[Kenia] Ngũgĩ wa Thiong'o – Verbrannte Blüten

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    Inhalt: Ilmorog ist ein vergessenes Dorf irgendwo in Kenia. Die Leute schlagen sich als Kleinbauern durch, ab und an kommen die Hirten und man macht ein paar Gechäfte miteinander. In der Dorfschule hält es kein Lehrer länger als ein paar Monate aus. Das ändert sich, als Godfrey Munira die Stelle antritt. Vor ihm hatte schon ein weiterer Fremder, Abdulla, den Weg ins Dorf gefunden und dort den Laden wiedereröffnet. Überraschenderweise kehrt auch Wanja, die Enkelin der Dorfältesten, wieder zurück. In Ilmorog wundert man sich über diese Auswärtigen, vor allem, als Munira eines Tages auch noch einen weiteren Lehrer, Karega, von seinem Besuch in der Stadt mitbringt. Aber die Sorgen der Bauern gelten dem Wetter. Eine langanhaltende Dürre bringt eine Hungersnot. Die Lehrer schlagen einen Gang nach Nairobi zum Abgeordneten vor, der vor Jahren schon als Gegenleistung für seine Wahl eine Wasserleitung versprochen hatte. Die ersten Erfahrungen in der Stadt sind recht unerfreulich für die Delegation, und ohne die Hilfe eines engagierten Rechtsanwaltes wäre sie auch gescheitert. Der Abgeordnete, unfähig die Delegation als das zu erkennen, was sie ist, nämlich den schlichten Ausdruck von Verzweiflung, wittert dahinter eine Kampagne seiner politischen Gegner, um ihn bloßzustellen. Ilmorog rutscht, nachdem auch noch zufällig ein Flugzeug in der Nähe notlanden muß und zur „Touristenattraktion“ wird, ganz nach oben auf der Liste der förderungswürdigen Gebiete. Und bereichern tun sich daran genau die Leute, die schon zuvor für alle Katastrophen und Demütigungen im Leben von Munira, Karega, Wanja und Abdulla verantwortlich waren.



    Meine Meinung: Die Geschichte der letzten zwölf Jahre Ilmorogs entrollt sich vor dem Leser in einer Reihe von Erinnerungen der Hauptpersonen Munira, Karega, Wanja und Abdulla. Diese wurden unter Mordverdacht verhaftet, nachdem drei wichtige und reiche Leute, die an der „Entwicklung“ Ilmorogs gut verdient haben, bei einem Brand in Wanjas Haus ums Leben gekommen sind. Neben die Erinnerungen tritt immer wieder auch ein auktorialer Erzähler, so daß man einerseits eine gute Rundumschau über die Ereignisse erhält, andererseits wie der ermittelnde Polizeioffizier Puzzlestückchen zusammenfügen muß, denn manche Situation wird aus der Perspektive mehrerer Beteiligter präsentiert. Die Abgrenzungen sind aber eindeutig, immer ist klar, welche Sicht gerade erzählt wird.


    Ngũgĩ wa Thiong'o zeichnet hier ein ziemlich häßliches Bild des nachkolonialen Kenias, das aber gleichwohl eine Menge Wahrheit enthält. Dabei muß man berücksichtigen, daß der Roman 1977, nur 13 Jahre nach der Unabhängigkeit erschien. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Ernüchtung aber schon längst eingesetzt, die Erkenntnis, daß es einfach nur eine neue, jetzt aber kenianische Gruppe von Ausbeutern gibt, die sich von den vorherigen Herren und ihrem Gebaren nur in der Hautfarbe unterscheidet, während große Teile der Bevölkerung nicht besser als zuvor dastehen, Uhuru zum Trotz. Fast ist es ein bißchen zu viel, was Ngũgĩ hier unterbringt. Da ist zum einen die ganz offensichtliche Kritik an der sog. „Entwicklung“, die mit einer Kapitalismuskritik einhergeht. Dabei wird das dörfliche Gemeinschaftsleben, wie es sich in Ilmorog zunächst darstellt, wohl auch eher idealisiert, aber etwas Wahrheit liegt gleichwohl in beiden Betrachtungen. In diesem Zusammenhang gehört dann auch die Sicht auf Land und Landbesitz, mit dem Identität begründet wird.


