Andrzej Stasiuk – Die Welt hinter Dukla

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 2.382 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von tom leo.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Inhalt im Sinne einer fortlaufenden Handlung kann ich hier nicht liefern, denn solchen hat das Büchlein nicht. Stattdessen quillt es über vor durchaus gelungenen Beschreibungen von eher abstrakten Dingen, vor allem der Luft und dem Licht, so daß diese förmlich greifbar, sichtbar, erlebbar werden. Das könnte als atmosphärische Ergänzung zu einer Geschichte sehr schön sein, aber als quasi ausschließlichen Inhalt ist es doch etwas wenig. Es gibt zwar einige eher erzählende Passagen, wenn die Kindheitserinnerungen des Ich-Erzählers in den Vordergrund treten, aber diese sind nur kurz. Und obwohl mir diese dichte Beschreibung, die vor Sinneseindrücken strotzt, eigentlich gut gefallen hat, war es in Summe dann doch zu lang. Die zweite Hälfte des dritten Teils scheint mir zudem überhaupt nicht zum Rest des Buches zu gehören. Sie kippt sowohl in Tonfall als auch „Inhalt“ davon weg, wird fast mystisch. Auf mich wirkte das Ganze aber eher so, als müßte noch etwas für den Umfang getan werden. Diese beiden Punkte führen dann doch leider zu einer Abwertung.


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo Aldawen,


    danke für deine Rezension. Texte zu rezensieren, die kaum oder gar keinen Inhalt haben ist natürlich nicht einfach. Da fragt man sich als Rezensent, soll ich nur über die Sprache erzählen?


    Nun, ich lese gerade"Der Leibeigene" von Josef Winkler, der auch kein Roman mit Handlung ist, sondern eher Szenen, die sich, schaut man auf den Inhalt, öfters in verschiedenen Varianten wiederholen. Allerdings ist erkennbar, was der Autor will. In der Welt hinter Dukla, weiß ich noch nicht, was der Autor will. Vielleicht will er einfach nur die Atmosphäre eines Dorfes in den Karpaten wiedergeben und sonst nichts (??).


    Erinnert mich etwas an Robbe-Grillet "Der Augenzeuge". Laut Klappentext eine Art Krimi, inhaltlich geht es mehr um Möwen und um die Landschaft einer Insel. Die Handlung spielt nur sekundär eine Rolle. In solchen Romanen also, die nicht auf Handlung basieren, bei denen es offenbar in erster Linie auf die Sprache ankommt, rezensiere ich nur die Sprache. Hört sich natürlich merkwürdig an, aber einem Autor wie Robbe-Grillet oder Stasiuk kommt es wohl hauptsächlich auf Sprache und Stimmungen an. Meistens mag ich so etwas, darum werde ich "Die Welt hinter Dukla" auch mal lesen. Ich erinnere mich an einer Rezension zu diesem Buch aus einem anderen (verstorbenen) Forum, der hatte damals von Dukla geschwärmt. Wenn man Handlung erwartet und findet dann keine Handlung. kann natürlich eine Enttäuschung nicht weit sein. Vielleicht kann man sich ja mit einer schönen Sprache trösten lassen. :zwinker:


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()


  • In der Welt hinter Dukla, weiß ich noch nicht, was der Autor will. Vielleicht will er einfach nur die Atmosphäre eines Dorfes in den Karpaten wiedergeben und sonst nichts (??).


    Das wäre zwar möglich, aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich ahne hinter diesen Beschreibungen etwas anderes, aber das ist für mich so wenig greifbar, daß ich es auch nicht formulieren kann. Und daher kann ich es auch nicht (positiv) in meine Bewertung einfließen lassen.




    Wenn man Handlung erwartet und findet dann keine Handlung. kann natürlich eine Enttäuschung nicht weit sein. Vielleicht kann man sich ja mit einer schönen Sprache trösten lassen. :zwinker:


    Ich war von einem anderen Journal bei Bookcrossing „vorgewarnt“ was das Verhältnis Handlung zu Beschreibung anging, daher habe ich nicht mit eine aktionsreichen Verlauf gerechnet. Stasiuk selbst macht auch kein Geheimnis daraus, ich habe die Stelle gerade noch mal herausgesucht, sie befindet sich ziemlich am Anfang:


    Zitat

    Schon seit langem scheint mir, das einzige, was zu beschreiben sich lohnt, ist das Licht, seine Abarten und seine Ewigkeit. Handlungen interessieren mich weit weniger. Ich kann sie mir schlecht merken. Sie bilden zufällige Ketten, die grundlos reißen und ohne Ursache beginnnen, um unvermittelt wieder zu brechen.


