Wir sind quitt, Messieurs!
Zweimal habe ich diesen Text gelesen, beide Mal mit Kopfschütteln. Denn genau wie Miramis frage ich mich, wo hier Marguerite Gautier geblieben ist. Nicht, daß sie mir so insgesamt nicht etwas besser gefiele, aber es paßt eben nicht zu dem, was mir aus der Kameliendame entgegensprach.
Da ist zum einen ihr Umgang mit ihrer Krankheit. Sie hadert zwar damit, ja, aber der übersteigerte Lebenswandel dient hier weniger der Ablenkung der verlorenen oder unmöglichen Liebe zu Armand, sondern zur – man kann es fast kaltblütig nennen – Beschleunigung der Krankheit und einer bewußten Herbeiführung des Todes.
Auch ihre Bewertung der Beziehung zu Armand und der gemeinsam verlebten Zeit bekommt hier einen ganz anderen Anstrich. Gut, sie stellt schon fest, daß sie sich in ihn verliebt habe und daß das keine gute Idee gewesen sei (was für eine Kurtisane vermutlich sogar stimmt, wenn sie ihrem Beruf noch treu bleiben will), aber sie wischt die Zeit doch leichter Hand fort. Gerade für ein Selbstgespräch, das doch eher zur Ehrlichkeit „verführen“ sollte, finde ich das erstaunlich. Sollte das wirklich ihre Einstellung gewesen sein, so daß Armands Vater quasi offene Türen eingerannt hat? Im Grunde macht sie sogar deutlich, daß sie Armand ein wenig verachtet: „Warum wollte er nicht mein Liebhaber sein. Ich konnte ihn mir leisten (...) Ich habe für das, was ich besitze, etwas getan. (...) Und er –? Er bekommt seine jährlichen Bezüge für nichts. Dafür, daß seine Mutter vermögend war und er sie beerben konnte.“ Aber im Grunde ist das vielleicht eher der Versuch, sich selbst zu überzeugen, wie auch bei der von Miramis schon zitierten Stelle: „Wir waren ein paar Wochen glücklich miteinander, das genügt doch. Das muß doch genügen!“ Wem? Armand oder ihr selbst? Dahinter steht für mich eigentlich auch noch ein unausgesprochenes Fragezeichen.
Auch das fiktive Gespräch mit Armands Vater als Kleiderpuppe ist so gar nicht nach meinem Geschmack. Sie ist kratzbürstig und stellenweise sogar frech zu ihm. Sie pocht auf ihre Stellung als Kurtisane und kehrt die unabhängige Frau heraus - da macht sie sich aber ganz schön was vor. Sie war niemals unabhängig. Immer war da ein Mann, dem sie zu Willen sein musste, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen; frei war sie nur in ihrer Wahl. Aber darauf stützt sie sich, daraus bezieht sie ihr Selbstbewusstsein. "Monsieur Duval! Vor Ihnen steht eine unabhängige Frau! Wenn ein Liebhaber anfängt, mich zu langweilen, schicke ich ihn weg." Und um das zu beweisen, bietet sie sogar ihm, dem Vater ihres Geliebten, ihre Dienst an.
Das hat mich auch irritiert, denn natürlich hast Du recht damit, daß sie zwar in der Wahl des Wer frei sein mag, aber nicht in der des Ob. Und deshalb finde ich es auch merkwürdig, daß sie sich selbst so niedrig ansetzt, wenn sie den finanziellen Ruin einiger ihrer Liebhaber mit ihrem gesundheitlichen verrechnet und dabei ein „Wir sind quitt!“ erreicht. Ich würde sagen: Schlechtes Geschäft, auch wenn der Genuß des kurzzeitgen und vorübergehenden Luxus für sie sicher einen grundsätzlich anderen Stellenwert hat als für mich.
Wie gesagt, mir ist eine etwas kaltschnäuzigere Marguerite durchaus lieber, aber es ist einfach in keinster Weise die Marguerite, die wir aus dem Roman kennen. Da hat Brückner meiner Ansicht nach Darstellungsmöglichkeiten verschenkt.
Schönen Gruß,
Aldawen
P.S.: Miramis: Gern geschehen