Michael Cox - Schatten der Zeit

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    Verlag: Droemer
    ISBN: 978-3-426-19793-6
    Seiten: 688
    Ausgabe: Hardcover
    ET: 11.2009
    Preis: € 22,95



    England 1876


    Noch immer trauert Lady Tansor um ihre Liebe, die vor Jahren ermordet wurde. Als sie Esperanza Alice Gorst als Zofe einstellt, scheint sie eine Vertraute gefunden zu haben, denn die junge Frau ist gebildet und feinfühlig. Auch Lady Tansors Söhne suchen die Nähe der attraktiven Alice. Was sie nicht ahnen: Alice hat einen Auftrag, der ihre ganze Existenz zerstören könnte …


    Meine Meinung


    „Schatten der Zeit“ ist der zweite, und leider gleichzeitig auch letzte, historische Roman von Michael Cox, der bedauerlicherweise im März 2009 verstarb. „Schatten der Zeit“ schließt an die Ereignisse aus „In der Mitte der Nacht“ chronologisch an. Beide Romane hängen sehr eng miteinander zusammen und obwohl ich „In der Mitte der Nacht“ noch nicht gelesen habe, würde ich allein anhand des Klappentextes empfehlen, unbedingt mit „Schatten der Zeit“ zu beginnen, um sich die Spannung in diesem Roman nicht vorweg zu nehmen.


    Der Roman ist äußerst interessant aufgebaut und weicht von der Masse der historischen Romane im äußerst positiven Sinne ab. Der Autor vermittelt, durch seine „Anmerkung zum Text“ und an markanten Stellen eingebaute Fußnoten, den Eindruck, man habe ein überarbeitetes, viktorianisches Originalmanuskript in den Händen. Bereits hier wird deutlich, dass beide historischen Romane des Autors miteinander zusammenhängen.
    Oftmals wird der Leser direkt angesprochen, was mir gut gefallen hat, da ich mich dadurch noch weniger der Geschichte entziehen konnte und mich mit der Protagonistin Alice noch verbundener fühlte. Alice erzählt ihre Geschichte in der ersten Person. Da ich ein Fan der Ich-Perspektive bin, hat Michael Cox von Anfang an meinen Nerv getroffen, und ich war unglaublich schnell in der Handlung gefangen und habe mich von seinem lebhaften Erzählstil mitreißen lassen.
    Zwischendurch wechselt der Autor die Erzählzeiten, was mich gelegentlich irritierte, da ich bis zum Schluss – trotz verschiedener Theorien – nicht dahinter gekommen bin, aus welchen Grund er in bestimmten Passagen ins Präsens wechselte. Ich muss aber einräumen, dass diese Wechsel sehr viel Dynamik in die Handlung brachten.
    Neben Alice’ Geschichte erfährt der Leser durch Zeitsprünge und Perspektivenwechsel auch Ereignisse aus der Vergangenheit, die bedeutend für Alice’ Zukunft sein werden. Diese Einblicke in die Vergangenheit hat der Autor so geschickt durch Erinnerungen der Figuren, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe eingebaut, dass der gesamte Roman vor Lebendigkeit sprüht und ich mich schwer entscheiden konnte, wo ich lieber verweilen würde: bei Alice oder in der Vergangenheit.
    Einzig einige kleine Längen haben mein Lesevergnügen zwischenzeitlich etwas gedämpft, da es doch Szenen gab, die in diesem Umfang für die Handlung nicht zwingend notwendig gewesen wären.


