 x 28,7 cm, Buch: EUR 15,00. Empfohlen von der „Stiftung Lesen“.


    Erwachsene Leser:innen werden sich bestimmt nicht darüber wundern, dass im Schwarzwald allerlei merkwürdige Lebewesen zuhause sind. 😉 Für die Kinder in dieser Geschichte scheint das ebenfalls völlig normal zu sein. Sie denken keine Sekunde darüber nach, was der flauschige pinkfarbene Uwe wohl für einer ist. Ein Monster? Ein Kind? Ein Monsterkind? – Egal! Der Kleine mit dem Unterbiss und dem lustigen Bollenhut ist so freundlich wie der Dackel, der ihn stets begleitet, und er macht begeistert jeden Unfug mit. Also ist er einer von ihnen. Nur reden mag er nicht.


    Wieso Uwe so schweigsam ist


    Warum Uwe so schüchtern ist, zeigt sich, als er doch mal den Mund aufmacht: Wenn er was sagt, klingt das nämlich anders als bei den anderen Kindern. Er kann die Zischlaute nicht so aussprechen wie sie. Ob das ein Sprachfehler ist oder ob pinkfarbene Schwarzwald-Monster mit Unterbiss und prominenten unteren Eckzähnen generell so reden, wissen wir nicht. Seine Kumpels finden es jedenfalls lustig, dass er kein S und kein Sch sagen kann, sondern stattdessen ein paar F nimmt. Als er „Waff wollen wir heute ffpielen?“ fragt, lachen sie.


    Natürlich ist Uwe jetzt beleidigt. Das wären wir an seiner Stelle auch. Dabei haben seine Freunde das gar nicht böse gemeint. Sie waren nur überrascht. Doch davon ahnt der schüchterne Uwe nichts, weil er jetzt allein daheim rumsitzt und so lange schmollt, bis es den sprechenden roten „Bollen“ auf seinem Hut zu bunt wird und sie ihn unmissverständlich dazu auffordern, endlich seinen Mut zusammenzunehmen und wieder zu den anderen Kindern zu gehen.


    Werden die Kinder wieder über ihn lachen?


    Na ja … ganz wohl ist Uwe dabei nicht. Werden die anderen ihn wieder auslachen? Doch als er seine Freunde wiedersieht, erlebt er eine faustdicke Überraschung. Nicht nur, dass sie ihn vermisst haben – sie eröffnen ihm auch, dass sie seine Art zu sprechen ausgesprochen cool finden. Für die „Uwe-Sprache“ haben sie eine ganz besondere Verwendung gefunden. Und Uwe, dem schüchternen Außenseiter, fällt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Jetzt kommt der Kleine ganz groß raus!


    Der schüchterne Monsterjunge ist zum Knuddeln süß. Deshalb freut es die Leser:innen umso mehr, dass am Schluss alle Missverständnisse ausgeräumt sind und die Sache für ihn gut ausgeht. Niemand macht sich über ihn lustig. Seine Freunde mögen ihn und wollen mit ihm zusammen sein. Sie werden noch viel gemeinsam unternehmen und eine Menge Spaß miteinander haben.



    Kumpels, Kekse, Kuckucksuhren


    In diesem Buch können die jungen Leser:innen nicht nur erfahren, was eine gute Freundschaft ausmacht, sondern auch praktische Dinge lernen: wie man zuckerfreie Kekse backt, zum Beispiel. Oder wie man Grießbrei nach Omas Schwarzwälder Rezept kocht. Aber nicht allein in der Küche herumwursteln, gell? Da muss schon eine erwachsene Person dabei sein und ein bisschen aufpassen!


    Wenn aber der Autor und die Illustratorin den Kids am Schluss „erklären“, wie’s im Inneren einer Kuckucksuhr zugeht, sollten sie das bitte nicht für bare Münze nehmen! :D Obwohl die Idee schon klasse ist.


    Mit Respekt und Anstand


    Ein biffchen war ich verffucht, den Text hier in „Uwe-Fffprache“ ffu verfaffen. Solche Albernheiten finde ich unglaublich ansteckend. Es hat mich schon gewundert, dass der Autor beim Signieren der Bücher tatsächlich „Stuttgart“ schreibt und nicht „Fftuttgart“. Aber okay … diese „monströse“ Schreibweise wäre schwer zu lesen gewesen.


    Ein wenig wäre ich mir auch vorgekommen, als würde ich den kleinen Uwe nachäffen und mich über ihn lustig machen. Und ganz gleich, warum er so spricht, wie er spricht: Das wäre gemein gewesen und hätte kein gutes Beispiel für die junge Leserschaft abgegeben. Wir wollen doch respektvoll und anständig miteinander umgehen – auch mit jenen, die aus irgendwelchen Gründen ein bisschen anders sind als die meisten anderen.


    Der Autor


    Heiko Volz wurde 1961 in Calw im Schwarzwald geboren. Er lebt und arbeitet in Stuttgart, ist gelernter Verlagskaufmann, studierte Wirtschaftswerbung und Marketing. Bekannt wurde er als Autor und Stimme der SWR-Kultfiguren Äffle & Pferdle sowie als TV-Journalist und Moderator einer Fernsehsendung bei Regio TV. Er unterrichtete Kinder in Kung Fu, unterrichtete Kommunikation an einer Jugendkunstschule, betreute Kinder bei Reitcamps und dozierte an der Akademie der Medien Moderation, Konversation und Rhetorik. Seit mehreren Jahren ist er der Darsteller des Piraten Neckarschreck im Kinderferienprogramm einer Schifffahrtsgesellschaft. Seit über 30 Jahren ist er auch Nikolaus und Weihnachtsmann.


    Die Illustratorin


    Isabell Löwe wurde 1987 in Gernsbach im Schwarzwald geboren. Sie arbeitet als Illustratorin, Künstlerin und Kunstlehrerin. Als Schwarzwaldmädel malt sie am liebsten Bollenhüte, Schwarzwälder Kirschtorte und kleine Schwarzwald-Monster.

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    Michael Stavarič (Text), Michèle Ganser (Illustrationen): Faszination Haie – Wächter der Meere (ab 6 J.), Graz 2024, Leykam Verlag, ISBN: 978-3-7011-8315-9, 144 Seiten, Hardcover mit Strukturpapier und Metallic-Folie, zahlreiche großformatige s/w-Zeichnungen mit Gestaltungselementen in metallic-pinkfarbenem Foliendruck, Format: 20,4 x 1,7 x 30,1 cm, EUR 26,00 (D) / EUR 26,50 (A).


    „Taucht ab in die Tiefen des Ozeans und begebt euch in das unglaubliche Reich der Wissenschaft!“ (Aus dem Klappentext)


    Plauderton und tolle Bilder


    Das Buch ist außen wie innen sehr hochwertig ausgestattet. Die detailreichen Illustrationen, die oft vor einem schwarzen Hintergrund stehen, machen was her. Insbesondere, wenn sie mit metallic-pinkfarbenen grafischen Akzenten versehen sind. Und schlauer machen die Bilder obendrein, weil sie uns schwarz auf weiß zeigen, wovon uns Autor Michael Stavarič erzählt. Dies tut er in einem locker-leichten, kindgerechten Plauderton.




    Ich habe mir die ganze Zeit vorgestellt, wie er bei einer (Familien-)Feier sämtliche anwesenden Kinder um sich schart, die schon während des Essens betteln: „Bitte, bitte, Onkel Michi, erzähl uns eine Geschichte!“ Weil sie genau wissen, wie klug der Mann ist und wie unterhaltsam er über Erlebtes, Gesehenes und Gelerntes berichten kann. Da die Kids wahrscheinlich Geschichten über Tiere, Abenteuer, das Meer und Monster eingefordert haben, sammelt er sich kurz und spricht über … Haie. Genau so klingt für mich dieser Erzählton.


    Manchmal kommt der Onkel auch vom Thema ab, aber solange das, was er zum Besten gibt, interessant und spannend ist, ist das dem jungen Publikum egal. Und wenn er seine Ausführungen mit ein paar seiner unfassbar schlecht gereimten – und ich bin sicher, das weiß er! – Vierzeiler auflockert, zerkugeln sich die Kids vor Lachen.


    Ein Kinder-Sachbuch mit Event-Charakter


    Wenn die Feier dann zu Ende ist und die Familien nach Hause fahren, ist der Onkel heiser, die Eltern hatten ihre Ruhe, die Kinder ihren Spaß und sie haben dazu noch was gelernt. :D Ein Kinder-Sachbuch wie ein Event, eine Veranstaltung zwischen zwei Buchdeckeln! Sogar was mit „Augmented Reality“ ist dabei, wenn man den QR-Code vom Cover abscannt und sich eine App aufs Smartphone lädt. Das habe nicht getan, weil ich nicht genau wusste, was ich mir damit ins Haus hole.


    Das Buch wird schon für Leser:innen ab 6 Jahren empfohlen. Ich glaube nicht, dass man in dem Alter bereits alles versteht, was hier geboten wird, auch nicht, wenn man es von einem Erwachsenen vorgelesen bekommt. Aber bei etwas älteren „Schlauköpfen“, wie der Autor seine Leserschaft nennt, wird schon das eine oder andere hängen bleiben.


    Faszinierende Fakten


    Warum, zum Beispiel, kann man nur mutmaßen, wie groß der ausgestorbene Megalodon, die größte Haiart, die je auf unserem Planeten gelebt hat, wirklich war? Nun, weil von ihm nur Zähne übriggeblieben sind, kein Skelett. Wieso das? Weil Haie, genau wie Rochen, Knorpelfische sind. Ihr „Gerüst“ besteht aus dem gleichen Material wie unsere Ohren oder unsere Nasenspitze. (Darüber habe ich in der Tat noch niemals nachgedacht!)


    Haie sind niemals ausgewachsen, sie wachsen ihr ganzes Leben lang. Und auch ihre Zähne wachsen immer wieder nach. „Revolverzähne“ nennt man das. In einem Hai-Leben verbrauchen sie circa 30.000 Stück davon. Ein tolles System! Haie gibt’s in vielen Größen und Formen, man teilt sie in über 500 Arten ein. Ein paar besonders prägnante stellen uns der Autor und die Illustratorin in Wort und Bild vor.


    Haie sind keine Monster


    Wir erfahren, dass Haie kluge und neugierige Tiere sind und bei weitem nicht die menschenfressenden Monster, als die sie verschrien sind. Der Kinofilm DER WEISSE HAI hat den Tieren keinen guten Dienst erwiesen. Die Wahrscheinlichkeit, in einen Haiunfall verwickelt zu werden ist, statistisch betrachtet, ungefähr so groß, wie die, einen Lotto-Jackpot zu knacken.


    „Haie sind für uns wirklich so ziemlich die ungefährlichsten Lebewesen weltweit, trotz ihrer beeindruckenden Kraft, ihrer scharfen Zähne und der Tatsache, dass Millionen Menschen ständig in Ozeanen baden gehen und auf Millionen von Haien treffen.“ (Seite 26)


    Natürlich kommt man bei einem Buch über Meerestiere an Themen wie Tier- und Naturschutz nicht vorbei. Und so werden auch Klimawandel, die Gefahren von Mikroplastik im Wasser und die Bejagung durch die Menschen angesprochen. Warum wir keinesfalls Haifischflossensuppe essen sollten, erklärt uns der Autor ebenfalls. Dabei spart er auch die Schilderung der grausamen Praktik des „Finning“ nicht aus: Hai fangen, Flossen abschneiden, Hai zum Sterben zurück ins Wasser schmeißen. Das ist für junge Leser:innen bestimmt starker Tobak, aber in diesem Zusammenhang eben auch wichtig.


    Mit Rätseln und Mitmach-Aufgaben


    Neben Sachinformationen gibt es in dem Buch auch Zusatzinfos „für Schlauköpfe“, Rätsel und Mitmachaufgaben sowie fiktive Social-Media-Beiträge einer Hai-Dame, inklusive der ebenso fiktiven Kommentare ihrer Follower. – Kann eigentlich jemand was auf dem 3D-Bild auf den Seiten 92/93 erkennen? Ich ahne zwar, wo da was sein könnte, aber der „Magische-Auge-Effekt“ will sich nicht einstellen. Vielleicht, weil das Bild in der Mitte durch den Falz geteilt wird.


    … und mit thematischen Abschweifungen


    Ich kann gut nachvollziehen, warum die „Faszination“-Reihe des Leykam-Verlags mehrfach ausgezeichnet worden ist, nur bin ich eben kein Fan ausschweifender thematischer Abschweifungen. Über Haie gibt es sicher genug Fesselndes und Wissenswertes zu erzählen, warum referiert der Autor dann noch über Gold, Pilze, künstliche Intelligenz und allerlei fliegendes Getier?


    Um beim Eingangsbild zu bleiben: Mir leuchtet ein, dass jemand, der eine Kinderschar mit Geschichten bei Laune halten will, alles erzählt, was ihm gerade durch den Kopf geht, Hauptsache, die Kleinen sind ruhig. In einem Sachbuch, egal ob es für Kinder oder für Erwachsene konzipiert ist, stört mich das. Das ist für mich undiszipliniertes Gebabbel. Ich will aber nicht ausschließen, dass das (m)ein individuelles Problem ist und andere Leserinnen und Leser das möglicherweise ganz anders empfinden.


    Der Autor


    Michael Stavarič, geboren 1972 in Brno, lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Wien. Er wäre früher gerne Meeresbiologe geworden, jetzt schreibt er Kinderbücher, Romane, Theaterstücke und Gedichte, interessiert sich aber noch immer für Fauna und Flora, besonders für Meerestiere.


    Die Illustratorin


    Michèle Ganser, 1995 in Aachen geboren, studierte Kommunikationsdesign in Aachen und Mainz. Besonders faszinieren sie das Weltall, die Sterne und die unterschiedlichen Planeten. In ihren Illustrationen vereinigt sie auf ungewöhnliche Weise spannende Themen und erschafft so ganz neue Welten.

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    Heike Abidi, Ursi Breidenbach: Freundinnen bleiben wir immer. Roman, München 2024, Penguin Verlag, ISBN 978-3-328-11055-2, Softcover, 336 Seiten, Format: 11,9 x 3 x 18,7 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 7,99.


    „Solange wir uns alles anvertrauen können, kann nichts je so schlimm sein. Mit einer besten Freundin ist selbst das tiefste Tal nicht völlig dunkel […]. (Seite 328)


    Freundinnen seit Kindertagen


    Seit der Grundschule sind die in Köln lebende Fernsehmoderatorin Eva Gruber und die Münchner Bibliothekarin Judith Wieland beste Freundinnen. Jetzt sind sie Ende 40 und ihr Leben hat grundverschiedene Wendungen genommen. Die abenteuerlustige und leicht verpeilte Eva ist überzeugter Single und will „nichts Festes“. Stets hat sie die liebevoll-perfekte Ehe ihrer Eltern vor Augen. Das ist ihr Beziehungs-Ideal und auch ihr Anspruch. Und bevor sie daran scheitert, lässt sie’s lieber ganz bleiben. Obwohl Timo, ihre neueste Eroberung, diesen Entschluss schon ein bisschen ins Wanken bringt.


    Die bestens organisierte Judith dagegen steht kurz vor der Silberhochzeit mit ihrem Frank. Die Söhne sind schon aus dem Haus. Auch Judith hat die Ehe ihre Eltern vor Augen – als abschreckendes Beispiel. Um ihren Jungs ein Scheidungskinder-Schicksal zu ersparen, hat sie stets zurückgesteckt, sich von ihrem Mann alles gefallen lassen und krampfhaft die Harmonie aufrechterhalten. Jetzt, da die Söhne ihr eigenes Leben führen, hat ihre Ehe eigentlich keine „Geschäftsgrundlage“ mehr und Judith beginnt sich zu fragen, ob sie für den Rest ihrer Tage neben Frank her leben möchte. Nicht unbedingt. Er nimmt sie ja nicht mal mehr wahr.