    Spätestens da war mir also klar, was auf mich zukommen würde. Schöne Sprache kann mich über Handlungsarmut hinwegtrösten, viel leichter als Action über sprachliche Mängel, aber hier war es mir einfach zuviel, zu detailverliebt. Als (noch) kürzere Erzählung und unter Auslassung des „Anhangs“ wäre es dann sogar ein perfektes Buch geworden.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Sprachlich hat Stasiuk mich (größtenteils) überzeugt. Er fasst Dinge in Worte, die von den meisten Menschen wahrscheinlich nicht beachtet werden, und erfindet dafür oft neue, nicht gerade naheliegende Bilder. Einige Formulierungen kann man sich tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen. Allerdings ist dies auf Dauer ermüdend oder besser: es nutzt sich ab. An den Stellen, an denen die Erinnerungen des Erzählers sich auf Personen oder Geschehnisse beziehen, habe ich aufgeatmet, weil das zu Lesende wieder fassbarer wurde. So, wie andere Autoren Landschaftsbeschreibungen einstreuen, streut Stasiuk Handlung ein. Und obwohl ich mich nach den ersten Seiten auf weitere sprachliche Feinheiten gefreut habe, wurde mein Leseftempo immer zäher und auf den letzten Seiten musste ich mich anspornen (lassen) weiter zu lesen.


    Was mich ebenfalls gestört hat war der Aufbau des Buches. Nach einem ersten, wenige Seiten umfassenden Teil, der mit "Mittsommer, Vorgebirge" überschrieben ist und eventuell als Vorwort dienen soll, folgt "Dukla". Dieser Hauptteil ist in drei Teile gegliedert, allerdings verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart, man weiß nie so recht, ob der Erzähler eine Kindheitserinnerung schildert oder einen kurz zurückliegenden Besuch. Auch in den Neunzigern scheinen die Bewohner des Städtchens in der Vergangenheit zu leben, was diese Unterscheidung nicht gerade vereinfacht. Alkohol und die Trägheit heißer Sommertage lassen Beobachtungen traumgleiche Formen annehmen. Und bestimmt Motive durchziehen den gesamten Text und nehmen mythisches Ausmaß an, zum Beispiel die Figur der Heiligen Amalia in der Dorfkirche. Der Leser sieht sich einem Wust von Beschreibungen, Erinnerungen und Beobachtungen gegenüber, die der Autor scheinbar unsortiert niedergeschrieben hat. Bis plötzlich im dritten Teil, der nur durch eine Leerseite abgetrennt ist, verschiedene kurze Episoden, jeweils mit einer Überschrift versehen, aufeinander folgen. Auch wenn diese Überschriften ("Wasyl Padwa", "Frühlingsfest", "Vögel", "Der Fluß", etc.) die zuvor aneinandergereihten Schlaglichter trennen und somit die Lesbarkeit im ersten Moment verbessern, habe ich mich schnell nach dem Weshalb gefragt. Weshalb änderte Stasiuk am Ende die Form? Entstand das komplette Buch aus solchen Episoden, die er zusammengeschrieben und teils abgewandelt wiederholt hat?


    Was vielversprechend begann nutze sich leider mit jeder Seite weiter ab. Hätte Stasiuk sich kürzer gehalten (meine Ausgabe umfasst etwa 170 Seiten Text), hätte er ein wunderbares Buch geschrieben. Hätte.



    Das wäre zwar möglich, aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich ahne hinter diesen Beschreibungen etwas anderes, aber das ist für mich so wenig greifbar, daß ich es auch nicht formulieren kann. Und daher kann ich es auch nicht (positiv) in meine Bewertung einfließen lassen.


    Auf mich machte der Text den Eindruck, als habe er ihn nur für sich geschrieben, als Erinnerungstagebuch, dass ihm Heimat und Kindheit wiederbringen soll. Mir als Leserin bringt das ab einem bestimmten Punkt leider nichts weiter als Ermüdung, obwohl er gekonnt mit Sprache umgeht.



