J.M. Coetzee - Warten auf die Barbaren

Es gibt 22 Antworten in diesem Thema, welches 6.498 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von mombour.

  • Hallo ihr!


    Sorry, dass der Thread so spät kommt, aber ich bin gerade erst zur Tür rein.


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    [hr]


    Aus der Amazon.de-Redaktion:


    Nachts kommen die Barbaren. Bis dahin müssen die Tore verrammelt und die Ziegen in die Stadtmauern zurückgeholt worden sein. Denn angeblich haben die Nomaden in den Wüsten des "Reichs" nichts als Mord und Plünderung im Sinn, und kürzlich soll ein Mädchen von ihnen vergewaltigt worden sein. Deshalb haben die Kinder schlechte Träume, aus denen sie schweißgebadet erwachen. "'Die Barbaren sind da!', schreien die Kinder und sind nicht mehr zu beruhigen".


    Eigentlich sind es also nur die eigenen Ängste und Hirngespinste, die die Figuren in J. M. Coetzees Roman haben Gestalt werden lassen -- Projektion nennt das die Psychologie. Den "Barbaren" indes hilft das wenig: Wer in Gefangenschaft gerät, wird gnadenlos gefoltert. So soll seine Schuld bewiesen und in den unter Schmerzensschreien erzwungenen Geständnissen der "Ton der Wahrheit" hörbar werden. Nur im Magistrat der Stadt (dem Ich-Erzähler) finden die Verfolgten schließlich einen Fürsprecher. Als er einem misshandelten Mädchen Unterschlupf gewährt und dadurch in Verruf gerät, muss er erkennen, das es allein der Willkür des Regimes obliegt, wer zum Barbaren gestempelt wird und wer nicht.


    [hr]


    Teilnehmer:


    Saltanah
    mombour
    Aldawen


    [hr]


    Viel Spaß, fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Hallo Saltanah, Aldawen


    Coetzee lässt offen, in welchem Land der Roman spielt, und wann er spielt. Es werden aber Notstandsgesetze erwähnt. Es ist doch warscheinlich, dass Coetzee eine bestimmte Ära des Arpatheidsregimes umschreibt: Willkürliche Verhaftungen, Folter usw. 1980 war Südafrika in Kämpfe mit Simbabwe verwickelt.


    In der Zwickmühle ist doch der Magistrat, dessen Name wir nicht wissen. Es wär ihm am liebsten, er würde das alles gar nicht mehr mitmachen. Er wünscht sich einen ruhigen Dienst so kurz vor der Rente, kann aber die Gewalt gegen die sog. Barbaren nicht verhindern.


    Coetzee hat diese Ungerechtigkeit, diesen Irrsinn, diese Gewalt an unschuldigen Menschen mit Lakonie sehr eindringlich erzählt, dass einem die Spucke wegbleiben muss. Darum ist der Roman schon jetzt zu empfehlen.


    Der Roman wird gerne mit Kafkas "Proceß" verglichen. Bei Kafka gehe es um die Schuld und K. verhält sich immer falsch, und hier, der Magistrat: "Ich wollte nie mehr als ein ruhiges Leben in ruhigen Zeiten."


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo liebe Mitleser :winken:


    Gestern abend habe ich das erste Kapitel gelesen, aber ich hätte nur schwerlich sofort posten können. Die Diskrepanz zwischen dem, was Coetzee hier erzählt, und der fast leichten und lockeren Sprache, in der dieses Erzählte daherkommt, hat mich schlucken lassen. mombour, Du hast die Sprache „lakonisch“ genannt; das ist sie sicher, aber eben nicht nur und dieser Kontrast hat es von Beginn an in sich.



    Coetzee lässt offen, in welchem Land der Roman spielt, und wann er spielt. Es werden aber Notstandsgesetze erwähnt. Es ist doch warscheinlich, dass Coetzee eine bestimmte Ära des Arpatheidsregimes umschreibt: Willkürliche Verhaftungen, Folter usw.


    Ich denke, diese Offenheit ist Absicht. Nicht nur, daß der Name des „Reiches“ nicht genannt wird, es wird auch durch Anachronismus gekennzeichnet. So trägt der Oberst einerseits Sonnenbrille, fährt aber in einer Kutsche. Offensichtlich wollte Coetzee hier schon darauf verweisen, daß er eben nicht nur ein bestimmtes Land zu einer bestimmten Zeit im Blick hat, auch wenn er durch die herrschenden Umstände jener Zeit in Südafrika sicher beeinflußt war.



    1980 war Südafrika in Kämpfe mit Simbabwe verwickelt.