    Sand und Meer statt Kunst und Kultur


    Seit Jahren nehmen sich Eva und Judith einmal im Jahr Zeit für ein paar Tage Freundinnenurlaub. Jedes Jahr organisiert eine andere eine Städtereise mit viel Kulturprogramm. Diesmal ist Eva dran – und verpennt es, sich rechtzeitig darum zu kümmern. Statt in London oder Amsterdam landen die zwei Damen als last-Minute-Verlegenheitslösung in Timos Ferienhaus an der niederländischen Küste.


    Judith ist enttäuscht. Tulpen, Sand und Meer am Ar*** der Heide statt Kunst und Kultur in einer aufregenden Metropole! Na, toll! Auf diese Weise kommen sie aber wenigstens mal zum Reden. Das ist bei dem eng getakteten Kulturprogramm vergangener Urlaube immer zu kurz gekommen. Und Redebedarf gibt’s reichlich, wie sich bald herausstellt.


    Ehrlich reden oder höflich schweigen?


    Eva ist verunsichert und traut sich nichts mehr zu sagen, was von ihrer Freundin als Einmischung interpretiert werden könnte. Dabei hätte sie einiges zu berichten, was Judith ihrer Meinung nach über ihren Ehemann wissen sollte. Und was sie ihr vielleicht schon längst hätte erzählen sollen. Doch weil sie ihre Freundschaft nicht gefährden will, schweigt sie. Ob das so gut ist?


    Unwillkürlich überlegt man als Leserin, was wohl am besten wäre und wie man selbst in dieser Lage handeln würde.


    Zeit für einen Neustart?


    Der Freundinnen-Urlaub verläuft also nicht so harmonisch wie erwartet. Jede macht ihr eigenes Ding und zieht meist allein los.


    Draußen, bei ihren Alleingängen, lernt sie [Judith] Menschen kennen, die ihr bewusst machen, wie man auch miteinander umgehen kann, nämlich rücksichtsvoll, fürsorglich, wertschätzend und auf Augenhöhe. Es ist keinesfalls „normal“ und klaglos zu akzeptieren, dass einen der Partner wie ein Möbelstück behandelt.


    Wie werden sich die zwei entscheiden?


    Jetzt ist die Frage, was die beiden Frauen aus den Erkenntnissen dieses Wochenendes machen.


    Wie auch immer Eva und Judith sich entscheiden und ob sie mit dieser Entscheidung glücklich werden oder krachend scheitern: Sie wissen jetzt, dass sie da nicht allein durch müssen, sondern dass sie sich trotz aller Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten fest aufeinander verlassen können.


    Es gibt auch was zu lachen


    Das Hinterfragen des bisherigen Lebens und das Erwägen eines Neustarts sind ernste Themen. Aber natürlich gibt’s hier auch was zu lachen … nicht nur über Evas allgegenwärtiges Chaos. Wie die Freundinnen herauszufinden versuchen, wer da im Hintergrund in ein Telefonat gequatscht hat, fand ich zum Piepen. Und die Schimpfkanonade der beiden! Das war köstlich! Im Geiste hab ich mitgeschimpft. Kleiner Tipp: Sollte einem diesbezüglich irgendwann das Vokabular ausgehen, sind die Namen von Pilzen, Faltern, Kräutern oder V ö g e l n eine hervorragende Inspirationsquelle. :D


    „Feministischer“ wär’s natürlich gewesen, wenn Judith einfach festgestellt hätte, dass sie Frank und seinen Bullsh*t nicht mehr in ihrem Leben haben will und gegangen wäre, ohne bereits eine Alternative am Bändel zu haben. „Ich muss mir das nicht bieten lassen, ich schaff das allein“ statt „Ich bleib‘, bis sich was Bess’res findet“ wäre mir als Botschaft lieber gewesen. Aber so, wie die Geschichte hier erzählt wird, ist sie natürlich unterhaltsamer – was ja der Job eines Romans ist. Und den macht er prima. Genauer gesagt: die Autorinnen.


    Für alle, die sich fragen, wie zwei Personen zusammen einen Roman schreiben können: Die Handlung wurde gemeinsam entwickelt und dann die Geschichte abwechselnd aus Judiths und aus Evas Perspektive erzählt. Es steht vorne im Buch: Heike Abidi hat Judiths Part geschrieben, Ursi Breidenbach den der Eva. Nach diesem Muster arbeiten die beiden auch im Sachbuchbereich. Funktioniert bestens, hier wie dort!


    Die Autorinnen


    Heike Abidi ist studierte Sprachwissenschaftlerin. Sie lebt mit Mann, Sohn und Hund in der Pfalz bei Kaiserslautern, wo sie als freiberufliche Werbetexterin und Autorin arbeitet. Heike Abidi schreibt vor allem Unterhaltungsromane und erzählende Sachbücher für Erwachsene sowie Geschichten für Jugendliche und Kinder. »Eine wahre Freundin ist wie ein BH«, das sie zusammen mit Ursi Breidenbach veröffentlichte, hielt sich monatelang auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien von den beiden Autorinnen »Geschwister sind wie Gummibärchen«.


    Ursi Breidenbach studierte Kunstgeschichte und Kulturmanagement in Wien. Nach Stationen im Ausstellungs- und Museumswesen in Österreich und Bayern sowie einer kunstjournalistischen Tätigkeit arbeitet sie seit 2009 als freie Autorin. 2023 wurde sie mit dem DELIA-Literaturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in der Steiermark/Österreich. Neben ihren gefühlvollen Romanen schreibt Ursi Breidenbach erfolgreich Sachbücher.

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    Leonie Schöler: Beklaute Frauen. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen. Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte, München 2024, Penguin Verlag, ISBN 978-3-328-60323-8, Hardcover, 411 Seiten mit s/w-Abbildungen und Infokästen, Format: 14 x 3,8 x 22 cm, Buch: EUR 22,00 [D], EUR 22,70 [A], Kindle: EUR 19,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Begabt, benachteiligt, beklaut – wie Frauen aus der Geschichte gestrichen und um ihren Ruhm gebracht wurden. Warum die Chemikerin Clara Immerwahr trotz Doktortitel nur eine unbezahlte Assistenzstelle bekam, wieso die meistpublizierte Fotografin des Bauhauses keine Anerkennung erhielt und weshalb Lise Meitner keinen Nobelpreis hat.“ (Aus der Verlagswerbung)


    Neu war mir nicht, dass Frauen zwar oft die (wissenschaftliche, politische oder künstlerische) Arbeit gemacht haben, aber Männer dafür Ruhm und Anerkennung erhielten. Dazu habe ich zu viel über Forschung gelesen und von jung auf den Schilderungen meines Vaters gelauscht, der gerne Biographien las und immer wieder fassungslos war: „XY war ja ein bedeutender Mann – aber wie er die MENSCHEN behandelt hat …!“ Und dann erzählte er Haarsträubendes über berühmte Herren und deren Umgang mit Angehörigen und Kolleg:innen. Von Albert Einstein war er besonders enttäuscht. Und Karl Marx, oh je! Ich bin also mit diesen Geschichten aufgewachsen.


    „Alles ist, wie es ist, weil alles so war, wie es war.“ (Seite 15)


    Gut, könnte man sagen, das sind alles olle Kamellen. Warum sollten wir uns heute noch damit beschäftigen? Weil’s fair wäre. Weil Geschichte uns die Gegenwart erklärt. Und weil es sowas immer noch gibt. Nur vielleicht ein kleines bisschen subtiler als vor hundert oder zweihundert Jahren. *


    Ich kann mich jedes Mal aufs Neue aufregen, wenn ich lese, wie die Kollegen der Biochemikerin Rosalind Franklin heimlich in ihren Unterlagen herumschnüffelten, ihre Daten stahlen, sie als die eigenen ausgaben – und damit schließlich den Nobelpreis bekamen. Wie das ans Licht gekommen ist? Einer der Herren hat in seiner Autobiographie mit diesem Coup angegeben. Nicht ein Hauch von Unrechtsbewusstsein! – Hallo? In welcher Welt ist denn sowas in Ordnung?


    Solche Geschichten gibt’s hier viele. Wissenschaftlerinnen, die nur heimlich durch den Hintereingang in ihr Labor schleichen durften, damit nur ja keiner sieht, dass hier eine Frau forscht. Frauen mit Doktortitel, die allenfalls als unbezahlte Assistentin arbeiten durften, bevorzugt für Ehemann oder Bruder. Was soll das? Wer hat solche absurden Regeln gemacht? Na ja: die, die das Sagen hatten und die, die was zu verlieren hatten.


    Das ist kein Fehler im System


    „Das ist […] kein Fehler im System, das IST das System. Unsere kapitalistische Gesellschaft basiert darauf, dass einige profitieren, während andere ausgebeutet werden. Die Ehe ist ein Fundament dieser Ausbeutung, denn sie stellt Frauen in den Dienst von Männern ohne sie dafür zu bezahlen. […] Männer sollen ihre wertvolle Zeit nicht mit wirtschaftlich unrentablen, störenden Aufgaben verschwenden, sondern vorankommen.“ (Seite 94)


    Das klingt schon krass. Aber wenn man an die ganzen Gender-Gaps denkt (Gender-Time-Gap, Gender-Care-Cap, Gender-Pay-Gap und wie sie alle heißen), die dafür sorgen, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, ihren Tag mit häuslichen Aufgaben füllen und insgesamt weniger verdienen, ist das nicht von der Hand zu weisen. Das hat sich so entwickelt, und da stecken wir immer noch drin.


    Und so gut der Universalismus („Mensch ist Mensch“) in der Theorie klingt: Wir haben was anderes verinnerlicht.


    Männlich, christlich, bürgerlich, hetero und weiß


    „Als Blaupause des Menschen und des menschlichen Daseins wurde in der patriarchal geprägten Neuzeit gesellschaftlich fast immer der weiße, gut situierte cis-heterosexuelle Mann der westlichen Hemisphäre gesetzt.“ (Seite 255)


    „Christlich“ nicht zu vergessen! Was von dieser Blaupause abweicht, wird misstrauisch beäugt, nicht ernst genommen, ausgegrenzt und/oder ignoriert. Da haben die „beklauten Frauen“ oft mehr als nur das „falsche“ Geschlecht als Handicap gehabt.


    Es ist ja nachvollziehbar, dass sich eine bisher privilegierte Gruppe wehrt, wenn plötzlich Menschen in ihren Bereich vordringen wollen, die anders sind als sie selbst. Das erzeugt zunächst mal Abwehr: „Die sollen gefälligst draußen bleiben und uns keine Konkurrenz machen!“ Wenn sich die anderen trotzdem reindrängeln und mit ihrem Tun auch noch erfolgreich sind, wird das von den angestammten Gruppenmitgliedern als Bedrohung empfunden. Ob in Wissenschaft, Kunst, Politik oder Militär: Sobald die Frauen ankommen und auch ihr Stück vom Kuchen haben wollen, gibt’s Ärger.


    „Wenn Frauen alles machen können und dürfen, was Männer machen können und dürfen, was macht einen Mann dann noch zum Mann? Ist eine geschlechtsabhängige Aufgaben- und Rollenverteilung etwa doch keine Vorgabe der Natur, sondern das Ergebnis einer patriarchalen Gesellschaft?“ (Seite 247)


    Die anderen sollen draußen bleiben


    Niemand sagt, dass alle Männer grundsätzlich so dachten und denken, aber die, die sich von den gesellschaftlichen Veränderungen bedroht oder auch nur gestört fühlten, haben den Frauen oft besonders deutlich gemacht, dass sie dem Mann nicht gleichgestellt waren. Wozu ist man schließlich in der Position, die Regeln zu machen? Und so werden Frauen und andere marginalisierte Gruppen ausgebremst, ausgenutzt, ausgegrenzt und deren Leistungen totgeschwiegen. Auf diese Weise kommt‘s zu den „unsichtbaren Heldinnen der Geschichte“, von denen im Buch-Untertitel die Rede ist.


    Wie wir aus dieser Nummer wieder rauskommen? Das ist eine gute Frage! Eine Patentlösung hat die Autorin auch nicht. Es gibt nicht den einen Knopf, auf den man drücken muss, und – zack - kommt es nur noch auf die Fähigkeiten eines Individuums an und auf sonst nichts. Es ist mal ein Anfang, die unsichtbar gemachten Frauen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken und ihnen wenigstens einen Teil der Anerkennung zukommen zu lassen, die ihnen zu Lebzeiten verwehrt wurde.


    Aufschlussreich und unterhaltsam


    Es kann auch nicht schaden, sich der Regeln bewusst zu sein, nach denen auch heute noch gespielt wird.


    „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält.“ (Seite 19)


    Wenn man das rechtzeitig durchschaut, kann man vielleicht doch noch verhindern, dass einem jemand die Butter vom Brot nimmt.


    Das Buch ist aufschlussreich und auf eine grimmige Weise unterhaltsam. Und hier wird nicht nur irgendwas behauptet: die Autorin hat ausgiebig recherchiert. Rund 80 Seiten mit Anmerkungen, Literatur- und Quellenverzeichnis sowie Literaturempfehlungen kommen nicht von ungefähr.


    *Die historischen Betrachtungen in diesem Buch beschränken sich auf das Europa der letzten 200 Jahre. Das Thema räumlich und zeitlich in einem größeren Rahmen abzuhandeln, wäre in einem einzigen Band nicht zu schaffen. Dazu bedürfte es einer Buchserie.


    Die Autorin


    Leonie Schöler, geboren 1993, ist Historikerin, Journalistin und Moderatorin. Auf ihren beliebten TikTok- und Instagram-Kanälen (@heeyleonie) vermittelt sie spannendes Geschichtswissen und klärt ihre über 230.000 Follower*innen regelmäßig über die Vergangenheit und aktuelle politische Geschehnisse auf. Als Redakteurin und Filmemacherin mit Fokus auf Webvideos liefen ihre Recherchen bei diversen funk-Produktionen, unter anderem »Jäger und Sammler«, das »Y-Kollektiv« und »Auf Klo«.

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    Sylvia Floquet: Mörderisches Barcelona. Kriminalroman, München 2024, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-50450-8, Softcover, 352 Seiten, Format: 12.3 x 3.2 x 18.5 cm, Buch: EUR 18,00, Kindle: EUR 5,99.


    „Ein normaler Mensch muss enorm unter Druck geraten, um zu morden. Das häufigste Mordmotiv ist immer noch Kränkung und Verletzung des Selbstwertgefühls – gefolgt von Rache, se*uellen Mordmotiven, Eifersucht, Hass und Liebe oder Gier.“ (Seite 294)


    Barcelona, in einem glutheißen Juni: Es läuft derzeit nicht gut für Kriminalkommissarin Dolors Canovas (37). Ihre Ehe mit dem erfolgreichen Modefotografen Miguel ist am Ende. Seit kurzem wohnt sie – vorübergehend – mit ihren Kindern Pablo (14) und Mila (11) bei ihrer Freundin Anna.


    Bei der Arbeit vermisst sie schmerzlich ihren langjährigen Kollegen Manel Oriol, der für die Dauer seiner Erkrankung mehr schlecht als recht von irgendwelchen Springern vertreten wird. Der neueste, Xavi Martinez (32) wirkt zwar kompetenter als seine Vorgänger, hat aber keinerlei Gespür dafür, wann er den Mund halten sollte.


    Vor die U-Bahn gestoßen!


    Da trägt es nicht zur Verbesserung ihrer Laune bei, dass sie Sonntag nachts um 3 Uhr zu einem Tatort gerufen wird – und zu so einem grausigen noch dazu! Jemand hat eine junge Frau vor die U-Bahn gestoßen! Da bleibt von einem Menschen nicht viel übrig.



    Wer tötete die Tänzerin? Und warum?