    Ich war von einem anderen Journal bei Bookcrossing „vorgewarnt“ was das Verhältnis Handlung zu Beschreibung anging, daher habe ich nicht mit eine aktionsreichen Verlauf gerechnet. Stasiuk selbst macht auch kein Geheimnis daraus,


    Stasiuk wird sogar noch deutlicher als in der von Aldawen zitierten Passage, auf den ersten Seiten schreibt er wiederholt:

    Zitat

    Es wird keine Handlung geben, keine Geschichte


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Andrzej Stasiuk - Die Welt hinter Dukla


    Originaltitel: Dukla – Polnisch, 1997
    (Dtsche Ausgabe: 2000, bei Suhrkamp)
    (Meine Eindrücke, bevor ich diesen Fred gerade entdeckte:)



    ZUM BUCH: Dukla ist ein verschlafenes Nest in Südpolen, am Rande der Karpaten, nicht weit von der slowakischen Grenze entfernt. Auf dem Marktplatz hat sich alle Leere der Welt versammelt. Ein Wind herrscht, der direkt aus Alaska und Sibirien herüberweht. Mit seinem bröckelnden Mauern und dem Schloss der Fürsten von Brühl, den beiden Barockkirchen und der niedergebrannten Synagoge ist Dukla ein Ort, der eine magische Anziehungskraft auf Stasiuks Ich-Erzähler ausübt. Wie unter Zwang kehrt er immer wieder in das Städtchen zurück, "um es bei unterschiedlichem Licht, zu unterschiedlichen Tageszeiten anzusehen". Sein Versuch, den Geist des Ortes zu fassen, der Materie ihr Gedächtnis zu entreißen, macht die Spurensuche zu einer dichterischen Expedition. Andrzej Stasiuk beschreibt sein Buch als einen 'schwer zu beschreibenden Akt atheistischer Mystik, eine sehr meditative Prosa. Es geht um ein tiefes Eintauchen in jedes Ereignis, darum, all das, was sichtbar ist, zu notieren - um ein postreligiöses Erleben der Gegenwart.'(LITERATUREN)
    (Kurzbeschreibung bei Amazon)


    MEINE GEDANKEN: Schon in den ersten Zeilen bekennt Stasiuk Farbe: „diese Erzählung sollte keine Handlung, keine Geschichte haben“ und so ist es denn auch. Beschrieben werden anfänglich vor allem und immer wieder verschiedenste (Reise-) Annäherungen an Dukla, diesem kleinen Städtchen in den Karpaten Südpolens, an der Grenze zur Slowakei. Der Erzähler kehrt immer wieder dorthin zurück und beschreibt das Dorf aus den verschiedenen Winkeln und verschiedenen Beleuchtungen, im wahrsten Sinne des Worts: verschiedene Tages- und Jahreszeiten als Rahmen („das einzige, was zu beschreiben sich lohnt,,ist das Licht, seine Abarten und seine Ewigkeit“). Eingeflochten werden Bruchstücke von Erinnerungen: einer Kindheitsliebe, der Großeltern, des Glaubens im Dorfe, von Spaziergängen und einer Wallfahrt... Dies alles in einer sehr dichten lyrischen, mir anfangs sehr schwer fallenden, Sprache. Dann liest man sich etwas ein, doch viele Stellen laden zum Wiederkäuen und Nachlesen ein.
    Ich lese hier immer wieder Gedanken und Eindrücke heraus eines Menschen zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit. Was bleibt? Was hat Bestand? Hier erzählt und schreibt ein Mensch, der um das Bleibende kämpft und doch auch einen Teil des Urvertrauens zu verloren haben scheint.
    Miniaturen auf den letzten 20 Seiten schließen das Bändchen ab: hier stehen vor allem die Natur, Tiere, Naturereignisse im Zentrum: sie fangen meist in Naturverbundenheit und gewisser Zärtlichkeit an, und haben dann meist ein abruptes Element der Vergänglichkeit als Abschluss. Nach einigen der Miniaturen dachte ich, dass ich nun aber schon verstanden hätte, was er sagen wollte... Doch das ändert nichts am guten Gesamteindruck eines sprachlich sehr dichten Buches, das allerdings vielen total nichtssagend und langweilig vorkommen könnte.


    ZUM AUTOR: Andrzej Stasiuk (* 25. September 1960 in Warschau) ist ein polnischer Autor, Journalist und Literaturkritiker. Nach eigenen Angaben wurde er von der Schule verwiesen und engagierte sich in den frühen Achzigerjahren in der polnischen pazifistischen Oppositionsbewegung Ruch Wolność i Pokój. Nachdem er während seines Militärdienstes desertiert war, wurde er zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt. Stasiuk lebt heute in Wołowiec in den Niederen Beskiden.
    (Zum Werk siehe weitere Angaben unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Stasiuk )



    ISBN-10: 3518398911
    ISBN-13: 978-3518398913

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka