Ralf Rothmann – Messers Schneide

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    Entstehen und Vergehen einer Liebesbeziehung, von der man sich dauernd fragt, ob sie je eine war.


    Auf den ersten beiden Seiten erfahren wir einige wesentliche Elemente der Geschichte: der Berliner Manfred Assen lebt vom Schreiben und gelegentlichem Taxifahren; wird in seinen Erinnerungen immer noch geplagt von demütigenden Kindheitserfahrungen und steht anscheinend in einem Clinch mit seiner Freundin angesichts ihrer Schwangerschaft: austragen oder nicht?


    Diese Punkte – und andere! – werden in geschickter und manchem ungewohnter Rothmannscher Sprache ausgearbeitet und bringen uns den Verlauf und Elemente einer Beziehung nahe, in die Assen eher reinzurutschen, während Iris eher die Initiative zu übernehmen scheint. Die Erzählperspektive geht eher von Assens Seite aus: anfängliche Gleichgültigkeit, ein sexuelles Rauscherlebnis und ein Überrumpeltsein von der Macht des Angezogenseins durch das andere Geschlecht, eine scheinbare Zukunftslosigkeit, da er nie ernsthaft diese Beziehung auf dem Hintergrund der Dauer anzuvisieren scheint. Aber auch die Feststellung „nichts zu fühlen, von einer leisen Geilheit abgesehen“. Da ist Angst vor Bindung und vor Entscheidung („sprach sie von Beziehung war er gleich bedrückt“), und als dann die Schwangerschaft ansteht, gibt es für ihn anscheinend nur den Weg zur Abtreibung. Iris aber besteht auf ihrem Recht, Mutter werden zu wollen. Schnell ist die Entzweiung da und man läuft sich gegenseitig ins Messer. Zu spät ist der Wunsch, etwas zu retten und eine letzte Geste endet in einer brutalen und für Assen eher erbärmlichen und scheiternden Szene.


    Das war wahrlich nicht mein erster Rothmann, doch es ist der erste Rothmann: sein Prosadebüt aus dem Jahre 1986 nach dem Lyrikband „Kratzer“. Diese tolle, irgendwie typisch Rothmannsche Sprache trifft mich von je her, und wie nebenbei kommen wunderbar präzise Beschreibungen von inneren Zuständen und frappierende Aussagen („das quälende Gefühl...nicht mehr genug Zeit zu haben, um in Ruhe weniger zu lesen“). Eingeschobene Kindheitserinnerungen mögen helfen, die Unsicherheit und Verlorenheit, jene Unfähigkeit zur Entscheidung weit in der Vergangenheit anzusiedeln. Prägen uns solche Erfahrungen für unseren Umgang doch. Ist dieser Assen nicht auch ein Vertreter seiner/unserer Zeit? Eben fragte ich mich, ob die Lautverwandtschaft zu einem gewissen Verb so zufällig ist?


    Der Titel des Buches ist wohl mehrsinnig, alleine wenn ich an die Erläuterung des Ausdrucks „Auf Messers Schneide“ des Redensartenindexes verweise: „vor ungewisser Entscheidung; vor ungewissem Ausgang; in einer bedrohlichen / gefährlichen Lage; waghalsig“ (Quelle: http://www.redensarten-index.d…u&suchspalte%5B%5D=bsp_ou). Wir alle stehen in unseren Beziehungen oder Lebenswegen oft auf einem Grat: ab einem Zeitpunkt, nach versetzten Wunden, scheint hier für Assen der Punkt ohne Rückkehrmöglichkeit erreicht. Zu spät erkennt er, dass eine Beziehung eine Entscheidung verlangt, vielleicht nicht das manchmal romantisierte Fühlen der ersten Liebe, aber einen Mut für eine Entscheidung und die Übernahme von Verantwortung.


    Ich habe Teile der Erzählung zweimal gelesen und bin voller Staunen angesichts des klugen Aufbaus, der sich ergänzenden Hinweise und Bezüge. Sprachlich und inhaltlich meines Erachtens eine echte Entdeckung über ein vielleicht altes Thema! Ich wünschte Rothmann viele gute Leser: einer der besten deutschen Gegenwartsautoren verdient es!


    4ratten


    Wer weiß, ob Rothmann sich auch inspirieren ließ von einem Roman von Maugham „The razor’s edge“? (Verfilmungen von Maughams
    http://de.wikipedia.org/wiki/Auf_Messers_Schneide_(1946)
    http://de.wikipedia.org/wiki/Auf_Messers_Schneide_(1984)


    Taschenbuch: 132 Seiten
    Verlag: Suhrkamp; Auflage: 3., Aufl. (16. Juni 2007)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3518381334
    ISBN-13: 978-3518381335



    EDIT: Betreff etwas angepasst und Amazon-Link repariert. LG Seychella

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

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