    Die Tat war offensichtlich aufwändig und von langer Hand vorbereitet. Und das alles, um eine Balletttänzerin umzubringen? Denn bei der Toten handelt es sich um Julia Toset Buxeda, die neue erste Solotänzerin des bekannten Ensembles „Agita Danza“.


    Künstler, oh je! In dem Metier kennt sich die Kommissarin aus. Julia Toset Buxeda ist ihr ein Begriff. Dolors Tochter Mila ist nämlich eine begeisterte Ballettschülerin, da bekommt man als Mutter zwangsläufig einiges mit.


    Wer weiß was über Julia?


    Je mehr man über ein Opfer weiß, desto eher kommt man auf das Tatmotiv und – hoffentlich – auch auf die Tatperson. Doch über Julia gibt es nur ein paar dürre Fakten: jung, wandlungsfähig, talentiert und irgendwie rastlos. Sie stammte aus Barcelona und hat sich ihre Karriere hart erarbeitet. Vor zwei Jahren muss ihr etwas Traumatisierendes widerfahren sein. Knall auf Fall hat sie damals ihre Heimatstadt und ein gutes Engagement verlassen und ist seitdem durch die Welt gereist. Hier ein Engagement, dort ein Engagement – und dann schnell wieder weg. Julia hat ihre Mitmenschen auf Distanz gehalten. Weggefährten beschreiben die Tänzerin als verletzlich und getrieben, als sei sie vor etwas oder jemandem auf der Flucht gewesen.


    Erst seit kurzem war sie wieder zurück in Barcelona und hat dort gleich den der Part der Primaballerina bei „Agita Danza“ ergattert.


    Nicht alle sind so ahnungslos …


    Zwischen eskalierendem Familienzoff, Wohnungssuche und Kollegen-Querelen kämpft sich Kommissarin Dolors Canovas durch diesen undurchsichtigen Fall. Doch nicht alle Befragten sind so ahnungslos, wie sie sich geben.


    Da geschieht ein zweiter Mord. Dolors und ihre Kolleg:innen begreifen langsam, was gespielt wird. Und dann verschwindet die kleine Mila aus ihrer Ballettstunde und taucht nicht mehr auf. Alle Welt hat gewusst, dass sie die Tochter der ermittelnden Kommissarin ist. Dolors wähnt ihr Kind in der Gewalt der tatverdächtigen Person. Kindesentführung! Flucht und Geiselnahme! Und ihre Kolleg:innen packen das ganz große Besteck aus …


    Der Kommissarin einen Schritt voraus


    Ruckzuck ist man als Leser:in in der Geschichte drin und fühlt mit Kommissarin Dolors, die im Moment mehr zu bewältigen hat als sie verkraften kann. Man kann ihre Familiensituation nachvollziehen:

    Kein Wunder, dass Dolors in diesem aktuellen Fall Hinweise übersieht, die wir Leser:innen sehr wohl bemerken. Aber uns steht ja auch die „Stimme“ der Autorin zur Verfügung, die diese Hinweise dezent streut. Und so möchten wir manchmal am liebsten in die Geschichte hineinrufen: „Da, schau mal genauer hin!“


    Wird das eine Serie?


    Wird das eine Serie? Ich wäre nicht abgeneigt, die Kommissarin bei weiteren Ermittlungen und Familienkatastrophen zu begleiten. Ich würde auch gerne sehen, wie sich die Gruppendynamik bei den Ermittelnden verändert, wenn Manel Oriol wieder auf seinen Posten zurückkehrt. Tritt Dolors dann wieder geräuschlos in die zweite Reihe? Was wird aus Xavi? Der wäre in dem Fall überflüssig. Was schade wäre. Na, wir werden sehen!


    Wer sonst nie die Danksagung am Schluss eines Romans liest, sollte hier vielleicht eine Ausnahme machen. Ich fand’s so klasse, wie die Autorin ihre Recherchetour durch Barcelona beschreibt: Kreuz und quer durch die Stadt mit einem sachkundigen Insider – auf dem Sozius eines Motorrads. Herrlich!



    Die Autorin


    Schon mit zehn Jahren wollte Sylvia Floquet Romanautorin werden, direkt nach dem Abschluss ihres Studiums hat sie damit losgelegt: Über viele Jahre hat sie unter verschiedenen Pseudonymen (u.a. Lea Korte, Ana Capella) Romane bei großen Publikumsverlagen veröffentlicht (Piper, Knaur, Aufbau, Heyne, Lübbe, Weltbild, Bertelsmann der Club). Seit 2013 coacht sie neben ihrem eigenen Schreiben in ihrer Romanschmiede Autoren und hilft ihnen, das Schreibhandwerk zu lernen, ihr eigenes Romanprojekt zu entwickeln und zu veröffentlichen. Neben dem Schreiben malt Sylvia Floquet: Hyperrealismus und Porträtzeichnen macht sie am liebsten - und Urban Sketching in Städten wie Barcelona und Paris, ihren Lieblingsstädten.

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    Peter Wohlleben: Unser wildes Erbe. Wie Instinkte uns steuern und was das für unsere Zukunft bedeutet – faszinierende Einsichten für ein Leben im Einklang mit der Natur, München 2023, Ludwig Verlag, ISBN 978-3-453-28163-9, Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten, Format: 13,5 x 2,3 x 20,6 cm, Buch: EUR 23,00 (D), EUR 23,70 (A), Kindle: EUR 19,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „In den 300 000 Jahren des Bestehens unserer Art lag die Hauptaufgabe darin, unser Aussterben zu verhindern, indem wir so viel Nahrung und Information wie möglich sammelten. Darin wurden wir so erfolgreich, dass wir heute genau deswegen auszusterben drohen.“ (Seite 130)


    Ach ja, wir Menschen! Jetzt haben wir im Lauf der Evolution so viel Grips entwickelt, dass wir uns die Erde untertan machen konnten, und nun, da uns langsam dämmert, dass wir unseren Lebensraum zerstören, fragt man sich, ob wir auch genügend Verstand haben, um diesem Tun Einhalt zu gebieten. Im Moment sieht’s ja nicht danach aus.


    Sind wir überhaupt noch Teil der Natur?


    Müsste die Evolution jetzt einen Zahn zulegen, damit wir ganz schnell gescheit genug werden, um Dinge wie die Umweltverschmutzung und die Klimaerwärmung in den Griff zu bekommen? Oder stehen wir Menschen längst außerhalb der Natur und die Evolution kann gar nichts mehr ausrichten? Vielleicht liegt das Problem ja auch ganz woanders ...


    Zunächst geht der Autor der Frage nach, was überhaupt Natur ist, wie Tiere und Pflanzen auf ihre Umwelt reagieren, wie sie diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten gestalten und wie das alles beim Menschen funktioniert.


    Vom Verstand gesteuert? Schön wär‘s!


    Mein Vater meinte ja immer, der Homo sapiens sei nur ein Säugetier, das sich ein bisserl viel auf seinen Verstand einbildet. 😉 Peter Wohlleben würde das niemals so plakativ formulieren, aber so weit ist er gar nicht von dieser Position weg. Mit unserem freien Willen ist es schon mal nicht weit her. Gern wollen wir glauben, dass wir uns unsere Meinungen mit dem Verstand bilden und auch unsere Entscheidungen auf diese Weise treffen. Dabei bemerken wir nicht oder wollen nicht wahrhaben, welche große Rolle unsere (tierischen) Instinkte dabei spielen. Die sind oft deutlich schneller und stärker als unser Verstand.


    „Wäre uns stets bewusst, dass alles, was wir tun, instinktgesteuert ist, so würden wir sehenden Auges miterleben, welchen U n s i n n wir manchmal tun. Für unser Gehirn, für unseren Körper wäre das möglicherweise viel zu aufregend.“ (Seite 128)


    Hm … ja, doch, da könnte was dran sein! Wenn wir uns rein vom Verstand steuern lassen könnten, müsste es uns zum Beispiel ganz leichtfallen, Diät zu halten. Wir wissen, dass süße und sehr fetthaltige Lebensmittel nicht gut für uns sind, Fleischkonsum der Umwelt schadet und dass wir uns am besten von Gemüse ernähren sollten. Wir nicken dazu brav und greifen doch wieder zu den Nahrungsmitteln, die schon der Steinzeitmensch gewählt hätte, um sich möglichst viele Kalorien zu sichern, wenn sich die Gelegenheit schon mal bot: süß und fettig. Ah ja: und Fleisch!*


    Es steckt noch viel „Tier“ in uns!


    Anderes Beispiel: Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei denen es oft wirklich nur um alberne Kinkerlitzchen geht, sind nichts anderes als tierische Revierkämpfe. Auch der Tribalismus („wir gegen die anderen“) ist ein uraltes Programm, das sogar die Affen kennen.


    Auch steht unser Egoismus oft dem (Engagement fürs) Gemeinwohl im Weg. Das ist auch der Grund, aus dem manche in der Theorie gut klingenden Gesellschaftsmodelle in der Praxis nicht funktionieren. Da können noch so viele Studien belegen, dass unser gegenwärtiges Verhalten schädlich ist: Wir wollen unsere Gewohnheiten nicht ändern und betrachten jedes entsprechende Ansinnen als Einmischung und Beschränkung unserer Freiheit.


    Wir wollen das, was wir immer wollten


    Tja, und was machen wir nun? Der Mensch will um jeden Preis mobil sein, Fleisch essen*, kommunizieren, Besitz anhäufen und sich Fremde möglichst von der Backe halten. Er will sich keine Vorschriften machen lassen, möchte auf nichts verzichten und sein Verhalten ändern mag er schon gar nicht. Gegen so tief ins System eingebrannte Programme kommt man mit Argumenten kaum an. Wie also kriegt man den Steinzeitmenschen in uns dazu, so zu handeln, wie es sinnvoll und dem Gemeinwohl dienlich wäre?


    Das Problem verstehe ich wohl. Ich glaube das mit der Instinktsteuerung aufs Wort, weil es sich mit meinen Beobachtungen und Erfahrungen deckt. Aber die Lösungsvorschläge in dem Buch klappen meines Erachtens nur theoretisch. Ich denke ja ebenfalls, dass Bildung, Gleichberechtigung, weniger Bevölkerungswachstum, ein verändertes Konsumverhalten sowie ein finanzieller Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern einige Probleme lösen würde. Und dass uns Greenwashing und moderner „Ablasshandel“ nicht weiterbringen. Aber wer, bitte, soll die wirklich zukunftsweisenden und zielführenden Maßnahmen durchsetzen und realisieren? Die Entscheidungsträger:innen, die an den Schaltstellen der Macht sitzen, sind doch ebenfalls instinktgesteuerte „Steinzeitmenschen“, denen im Zweifelsfall das Hemd näher ist als die Hose – vom Gemeinwohl und der Zukunft des Planeten ganz abgesehen.


    Problem klar – Lösung nicht in Sicht


    Nachdem ich das Buch gelesen habe, kann ich sagen, welche Maßnahmen zur Rettung der Welt nicht funktionieren werden – und warum. Wenn man bei instinktiver Abwehr mit Fakten gar nicht erst zu kommen braucht, müsste man den Menschen eine Alternative bieten, bei der eine Verhaltensänderung mehr Vorteile bringt als ein Beharren auf dem Status Quo. Aber wie das konkret aussehen soll, weiß ich nicht. Ein Patentrezept hat der Autor leider auch nicht. Er meint:


    „Verhalten wir uns weiterhin so, wie es uns unsere steinzeitlichen Instinkte vorgeben, zerstören wir weiterhin unsere ökologische Nische, dann wird die Natur die Regulierung übernehmen, was zu einem ziemlich abrupten Ende dieser Art von Zivilisation führen kann. […] Schaffen wir es dagegen, unsere Instinkte für unseren Verstand einzuspannen, dann mag eine sanfte Landung gelingen.“ (Seite 227/228)


    Ehrlich gesagt: Viel Hoffnung habe ich nicht.


    *Vegetarier:innen und Veganer:innen ausgenommen. Die sind hier schon einen Schritt weiter.



    Der Autor


    Peter Wohlleben, Jahrgang 1964, wollte schon als kleines Kind Naturschützer werden und betrieb bereits früh Verhaltensstudien bei Tieren. Er studierte Forstwirtschaft und war über zwanzig Jahre lang Beamter der Landesforstverwaltung. Heute arbeitet und lehrt er in der von ihm gegründeten Waldakademie in der Eifel und setzt sich weltweit für die Rückkehr der Urwälder ein. Peter Wohlleben initiierte einen neuen Studiengang (Sozioökologisches Waldmanagement) und gründete eine gemeinnützige GmbH für den Waldschutz.Er ist Gast in zahlreichen TV-Sendungen, hält Vorträge und Seminare und ist Autor von Büchern zu Themen rund um den Wald und den Naturschutz.

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    Alexandra Zykunov: »Was wollt ihr denn noch alles?!« - Zahlen, Fakten und Absurditäten über unsere ach-so-tolle Gleichberechtigung, Berlin 2023, Ullstein Buchverlage GmbH, ISBN 978-3-548-06824-4, Hardcover, 304 Seiten, Format: 11,8 x 2,8 x 19,5 cm, Buch: EUR 15,99 (D), EUR 16,50 (A), Kindle: EUR 13,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Wenn ich sehe, dass da Fakten sind, Zahlen und Statistiken und sogar ganz konkrete Benefits, die dafürsprechen, eine Sache von X auf Y zu drehen, warum folgt man diesen Fakten und diesen Analysen dann nicht? Wenn es doch SOGAR dem Kapitalismus und auch unserem WOHLSTAND langfristig und nachhaltig konkret Geld in die Taschen spülen würde? Warum spülen Wirtschaft und Politik dieses Geld stattdessen lieber wissentlich ins Klo?“ (Seite 250)


    Am liebsten würde die Autorin das Patriarchat anzünden. Aber nicht, weil sie Männer doof findet, sondern weil alte Zöpfe und absurde Regelungen dringend weg sollten. Dann würde es Frauen und Männern besser gehen … und allen anderen auch, egal, wie sie sich definieren.


    Weiterwursteln wie gehabt


    Wie aber soll sich etwas ändern, wenn immer dieselbe Sorte Entscheidungsträger – die viel geschmähten ‚alten weißen Männer‘ – unsere Geschicke leiten? Die machen natürlich das, was schon immer für sie funktioniert hat. Das ist menschlich und nicht mal böse Absicht. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass etwas für die weibliche Hälfte der Bevölkerung von Nachteil sein könnte – und dass genau diese Benachteiligung für Gesellschaft und Wirtschaft negative Folgen hat. Und wenn man’s ihnen schwarz auf weiß belegt, wollen sie es oft nicht glauben. Das ist, wie ich hier gelernt habe, der „Backfire-Effekt“. Den kennen wir alle, auch wir Frauen: Niemand will gern hören, dass das, was er/sie schon immer so gemacht hat, nicht gut und richtig war.


    Wenn man sich lange genug mit dem Themenkreis Feminismus/Gleichberechtigung befasst hat, hat man von vielen Fakten, die Alexandra Zykunov in diesem Buch gut belegt anführt, schon gehört. Egal. Man kann’s nicht oft genug sagen. Und so deutlich, wütend und witzig, wie sie das macht, ist es auch noch unterhaltsam. Dieses Buch zu lesen ist, als würde man einer guten Freundin zuhören, die gerade etwas Ungeheuerliches erfahren hat und jetzt auf 180 ist und schäumt: „Leute, das ist das absolute Unding! Unfassbar! Haltet euch fest, ihr werdet’s nicht glauben!“


    Der Thomas-Kreislauf und jede Menge „Gaps“


    Wisst ihr, was ein „Thomas-Kreislauf“ ist? Das Phänomen war mir bekannt, der Ausdruck nicht: Menschen finden Menschen sympathisch, die so sind wie sie und stellen diese im Job dann auch ein. „Ein Thomas stellt einen Thomas ein, der einen Thomas einstellt, der einen Thomas einstellt“. (Seite 19) Ja, da haben Anne und Susanne natürlich wenig Chancen, dort hinzukommen, wo’s um Macht, Geld und Sichtbarkeit geht. Und das ist jetzt nicht bloß so ein Spruch. Unter den Oberbürgermeistern deutscher Großstädte gibt’s zum Beispiel mehr Thomasse als Frauen. Das soll jetzt kein Thomas-Bashing sein, sondern nur das Prinzip verdeutlichen.