    Richtig ist, daß gerade Südafrika mit seinem Apartheidregime für die weißen Siedler in Rhodesien der natürliche Verbündete war, und diese auch unterstützt hat. Die afrikanischen Gruppen, die im damaligen Rhodesien für eine Beteiligung an der Regierung resp. die Unabhängigkeit kämpften, hatten allerdings Rückzugsräume in nahezu allen Nachbarstaaten. Auf Grund der internationalen Haltung zu Rhodesien war auch abzusehen, daß eine Unabhängigkeit unter schwarzer Mehrheitsregierung kommen würde, wie es in fast allen anderen Ländern Afrikas schon der Fall gewesen war. Bei den ersten freien Wahlen im Februar 1980 siegte Mugabes ZANU vor Nkomos ZAPU. Die Machtübergabe war quasi vollzogen. Dazu kam, daß Südafrika wegen seiner Apartheid-Politik schon unter Druck stand, 1981 wurden die ersten UN-Sanktionen gegen das Land beschlossen, das Commonwealth hatte man schon 1961 freiwillig verlassen, weil klar war, daß die asiatischen und afrikanischen Mitglieder den Apartheid-Staat nicht in dieser „Organisation“ dulden würden. In einer solchen Konstellation kann leicht ein allgemeines Bedrohungsgefühl wachsen, das durchaus Pate für die hier von Coetzee skizzierte Angst vor den „Barbaren“ gestanden haben mag.



    Der erzählende Magistrat. Er scheint mir trotz seines Wunsches nach einem ruhigen Leben kein typischer Mitläufertyp zu sein. Das äußert sich an vielen Kleinigkeiten, in denen er Spielräume nutzt: wenn er dem Jungen etwas zu essen geben und die Fesseln lockern läßt, wenn er die Gefangenen vor den Blicken der Gaffer schützen läßt. Und vor allem dadurch, daß er nicht, wie er selbst sagt, einfach ein paar Tage verschwindet und nach dem Motto „Was ich nicht sehe, passiert auch nicht“ den Oberst einfach handeln läßt. Da deutet sich schon Zivilcourage an.


    Aber eine Frage: Kann mir jemand erklären, was die Szene auf S. 28 der TB-Ausgabe (der Traum mit den Bienen auf dem Körper) zu bedeuten hat? Davor stehe ich ziemlich ratlos :confused:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo,


    den Traum kann ich nur im Hinblick auf Kapitel II erläutern, in dem wir über des Magristaten Verhältnis zur Erotik erfahren.


    Zitat

    Je älter ein Mann ist,desto grotesker kommt den Leuten sein Paarungsverhalten vor, wie die Zuckungen eines sterbenden Tieres.


    Nebenbei: Hier scheint sich Coetzee auf Verse von William Butler Yeats zu beziehen (wie später Philip Roth in einem Roman es tut).


    Zitat von Yeats (aus "Das sterbende Tier" von Roth):


    Zitat

    Verzehr mein Herz/ krank vor Begehren und/ Gefesselt an das sterbende Tier/ Weiß es nicht, was es ist...


    Wie wir dann weiter kombinieren können, fühlt sich der Magistrat in Sachen Erotik aufgrund seines Alters doch sehr weit weg. Er kann sich mit diesen Leidenschaften nicht mehr identifizieren. Zum Traum nun: Die Bienen können den Stachel der Leidenschaft symbolisieren, der aber wegfliegt, d.h. die Leidenschaft erlischt. Hier mögen nun andere Leser auch etwas anderes sehen können. Das ist nur eine Idee von mir.


    Ja, der Magistrat ist gegen diese willkürlichen Festnahmen (die Fischer). Bin gespannt, ob er etwas dagegen unternehmen kann. Oder ist er als Einzelner vielleicht machtlos? Nun, wir werden sehen.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Verd*** Computer! Gerade hat er mir meinen schönen, langen Beitrag gefressen! :grmpf:


    Hier die Kurzform:
    Als Mitläufer würde ich den Magistrat nicht ansehen. Dazu reflektiert er zu viel über das, was geschieht und auch über seine eigene Handlungsweise. Zwar wünscht er sich halb, die Augen doch verschlossen zu haben (er hätte doch eine Jagdtour unternehmen können und wäre so nicht gezwungen gewesen, zu erfahren, was geschah), aber diesen Ausweg konnte er nicht nehmen. Dazu fehlt es ihm an Unmenschlichkeit oder zumindest an Abstand zu seinen Mitmenschen, zu denen er eben auch die Barbaren zählt.


    Probleme macht mir immer noch die Präsensform. Nur in ganz wenigen Büchern ist es mir gelungen, darüber hinweg zu lesen, aber dieses gehört nach einem Drittel leider nicht zu ihnen. Immer wieder stolpere ich über die "falschen" Verbformen. Schade.