    Michael Cox erzählt unheimlich spannend und bildhaft. Er überrascht den Leser mehr als einmal mit Wendungen in der Handlung, die nicht voraussehbar waren, so dass das Lesen eine große Freude war. Dadurch dass Alice ohne geringste Kenntnis, warum sie bei der Familie Duport als Zofe anstellig werden soll, – ihr lediglich mitgeteilt wurde, dass es ihre gesamte Zukunft ändern würde, wenn sie Lady Tansor zur Freundin und Vertrauten gewinnen könne, – Frankreich verlässt und nach England geht, ist der Leser der Protagonistin nie einen Schritt voraus. Nicht nur Alice erschließt sich das Geheimnis der „großen Aufgabe“, mit der sie betraut wurde, erst nach und nach, sondern auch dem Leser, was einen unglaublichen Spannungsbogen schafft. Dabei erzählt Michael Cox derart anschaulich und atmosphärisch dicht, dass das Buch das reinste Kopfkino ist und einen restlos in seinen Bann zieht. Lebendig, humorvoll aber auch ernst, spannend, geheimnisvoll, emotional und vor allem in sich schlüssig und plausibel präsentiert sich dieser Roman. Neben der „großen Aufgabe“, die Alice zu bewältigen hat und die Hauptthema ist, hat der Autor aber nicht darauf verzichtet, ein kleines Gesellschaftsportrait des viktorianischen Adels mit einfließen zu lassen, und kontroverse Themen zu beleuchten. „Schatten der Zeit“ ist ein äußerst komplexer Roman, über Hoffnungen und Illusionen, Liebe und Hass, Vertrauen und Misstrauen, Täuschungen und Enttäuschungen, Geheimnisse und Wahrheiten, Zukunft und Vergangenheit, Freund und Feind, Lügen und Verrat. Mich hat das Buch sehr bewegt und nachhaltig beschäftigt. Mit großer Anteilnahme habe ich Alice auf ihrem langen Weg, ihre „große Aufgabe“ zu erfüllen, begleitet und konnte dabei tief in die Geschichte eintauchen. Es ist schwierig, immer eine klare Position zu beziehen und das macht mit den Reiz dieses Romans aus. Ich war hin und her gerissen, wen der Figuren ich verteidigen, und wen ich verdammen müsste. Denn Michael Cox hat es geschafft, fast alle Ereignisse, wie tragisch, unmoralisch oder kriminell sie sein mochten, so differenziert darzustellen, dass ich immer auch eine gewisse Portion Verständnis aufbringen konnte.


    Von der ersten Seite an, konnte ich großes Potential in den Figuren erkennen, das sie zum Glück im Laufe der Handlung bestätigen konnten. Nicht nur die Handlung ist äußerst komplex, auch die einzelnen Charaktere weisen eine Komplexität und Vielschichtigkeit auf, die mich restlos begeisterte. Kaum eine der Figuren ist das, was sie auf dem ersten Blick zu sein scheint, sondern jede einzelne überrascht durch Taten, Worte oder Ereignisse aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart ans Licht kommen. Alice, in meinen Augen der stärkste Charakter, mit einem leichten Hang zur Selbstaufgabe, um ihre Aufgabe zu einem positiven Abschluss zu bringen, hat mich unheimlich beeindruckt, auch wenn ich zugeben muss, dass sie mir oftmals Leid tat und ich die Bürde, die sie tragen musste, als zu groß erachtete. Aber genau diese hat sie mir ungeheurem Willen und Disziplin ertragen, was bei mir wirklich Eindruck hinterlassen hat. Lady Tansor ist, neben einigen anderen Nebenfiguren, wohl die kontroverseste von allen, und bis heute habe ich kein endgültiges Urteil über sie fällen können. Michael Cox hat trotz ihrer wirklich dunklen Seiten, eine sympathische und auch liebenswerte Figur geschaffen, die man nicht ohne Weiteres verurteilen kann, auch wenn man das zu gerne möchte. Neben der wirklich spannenden Handlung, glänzt der Roman durch seine brillanten Figuren. Es war mir eine ungemein große Freude, sie in ihrem Leben zu begleiten und zu ihnen eine tiefe, emotionale Bindung aufzubauen.


    Fazit


    Mit großem Bedauern habe ich das Buch beendet, da es in Zukunft keine weiteren Romane des mittlerweile verstorbenen Autors geben wird. Mir bleibt zum Glück noch sein erster Roman, „In der Mitte der Nacht“, der sicherlich bald Einzug bei mir halten wird. Trotz ein paar Längen habe ich ungemein spannende, abwechslungsreiche und überraschende Lesestunden verbracht. Wer sich für Romane über das viktorianische England interessiert, kommt an „Schatten der Zeit“ vorbei.


    Meine Bewertung


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Liebe Grüße<br />Melli

  • Hallo Cait,


    vielen lieben Dank für die wunderbare Rezi! :herz: Ich lese deine Rezis immer sehr begeistert und finde sie einfach klasse! :daumen:


    Diese Rezi hat mich jetzt sehr neugierig auf das Buch und auch noch den Nachfolgeroman gemacht. Landet gleich mal auf meiner Wunschliste. :klatschen:
    Aber sehr traurig, dass der Autor bereits verstorben ist! :traurig:


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • Fast ein Jahr später ...