    Wir erfahren den wahren Grund, warum Frauen sich nicht auf Führungspositionen bewerben. Eigentlich ist es ein ganzes Bündel von Gründen. Dass Frauen sich einfach mehr (zu-)trauen müssen, ist dabei nicht der Punkt. Da gibt’s Zusammenhänge, gegen die selbst die beste Firma und die kompetenteste Personalabteilung nichts ausrichten kann. Das Problem fängt schon bei der Erziehung, in der Schule und in den Medien an und berührt Bereiche, die man zunächst gar nicht auf dem Schirm hatte.


    Und was ist mit dem Gender-Pay-Gap, also damit, dass Frauen weniger verdienen als Männer? In Deutschland beträgt er 18,3%, heißt es. Alexandra Zykunov schaut genau hin und kommt noch auf ganz andere Zahlen. Und der Pay-Gap hat noch viele Kumpels. Den Gender Lifetime Earning Gap, zum Beispiel und noch ein halbes Dutzend andere. Da haut’s einen um, wenn man das liest. Dass es Personengruppen gibt, die diesbezüglich noch stärker benachteiligt sind als Frauen, ist kein Trost. Und das Gruselige ist: Wir haben uns an diese Ungleichheiten gewöhnt. Das ist alles sozial akzeptiert. In diesem Zusammenhang wird auch klar, was es mit schlecht bezahlten „typischen Frauenberufen“ auf sich hat.


    Absurde Fakten, die niemand ändern mag


    Ob Stadtplanung, medizinische Forschung und Versorgung – Frauen werden nicht „mitgedacht“ und haben dann die A***karte. Wobei’s im medizinischen Bereich auch handfeste Nachteile für Männer gibt. Man darf einfach nicht so einseitig und eingefahren denken. Das kann lebensgefährlich werden.


    Die absurden Elterngeldfacts, die die Autorin aufzählt, haben mich überrascht. Mit diesem Thema musste ich mich nie beschäftigen. Und was, bitte, schützt eigentlich das Ehegattensplitting? Die Familie? Oder bloß das Konzept der Ehe? Und warum leistet man sich so ein überholtes System, das Frauen in Abhängigkeit und vom Arbeitsmarkt fern hält? Das könnte man schon längst abgeschafft haben, aber keine:r kriegt den Hintern hoch!


    Sorge-Arbeit ist keine Arbeit? Ach was!


    Kern vieler Probleme ist der Gender Care Gap, beziehungsweise die Tatsache, dass Care-Arbeit (Sorge-Arbeit: das Versorgen von Familie, Kindern, pflegebedürftigen Angehörigen) meist nicht bezahlt wird, von Frauen aus Liebe gemacht werden soll und auch nicht als Arbeit gilt. Natürlich ist das Arbeit, aber eben unbezahlte. Frauen geben ihre Zeit statt für ihr berufliches und privates Vorankommen, für ihre Freizeit oder für politisches Engagement für die Bedürfnisse anderer Menschen aus. Und haben dafür noch massive finanzielle Nachteile.


    Die Autorin rechnet uns vor, wie viele Stunden Frauen wirklich arbeiten und wie viel das eigentlich kosten würde, wenn Care-Arbeit als reguläre Arbeit bezahlt werden würde. Und sie zeigt auf, was passieren würde, wenn die kostenlose Care-Arbeit nicht mehr geleistet werden würde – ein Horrorszenario! „Outsourcen“ kann ein Haushalt die Sorgearbeit auch schlecht: Fachkräftemangel in den Kitas, Pflegenotstand usw. Und warum? Weil Care-Arbeit nicht wertgeschätzt und schlecht bezahlt wird. Und wenn frau sich um alles selbst zuhause kümmern muss, bleibt sie dem Arbeitsmarkt fern und kann auch nichts zur Linderung/Behebung des Fachkräftemangels beitragen. Selbst wenn sie eine gesuchte Fachkraft ist. Wir haben halt eine Care-Krise.


    Die große Care-Krise


    „Familienministerin Lisa Paus […] erklärte: Würde man alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so viele Stunden im Job arbeiten lassen, wie sie gern würden, dann hätten wir […] mit einem Schlag 840.000 Arbeitskräfte mehr.“ (Seite 247) Geht aber nicht. Siehe oben: Die Care-Krise. Die müsste man erst in den Griff kriegen, also Geld in die Hand nehmen. Das würde sich rechnen, nicht nur für die Frauen. Für alle. Die Zahlen gibt’s. Und wenn man dann noch das unselige Ehegattensplitting kippen würde … Aber irgendwie zieht da keine:r so recht. Vielleicht machen den Entscheidungsträgern diese Veränderungen Angst. Wer weiß, was da auf längere Sicht alles passieren würde? Also bleibt es wie es ist, auch wenn es Sch**ße läuft.


    Gibt’s Lösungsansätze? Vorschläge?


    Wenn schon das große Umdenken ausbleibt, kann man dann vielleicht im Kleinen was ändern? Die Autorin ist kein Fan von Positivbeispielen, weil das den Eindruck erwecken könnte, die Probleme seien schon gelöst, obwohl wir noch weit davon entfernt sind. Aber so ganz ohne Hoffnung wollte sie uns wohl nicht ziehen lassen, und so zeigt sie doch, was sich andere Länder und einzelne Unternehmen haben einfallen lassen, um gegen all die Gaps/Lücken und Krisen anzugehen. Und siehe da, es funktioniert! Wir wollen also gar nichts Utopisches, sondern nur, dass die Ressourcen gerechter verteilt werden als es bislang der Fall war.


    Natürlich bleibt noch viel zu tun. Eine Patentlösung hat Alexandra Zykunov auch nicht, aber ein paar Ideen, wo man sinnvollerweise ansetzen könnte, hat sie schon. Und das ganze geht nur, wenn wir miteinander daran arbeiten. Mit „gegeneinander“ kommen wir nicht weiter.


    Es macht immer Spaß, sich gemeinsam mit jemandem über ein Thema aufzuregen. So auch hier. Und informativ und lehrreich war’s auch, selbst für so eine alte Häsin wie mich. Jetzt müsst’s nur noch fruchten …


    Die Autorin


    Alexandra Zykunov, geb. 1985, ist Journalistin für feministische und gesellschaftliche Themen bei der BRIGITTE und Autorin des Bestsellers "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!". Als Speakerin hält sie Keynotes in internationalen Unternehmen zu Themen wie Feminismus, Care-Arbeit oder Gender bias und ist als @alexandra___z eine reichweitenstarke Stimme auf Social Media. Ihre pointierten Texte und Analysen zur Unsichtbarkeit von Frauen- und Familienthemen in der Politik sprechen Tausenden von Frauen aus der Seele und gehen regelmäßig viral.


    PS: Für das „Denglisch“ kann ich nichts, die Fachbegriffe zu diesem Thema sind alle auf Englisch, nicht nur in diesem Buch. Was ein Keynote-Speaker ist, habe ich auch erst googeln müssen: Ein Hauptredner auf Veranstaltungen.

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    Pia Rosenberger: Wir Frauen aus der Villa Hermann. Roman, Berlin 2023, Aufbau Taschenbuch, ISBN 978-3-7466-3921-5, Softcover, 480 Seiten, Format: 13,3 x 3,6 x 20,5 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 4,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Erika war nie so getrieben wie wir“, sagte [Lia] mit einer Spur Neid.
    „Erika ist unbesiegbar“, stimmte Martin ihr zu. „Sie war heil und ist es noch immer.“
    „Wir hingegen sammeln unsere Scherben immer wieder auf und setzen zusammen, was von uns übrig geblieben ist.“
    (Seite 389)


    Wie die Jeans nach Deutschland kam


    Aus dem Klappentext wusste ich, dass es in dem Buch darum geht, wie die Blue Jeans nach Deutschland gekommen sind. Aber es hat geraume Zeit gedauert, bis mir klar wurde, welche Firmengeschichte die Inspiration für diesen Roman war. MUSTANG! Ach was! Wie viele andere Menschen auch, hatte ich das immer für ein US-Unternehmen gehalten.


    Zunächst deutet auch gar nichts auf diese Entwicklung hin. Aber es beginnt bereits im Winter 1932. Luise Hermann, Mutter zweier Kinder, betrauert ihren Ehemann Heinrich. Und wie’s aussieht, war sein Holzhandel nicht so erfolgreich wie alle, einschließlich Luise, geglaubt haben. Die Aasgeier in Gestalt örtlicher Geschäftsleute kreisen schon auf Heinrichs Beerdigung. Man will der Witwe die Firma für einen Appel und ein Ei abschwatzen. Aber Luise ist geschäftstüchtig und sieht zu, dass ihre Familie bei dem Deal nicht zu kurz kommt.


    Luises neue Existenz


    Mit Unterstützung ihrer Schwester – der Schneiderin Johanna – und dem befreundeten Nürnberger Ehepaar Sefranek gründet Luise eine eigene Firma. Sie stellt Näherinnen ein und fertigt im ersten Stock ihrer Villa Berufskleidung. Das ist manchen Leuten ein Dorn im Auge, aber das ist Luise egal. Das Leben muss ja irgendwie weitergehen.


    Ihre Kinder, Erika und Rolf, wachsen zusammen mit Lia, der temperamentvollen Tochter von Haushälterin Marga Günther, frei und unbelastet auf. Bester Freund der unzertrennlichen drei: Martin Rubin, der Sohn des Schuhmachers.


    Die politischen Entwicklungen zeichnen sich ab, aber in der Provinz bekommen Luise und ihr Umfeld erst mal nicht viel davon mit. Sie nehmen die Sache nicht ernst. Das wird sich in den nächsten Jahren ändern.


    Lia flüchtet nach Berlin


    Lia, die wilde Tochter der Haushälterin, erweist sich als begnadete Näherin und träumt von einer Karriere als Modedesignerin. Als ungelernte Arbeiterin Berufskleidung und Uniformen zu nähen unterfordert sie. Die Ausbildung zur Schneiderin, die Luise ihr vermittelt, entspricht ihr mehr. Beruflich läuft es für die impulsive junge Frau bestens, doch privat begeht sie einen großen Fehler und setzt damit eine unselige Familientradition fort. Hals über Kopf flieht sie nach Berlin.


    Neustart nach dem Krieg


    Der Neustart nach dem Krieg ist schwierig. Zwar liegt Künzelsau nicht in Trümmern, aber Luises Näherei fehlt es an Kundschaft. Weder Uniformen noch Berufskleidung sind im Moment gefragt. Sie müssen sich was Neues einfallen lassen.


    In der Hermann-Villa haben sich US-Soldaten einquartiert. Albert Sefranek, der seine Erika in einer irrwitzigen Zeremonie geheiratet hat, hat seine Pläne aufgegeben, Vermessungsingenieur zu werden und steigt in den Textilbetrieb seiner Schwiegermutter ein. Mit seinem außergewöhnlichen Organisationstalent beschafft er Maschinen, Material und Aufträge. Und er hat eine Idee: Wie wär’s, wenn sie die widerstandsfähigen blauen „Ami-Hosen“ produzieren würden, die derzeit vor allem bei der Jugend gefragt sind? Cousin Karl, der in Frankfurt einen „StEG“-Laden betreibt, in dem er mit nicht mehr benötigten Versorgungsgütern der deutschen und amerikanischen Armee handelt, weiß auch, wie man an die entsprechenden Schnitte kommen kann. Noch so eine abenteuerliche Episode!


    Jeans produzieren? Luise ist entsetzt


    Chefin Luise ist von der Idee ihres Schwiegersohns entsetzt. Die Hosen kennt sie von den Soldaten in der Villa und findet sie schrecklich vulgär.


    Romanhafte Aufbereitung einer Familien- und Firmengeschichte


    Weil ich mir anfangs keinen Reim darauf machen konnte, wessen Geschichte in dem Roman erzählt wird, habe ich gegoogelt und tatsächlich einiges dokumentiert und bestätigt gefunden.


    Nebenfiguren mit Saft und Kraft


    Ich finde ja die rebellische Lia so klasse! Sie lässt sich durch nichts aufhalten. Was die Leute sagen, ist ihr vollkommen wurscht. Zäh und beharrlich verfolgt sie ihre Ziele. Durch Rückschläge und Schicksalsschläge lässt sie sich nicht auf Dauer entmutigen. Stellenweise war Lia für mich die eigentliche Heldin der Geschichte. Vielleicht, weil Luise für diese Rolle zu streng und zu stur war und Erika ein bisschen zu brav. Da haben Lia und ihr chaotisches Familienleben schon mehr Saft und Kraft.


    Bei der romanhaften Aufbereitung einer wahren Geschichte, ist es meiner Meinung nach in Ordnung, wenn man aus Gründen der Dramaturgie und Spannung einzelne Handlungselemente verändert und/oder fiktive Teile hinzufügt.


    Für mich war WIR FRAUEN AUS DER VILLA HERMANN eine unterhaltsame „Zeitreise“ – und ein bisschen was erfahren und gelernt habe ich auch. Ob der Arbeitstitel des Romans ursprünglich mal DAS HAUS DER BUNTEN VÖGEL gelautet hat? So wird die Villa Hermann nämlich immer wieder genannt. Und die Bezeichnung passt perfekt.


    Die Autorin


    Pia Rosenberger wurde in der Nähe von Osnabrück geboren und studierte nach einer Ausbildung zur Handweberin Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Pädagogik. Seit über 20 Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Esslingen und arbeitet als Autorin, Journalistin, Museumspädagogin und Stadtführerin.

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    Susanne Goga: Der Teufel von Tempelhof. Kriminalroman. Ein Fall für Leo Wechsler, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3 423-22047-7, Taschenbuch, 328 Seiten, Format: 12,8 x 2,6 x 19,9 cm, Buch: EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Ferdinand Clasen, ein Arzt aus Tempelhof, wurde am Platz Q erschlagen aufgefunden. […] Ein Heimatforscher hat erzählt, dass sich dort, wo man die Leiche gefunden hat, nach einer germanischen Sage das Tor zur Unterwelt befindet. Und in der Villa, in der Clasen gewohnt hat, spukt es angeblich. Du kannst dir vorstellen, was die Presse für ein Garn daraus spinnt.“ (Seite 117)


    Ein toter Arzt am Tümpel


    Berlin 1929: Heimatforscher Ludwig Bönisch hat die seltsame Angewohnheit, jeweils bei Vollmond einen Spaziergang zu dem sagenumwobenen Tümpel „Blanke Hölle“ zu unternehmen. Unheimlich ist es dort schon, auch wenn er weiß, dass das vorchristliche Heiligtum der Totengöttin Hel keine Menschenopfer (mehr) fordert. Dass er an einem Februarabend dort tatsächlich eine Leiche findet, ist für ihn ein Schock. Und dann gerät er auch noch unter Mordverdacht! Niemand glaubt ihm, dass sich zwei ältere Herren rein zufällig im Dunkeln an diesem entlegenen Ort aufgehalten haben.


    Es dauert eine Weile, bis Oberkommissar Leo Wechsler und seine Kollegen von der Inspektion A (Mordkommission) herausfinden, wer der gut gekleidete Senior ist, der da erschlagen am Ufer liegt: Dr. Ferdinand Clasen, ein Internist – und eine schillernde Figur. Gesellschaftlich wollte er immer hoch hinaus und wenn die Kasse stimmte, hat er auch vor dubiosen Behandlungsmethoden nicht zurückgeschreckt. Oder hat er tatsächlich geglaubt, dass er zum Wohl seiner Patient:innen handelt?