    Was ich von zweiten Kapitel halten soll, weiß ich noch ncht ganz. Was macht der Magistrat mit der Frau? Eine sexuelle Komponente ist dabei, aber nur darum geht es ihm wohl nicht - seine sexuellen Bedürfnisse stillt er ja üblicherweise woanders. Aber auch ihm selbst ist es nicht wirklich klar, was er von der Frau eigentlich will. Und was will sie von ihm? Anfangs sicher nur überleben, bzw. auf möglichst angenehme Art leben, aber im Laufe der Zeit müsste auch sie ein Verhältnis zu ihm aufgebaut haben. Durch die Sprachlosigkeit, die zwischen den beiden herrscht, erfahren wir ebensowenig über sie, wie der Magistrat selbst.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich habe jetzt auch das zweite Kapitel gelesen und stelle mir im Prinzip die gleichen Fragen wie Du, Saltanah. Vor allem weiß ich noch nicht, welche Funktion die Überlegungen des Magistrats über seine Sexualität mit den Planungen des „Reiches“ gegenüber den Barbaren zu tun hat. Es schimmert ja immer wieder mal durch, daß der Magistrat glaubt, letztlich das Mädchen ebenfalls, wenn auch mit anderen Mitteln als der Oberst, zu quälen. Auch Reden und Fragen kann furchtbare Effekte haben, aber ist es das hier? Das scheint mir etwas abseitig, selbst wenn man es darauf bezieht, daß er damit das Mädchen in seiner sowieso schon beschädigten Würde noch weiter verletzt.



    Zum Traum nun: Die Bienen können den Stachel der Leidenschaft symbolisieren, der aber wegfliegt, d.h. die Leidenschaft erlischt. Hier mögen nun andere Leser auch etwas anderes sehen können. Das ist nur eine Idee von mir.


    Das könnte sein, aber mir fehlt, s. o., bei diesen sexuellen Geschichten (noch?) die Verbindung zum Rest.



    Ja, der Magistrat ist gegen diese willkürlichen Festnahmen (die Fischer). Bin gespannt, ob er etwas dagegen unternehmen kann. Oder ist er als Einzelner vielleicht machtlos?


    Es gibt wohl meist einen Grad zwischen Machtlosigkeit und Handlungsfähigkeit, der sich aber in schmalen Handlungsspielräumen erschöpfen kann. Die Frage ist eher, ob man gewillt ist, sie nutzen, auch wenn (und gerade wenn) dies mit Gefahren für den Handelnden selbst verbunden ist. Das können trivialerweise Karriereknicke genauso sein wie existentielle Bedrohungen. Bislang handelt der Magistrat noch vorsichtig, ich habe das Gefühl er testet auch ein bißchen die Grenzen aus, wie weit er gehen kann, ohne sich in Schwierigkeiten zu bringen. Das Gespräch mit dem jungen Leutnant zeigt aber schon, daß er mit seiner Sicht ziemlich allein stehen dürfte, jedenfalls unter den „Funktionsträgern“. Und daß die „durchschnittliche“ Bevölkerung sich auf seine Seite schlagen würde, halte ich für recht unwahrscheinlich.



    Probleme macht mir immer noch die Präsensform. Nur in ganz wenigen Büchern ist es mir gelungen, darüber hinweg zu lesen, aber dieses gehört nach einem Drittel leider nicht zu ihnen. Immer wieder stolpere ich über die "falschen" Verbformen. Schade.


    Erstaunlicherweise stört mich das bisher überhaupt nicht, es ist mir nicht mal richtig aufgefallen ...


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo,


    ja, ist schon merkwürdig die Beziehung des Magistraten zu dem Mädchen. Die Beziehung ist sehr oberflächlich, ohne tiefgehende Emotionen und ohne Bindung. Das zeigt dieses Zitat:



    Vielleicht weil sie eine Barbarin ist, er aber nicht.


    Dieses Kapitel, und auch die folgenden zeigen, dass der Magistrat mit seinem Umgang mit den Barbaren, und mit seinen Forderungen nach Menschlichkeit ziemlich allein und einsam da steht.


    Einsamkeit - das ist das Wort. Der Magistrat ist einsam in seinen Handlungen. Die ganze Umgebung, die Menschen und im Kapitel 3 auch die Landschaft, sind gegen ihn gerichtet.


    Aus Kapitel 3 folgendes Zitat:



    Es kommt noch mehr Unbehagen auf, wenn wir dieses Kapitel weiterlesen, und es zeigt, wie unwirtlich und gefährlich diese Landschaft für die Menschen werden kann. Nur wenige Worte benötigt der Autor um gewünschte Stimmung zu verbreiten.


    Seine Art zu schreiben mag ich sehr, der Präsens ist mir auch nicht gleich aufgefallen. Ich denke, dass ist Geschmacksache. Aber hier passt es doch. Es ist eine Ich-Erzählung. Dass wir den Namen des Protagonisten nicht kennen ist auch, so denke ich, Absicht. Das macht den Protagonisten noch anonymer, noch einsamer in seinen Handlungen, die ja, was die Menschenrechte u.ä. angehen, sehr tugendhaft sind.


    Ich bin schon am Ende des vierten Kapitels, weil ich mit Lesen nicht aufhören kann.