    Vorhin stand ich vor meinem Regal und habe eigentlich ein anderes Buch gesucht. Auf einmal hatte ich den Drang "The Glass of Time" wie der Roman im Original heißt zu beginnen, das lag wohl daran das ich mir den Roman zumindest mal heraus legen wollte damit ich ihn nicht auch noch suchen muss. ;) Da ich ihn eh noch für den SWL lese, hätte ich ihn so oder so aufgeschlagen, wenn auch vielleicht nicht unbedingt heute abend.
    An The Meaning of Night von dem ich ja sehr angetan war kann ich mich nur noch dunkel erinnern, klar die grobe Handlung weiß ich noch, aber vielleicht ist es sogar von Vorteil sich nun ganz ohne Vorbelastung an "The Glass of Time" zu wagen. Bisher gefällt es mir sehr gut, aber ich habe auch erst so um die 30 Seiten gelesen, bei einem Buch das im Englischen erstens 531 Seiten lang und zweitens auch sehr klein gedruckt ist also wahrlich nicht viel. Dennoch geht schon jetzt ein Sog von der Handlung aus dem ich mich auch schon beim Vorgänger nicht entziehen konnte. Ich bin sehr gespannt darauf wie die Begebenheiten in diesem Roman mit denen in "The meaning of night" genau zusammen hängen. Bisher kann ich nur das ein oder andre ein bisschen erahnen. Es verspricht auf jedenfall spannend zu werden!

  • Ich bin nun schon bei der Hälfte des Romans angekommen und kann mich kaum losreißen. Cox schreibt hier so packend und gibt seinem Leser nur einzelne Teilchen. Das könnte einen fast rasend machen :breitgrins: Aber natürlich hält das den Leser bei der Stange. Zu dem ist die Hauptfigur sehr einnehmend und da alles aus ihrer Sicht geschildert wird ist das ja auch nicht ganz unwichtig. Gut, ich mag ja auch unsympathische Figuren, aber hier passt es sehr gut rein das Alice ein nettes Mädchen zu sein scheint. Eigentlich hat sie denk ich mal so langsam auch ein schlechtes Gewissen, irgendwie wird sie meiner Meinung nach benutzt und merkt es nicht einmal. Ich bin gespannt was sie sonst noch herausfinden wird!
    Da die Lektüre von The Meaning of Night schon eine Weile her ist bin ich übrigens auch ganz froh darüber das mir das ein oder andre wieder ins Gedächtnis gerückt wurde. Anders als Cait bin ich übrigens der Meinung die Bücher in ihrer Reihenfolge zu lesen. Also The Meaning of Night (In der Mitte der Nacht) zuerst, da einem sonst zu vieles vorweg genommen werden könnte. Vielleicht lässt man einfach auch einige Zeit verstreichen bis man sich den folge Roman zu Gemüte führt. Dann macht es auch nichts aus wenn man das ein oder andre noch einmal nachlesen kann.
    Mal sehen was ich am Ende darüber denken werde, aber bisher habe ich wirklich nichts auszusetzen und freu mich darauf noch eine Weile darin zu schmökern. :lesen:

  • Was für ein Buch :leserin:


    Von der ersten Seite an konnte ich es kaum aus der Hand legen. So änlich erging es mir ja auch schon mit dem Vorgänger The Meaning of Night. Cox baut eine ernorme Spannung auf, die sich auch mich übertrug obwohl ich ja schon eine ungefaire Ahnung hatte welche Zusammenhänge sich im laufer der Geschichte ergeben würden. Interessant ist hier bei das man The Glass of Time (Dt. Titel Schatten der Zeit) auch völlig unabhängig lesen kann ohne das die Zusammenhänge unklar wären. Wer also aus Unwissenheit nur diesen Roman gekauft hat, hat keinen Schaden daraus. Vielleicht treibt das sogar die Spannung ins Unermessliche :breitgrins:
    Die Hauptfigur Alice (eigentlich Esperaza aber so wird sie im Roman kaum genannt) ist eine sehr einnehmende Persönlichkeit und vor allem am Ende des Romans muss ich einfach nur den Hut vor ihr ziehen! Sie schafft es sich einen Teil ihrer Selbst zu bewahren und so letztendlich die Schatten der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Zudem fand ich The Glass of Time auch deshalb realistisch weil man wirklich das Gefühl hatte die Geschichte aus der Sicht einer Frau zu erfahren. Michael Cox erzählt unheimlich lebendig und man wird regelrecht in die Geschichte und die Zeit die er beschreibt gesogen.Wenn ich dann aus der Geschichte auftauchte musste ich mich jedesmal ein wenig Sammeln um im hier und jetzt an zu kommen.


    War "The Meaning of Night" noch geprägt von Intrigen und Verrat, so ist "The Glass of Time" hm ich würde sagen die Antwort auf diese Begebenheiten. Denn Alice wurde geschickt um für Gerechtigkeit zu sorgen. Was genau aber ihre Antwort sein wird kann man im Roman nachlesen ;)
    4ratten