    Eine Augenzeugin taucht unter


    Neben Heimatforscher Bönisch und Dr. Clasen war in jener Vollmondnacht noch eine weitere Person am Tatort: die dreizehnjährige Erika Sperber.


    Die Polizei tut sich schwer mit den Ermittlungen. Wer mit Dr. Clasen zu tun hatte, weiß entweder nicht viel über ihn und seine Arbeit oder will nicht reden. Clasens Methoden waren nicht nur gefährlich und umstritten, sondern berühren auch heikle Themen. Frau Dr. Martha Schott, eine Freundin der Familie Wechsler, tut sich erkennbar schwer, Leo zu erklären, worauf sich der Arzt spezialisiert hatte. Und wenn einer Ärztin schon die Worte fehlen …!


    Rabiate Behandlungsmethoden


    Leo ist von Marthas Ausführungen schockiert. Von derlei Methoden hat er ja noch nie gehört! Wir Leser:innen von heute schon.


    Jetzt ist Leo klar, warum niemand reden will. Wenn er wenigstens die Unterlagen aus Clasens früherer Arbeit in der Privatklinik Waldblick hätte! Vielleicht fände sich da ein Anhaltspunkt. Behandlungsfehler, unzufriedene Patienten, Todesfälle, aufgebrachte Angehörige … was auch immer. Aber die Klinik wurde vor Jahren geschlossen und es scheint niemand mehr am Leben zu sein, der über Informationen oder gar Patientendaten verfügen würde.


    Ein mitfühlender Kommissar



    Manchmal nimmt er sich seine Fälle und die Schicksale der darin verstrickten Menschen schon sehr zu Herzen. Aber dafür liebt ihn seine Familie – und die Leser:innen auch. Diese Aussage hier ist typisch für ihn und wir können das gut nachvollziehen:


    „Hoffentlich ist dies nicht einer der Fälle, in denen ich den Täter oder die Täterin besser verstehe als das Opfer“, sagte Leo zögernd. (Seite 253)


    Keiner macht den Mund auf



    Wenn niemand den Mund aufmacht, ist es fast unmöglich, Motiv und Täter zu finden. Theorien, Vermutungen und Verdachtsmomente allein bringen die Polizei nicht weiter. Aber so leicht gibt die Inspektion A nicht auf …


    Historischer Gesellschaftsroman plus Mord


    Ich verfolge die Krimi-Reihe um Oberkommissar Leo Wechsler von Anfang an. Das hier ist Band 9. Für mich sind das historische Gesellschaftsromane, in denen „zufällig“ ein Mord passiert. Und während wir die Polizisten bei ihren Ermittlungen begleiten und auch ein bisschen was von ihrem Privatleben mitkriegen, erkennen wir die Zustände und Missstände der damaligen Zeit. Natürlich sehen wir mit dem Wissen von heute auch manches kommen, von dem die Romanfiguren noch nichts ahnen, beziehungsweise, was sie kolossal unterschätzen. So würden wir zum Beispiel dem Polizisten Oskar Neufeld einen ganz anderen Rat geben als Leo Wechsler es tut.


    Ich habe das Buch in zwei Tagen durchgelesen und trotzdem manchmal leichte Orientierungsschwierigkeiten gehabt. Nach dem Umblättern kommt plötzlich ein weiterer Name ins Spiel und ich habe mich gefragt, wer das jetzt schon wieder ist. Da wäre ein Personenverzeichnis nicht schlecht gewesen, denn es sind ganz schön viele Leute unterwegs.


    Erika in den „Hauptcast“, bitte!


    Und auch, wenn mich die „Personalfülle“ regelmäßig an meine Grenzen bringt: Es gibt in fast jedem Leo-Band eine Nebenfigur, die ich gerne in den Folgebänden wiedersehen würde. Könnten wir bitte Erika behalten, ja? Ginge das? Die Eheleute Dohm haben keine Kinder, die könnten sich doch ein bisschen um den Teenager kümmern. Sie scheinen ja gut miteinander klarzukommen. So intelligent, zäh und mutig wie Erika ist und mit ihrer enormen Beobachtungsgabe gäbe sie später bestimmt mal eine gute Polizistin ab. Das ist nur so eine Idee. Den Roman schreibt immer noch die Autorin. 😉


    Ich fühlte mich, wie bei den vorigen Bänden auch, spannend unterhalten, habe etwas über unsere Geschichte gelernt und in weitere Abgründe des Homo sapiens geblickt. Wir sind schon eine ziemlich wüste Spezies!


    Die Autorin


    Susanne Goga lebt als Autorin und Übersetzerin in Mönchengladbach. Sie ist Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. Außer ihrer Krimireihe um Leo Wechsler hat sie mehrere historische Romane veröffentlicht und wurde mit verschiedenen literarischen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Goldenen HOMER für ›Mord in Babelsberg‹ und dem Silbernen HOMER für ›Nachts am Askanischen Platz‹.

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    Patricia Wiltshire: Die Spurenleserin. Die spektakulärsten Kriminalfälle einer biologischen Forensikerin, OT: The Memoir of a Forensic Scientist and Criminal Investigator, aus dem Englischen von Ralf Pannowitsch und Christiane Wagler, München 2023, Knesebeck Verlag, ISBN 978-3-95728-784-7, Klappenbroschur, 318 Seiten, Format: 13,9 x 2,8 x 20,9 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 19,99.


    „Nur wenn wir Bescheid wissen über die Welt der Natur, in der wir leben – und zwar sowohl in großem als auch in mikroskopischen Maßstab -, können wir zuversichtlich sein, der Wahrheit nahezukommen.“ (Seite 119)


    Also, jetzt kann’s kein Zufall mehr sein! Es muss in Großbritannien ein spezielles Genre geben: „quasselig-abschweifend erzählte Sachbücher“. 😊 Jetzt habe ich schon mehrere dieser Sorte erwischt, und das hier ist wieder eines.


    Ich hatte packende Kriminalfälle erwartet …


    Lehrreich, interessant und unterhaltsam ist es schon, aber ich hatte aufgrund des Titels und der Verlagsangaben etwas anderes erwartet. Ich dachte, jetzt gibt uns die Professorin eine kleine Einführung in das, was sie beruflich macht und erzählt uns, wie es kam, dass sie bei der Kriminalistik gelandet ist. Die Biologin hat ja eigentlich als Umweltarchäologin am Londoner University College gearbeitet. Irgendwer muss also mal auf die Idee gekommen sein, sie an einen Tatort zu schicken.


    Das wollte ich kurz erklärt haben – und dann wäre ich bereit gewesen für Schilderungen ihrer spektakulärsten Kriminalfälle: Was hat die Polizei vorgefunden? Was war ihre Fragestellung an die Palynologin? Warum haben die üblichen Forensik-Experten in diesem Fall nicht ausgereicht? Was hat Patricia Wiltshire wie und warum unternommen, um das Rätsel zu lösen? Und wie hat man den/die Täter schließlich überführt?


    … aber es ist eher eine Autobiographie


    Äh ja. Irgendwie liefert das Buch das schon. Aber eben nicht so wie erwartet. Vielleicht führt uns der deutsche Buchtitel in die Irre. Das englische Original, das „Memoiren einer Forensikerin“ verheißt, kommt der Sache näher: Die Autorin beschreibt uns ihren beruflichen und privaten Werdegang.


    Patricia Wiltshire, 1942 in Wales geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen. In ihrer Herkunftsfamilie geht es, sagen wir mal, turbulent zu, und Patricia wächst zeitweise in der Obhut von Verwandten auf. Aufgrund einer schweren Erkrankung fehlt sie immer wieder für lange Zeit in der Schule. Ihre Bildung stammt hauptsächlich aus dem, was sie aus persönlichem Interesse liest. Vor allem Konversationslexika haben es ihr angetan. Trotz der widrigen Umstände schafft sie’s aufs Mädchengymnasium, das sie zwar hasst, aber mit Bestnoten abschließt.


    Jetzt hatte ich angenommen, dass sie schnurstracks Biologie studiert. Nein, das kommt erst später. Ihr Berufsweg mäandert erst mal eine Weile vor sich hin – so ähnlich wie ihr Erzählstil. :D Irgendwann hat sie ihr Fachgebiet gefunden, die Palynologie. Das heißt, sie erforscht mittels eines Hochleistungsmikroskops Pollen und Sporen und beschäftigt sich mit deren Analyse und Systematik. Wenn man dieses Wissen z.B. im Bereich der Archäologie einsetzt, erfährt man vieles über das Leben unserer Vorfahren.


    Von der Archäologie zur Kriminalistik


    Mitte der 90er-Jahre kommt man bei der Polizei auf die Idee, dass man diese Kenntnisse auch in der Kriminalistik gebrauchen könnte. Patricia graust vor nichts – außer vor Spinnen und Schlangen –, sie ist offen für Neues, also sagt sie zu. Erst einmal muss sie sich eine brauchbare Vorgehensweise erarbeiten. Palynologen sind normalerweise nicht in Ermittlungsarbeiten involviert. Es gibt also keine Vorbilder.


    In dem Wissen, dass sich die Mischung von Palynomorphen (z.B. Pollenkörner und Pilzsporen) selbst innerhalb eines kleinen Gartens stark voneinander unterscheidet, je nachdem, in welcher Ecke man die Probe nimmt, erforscht Patricia nun Dinge wie:


    • Ist der Fundort der Tatort? Wo ist der Mensch getötet worden?
    • Gibt’s in Haus, Garten, Auto oder an der Kleidung einer verdächtigen Person Spuren des Fundorts?
    • Wann wurde der Mensch getötet? Wie lange liegt er schon da?
    • War Person A am Tatort B? Oder stimmt es, dass er stattdessen friedlich seines Weges gezogen ist und an Ort C war?


    Anhand der Palynomorphen kann sich die Professorin das entsprechende Areal bildlich vorstellen: was da alles wächst, ob es eine Naturlandschaft ist, und wenn ja, welcher Art. Oder hat hier der Mensch eingegriffen und Pflanzen in einer Gesellschaft wachsen lassen, wie sie in der Natur nicht vorkommt? Haben wir es also mit einem Park oder Garten zu tun? Wenn sie einen mutmaßlichen Tatort in natura sieht, kann sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sagen: Hier war es oder hier kann es nicht gewesen sein.


    Die Faszination des Unappetitlichen


    Das ist für einen interessierten Laien nicht immer leicht zu verstehen. Doch auf Leser:innen ohne Biologiestudium nimmt die resolute Autorin ebenso wenig Rücksicht wie auf solche mit empfindlichem Magen. „Nicht jammern! Weitermachen“, hätte ihre australische Großmutter wohl gesagt.


    Patricia Wiltshires Arbeit ist nicht immer appetitlich. Sie berichtet aber ohne Effekthascherei darüber. Sie beschreibt einfach, wie es ist. Ihr kommt gar nicht in den Sinn, dass es den Leser grausen könnte. Eben referiert sie noch über Verwesungsprozesse und dann geht sie nahtlos zum Thema Kantinenessen über. Das ist so schräg, dass man manchmal lachen muss. Sie ist schon sehr abgebrüht und pragmatisch.


    Gelernt habe ich einiges. Seit ich das Buch gelesen habe, denke ich bei so manchem Krimi: „Also, da wäre jetzt der Rat von Patricia Wiltshire – oder eines ihrer Kollegen – hilfreich.“


    Assoziative Erzählweise: anstrengend!


    Genervt hat mich die Erzählweise. Mitten in der Schilderung eines Ermittlungsvorgangs fällt ihr eine Familienanekdote ein, die sie dann auch ausführlich erzählt. Wie sie den Täter überführt haben? Ach ja, der hat die Tat halt irgendwann gestanden. Also, Leute, nee, so habe ich mir das nicht vorgestellt!


    Manchmal war mir zwar klar, was sie mit ihren Untersuchungen herausfinden will, aber nicht, wie diese Erkenntnis den Täter überführen soll. Was bringt es, wenn wir wissen, das A und B im Wald und nicht auf der Wiese waren? Die Tat hätte hier wie dort geschehen können. Aber gut …


    Und weil sie nicht chronologisch erzählt, war ich sehr darüber verwundert, dass sie ihren Mann mal in den höchsten Tönen lobt und dann wiederum kein gutes Haar an ihm lässt. Mal ist von Scheidung die Rede, dann schwärmt sie wieder von gemeinsamen privaten und beruflichen Unternehmungen. In meiner Verwirrung habe ich gegoogelt. Es gab wohl einen ersten und einen zweiten Gatten. Ach so!


    Ja, persönliche Details können ein Sachbuch auflockern und „menschlicher“ wirken lassen. Aber so ist das für die Katz. Oder sagen wir: Ich bin kein Fan davon. Wenn jemand ein interessantes Thema hat, über das er der Welt berichten will, möge er oder sie doch bitte beim Thema bleiben.


    Die Autorin


    Professor Patricia Wiltshire ist Biologin und Forensikerin und hat an über 250 Kriminalfällen im Vereinigten Königreich gearbeitet, darunter einige der bekanntesten Fälle der letzten 25 Jahre. Sie lebt mit ihrem Mann David und ihrer Katze Maudie in Surrey, Großbritannien.

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    Frauke Buchholz: Skalpjagd. Kriminalroman, Bielefeld 2024, Pendragon Verlag, 978-3-86532-866-3, Klappenbroschur, 285 Seiten, Format: 13,2 x 2,3 x 20,2 cm, Buch: EUR 18,00.


    „Garner war mit Claudia Hofstätter in dem Tipi“, sagte Frank.
    Nora hörte auf zu kauen und sah ihn entgeistert an. „Dann ist er höchstwahrscheinlich dem Mörder begegnet. […] Meinst du, er ist tot?“
    „Entweder tot oder in großer Gefahr“, sagte Frank. „Wir sollten eine Fahndung nach ihm einleiten.“
    (Seite 117)


    Schlauer als alle anderen?


    Wer die ersten beiden Bände, FROSTMOND und BLUTRODEO gelesen hat, weiß es schon: Ted Garner (42), der Held der Reihe, hält sich für den Größten. Das ist nicht weiter verwunderlich: Er hat Psychologie studiert, seine Kolleg:innen nicht. Er ist Profiler bei der Royal Canadian Mounted Police in Regina/Saskatchewan. Wo immer im Land seine Dienste benötigt werden, schwebt er wie der Messias ein und löst den Fall. Ein Teamplayer ist er nicht. Er traut niemandem und ist berüchtigt für seine Alleingänge. Und wenn er wieder mal Schopenhauer zitiert, machen die Dorfsheriffs nur verständnislos „hä?“.


    So hat sich bei Garner nach und nach das Bild verfestigt, dass er schlauer ist als alle anderen, dass er Probleme am besten allein löst und dass die Polizei ohne ihn nichts auf die Reihe kriegt. Genau mit dieser Einstellung manövriert er sich in Situationen hinein, in die ein „Normalbürger“ niemals geraten würde.


    Vom Profiler zum Therapeuten?


    Doch von vorn: Nachdem sein letzter Einsatz als Profiler ihn fast das Leben gekostet hat, drängt ihn seine Frau Pat, aus dem Polizeidienst auszuscheiden und sich als Psychotherapeut niederzulassen. Verständlich, aber keine gute Idee, weil Garner sich überhaupt nicht für die Probleme seiner Mitmenschen interessiert. Er will Rätsel lösen und dafür bewundert werden. Um seinen guten Willen zu beweisen, fährt er nach Vancouver zu einem Psychologenkongress und hört sich halbherzig die Vorträge dort an.