    Liebe Grüße
    mombour


  • ja, ist schon merkwürdig die Beziehung des Magistraten zu dem Mädchen. Die Beziehung ist sehr oberflächlich, ohne tiefgehende Emotionen und ohne Bindung. Das zeigt dieses Zitat:



    Vielleicht weil sie eine Barbarin ist, er aber nicht.


    Das ist ein sehr vielsagendes Zitat, das tatsächlich die Beziehungslosigkeit der beiden gut illustriert. Allerdings sehe ich den Grund des großen Distanz zwischen den beiden nur indirekt darin, dass sie eine Barbarin ist. Für mich ist es eher ein Machtproblem: er bestimmt vollkommen über sie, so wie auch der Folterer über seine Opfer bestimmte. Ich finde es sehr hellsichtig, dass der Magistrat diese Parallele wahrnimmt. Allerdings macht dies die Beziehung der beiden noch unangenehmer als sie sowieso schon ist.



    Einsamkeit - das ist das Wort. Der Magistrat ist einsam in seinen Handlungen. Die ganze Umgebung, die Menschen und im Kapitel 3 auch die Landschaft, sind gegen ihn gerichtet.


    Die Einsamkeit wird von der Sprachlosigkeit noch verstärkt. Der Magistrat spricht "eine andere Sprache" als die anderen Menschen seiner Umgebung. Teilweise ganz konkret, wie im Fall der Barbarin; irgendwo steht, dass sie sich in einer Art Pidgin verständigen, das keine tiefere Kommunikation zulässt. Aber auch mit "seinesgleichen", z. B. dem jungen Offizier oder dem Folterer kann er sich nicht wirklich verständigen; hier steht ein unterschiedliches Menschen- und Weltbild im Wege.
    Illustriert wird dies auch dadurch, dass niemand im Buch (oder irre ich mich) einen Namen hat.


    Leider habe ich gestern nicht weiterlesen können, weil mich die Grippe gepackt hat und mein Kopf für anspruchsvolle Literatur zur Zeit nicht zu gebrauchen ist. Aber ich werde heute wieder einen Versuch starten.


    Viele Grüße,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()


  • Für mich ist es eher ein Machtproblem: er bestimmt vollkommen über sie, so wie auch der Folterer über seine Opfer bestimmte. Ich finde es sehr hellsichtig, dass der Magistrat diese Parallele wahrnimmt. Allerdings macht dies die Beziehung der beiden noch unangenehmer als sie sowieso schon ist.


    Das war's irgendwie, was ich oben auch sagen wollte, aber ich hab's nicht so zu fassen gekriegt. Danke!



    Illustriert wird dies auch dadurch, dass niemand im Buch (oder irre ich mich) einen Namen hat.


    Zumindest der folternde Oberst hatte einen Namen: Oberst Joll. Das ist natürlich bemerkenswert. Warum hat ausgerechnet die häßlichste Figur einen Namen, alle anderen aber nicht? Muß man das Unrecht, das Grauen benennen können, um dagegen anzugehen?


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Ein tolles drittes Kapitel!
    Hier hat mich das Buch total gefesselt. So sehr, dass mich selbst der Präsens nicht mehr stört. Die Beschreibung der unwirtlichen, gefährlichen Natur ist ebenso eindrucksvoll wie die langsame Annäherung des Magistrats und der Barbarin. Hier können sie endlich "gleichberechtigt" einander gegenüber treten, das Machtgefälle ist aufgehoben und so ist zum ersten Mal eine wirkliche Kommunikation möglich. Wenn der Magistrat dies auch früher erahnt haben mag, merkt er erst jetzt wirklich, was ihm in der "Beziehung" zu der Frau entgangen war.


    Zwischendrin dann Hinweise auf die moralisch fragwürdige Handlungsweise des Empire, wenn der Magistrat erwähnt, dass die Barbaren früher in der Ebene gelebt haben, aber vom Empire in die Berge verdrängt wurden (wo, kann man annehmen, die Lebensbedingungen schwieriger als in der Ebene sind). Ebenso stellt sich mir die Frage, was das Empire denn jetzt noch von den Barbaren will, wieso die neue Kampagne?


    Übrigens spielt das Buch in meinem Kopf mittlerweile in Asien, im Iran oder Afghanistan oder auch weiter nördlich in einem der ex-sowjetischen -stans. Nicht dass das von Bedeutung wäre, die Anonymität nicht nur der handelnden Personen sondern auch des Handlungsortes hat Coetzee bewusst gewählt, aber ich will meine Vorstellungen immer gerne irgendwo "verankern". Das "Empire" ist für mich natürlich das britische Empire, wobei ich allerdings beschämt bekennen muss, dass ich keine Ahnung habe, wo die Briten in Asien (außer Indien natürlich) eigentlich überall waren.