    Dann spielt das Thema der Schulbildung eine große Rolle, denn nicht nur haben Munira und zeitweise Karega als Lehrer in Ilmorog eine herausragende Rolle, auch zwei der drei im Feuer umgekommenen kommen aus dem Bildungswesen. Lediglich Karega bemüht sich den Schülern gegenüber um eine Afrikanisierung der Themen, eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit der Schüler. Die Höhere Schule in Siriana, von der Munira und einige Jahre später Karega geflogen sind, und mit der auch einer der Toten als Schüler und später als Schulleiter verbunden war, ist demgegenüber eine Bastion „europäischer“ Erziehung. Schulen und Bildung haben in der Gikuyu-Geschichte während der Kolonialzeit eine große Rolle gespielt, etwa seit den 1930er Jahren gab es eine starke Bewegung zugunsten unabhängiger Schulen unter den Gikuyu, da die Schulen der Missionen zu wenigen Kindern offenstanden.


    Und schließlich gibt es immer wieder Rückgriffe auf den sog. Mau-Mau-Aufstand, eine vornehmlich von den Gikuyu getragene Widerstandsbewegung gegen die Kolonialherrschaft, die von den Briten brutal unterdrückt wurde, indem man die Bevölkerung in Lagern internierte. Dabei waren die weitaus meisten Opfer keine weißen Siedler, sondern Afrikaner, das ganze nahm eher Formen eines Gikuyu-internen Bürgerkrieges an. Von den Protagonisten des Buches ist Abdulla als einziger aktiver Kämpfer in jener Zeit gewesen, aber auch die übrigen haben irgendwelche Verbindungen, Karega z. B. über seinen toten Bruder. Immer wieder wird die Frage danach gestellt, wofür die Mau-Mau-Kämpfer eigentlich gekämpft haben, wenn von den Zielen und Idealen doch schon nach so kurzer Zeit praktisch nichts übrig ist und die Gegner der Mau-Mau heute die materiellen Gewinnler der Situation sind.


    Es ist nicht verwunderlich, daß Ngũgĩ sich mit einigen unbequemen Wahrheiten, die er hier ausspricht, in gewissen Kreisen Kenias nicht gerade beliebt gemacht hat. Zum Ende hin nahmen mir dann zwar kommunistische Visionen und christliche Erweckung ein bißchen zu sehr überhand, aber im großen und ganzen bekommt man hier ein kritisches und eben leider auch ziemlich häßliches Bild von Kenia, wobei die Strukturen und Mechanismen keineswegs auf Kenia beschränkt sind – anderswo funktioniert es genauso nur einfach etwas subtiler. Vor oder parallel zur Lektüre sollte man sich ggf. etwas mit neuerer kenianischer Geschichte beschäftigen, dann hat man sicher mehr davon.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Ich habe mit ziemlicher Begeisterung Herr der Krähen des gleichen Autors gelesen und mir dann ziemlich schnell dieses Buch zugelegt, von dem Mann wollte ich unbedingt mehr lesen. Dabei habe ich allerdings nicht darauf geachtet, dass es schon über 30 Jahre alt ist


    „Verbrannte Blüten“ beginnt damit, dass Munira, der Lehrer des unscheinbaren kenianischen Dorf Ilmorog verhaftet wird. Er soll gestehen und so beschreibt er die Geschehnisse der letzten 10 Jahren in einem großen Rückblick, wobei einzelne Figuren währenddessen natürlich auch noch von ihrer Vergangenheit erzählen.


    Das ist größtenteils recht interessant, aber leider unterbricht der Autor auch immer wieder den Erzählfluss um Gesellschaftskritik unterzubringen. Es geht dabei größtenteils darum, dass sich nach der Unabhängigkeit nur die Hautfarbe derer geändert hat, die sich stets die Taschen vollstecken, nicht aber die Gesellschaft an sich. Kritik gab es im „Herren der Krähen“ zwar auch, aber dort wurde sie geschickt in die Geschichte eingeflochten und so manches Mal mit einem Augenzwinkern leicht verdaulich gemacht. Hier hingegen versucht er seine Meinung dem Leser mit der Holzhammermethode einzubläuen, was dazu führte, dass ich ganze Seiten voller moralisierender Monologe überblättert habe. Ich habe Ngũgĩ wa Thiong'o als Autor nicht abgeschrieben, werde mich aber auf aktuellere Bücher von ihm konzentrieren, da ist sein Stil hoffentlich generell subtiler und damit deutlich angenehmer zu lesen.


    3ratten