    Interessant findet er nur die attraktive junge Claudia Hofstätter, eine esoterisch angehauchte Trauma-Therapeutin aus Wien. Nach einem gemeinsamen Abend an der Bar begleitet er sie zu einer obskuren Peyote-Zeremonie, einem indigenen Ritual, das ihnen angeblich Zugang zum Unterbewussten und zu verschütteten Emotionen verschaffen soll. Das Ganze findet weitab vom Schuss in einem Tipi statt. Garner hält das zwar für ausgemachten Mumpitz, greift aber zu, als der Schamane Vernon Sun Dog psychogene Substanzen herumreicht.


    Böses Erwachen neben einer Toten


    Das Zeug beschert Garner einen erstklassigen Horrortrip – und als er wieder aufwacht, hat er ein Messer in der Hand und neben ihm liegt Claudia Hofstätter – tot! Jemand hat sie erstochen und skalpiert. Alle anderen Teilnehmer sind verschwunden.


    So high und verwirrt Garner auch sein mag: Er kapiert, wonach das aussieht. Und er kann nicht einmal ausschließen, dass er die Therapeutin im Drogenrausch getötet hat. Zur Polizei gehen will er auf gar keinen Fall. In seinen Augen gibt es nur einen, der den Mord aufklären – oder die Aufklärung verhindern – kann: ihn selbst. Also taucht er unter und macht sich unter falschem Namen auf die Suche nach dem Schamanen. Der müsste doch wissen, was hier passiert ist!


    Ted Garner ermittelt in eigener Sache


    Erst als Garner einen Bruder des Schamanen ausfindig macht, beginnt er zu ahnen, wem er hier mit seinen privaten Ermittlungen wirklich in die Quere kommt …


    Ein eigenbrötlerischer Held


    Gespannt und manchmal auch mit einem Kopfschütteln begleiten wir den eigenbrötlerischen Profiler bei dem verzweifelten Versuch, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Muss er denn immer alles alleine machen? Die Polizei von Vancouver ist alles andere als unfähig! Aber Garner geht eben von seinen bisherigen Erfahrungen aus.


    Erst ganz zum Schluss erfahren wir, wie die einzelnen Handlungsstränge zusammenhängen,

    Als Leser:in hat man kaum Chancen, sich das vorab zusammenzureimen. Man ahnt allenfalls grob, wo das Motiv zu finden sein könnte. Es frustriert mich immer ein bisschen, wenn einem auf den letzten Seiten jemand erklären muss, warum das jetzt so und so war.


    Spannung, Natur, Land und Leute


    Die Autorin hat eine sehr schöne Sprache und kann wunderbar Landschaften, Stimmungen und Bilder heraufbeschwören. Das steht hier allerdings ein bisschen in Konkurrenz zum spannenden Fortgang der Handlung. Ich habe mich dabei ertappt, ganze Passagen nur zu überfliegen, weil ich lieber wissen wollte, in welchen Hinterhalt Ted Garner als nächstes gerät und was jetzt mit Inspector Lombardis Tochter ist. Das ist schade, weil man hier abseits der Krimihandlung viel über Natur, Land und Leute erfahren könnte.


    Bevor jetzt jemand die Arie von der kulturellen Aneignung singt, weil hier eine weiße Deutsche einen Roman schreibt, in dem Menschen aus den First Nations eine Rolle spielen: Ich denke, Frauke Buchholz „darf“ das. Thema ihrer Dissertation war die zeitgenössische Literatur indigener Autoren der Vereinigten Staaten. Und sie hat einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht.


    Die Autorin


    Frauke Buchholz studierte Anglistik und Romanistik und promovierte über zeitgenössische indianische Literatur. Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen, hat viele Reservate in Kanada und den USA besucht und einige Zeit in einem Cree-Reservat verbracht. Heute lebt sie in Aachen. Bei Pendragon bereits erschienen: »Frostmond« (2021) und »Blutrodeo« (2022).

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    Sofia Mai: Herzklopfen im Ländle. Roman, Köln 2023, Emons Verlag, ISBN 978-3-7408-1941-5, Softcover, 435 Seiten, Format: 13,7 x 2,7 x 20,5 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 10,99.


    „Warum sitzt du denn da auf dem Boden?“
    Was sollte sie sagen? Weil ich krank bin vor Sorge. Weil ich verzweifelt bin und nicht mehr weiß, was ich mit dir machen soll. Weil mich das hier alles fürchterlich überfordert. Weil mein ganzes Leben gerade im Chaos versinkt, all meine Routinen nicht mehr funktionieren und meine Karriere den Bach runtergeht.
    „Rebellion“, erwiderte sie kraftlos.
    (Seite 253)


    Zwei ungleiche Schwestern


    Von klein auf sind die Rollen der Schwestern Leonie (42) und Sabine (39) Reiter klar verteilt: Leonie ist die Kluge, Brave und Vernünftige – und geradezu beängstigend rational. Die quirlig-chaotische Sabine kriegt dagegen privat und beruflich überhaupt nichts auf die Reihe, hat eine Teenie-Tochter, deren Vater sie verschweigt und wurstelt sich als Grundschullehrerin in Teilzeit, Gemüsebäuerin und Betreiberin eines Hofcafés durchs Leben.


    Nicht, dass das die Eltern der beiden Schwestern jemals interessiert hätte!


    Leonie lebt in Ulm und ist am dortigen Amtsgericht als Richterin tätig. Sie ist artig in die Fußstapfen der Eltern getreten. Aber ihre Karriere stagniert. Ein Studienfreund vermittelt ihr eine Hospitation in Finnland, mit der sie ihren Lebenslauf ein bisschen aufpeppen soll. Doch sie schafft es nicht einmal bis in den Flieger: Noch am Flughafen in Stuttgart ereilt sie die Nachricht, dass ihre jüngere Schwester bei der Obsternte von der Leiter gefallen sei und schwer verletzt im Krankenhaus liege.


    Die Reaktion der Eltern, die seit ihrer Pensionierung im Ausland leben: Nein, sie können auf gar keinen Fall nach Deutschland kommen und sich um Sabine und deren Angelegenheiten kümmern. Wichtige Termine! Aber sie haben sofort eine Lösung für Tochter, Enkelin und Hund parat: Pflegeheim, Kinderheim, Tierheim.


    Landleben statt Amtsgericht


    Unfassbar! Leonie ärgert sich, dass sie überhaupt angerufen hat. Und jetzt? Okay: Die Zeit, die sie in Finnland verbracht hätte, kann sie auf jeden Fall nutzen um bei Sabine in Gütlingen – einem kleinen Dorf in der Nähe von Tübingen – das Notwendigste zu regeln. Und dann sieht man weiter.



    Sabines Rekonvaleszenz zieht sich. Es wird Monate dauern, bis sie wieder nach Hause kann und es ist unklar, was an körperlicher Behinderung zurückbleiben wird. Zur Sorge um die Schwester kommt bei Leonie noch die Überforderung. Sie hat keine Kinder, sie weiß nicht, wie man mit einem pubertierenden Mädchen umgeht. Sie kann zwar einen Haushalt führen, nicht aber ein Café, und mit Sabines riesigem Gemüsegarten kennt sich die Stadtpflanze erst recht nicht aus.


    Leonie ist überfordert


    Zum Glück gibt’s ein paar Frauen im Ort, die das Hofcafé ehrenamtlich über Wasser halten wollen, bis Sabine wieder fit ist. Und Max Häfner, Zimmermann und Hobby-Obstbauer, sorgt gern dafür, dass Sabines Garten nicht verwildert – und dafür, dass Leonie ein bisschen was über das Leben auf dem Land lernt. Die Richterin schätzt Max‘ Hilfe – und findet ihn ganz schön attraktiv. Was natürlich blöd ist, weil ihre jüngere Schwester ältere Rechte hat und weil sie doch in Kürze sowieso wieder zurück nach Ulm geht.


    Eine schwierige Situation für alle Beteiligten, die nicht einfacher wird, als Leonie in die finanziellen Verhältnisse ihrer Schwester Einblick nimmt …


    Frisch verliebt und missverstanden


    Bei der Geschichte mit dem attraktiven Zimmerermeister wären meiner Meinung nach viele Missverständnisse durch eine klare Frage/Antwort unter den Schwestern vermeidbar gewesen. Aber wenn alle Leute rechtzeitig vernünftig miteinander reden würden, statt sich in Mutmaßungen zu ergehen und Verwicklungen zu produzieren, gäb’s gar keine Liebesromane. 😉 Das habe ich akzeptiert und gespannt darauf gewartet, dass die endlich mal miteinander Tacheles reden. Ja, und natürlich darauf, welche berufliche Entscheidung die Richterin trifft. Denn das war für mich das eigentliche Thema der Geschichte: Welchen Stellenwert räumt man im Leben dem Beruf und der Familie ein? Wo liegen die Prioritäten? Was unweigerlich zu der Frage führt, warum Care-Arbeit so geringgeschätzt wird.


    Mir hat’s gut gefallen. Auch der Gastauftritt des Tübinger Staatsanwalts und seiner Frau, die ich beide aus einer Krimireihe der Autorin kenne. Ich mag sowas. Schwäbisch muss man übrigens nicht verstehen, um der Geschichte folgen zu können. Kein Mensch schwätzt hier Dialekt. Sich in Tübingen und Umgebung auszukennen, ist beim Lesen sicher ein Bonus, aber zwingend notwendig ist es nicht.


    Was mich jetzt noch interessiert hätte: Was stimmt denn nicht mit dem Kauf beziehungsweise der Finanzierung von Sabines Bauernhof? Was verheimlicht sie vor ihrer Familie? Ich habe zwar eine Vermutung, wer da die Finger drin haben könnte, aber aufgelöst wird die Frage nicht.


    Die Autorin


    Sofia Mai lebt mit ihrem Mann in einem Dorf am Rande des Naturparks Schönbuch bei Tübingen und liebt das Leben auf dem Land. Nach einem Studium und verschiedenen beruflichen Stationen begann sie 2005 zu schreiben. Unter anderem Namen hat sie bereits zahlreiche Kriminalromane, Kurzkrimis und Ausflugsführer veröffentlicht.

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    Adrian Leemann, Stephan Elspaß, Robert Möller, Timo Grossenbacher: Grüezi, Moin, Servus! Wie wir wo sprechen, Reinbek bei Hamburg 2022, Rowohlt Verlag GmbH, ISBN 978-3-499-63330-0, Softcover, 175 Seiten mit zahlreichen s/w-Fotos und Karten, Format: 12,5 x 1 x 19 cm, Buch: EUR 12,00.


    [Wir hoffen], dass deutlich geworden ist, dass es nicht das eine „richtige“ Deutsch gibt […]. Wer aus einer anderen Region kommt und/oder nicht zur Mehrheit gehört, spricht deswegen […] noch lange nicht „falsch“. (Seite 171)


    Wie sagt man in Deutschland, Österreich und der Schweiz?


    Dieses Büchlein wurde jüngst in einem Zeitungsartikel erwähnt, und weil ich „mehrfach dialektbetroffen“ bin und mich generell für Sprache interessiere, habe ich es gelesen.


    Offenbar ist der vorliegende Band die BoD-Fassung eines bereits 2017 bei rororo erschienenen Buchs. Die Abbildungen sind hier in Schwarzweiß, während sie in der Originalausgabe farbig gewesen sein müssen. Deshalb ist es ein wenig irritierend, wenn die Autoren im Text ständig auf feine Farbabstufungen in ihren Karten hinweisen, und der Leser das gar nicht sehen kann. Aber gut … für Leser:innen, die sich hobbymäßig und nicht wissenschaftlich mit Sprache und Dialekten befassen, reicht diese vereinfachte Darstellung in Grauwerten aus.


    Auf unterhaltsame Weise erläutern uns die Autoren in Wort, Bild und Karten, wie man in verschiedenen Regionen Deutschlands, Österreichs und der deutschsprachigen Schweiz zu ausgewählten Gegenständen, Zuständen und Tätigkeiten sagt – und warum das so ist.


    Klops mit Migrationshintergrund


    Dass es zum Beispiel für einen „gebratenen flachen Kloß aus zerkleinertem Fleisch“ verschiedene Ausdrücke gibt, wissen wir alle: Es gibt Frikadelle und Bulette – beides Lehnwörter – sowie diverse zusammengesetzte Beschreibungen wie Fleischküchle, -laiberl oder -klops. Wobei der Klops auch ein Zuwanderer aus dem Ausland ist. Doch wie kommen die Bayern auf Fleischpflanzerl? Mit Pflanzen hat das doch nichts zu tun! – Wir erfahren es hier. Das Fleischpflanz(er)l hat eine etwas unappetitliche Verwandtschaft.


    So geht’s interessant und amüsant zunächst mal quer durch die Küche. Das Kapitel über die Pfannkuchen, Eierkuchen und Palatschinken hat mich allerdings verwirrt. Dieses Gericht würde ich außerhalb meiner angestammten Dialektbereiche nirgendwo zu bestellen wagen. Da kann man sich ja auf gar keinen Standardbegriff einigen und kriegt überall was anderes! 😊


    Wir lernen verschiedene Regionalbezeichnungen von Alltagsgegenständen kennen. Wie sagt man wo zur Geldbörse oder dem Etui, in dem Schüler:innen ihre Schreibutensilien aufbewahren? Oder zur Steinschleuder? Auch Hausschuhe haben höchst unterschiedliche Namen und jeder hat seine Geschichte. Manche Bezeichnung, der man das heute gar nicht mehr anmerkt, hat einen Migrationshintergrund.


    Jede Bezeichnung hat ihre Geschichte


    Leicht verrückt wird’s im Kapitel über die Sitzgelegenheiten. Was in einzelnen Gegenden ein „Sessel“ ein „Stuhl“ oder ein Fauteuil ist, ist nicht leicht nachzuvollziehen.


    Und warum heißt der Reißnagel überhaupt Reißnagel? Man reißt doch gar nichts damit! In manchen Gegenden sagt man auch „Reißzwecke“ oder „Heftzwecke“ zu dem Ding. Ist „die Zwecke“ eigentlich die Frau von „der Zweck“? 😉 Man kommt auf dieser sprachlichen Exkursion schon auf ein paar abseitige Gedanken.


    Viertel nach zehn oder Viertel elf?


    In einem der Kapitel geht es natürlich auch um Zeitangaben. Um dieses Thema kommt man nicht herum, wenn man über regionale sprachliche Besonderheiten schreibt. Sicher: Es kann zu Missverständnissen führen, wenn man mit Angaben wie „Viertel nach zehn“ aufgewachsen ist und Menschen aus anderen Regionen auf einmal „Viertel elf“ oder „Viertel über/ab zehn“ sagen. Woanders ist es eben anders. Das braucht man nicht zu werten. Ich habe noch nie verstanden, wieso man sich über diese regionalen Unterschiede in den sozialen Medien immer so furchtbar aufregen muss.


    Dass man nicht nur bei uns im Schwäbischen „Viertel elf“ sagt, wenn man 10:15 Uhr meint, sondern dass sich diese Präferenz in einem breiten Streifen diagonal über die Deutschlandkarte zieht, ist mir übrigens erst im Erwachsenenalter bewusst geworden – als eine Freundin aus Frankfurt an der Oder die gleichen Zeitangaben benutzte wie wir in Württemberg.



    Das Buch bietet einen informativen und vergnüglichen Streifzug durch die deutschen Dialekte. Hochwissenschaftlich ist es nicht gemeint, es ist für interessierte Laien geschrieben, die Spaß an der sprachlichen Vielfalt haben. Das sind sicher nicht diese kleinkarierten Leute, die durchdrehen, wenn jemand „von außerhalb“ andere Begriffe und Formulierungen verwendet als die, die sie von zuhause kennen. Wie man in anderen Gegenden spricht, mag ungewohnt sein, aber es ist kein Grund, die Nase zu rümpfen, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder gar ausfallend zu werden. Das sehen die Autoren dieses Buchs ebenso:


    „Jede Region im deutschsprachigen Raum hat halt bzw. eben ihre eigene Art, den Dingen einen Namen zu geben. Nicht jeder babbelt so, wie der andere schwätzt.“ (Seite 8 )


    Die Autoren


    Adrian Leemann, Stephan Elspaß, Robert Möller und Timo Grossenbacher beschäftigen sich als Wissenschaftler mit Sprache.