    Jetzt muss ich noch nachgucken, welche Vogelarten zu Beginn des dritten Kapitels angeflogen kommen und dann geht's weiter ins 4. Kapitel. Bisher waren mir nur "mallards" (Stockenten) begegnet, die anderen Arten sind mir auf englisch unbekannt. Pflanzen-, Tier- und Vogelnamen gehören zu den Wortkategorien, die ich immer nachschlage.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Ebenso stellt sich mir die Frage, was das Empire denn jetzt noch von den Barbaren will, wieso die neue Kampagne?


    Die Frage kann ich dir beantworten. Es ist eben ein Irrsinn. Das muss in meinen Augen eine ziemlich sadistisch veranlagte Kolonialherrschafft sein. In Kap4 sagt der Magistrat:


    Zitat

    Hier herrscht Frieden.


    Ja , also, was dann noch mit Feldzug. Hier werden Phantome gejagt, Fischer, friedliche Menschen. Der Feldzug , der im Frühling startet, wird demnach wohl ein unsinniges und unmenschliches Unternehmen werden, nur um gierige Macht zu zeigen. Sie roden auch das Schilf vom Fluss, machen das Land kaputt. Ein unerträglicher Haufen.


    Dabei fällt mir noch ein. Der Magistrat ist Hobbyarchäologe und sucht antike Stätten auf, sammelt beschriftete Tonscherben. Es geht eben darum, wer im Land das sagen und, und wenn die Kolonialherren mitbekommen, dass vor ihnen schon mal ein Reich gewesen war, dann waren sie eben nicht die ersten und haben nach menschlichem Verstand auch nicht das Recht, sich als Herren aufzuspielen.


    Im Kapitel IV erfahren wir


    Im dritten Kapitel dachte ich an die Mongolei :zwinker:


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Das dritte Kapitel habe ich zwar weitestgehend am Donnerstag und gestern dann zu Ende gelesen, aber ich kam leider nicht zum Posten. Was das Verhältnis zwischen dem Magistrat und dem Mädchen angeht, da ging es mir ganz ähnlich wie Saltanah. Sie finden endlich eine Form des Umgangs auf Augenhöhe miteinander. Ich hätte es auch unlogisch gefunden, wenn sie mit ihm in die Stadt zurückgekehrt wäre.



    Ebenso stellt sich mir die Frage, was das Empire denn jetzt noch von den Barbaren will, wieso die neue Kampagne?


    Was mombour sagt, mag eine mögliche Antwort sein. Oftmals ergeben sich solche Situationen aber nicht aus Sadismus, sondern aus Angst. Nun könnte man sagen, daß das Reich offensichtlich mächtig genug ist und keine Angst vor den Barbaren haben muß. Aber gerade die Unabhängigkeit dieser Leute kann zu einer (inneren) Gefahr für ein – so wie es hier aufscheint – zentralistisches und nicht gerade rechtsstaatliches System werden. Dann sorgt die Beschäftigung mit „äußeren Feinden“ auch für Ablenkung von Mißständen im Inneren – ein probates Mittel, das von verschiedensten Herrschern und Regimen zu allen Zeiten angewandt wurde.



    Jetzt muss ich noch nachgucken, welche Vogelarten zu Beginn des dritten Kapitels angeflogen kommen und dann geht's weiter ins 4. Kapitel. Bisher waren mir nur "mallards" (Stockenten) begegnet, die anderen Arten sind mir auf englisch unbekannt. Pflanzen-, Tier- und Vogelnamen gehören zu den Wortkategorien, die ich immer nachschlage.


    Der deutsche Übersetzer nennt sie Graugänse, Saatgänse, Spießenten, Pfeifenten, Stockenten, Krickenten, Kleine Sänger. Ich habe keine Ahnung, was die Unterschiede zwischen den verschiedenen Enten z. B. sind, denke aber, daß es für die weitere Handlung nicht wesentlich sein wird :breitgrins:



    Dabei fällt mir noch ein. Der Magistrat ist Hobbyarchäologe und sucht antike Stätten auf, sammelt beschriftete Tonscherben. Es geht eben darum, wer im Land das sagen und, und wenn die Kolonialherren mitbekommen, dass vor ihnen schon mal ein Reich gewesen war, dann waren sie eben nicht die ersten und haben nach menschlichem Verstand auch nicht das Recht, sich als Herren aufzuspielen.


    Viel schlimmer: Man verliert den „zivilisatorischen“ Anspruch bzw. Auftrag und damit eine wichtige Rechtfertigung für das eigene demütigende Verhalten.


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Der deutsche Übersetzer nennt sie Graugänse, Saatgänse, Spießenten, Pfeifenten, Stockenten, Krickenten, Kleine Sänger. Ich habe keine Ahnung, was die Unterschiede zwischen den verschiedenen Enten z. B. sind, denke aber, daß es für die weitere Handlung nicht wesentlich sein wird :breitgrins:


    Wesentlich sicher nicht, aber man könnte z. B. anhand der verschiedenen Verbreitungsgebiete im Zusammenhang mit Hinweisen zu klimatischen und geographischen Gegebenheiten den möglichen (total unwichtigen) Handlungsort genauer feststellen. :zwinker:


    Ich habe eben das 4. Kapitel beendet und bin noch ganz benommen. Großartige Literatur, aber/folglich total ungeeignet als "Lektüre nebenbei" oder zur bloßen Unterhaltung.
    Morgen schreibe ich mehr darüber.


