Herman Melville - Die Reisetagebücher

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    Herman Melville, Die Reisetagebücher.


    Dass der rührige Achilla-Presse-Verlag keinen Mut besäße, kann man nun nicht behaupten. Neben dem Schreckensbuch "Mardi" (siehe meine frühere Rezi) und den ironisch-gebrochenen "Maskeraden" hat der Kleinverlag aus der norddeutschen Tiefstebene bereits anno 2001 auch ein veritables Stück Hintergrundliteratur für Melville-Leser vorgelegt: die Reisetagebücher. Es gibt sie noch, druckfrisch an Ort und Stelle, und das zu einem bürgerlichen Preis.


    Enthalten sind die Tagebuchaufzeichnungen von drei Reisen des Autors in den Jahren 1849, 1856 und 1860. Die zeitliche Staffelung ist bedeutungsvoll: bei der ersten Reise nach Europa wehte noch der Rückenwind der erfolgreichen Reiseromane Typee und Omoo, allerdings wirkte auch der Dämpfer des rätselhaften "Mardi" nach. Melville hielt sich einen Herbst lang in London auf und suchte einen Verleger für "Whitejacket", eine seiner von ihm selbst so gesehenen Brotarbeiten. Ein Abstecher auf den Kontinent über Paris und Köln bis nach Koblenz schloss sich an.


    Die zweite Reise fand bereits auf den Ruinen einer Schriftstellerkarriere statt: Moby Dick und Pierre waren völlig durchgefallen, dem Confidence-Man würde es wenig später genauso ergehen; mit der Reise ins heilige Land sollte ein lange gehegter Traum erfüllt und die persönliche Verletztheit wegen des Misserfolgs von vier groß angelegten Romanen gelindert werden.


    Die Reise 1860 blieb ihrerseits Fragment, Melville brach sie nach einem überstandenen Sturm bei Kap Hoorn ab.


    Der schön ausgestattete Band ist eine Fundgrube für passionierte Melville-Leser. Manche rätselhafte Metapher in den großen Romanen ab Moby Dick findet hier ihre Wurzel; einige dieser Wurzeln erweisen sich dabei durchaus als faul und offenbaren kuriose Missverständnisse oder Verwechslungen des Autodidakten (und nebenbei die wohlwollenden Korrekturen deutscher Übersetzer!). Der Fußnotenapparat leistet hier hervorragende Dienste. Überraschend, jedenfalls in dieser Schärfe, ist es auch, wie distanziert, manchmal sogar verächtlich, Melville selbst von seinen "kleineren" Romanen spricht; im Falle von "Redburn" belustigt er sich über die wohlwollenden Kritiken, die das damals gerade erschienene Buch betrafen. Der Reisebericht aus 1849 zeigt noch einen ehrgeizigen und bildungshungrigen aufstrebenden Autor, der, wo immer er sich aufhält, kein Museum, kein Theater, keine Galerie auslässt und ständigen intellektuellen Dialog pflegt. Der Bericht aus 1856 ist dagegen bei aller Bildungsbefrachtetheit bereits ein Dokument einer zerquälten Pilgerfahrt, die in einer herben Desillusionierung endet - und in das riesige Versepos "Clarel" einmünden wird.


    Ein schöner Nebeneffekt bei alledem ist der Einblick in den Literaturbetrieb dieser Zeit; das Antichambrieren im Kampf um einen Verleger, gegen Schwarzdrucke, um die bestmögliche Ausnutzung des Copyrights.


    Eine Bewertung ist hier nicht sinnvoll. Es ist ein Quellenbuch, und so sollte es auch gehandhabt werden. Das soll aber nicht heißen, dass es kein Lesevergnügen bereiten würde. Hier immerhin erlebt man den Originalton eines Schriftstellers, der in seinem Werk vor heftigen Stilisierungen nicht zurückschreckte. Dieser Originalton hat, auch bei häufigem Gebrauch von eingeschobenen Kürzeln ("&c" für et cetera) schon seinen erzählerischen Reiz. Wer bereit ist, sich mit einer der gebräuchlichen Biographien (Andrew Delbanco, Hershel Packer) auseinanderzusetzen, findet hier weiteren lohnenden Lesestoff.

    Einmal editiert, zuletzt von Gronauer ()