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    Lisa Graf: Dallmayr. Das Erbe einer Dynastie. Roman (Band 3), München 2023, Penguin Verlag / Random House Verlagsgruppe, ISBN 978-3-328-60224-8, Klappenbroschur, 494 Seiten, Format: 13,6 x 4,3 x 20,6 cm, Buch: EUR 16,00 (D), EUR 16,50 (A), Kindle: EUR 12,99, auch als Hörbuch verfügbar.


    „Mensch, Gregor, mach doch die Augen auf! Erst die Juden, dann die Linken, und wer kommt als Nächstes? Die Linkshänder vielleicht oder die Kurzsichtigen? Alle Brillenträger?“ (Seite 150)


    Teil 3 der Dallmayr-Saga rund um die Familie Randlkofer schildert die Jahre von 1933 bis 1945.


    • Therese, die umtriebige Dallmayr-Chefin, die wir Leser:innen aus den vorangegangenen Bänden kennen, ist vor ein paar Jahren verstorben. Jetzt ist ihr jüngster Sohn Paul am Ruder. Der hat eine tüchtige Ehefrau, Lotte, die’s gut mit den Kunden kann und den Laden im Griff hat. Das passt schon. Wenn nur Sohn GregorInteresse am Kaufmännischen hätte! Aber der tendiert eher in Richtung Pilot oder Flugzeugingenieur.

    Dallmayr-Kaffee: eine geniale Idee!


    Auch Paul hat für sein Geschäft Visionen. Er will eine eigene Kaffeerösterei. Dallmayr-Kaffee, das wär’s! Also fährt er mit Lotte nach Bremen und wirbt dort den erst 19jährigen Kaffeeröster Fiete „Fritz“ Wünsche an.


    Das mit dem Kaffee wird der Hit, nur das Timing ist suboptimal. Die Nazis mit ihren Schikanen für Nicht-Parteimitglieder wie Paul, Krieg und Rationierung … das alles hatten die Randlkofers nicht auf dem Schirm. Und dann bringt Sohn Gregor auch noch die Anwaltstochter Selma Böhm als Freundin daher, die in diesem Land bald ihres Lebens nicht mehr sicher ist. Aus Gründen.


    Was der Krieg mit Zivilisten macht


    Jetzt erfahren wir, was die einzelnen Familien und Gruppierungen von 1933 bis 1945 erleben. Es dreht sich schon auch um das Delikatessengeschäft Dallmayr, aber noch ein bisschen mehr darum, was der Krieg für Zivilisten bedeutet.


    Viele Personen, viele Schicksale


    Das ist ein buntes Schicksals-Kaleidoskop, und wenn es schon eine Weile her ist, dass man die Vorgängerbände gelesen hat, braucht’s ein bisschen, bis man wieder weiß, wer wer ist und wer welche Agenda oder Probleme hat. Da wäre ein Personenverzeichnis hilfreich gewesen.


    Immer wieder habe ich mich dabei ertappt, nach historischen Persönlichkeiten und Ereignissen zu googeln. Nach dem Leben und Wirken von Pfarrer Rupert Mayer, zum Beispiel, und nach Fritz, dem Kaffee-Experten. Der wollte ja immer reisen. Und ich wollte wissen, ob er tatsächlich mal nach Äthiopien gekommen ist. Das ist interessant, aber wenn man das Buch auf diese Weise liest, dauert’s natürlich länger.


    Ungefähr nach der Hälfte des Bandes hatte ich langsam genug von den Kriegsgeschichten, jetzt hätte mich der Wiederaufbau mehr interessiert. Während das Kapitel „1933“ rund 200 Seiten umfasst, ging’s ab 1934 im Zeitraffer durch die Kriegsjahre. Mir war das sehr recht, sonst wär’s vermutlich zäh geworden. Gregors Fliegerg’schichten habe ich, pardon, nur so überflogen. Gegen Schluss ist auch wieder verstärkt vom Kaffee und dem Delikatessengeschäft die Rede und die Story bekommt mehr Tempo.


    Bohnenkaffee als Politikum


    Bohnenkaffee als Politikum … so hatte ich das noch nie gesehen. Und ich habe auch noch nie zuvor einen Dallmayr-Kaffee daheim gehabt. Jetzt schon. Es bleibt ein bisschen was hängen, wenn man so eine Familiensaga gelesen hat. Auf einmal fühle ich mich dem Unternehmen, das ich bisher hauptsächlich aus dem Werbefernsehen kannte, auf seltsame Weise verbunden.


    Mir war von Anfang an klar, dass das keine Biographie ist, sondern ein Roman. Was ich trotzdem gerne gewusst hätte: Was real und was fiktional ist. Dass Balbina und ihre Familie fiktive Figuren sind, war von Band 1 an klar. Elsa Randlkofer gab’s anscheinend wirklich – da war ich anfangs nicht sicher –, aber ob sie tatsächlich Anwältin war und in Palästina gelebt hat? Darüber schweigt sich Google aus.


    Im Gedächtnis bleiben wird mir vermutlich die rote Ursi mit ihrem Aufbegehren gegen die (politische) Gleichmacherei. Wir sind und wir leben alle unterschiedlich, warum also sollten wir alle dasselbe denken müssen? Mit Recht sieht diese einfache Gastwirtstochter das als Anfang vom Ende – und vertritt mit dieser vernünftigen Ansicht auf einmal eine lebensgefährliche Außenseitermeinung. Und das ist erschreckend.


    Die Autorin


    Lisa Graf ist in Passau geboren. Nach Stationen in München und Südspanien schlägt sie gerade Wurzeln im Berchtesgadener Land. Als Hobbybäckerin hat sie eine Schwäche für Trüffelpralinen und liebt Zitronensorbet mit Champagner.

    Es war was Juristisches. Eine angeblich mögliche Verwechslungsgefahr mit dem Buchtitel eines anderen Verlags. Details weiß ich aber nicht. Wenn du sowas an der Backe hast und die Anwälte der Konkurrenz auf der Matte stehen, muss der strittige Titel zügig vom Markt, sonst kann das übelst teuer werden.

    Man hat sich nun offensichtlich geeinigt und arsEdition hat Tina Zangs Reihe umbenennen müssen. Zum Glück haben sie das getan, ich hatte schon befürchtet, die wird eingestampft und nie wieder angefasst. Und will doch wissen, wie es weitergeht.

    Da kannst du als Verlag noch so viel Recherche betreiben, sowas kann passieren. Ich kenne das.

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    Helen Pilcher: Im Takt der Natur. Rhythmen und Zyklen des Lebens oder warum Koalas lange schlafen. OT: How Nature Keeps Time. Understanding Life Events in The Natural World, aus dem Englischen von Monika Niehaus, Martina Wiese und Coralie Wink, Bern 2023, Haupt Verlag, ISBN: 978-3-258-08340-7, Hardcover, 208 Seiten mit farbigen Fotos und Infografiken, Format: 16,1 x 2,3 x 23,9 cm, EUR 29,90.


    Wissend, dass in der Natur alles mit allem irgendwie zusammenhängt, hatte ich hier eine Fülle von skurrilen Fakten samt dazugehöriger Erklärung erwartet – zum Beispiel, um beim Buch-Untertitel zu bleiben: „Koalas schlafen so lange, weil …“. Und dann kommt eine Information, die die Leser:innen denken lässt: „Wow! Aber klar, eigentlich logisch.“ Und schon rennt man los, verblüfft und nervt sein Umfeld mit diesem Wissen und fühlt sich absolut quizshowtauglich. 😉


    Ganz so funktioniert das Buch nicht. Es ist sehr faktenreich und informativ, aber für den Leser mit etwas Arbeit verbunden. Wirklich mundgerecht bekommt man die Infohappen nicht serviert. Es gibt sechs Kapitel/Themenbereiche und auf nahezu jeder Doppelseite muss man sich in ein neues Schaubild eindenken. Ich weiß nicht, wie’s anderen geht, aber ich brauche immer ein bisschen Orientierungszeit, um zu verstehen, worum es überhaupt geht. („Was sind das für Einheiten?“ – „Was bedeuten die Farben?“ – „Wo ist bei diesem Diagramm der Startpunkt?“ - „Und wieso läuft der Zeitstrahl von rechts nach links?)


    Doppelseite/Infografik, Foto: E. Nebel, (c) Haupt Verlag


    Erstes Kapitel: Evolutionäre Zeitspannen


    „Evolutionäre Zeitspannen zeichnen Geschichten von globalem Maßstab nach, wie den Landgang des Lebens, das Auslöschen von Arten und das Aufkommen eines Primaten, der mächtig genug ist, die Erde zu zerstören.“ (Seite acht)


    In diesem Kapitel geht’s um die Entstehung der Welt, um die des Lebens, um Zeitalter, Geologie, natürlich um die Evolution, um Saurier, Fossilien und ums Aussterben. Am Durchschnittsleser, der kein spezifisches Interesse an diesem Themenkreis hat, könnten die hohen Zahlen und die komplizierten Fachbegriffe etwas vorbeirauschen. Ich gestehe, dass ich diese Fakten hier fast so schnell vergesse, wie ich sie gelesen habe.


    Je näher das Kapitel der Gegenwart kam, desto fassbarer und interessanter fand ich es: Wann, wo, wie und warum haben sich Wildtiere zu Haustieren entwickelt? Und ist es tatsächlich möglich, dass es weniger als ein Menschenalter braucht, um eine Wildtierart zu domestizieren?


    Zweites Kapitel: Ökologische Zeitspannen


    „Ökologische Zeitspannen beschreiben die Dynamik von Ökosystemen. So gestalten Biber ihr […] Süßwasser- Ökosystem in wenigen Wochen, und die verwesenden Überreste eines Blauwals können ein Ökosystem in der Tiefsee schaffen, das jahrzehntelang für Leben sorgt.“ (Seite acht)


    Hier geht es jetzt darum, dass alles miteinander verknüpft ist. Menschen sind nicht unbedingt begeistert, wenn Biber binnen weniger Wochen eine Landschaft nach ihren Bedürfnissen umgestalten. Da gibt’s Interessenkonflikte. – Ein toter Wal, der auf den Meeresboden gesunken ist, ernährt über hundert Jahre hinweg bis zu vierhundert verschiedene Spezies. Unter anderem ein Wesen namens Osedax mucofloris – die „knochenfressende Rotzblume“. Sowas merke ich mir! 😊


    Wir erfahren, wie lange es dauert, bis ein Wald sich von einem Brand erholt, wie man einen Regenwald wieder aufforstet und was es für ein Ökosystem bedeutet, wenn eine einzelne Tierart ausstirbt. – Erfolgsgeschichten aus dem Artenschutz sehen wir hier auch.


    Drittes Kapitel: Lebensspannen


    „Lebensspannen […] bezeichnen die Zeit zwischen Lebensanfang und -ende. Eine adulte Eintagsfliege erlebt nicht einmal einen ganzen Tag, wohingegen der älteste lebende Einzelbaum über 4.500 Jahre alt ist.“(Seite acht)


    Hier sind schon eher die schrägen Fakten zuhause, die ich mir erhofft hatte. Es fängt mit Altersrekorden an: mit einem fast 400 Jahre alten Grönlandhai, einer 500jährigen Islandmuschel, mit unterseeischen Röhrenwürmern, die Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende leben. Von Bakterien, die Millionen von Jahren alt werden können, ganz zu schweigen.


    Klonkolonien von Pilzen, Bäumen und Seegras zählen zu den ältesten bekannten Organismen der Erde. Und wir reden hier von bis zu 135.000 Jahren! Am anderen Ende der Skala sind die Eintagsfliegen, deren Leben als adulte Tiere von wenigen Minuten bis mehrere Tage währt.


    Besonders faszinierend sind meines Erachtens die unsterblichen Quallen Turritopsis dohrnii. Wenn die alt werden oder verletzt sind, drücken sie quasi eine Rückspultaste, versetzen sich in ein früheres Entwicklungsstadium und fangen mit ihrem Leben von vorne an, als sei nix gewesen.


    Viertes Kapitel: Wachstumsspannen


    „Wachstumsspannen […] betreffen die Entwicklung innerhalb der Lebenszeit. Um zwei Extremfälle zu nennen: Der Grönlandhai erlangt erst mit 150 Jahren die Geschlechtsreife, während der Axolotl lebenslang seine juvenile Form behält.“ (Seite acht)


    Wie schnell pflanzen sich unterschiedliche Tierarten fort? Was ist da die Besonderheit bei den Beutel- und Kloakentieren? Wieso wird der Axolotl nie erwachsen? Und wie schafft er es, sich abgetrennte Gliedmaßen einfach wieder neu wachsen zu lassen? Wie kann es sein, dass aus einem einzelnen Seestern-Arm wieder ein kompletter Seestern entsteht? Selbst bei Spinnen kann unter bestimmten Umständen ein abgetrenntes Bein nachwachsen.


    Wie lange dauert es, bis die Nachkommen verschiedener Spezies buchstäblich auf eigenen Füßen stehen? Und warum brauchen die Menschenkinder dafür so unverhältnismäßig lang?


    Fünftes Kapitel: Verhaltensbiologische Zeitspannen


    „Verhaltensbiologische Zeitspannen gelten für die Art und Weise, in der Organismen auf ihre Umwelt reagieren. Zu beobachten sind lange Zeiträume, wie bei der Wanderung des Distelfalters, oder kürzere, wie die in Millisekunden zuschnappenden Fallen des fleischfressenden Wasserschlauchs“. (Seite acht)


    In diesem Kapitel erfahren wir beispielsweise, welche Tiere wie lange schlafen. Warum das so ist, steht da leider nicht. Aber wie es V ö g e l n gelingt, während des Fluges zu schlafen und warum Meeressäuger im Schlaf das Auftauchen nicht vergessen, das erklärt uns das Buch. Hier finden wir auch interessante Informationen über Tierwanderungen, Gruseliges über Parasiten („Zombifizierung“), entdecken Erhellendes über schnelle Reflexe und über verschiedene Strategien elterlicher Fürsorge. Das ist nicht immer appetitlich aber faszinierend. Genau wie der Beitrag über bizarre S*xpaktiken im Tierreich.


    Sechstes Kapitel: Biologische Zeitspannen


    „Biologische Zeitspannen […] hängen von physiologischen Prozessen wie dem Stoffwechsel oder der Hormonproduktion ab. [Die hier beschriebenen Intervalle zeichnen] die angeborenen Prozesse nach, durch die Organismen funktionieren und überleben.“ (Seite acht)


    Das letzte Kapitel befasst sich unter anderem mit S*xualzyklen … wer ist wann und wie oft fruchtbar? Welche Konsequenzen hat das für die Art und für das Ökosystem? Und warum gibt es bei manchen Tierarten eine Menopause? Die Frage ist berechtigt: „Wenn die Evolution Strategien fördert, die Organismen beim Weitergeben ihrer Gene helfen, warum sollte man dann Ressourcen an eine Phase verschwenden, in der kein Nachwuchs mehr produziert werden kann?“ (Seite 183)


    Woher wissen Vögel, wann sie aufwachen müssen und Blumen, wann es Zeit ist, ihre Blüten zu öffnen oder zu schließen? Wie bewältigen Tiere ihre jährlichen Wanderungen? Wie genau funktioniert die biologische Uhr, die das alles regelt – und wo sitzt sie?