    Tschüss,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo,


    Ich finde das Buch auch großartig. Zum zweiten Mal gehe ich das vierte Kapitel durch. Um den Mitlesern dieses Threads einen tieferen Eindruck zu vermitteln, möchte ich einen sehr beeindruckenden Absatz zitieren:



    Das vierte Kapitel eröffnet uns weitere Perspektiven. Während die Kolonialherren sich unmenschlich benehmen, ja, wie Tiere, so wird man unter Haft, unter Folter, entmenschlicht, zum Tier gemacht.


    Zitat

    Ich schlinge mein Essen wie ein Wolf hinunter. Ein tierisches Leben verwandelt mich in ein Tier.


    Es gibt mehrere Beispiele dieser Art.


    Auch das gefolterte Mädchen war nach ihrer Pein "kein vollwertiger Mensch mehr". Darum konnte auch keine Beziehung irgendwelcher Art zum Magistraten entstehen. Der Magisatrat sei zu spät gekommen heißt es. Weiter über sie:



    Durch Folter abgestumpft.


    Sehr aufschlussreich doch auch der Vergleich der Freiheit zwischen dem Magistraten und dem Wächter. Der Wächter hat doch auch einen stumpfsinnigen Job. Geradezu menschenunwürdig.


    Unbedingt dieses Buch lesen! :winken:


    Liebe Grüße
    mombour

  • Ja, mehrmals werden wir im 4. Kapitel darauf hingewiesen, wie dünn und verletzlich die Eigenschaft "Mensch" eigentlich ist, wie leicht es ist, aus einem Menschen einen Nicht-Menschen zu machen. Es reicht schon, ihm die Möglichkeit zu nehmen, sich zu waschen, die Kleidung zu wechseln und schon haben wir ein ungepflegtes, stinkendes Etwas vor uns, bei dessen Anblick und Geruch der Gedanke an "Menschenwürde" absurd erscheint.
    Noch viel effektiver ist natürlich Demütigung, gerne vor den Augen Unbeteiligter.
    Oder Schmerz; wieviel Mensch ist noch in einem Körper, dessen einziger Gedanke die Schmerzminimierung oder weitere Schmerzverhinderung ist? Da reichen schon ganz "normale" Rückenschmerzen, aber wieviel wirksamer sind nicht mehr oder weniger diffizil ausgedachte Foltermethoden?
    Und natürlich lässt sich all dieses gut miteinander kombinieren. Wie ich schon im Grusel-Lesenachtsthread schrieb, war vor allem das Ende des 4. Kapitels ein einziger, sich immer steigernder Horror für mich, stets mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass mit dem Magistrat doch eigentlich noch relativ glimpflich umgegangen wird!


    Nicht ohne Grund jedenfalls nennt der Magistrat die Angestellten des Empire "neue Barbaren" und redet von der "schwarzen Blume der Zivilisation".


    Interessant (und erschreckend) auch die kurzen Einblicke in die Gedankenwelt und Handlungsweise relativ "Unbeteiligter". Wie schnell ein Zuschauer zum Folterer werden kann! Oder die Frage des Wachsoldaten, "wieso die Barbaren uns nicht alleine lassen. Sie haben doch ihr eigenes Land." Eine solche Verdrehung der Tatsachen! Aber leider sehr glaubwürdig, und von dem Wachsoldaten sicher nicht bewusst so verdreht, sondern einfach nur nachgeplappert.


    Ein hervorragendes Buch!


    Schöne Grüße,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Nachtrag zum 4. Kapitel:
    Hier bekommt noch eine 2. Person einen Namen, nämlich Mandel, der Stellvertreter von Oberst Joll. Interessanterweise fällt der Name erst, als er auch beginnt, sich als Folterer zu betätigen.
    Das Böse hat also einen Namen, alles andere nicht. Darüber muss ich noch eine Weile nachdenken.


    Vorhin habe ich das Buch beendet, muss aber meine Eindrücke erst noch für mich etwas sortieren. Morgen schreibe ich dann was zu den letzten Kapiteln.