    Ein bisschen abseitig ist vielleicht die Frage, warum Faultiere eigens zum K*cken den Baum verlassen, was sie ja sonst nie tun. Sie können die Exkremente doch einfach runterfallen lassen! Über Ausscheidungen lesen wir in diesem Kapitel noch mehr. Möglicherweise fühlt sich manch eine:r etwas überinformiert, aber auch diese Fragen haben ihre Berechtigung.


    Auf Zahlen fokussiert und nicht immer gut lesbar


    Die Präsentation ist schon sehr zahlenorientiert. Man kann bei der Fülle der angesprochenen Themen nicht immer in die Tiefe gehen und ausführliche Begründungen liefern. Aber um sich einen Überblick über einen Sachverhalt zu verschaffen, ist die Darstellung mit den Infographiken super.


    Das Buch hat viel Spannendes und Faszinierendes zu erzählen, ist aber wieder eines dieser Sachbücher, das man als reiferer Interessent nur bei grellem Tageslicht lesen kann. Bei Kunstlicht bin zumindest ich außerstande, kleine, magere Schriften auf farbigem Untergrund zu entziffern. Winzige Ziffern in ein senfgelbes Feld auf lindgrünen Untergrund zu stellen (wie bei den Seitenzahlen), ist meines Erachtens keine gute Idee. Hübsch aber unlesbar.


    Ärgerlich ist auch, dass manchmal Text fehlt wie z.B. auf den Seiten 152 und 155. Da verschwindet einfach ein Stück einer Textspalte und man erfährt nie, was uns die Autorin sagen wollte. Das ist schade. Warum macht man es Lesenden, die Buch und Wissen freiwillig erwerben möchten, unnötig schwer? Das habe ich noch nicht mal bei Schulbüchern eingesehen, die dem Rezipienten alternativlos aufgenötigt werden. Lernen sollte nicht mühselig sein, sondern Spaß machen. Der Spaß wird hier durch die Darstellung ein klein wenig gebremst.


    Die Autorin


    Dr. Helen Pilcher ist Wissenschaftsjournalistin und Moderatorin. Sie hat mehrere Bücher geschrieben und für verschiedene Zeitschriften wie Nature, The Guardian und New Scientist gearbeitet. Eines ihrer Bücher wurde 2020 von der Times zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt. Sie lebt in Großbritannien.

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    Inge Zinßer: Das kleine Seelencafé. Roman, Meßkirch 2023, Gmeiner Verlag, ISBN ‎978-3-8392-0462-7, Softcover, 231 Seiten, Format: 12,2 x 1,8 x 20,4 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 9,99.


    „Wie wäre es, überlegte Fine, wenn wir so eine Art kleines ‚Friedhofscaféle‘ hätten? Offen für jedermann, für Trauernde und Nicht-Trauernde.“ (Seite 15)


    Weil die Autorin bei uns aus der Gegend kommt und auch die Geschichte hier im Schwäbischen spielt, hat unsere regionale Tageszeitung über dieses Buch berichtet. Die Hauptpersonen sind im beginnenden Rentenalter – so wie ich. Sie meistern ihr Leben mit einer gesunden Portion Humor und Gelassenheit. Daraus schloss ich, dass ich mich mit dem Romanpersonal gut würde identifizieren können. Und so war’s dann auch. Hier ist alles wie im richtigen Leben, nur eben ein bisschen netter.


    Ein Plätzle zum Verschnaufen


    Darum geht’s: Josefine „Fine“ Eichinger, Anfang 60, wohnt schon immer in Steiglingen, einem (fiktiven aber typischen) schwäbischen Dorf. Sie ist verheiratet, mehrfache Mutter und Großmutter und war nur bis zum ersten Kind berufstätig. Eigentlich müssten wir beide uns gekannt haben, weil wir offenbar zur selben Zeit für einen Stuttgarter Schulbuchverlag gearbeitet haben. 😉


    Im Moment ist Fine schwer genervt von der Grabpflege auf dem örtlichen Friedhof. Als ihre Schwiegereltern hier ihre letzte Ruhestätte fanden, hat niemand daran gedacht, was es im Herbst bedeutet, wenn ein Grab direkt unter einer mächtigen Eiche liegt. Ständig muss man diese Sch**ß-Eicheln aufsammeln und entsorgen! Wenn es wenigstens eine Möglichkeit gäbe, sich zwischendrin kurz auszuruhen, zu verschnaufen, etwas zu trinken und mit anderen Friedhofsbesucher:innen ein bisschen zu schwätzen. Aber dazu ist es hier, gerade jetzt im Herbst, viel zu ungemütlich. Es wäre schon nett, wenn es in der Nähe sowas wie ein Café gäbe!


    Wenn’s kein Café gibt, muss man eins gründen


    Fine ist eine Frau der Tat. Wenn es noch kein Friedhofscafé gibt aber Bedarf besteht, dann muss man eben eines auf die Beine stellen.


    Wilhelm Eichinger bremst seine euphorische Gattin ein. So ein Projekt muss gründlich durchkalkuliert, finanziert und genehmigt sein. Erst dann kann man konkrete Pläne machen. Und dabei hat der Bürgermeister das letzte Wort. Fine sieht da kein Problem. Sie war schon immer gut im Motivieren. Ihr Vorbild: Tom Sawyer in der legendären Zaunstreich-Szene.


    Der Kämmerer bruddelt, der Bürgermeister knickt ein


    Wahrscheinlich hätte der Bürgermeister ihr alles zugesichert, nur um sie wieder loszuwerden. Womöglich hofft er auch, dass ihre Begeisterung schnell nachlässt und sie das Projekt gar nicht auf die Reihe bekommt. Ha! Da kennt er sie aber schlecht. Fine ist supergut vernetzt und organisiert ruckzuck Material, „Hilfstruppen“ und alles, was man für ein Café braucht. Auch einen Namen hat das Projekt bereits: „Seelencafé“.


    Die Neidhammel sind auch schon da!


    Und wie immer, wenn etwas gut läuft, erfolgreich ist und Freude bereitet, ruft das Neidhammel, Miesmacher und missgünstige Zukurzgekommene auf den Plan, die das Caféprojekt mit hinterhältigen Worten und bösen Taten nach Kräften sabotieren. Sogar die Polizei muss anrücken! Was stimmt nicht mit manchen Leuten, dass sie anderen nicht das kleinste bisschen Freude gönnen?



    Sabotage und überzogene Erwartungen


    Wie sie ihr Leben auch leben – jetzt müssen sie zusammenhalten, wenn das Projekt „Seelencafé“ überleben soll. Werden sie es schaffen, die Sabotageakte zu überstehen? Können sie den Forderungen ihrer Angehörigen und den stets steigenden Erwartungen der Cafégäste freundlich aber bestimmt Grenzen setzen? Das Café soll ja eine einfache Anlaufstelle für Friedhofsbesucher sein und nicht die Betreiberinnen überfordern.


    Und was, zum Geier, ist eigentlich mit Babsis Ehemann Kurt los? Da deutet sich eine handfeste Ehekrise an – und nicht erst, seit Babsi sich im Café engagiert. Aber warum? Babsi hat keine Ahnung und ihr Kurt sagt nix. Können die Damen vom Seelencafé hier helfen?


    Die Geschichte ist nicht hochdramatisch, sie ist zutiefst menschlich. Die Autorin kennt ihre dörflichen Pappenheimer und die Sprüche, die sie gewöhnlich raushauen. Und weil sie das hier mundartlich gefärbt – aber dennoch verständlich – tun, höre ich sie geradezu reden. Ob Menschen am Wohnort der Autorin sich oder andere in dem Roman wiedererkennen? Es würde mich nicht wundern!


    Wenn man zusammenarbeitet und miteinander statt übereinander spricht, lassen sich viele Probleme erstaunlich schnell und gut lösen. So fix wie hier im Buch geht’s im realen Leben leider nicht immer, aber das Prinzip stimmt. Und so ist die Geschichte herzerwärmend, humorvoll und unterhaltsam. Und ein bisschen kriegen die biederen und „schaffigen“ Schwäbinnen und Schwaben auch ihr Fett weg.


    Nur der Obersaboteur des Seelencafés ist für meinen Geschmack ein wenig zu billig davongekommen … 😊Dieser Person hätte ich gerne ordentlich heimgeleuchtet. Denn das, was die sich geleistet hat, war schon ein starkes Stück!


    Die Autorin


    Inge Zinßer, Jahrgang 1954, ist Buchhändlerin in Rente. Sie lebt im schwäbischen Hochdorf und hat bereits mehrere Regionalkrimis mit schwäbisch heiterer Note veröffentlicht, die eine wachsende Fangemeinde haben. Wenn man einmal nicht weiß, wo sie gerade ist, findet man sie mit Sicherheit in der nächsten Buchhandlung. Durch ihren Ehemann, der jahrzehntelang Gräber gebaggert hat, ist sie mit dem lokalen Friedhofswesen und seinen Eigenheiten bestens vertraut. Kein Wunder, dass zwei ihrer vier Kriminalromane auf schwäbischen Friedhöfen spielen, so auch ihr neuester Roman „Das kleine Seelencafé“.

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    Sybille Baecker: Sturm über den Highlands. Kriminalroman, Köln 2022, Emons-Verlag, ISBN 978-3-7408-1360-4, Softcover, 348 Seiten, Format: 13,2 x 2,7 x 20,3 cm, Buch: EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Was ging in diesem Dorf vor? Der schönste Ort Schottlands, dachte sie zynisch, in dem ein Verbrechen nach dem anderen geschah. Sie hätte in Portgordon bleiben und den Seehunden beim Sonnenbaden zusehen sollen. (Seite 215)


    Dieser Kriminalroman spielt im rauen schottischen Norden, im 300-Seelen-Kaff Thybster. Am Anfang hat man das Gefühl, alle Bewohner auf einmal kennenlernen zu müssen, aber es ist gar nicht so kompliziert.


    Der Hauptcast


    Im Mittelpunkt stehen zwei Geschwisterpaare, die miteinander aufgewachsen sind. Die Johnson-Schwestern Alison und Jeana waren die vernachlässigten Töchter eines durchgeknallten Hippiepärchens, weshalb sich der knurrige Schäfer Douglas MacKeith und seine Frau Moira ihrer angenommen haben. So sind sie zu Ziehgeschwistern von Grace und Marley MacKeith geworden. Die Hippie-Eltern sind längst über alle Berge, die Töchter, inzwischen Mitte 30, leben immer noch in der Gegend.


    • Alison Dexter, geborene Johnson, glücklich aber wenig lukrativ von dem windigen Geschäftsmann Samuel Dexter geschieden, wohnt in Inverness, arbeitet als Privatermittlerin und ist seit drei Jahren mit dem verheirateten Ingenieur Hamish Brannigan liiert.
    • Jeana Johnson, Alisons Schwester, führt zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Joyce Sandison Thybsters einzigen Pub. Nicht alle kommen damit klar, dass die Kneipe von einem Frauenpaar betrieben wird. Bei der attraktiven Jeana wäre manch einer selbst gern gelandet.
    • Grace MacKeith ist Polizistin und immer noch eng mit ihren Ziehschwestern befreundet. Sie ist mit Randall, einem Offizier der Handelsmarine, zusammen, der berufsbedingt nur selten zuhause ist. Mit ihrem Vater Douglas kommt sie ebenso wenig klar wie ihr Bruder Marley.
    • Marley MacKeith, selbstständiger Zimmerer und Küfer, hat permanent Zoff mit seinem Vater. Die beiden sind sich in gar nichts einig. Früher konnte Mutter Moira noch vermitteln, aber die hat die Familie schon vor Jahren verlassen. Marley lebt und arbeitet allein. Er ist ein anständiger Kerl, jedoch nicht ganz einfach im Umgang: stur wie sein Vater und impulsiv wie seine Mutter.


    Was geht vor im Dorf Thybster?


    Darum geht’s: Als Douglas MacKeith eines der Schafe seiner Farm mit durchgeschnittener Kehle auf der Weide findet, denkt er zunächst an die Tat eines Verrückten oder besoffener Teenager und macht kein Aufhebens davon. Auch die aggressiven Versuche eines Interessenten, ihm die Farm abzukaufen, behält er für sich. Er verschweigt noch mehr. Aber in einer kleinen Gemeinde bleibt nichts auf Dauer geheim. Weitere Tiere werden sinnlos abgeschlachtet, und die Dörfler fragen sich angstvoll, was dahintersteckt.


    Noch mehr Unruhe kommt ins Dorf, als Alison Dexter bei einem Besuch eine deutsche Touristin mitbringt. Kimberley Hart hat ziellos und verloren gewirkt, als Alison ihr begegnet ist, und so hat die Privatdetektivin ihr kurzerhand Thybster als „schönsten Ort Schottlands“ schmackhaft gemacht und sie bei ihrer Schwester Jeana im B&B einquartiert.


    Eine Touristin mit Geheimnissen


    Viel erfahren wir nicht über die wortkarge junge Deutsche. Sie ist anscheinend eine Sportlerin, hat Hamburg Hals über Kopf verlassen und ist vor etwas auf der Flucht. Sie muss Furchtbares erlebt oder getan haben.



    Fakt ist, dass sich die rätselhaften und gewaltsamen Ereignisse häufen, seit Kimberley im Ort ist. Schafsmorde, Drohbriefe, Brandstiftung und Überfälle auf arglose Dorfbewohner:innen. Aber was soll das alles? Will hier jemand Leute von ihren Grundstücken vertreiben? Wozu?


    Widerwillig fragt Alison ihren Ex-Gatten Samuel um Rat. Denn wenn sich einer mit krummen Geschäften auskennt, dann er. Er hat auch prompt eine Idee …


    Jetzt überschlagen sich die Ereignisse. Nach einer durchzechten Nacht hat Marley MacKeith einen Filmriss. Hat er wirklich im Rausch einen brutalen Überfall begangen? Die Polizei verdächtigt ihn, doch er kann sich an nichts erinnern. Und dann ist tatsächlich jemand so leichtsinnig, sich auf eine direkte Konfrontation mit Kimberley Hart einzulassen. Nach allem, was der Leser sich inzwischen über sie zusammengereimt hat, ist das nicht sehr clever …


    Privatdetektivin Alison Dexter ermittelt


    Ich mochte das Personal und die Gegend. Mit Alison Dexter und ihrer (Zieh-)Familie werde ich gerne noch weitere Kriminalfälle lösen – und zusehen, ob und wie die Leute ihr Privatleben auf die Reihe kriegen. Da ist ja noch Luft nach oben. 😊


    STURM ÜBER DEN HIGHLANDS ist in der Tat Band 1 einer Reihe und hat das bekannte Handicap fast aller Auftakt-Bände: Es müssen erst einmal die wichtigsten Personen, ihre Beziehungen untereinander und ihre Vorgeschichte eingeführt werden. Deswegen dauert es hier auch, bis wirklich Schwung in die Geschichte kommt. Die Folgebände, in denen man nicht mehr so viel erklären muss, weil man die Heldin, ihre Fähigkeiten und ihr Netzwerk schon kennt, können dann schneller auf den Punkt kommen und tun es hoffentlich auch. Bei Band 2 bin ich auf jeden Fall mit dabei und werde berichten.


    Die Autorin


    Sybille Baecker ist gebürtige Niedersächsin und Wahlschwäbin. Sie liebt das Ländle, ihr Herz schlägt aber auch für die Highlands und die rauen Küsten Schottlands, die sie immer wieder gern und ausgiebig bereist. Ebenso hegt sie ein Faible für den Scotch Whisky. Die Fachfrau für »Whisky & Crime« ist Autorin der erfolgreichen Krimiserie um den Kommissar und Whiskyfreund Andreas Brander. 2020 wurde sie mit dem Arbeitsstipendium des Autorinnennetzwerkes Mörderische Schwestern ausgezeichnet. Mehr Informationen sowie aktuelle Veranstaltungstermine gibt es unter www.sybille-baecker.de