    Schöne Grüße,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich habe das vierte Kapitel gestern abend gelesen, aber ich mußte davon Abstand gewinnen. Vieles wird in diesem Kapitel gezeigt, u. a. wie leicht es ist, einen Menschen zu „entmenschlichen“, nämlich durch die simplen Akte, die auch Saltanah schon aufgezählt hat (Verweigerung von Wasch- und sonstigen Pflegemöglichkeiten, unregelmäßiges und eintöniges Essen, Dunkelheit, Bewegungsmangel, Kommunikationsverbot usw. usf.). Der Magistrat unterscheidet sich tatsächlich kaum noch vom Tier. Trotzdem kehrt er freiwillig in die Haft zurück, weil ein „Leben“ unter diesen Bedingungen ihm immer noch – tja, was? besser? – erscheint, als ein Verhungern auf der Flucht. Da stellte sich mir schon die Frage, wieviel ein Mensch ertragen kann, wenn es zumindest die Aussicht auf ein Weiterbestehen des Körpers (von mehr kann ja hier kaum die Rede sein) gibt.


    Aber auch die Mitglieder der Staatspolizei benehmen sich nicht wie zivilisierte Menschen. Die Freude, die sie offensichtlich an der Quälerei anderer Menschen empfinden, sowie ihre Bemühungen, die Bewohner der Ortschaft in ihr Tun mit hineinzuziehen (was natürlich auch eigenen Absicherung dient, wenn der Wind mal drehen sollte: man hat dann nicht allein gehandelt, die Bevölkerung „hat es ja gewollt“ und „stand hinter uns“). Tatsächlich kommt der Magistrat in der Behandlung durch die Staatspolizei noch glimpflich davon, aber nur, wenn man es mit den gefangenen Barbaren vergleicht.



    Oder die Frage des Wachsoldaten, "wieso die Barbaren uns nicht alleine lassen. Sie haben doch ihr eigenes Land." Eine solche Verdrehung der Tatsachen! Aber leider sehr glaubwürdig, und von dem Wachsoldaten sicher nicht bewusst so verdreht, sondern einfach nur nachgeplappert.


    Das sehe ich auch so. Interessant ist vor allem, daß solche Propaganda immer wieder funktioniert, wie ja auch an diversen aktuellen Krisen- und Kriegsschauplätzen beobachtet werden kann. Der Balkan ist dafür nach wie vor ein besonders instruktives Beispiel, wenngleich bei weitem nicht das einzige. Letztlich funktioniert Mobilisierung immer am besten über die Definition von „Wir“- und „Die“-Gruppen.


    Für mich waren vor allem die Reflektionen des Magistrats über die verschiedenen Stufen seiner Entwicklung in der Haft interessant. Ich lese studienbedingt recht regelmäßig Berichte aus Kriegsgebieten, z. B. von der ICG, und so furchtbar diese Berichte in erheblichen Teilen sind, wenn Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung vermerkt werden: Durch die schiere Masse und den nüchternen Ton, der solchen Berichten eigen ist, stumpfe ich zumindest dagegen auch etwas ab. In dieser langsamen Entwicklung des Magistrates ist mir vieles klarer geworden, was das für einen einzelnen Menschen bedeuten muß. Wohlgemerkt: Ich bin sicher, daß ich es nicht ansatzweise nachempfinden kann, aber ein gewisses tieferes Verständnis macht sich – glaube ich – schon breit. Schade nur, daß seine Zivilcourage beim Eintreten für die Barbaren so gar keinen Widerhall bei den Zuschauern findet. Aus Angst vor der Staatspolizei? Aus Freude am gebotenen Schauspiel?



    Nachtrag zum 4. Kapitel:
    Hier bekommt noch eine 2. Person einen Namen, nämlich Mandel, der Stellvertreter von Oberst Joll. Interessanterweise fällt der Name erst, als er auch beginnt, sich als Folterer zu betätigen.
    Das Böse hat also einen Namen, alles andere nicht. Darüber muss ich noch eine Weile nachdenken.


    Das war ja auch schon meine Vermutung etwas weiter oben. Ich denke schon, daß Coetzee nicht ohne Absicht nur den Folterern, den Bösen, Namen gegeben hat, während der Rest namenlos bleibt. In dieser Anonymität liegt eine Art von Allgemeingültigkeit. Es scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, daß wirklich jeder Opfer werden kann, aber vielleicht doch nicht jeder Täter – was immerhin etwas beruhigendes hat.


    Ich werde das Buch wohl gleich auch noch zu Ende lesen, dann kann ich nur hoffen, daß ich mich auch zu einem Fazit in der Lage fühle. Das wird vermutlich frühestens morgen sein.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Nachtrag, der mir gerade einfiel, als ich mich an die letzten Seiten setzen wollte und der sich nochmals hieran anschließt:



    Oder die Frage des Wachsoldaten, "wieso die Barbaren uns nicht alleine lassen. Sie haben doch ihr eigenes Land." Eine solche Verdrehung der Tatsachen! Aber leider sehr glaubwürdig, und von dem Wachsoldaten sicher nicht bewusst so verdreht, sondern einfach nur nachgeplappert.


    Diese Frage gewinnt eine besondere Absurdität in Verbindung mit dem davor Gesagten und den wegen des von den Barbaren durchbohrten Dammes überfluteten Feldern:


    Zitat


    Wir sprechen über die Barbaren und ihre verräterische Art. Sie stellen sich nie zum offenen Kampf, sagt er; ihre Art ist es, sich von hinten an dich anzuschleichen und dir ein Messer in den Rücken zu stoßen.


    Weil die Barbaren, die offensichtlich zahlenmäßig weniger sind als die Bewohner des Reiches und zudem schlechter bewaffnet (wenn wir von der Bewaffnung bei der Begegnung des Magistrats mit ihnen Rückschlüsse ziehen dürfen) und außerdem auch noch vom Reich sogar in ihren Rückzugsgebieten verfolgt werden, sich mit den ihnen möglichen Mitteln wehren und dabei nicht die Absicht haben, ins offene Messer zu laufen, werden sie zu verräterischen, feigen und heimtückischen Gegnern deklariert, gegen die natürlich erst recht wieder jedes Mittel und jeder Einsatz gerechtfertigt ist. Widerlich!


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Weil die Barbaren, die offensichtlich zahlenmäßig weniger sind als die Bewohner des Reiches und zudem schlechter bewaffnet (wenn wir von der Bewaffnung bei der Begegnung des Magistrats mit ihnen Rückschlüsse ziehen dürfen) und außerdem auch noch vom Reich sogar in ihren Rückzugsgebieten verfolgt werden, sich mit den ihnen möglichen Mitteln wehren und dabei nicht die Absicht haben, ins offene Messer zu laufen, werden sie zu verräterischen, feigen und heimtückischen Gegnern deklariert, gegen die natürlich erst recht wieder jedes Mittel und jeder Einsatz gerechtfertigt ist. Widerlich!


    Das hast du sehr schön auf den Punkt gebracht!


    Das war ja auch schon meine Vermutung etwas weiter oben. Ich denke schon, daß Coetzee nicht ohne Absicht nur den Folterern, den Bösen, Namen gegeben hat, während der Rest namenlos bleibt. In dieser Anonymität liegt eine Art von Allgemeingültigkeit. Es scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, daß wirklich jeder Opfer werden kann, aber vielleicht doch nicht jeder Täter – was immerhin etwas beruhigendes hat.


    Genau, ich wollte deine Vermutung damit noch untermauern.
    Es ist in der Tat ein beruhigender Gedanke, dass vielleicht nicht jeder Täter werden kann, irgendwie zu beruhigend. Damit könnten wir uns anonym und selbstzufrieden zurücklehnen, in dem Bewusstsein, dass _wir_ (und unsere Freunde) _so was_ nie tun würden. Ich suche noch nach einer anderen Erklärung, aber ohne Erfolg.
    Will Coetzee vielleicht auf die Notwendigkeit hinweisen, dem Bösen ein Gesicht (einen Namen) zu verleihen, damit sich niemand hinter einem "die anderen waren es" oder "jemand hat es getan", einem "es geschah" verstecken kann? Will er darauf hinweisen, dass böse Handlungen immer von einem wirklichen Menschen getan werden, der, eben auch anders hätte handeln können? Dass sich hinter der Henkersmaske ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein bestimmtes Individuum versteckt?
    Vielleicht, aber andererseits ist es doch ebenso wichtig zu zeigen, dass auch jedes Opfer ein einzelner, einzigartiger Mensch ist, der trotz aller Bemühungen der Folterer, ihn zu entmenschlichen, doch ein Individuum mit einer eigenen Geschichte, einem eigenen Namen ist?
    Es ist mir also weiterhin unklar, wieso Coetzee nur eine Seite, und zwar die Böse, benamt.


    Tschüss,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Es ist in der Tat ein beruhigender Gedanke, dass vielleicht nicht jeder Täter werden kann, irgendwie zu beruhigend.
    Es ist mir also weiterhin unklar, wieso Coetzee nur eine Seite, und zwar die Böse, benamt.


    Das ist die Frage, ob Coetzee nur die eine Seite des Bösen benennt. Ich meine, die Seite vom Magistraten soll hier ebenbürtig zu Tage kommen. Der Magistrat kritisiert sich selber, macht sich Vorwürfe, weil er sich nicht für die Gerechtigkeit der Barbaren einsetzen kann. Im entscheidenen Moment findet er nicht die rechten Worte, nur ein Nein und wird dann selber geschlagen. Er findet keine Kraft, weil er zermürbt wird. Anstatt den Barbaren helfen zu können, wird er "wie ein Hund in einem Winkel" enden. Er wird genauso zum Tier wie die Soldaten. Darauf will Coetzee hinaus. Der Magistrat hat hier ein schlechtes Gewissen, er fühlt sich mitschuldig.



    Die Zuschauer, die sogar Kinder in die Höhe halten, damit sie die Foltereien sehen können, die sind genauso Böse wie die Soldaten selbst. Das böse Tier lauert in jedem.


    Nur eine Meinung von vielen :zwinker:


    Liebe Grüße
    mombour

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