Lily Zografou - Die Frauen der Familie Ftenoudos

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 2.494 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Yklamyley.

  • Lily Zografou: "Die Frauen der Familie Ftenoudos"
    Originaltitel: I agapi argise mia mer (Übersetzung Breña: "Die Liebe verspätete sich eines Tages")
    Übersetzer: Sawina Kordistos


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Kennt ihr das? Ihr lest ein Buch, und wenn ihr die letzte Seite zugeklappt habt, beginnt ihr, noch in ungläubigem Staunen, an all' den Bewertungen des Gelesenen der letzten Zeit zu zweifeln und zu wissen, dass ihr eigentlich alle nach hinten revidieren müsstet, um ein, um zwei Punkte, und sie versehen mit dem Stempel "bedeutungslos".


    "Die Frauen der Familie Ftenoudos" ist ein Buch, das mir den Atem genommen hat. Es ist ein Buch, das mir wieder zeigt, warum ich eigentlich gerne lese, und warum ich manchmal das Gefühl habe, beim Lesen nur die Zeit totzuschlagen.


    Und dabei ist das Buch nur durch eine Kette von Zufällen auf meiner Wunschliste gelandet, und nur durch den Nachnamen der Autorin und seine Kürze habe ich es ausgeborgt, und nur aus Schlaflosigkeit begonnen, es zu lesen.


    Und die Geschichte ist eigentlich nichts Besonderes: Eine kretische Familie, die Mutter eine relativ gebildete Frau, der Vater ein tyrannischer Pascha, die acht Kinder und alles was zählt: die Familienehre. Jede Person geht in irgendeiner Form an der Liebe zugrunde. Es wird nicht geliebt, bedingungslos aber ungerecht geliebt, die Liebe wird zum Lebensinhalt, weil sie nicht erlebt, weil sie erfüllt erlebt, weil sie untergeordnet wird oder weil sie zum Wichtigsten wird.
    Das Kreta, das uns der Roman zeigt, scheint aus einem längst vergangenen Jahrhundert zu stammen, dabei befinden wir uns erst im letzten. Zografou zeigt ein Kreta, das der Urlauber nicht kennt, ein eigensinniges, furchtbares, rückständiges Kreta, dessen Moralkodex dem unsrigen nicht ferner liegen könnte. Noch heute wird Kreta von der "Blutrache" geschüttelt. Fährt man durch die kretischen Berge, gibt es kein Verkehrszeichen, das nicht von Schüssen durchlöchert ist.


    Aber was macht die Gewalt dieses Romans aus? Ich bin versucht zu behaupten, dass es nicht die Sprache ist, die gleichsam wunderschön ist, aber nichts Besonderes. Es ist kein Roman zum Eintauchen, aus dem man nach Luft schnappend wieder auftaucht, vielmehr erlebt der Leser die Lüge und den Selbstbetrug als Beobachter, er kann sich nicht identifizieren, er fühlt nicht, was die Figuren fühlen, er fühlt vielmehr den Schrecken, der wohl großer Literatur innewohnt.


    Lily Zografou ist wenig beachtet von der Literaturkritik, auch wenn sie, darf man verschiedenen Quellen im Internet glauben, von ihren Lesern geliebt wird. Wenig ist von ihr übersetzt. Sie bezeichnet sich als

    leidenschaftliche Antifeministin [...] Weil ich froh bin, als Frau geboren zu sein. Ich habe mich nie weit von den Männern entfernt gefühlt, die Männer besaßen nichts, was ich mir nicht genommen habe, wenn ich es haben wollte.


    Sie hat einen Roman über Frauen geschrieben, aber keinen feministischen Roman. Es ist faszinierend.


    Ich bin noch immer überwältigt.


    PS: Noch eine Warnung: Lest die "Rezension" auf amazon nicht. Sie verrät den gesamten Plot, es ist furchtbar.



    EDIT: Betreff angepasst. LG Seychella

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()

  • Durch Yklymyley's Rezi bin ich auf diese Buch gestoßen und hab es innerhalb zweier Abende gelesen und das auch nur weil die Vernunft mir sagte das ich am ersten Abend dann um 2:00 Uhr mal das Licht ausmachen sollte, wenn ich um 6:00 Uhr wieder aufstehen muß :breitgrins:.


    Das ganz Büchleich umfasst "nur" 132 Seiten und dennoch hab ich das Gefühl einen dicken generationsübergreifenden Familienwälzer gelesen zu haben. Frau Zografou schafft es in wenigen Sätzen ganze Jahre, halbe Leben, dem Leser nahezubringen und gleichzeitig manche Augenblicke minutiös in teilweise wunderschöner Sprache zu zelebrieren. Ich bin noch sehr gefangen von dieser tieftraurigen, erschütternden und oft wütend und hilflos machenden Geschichte dieser kretischen Familie, daß ich gar nicht so recht weiß wie ich es beschreiben soll...


    Es ist schrecklich und gleichzeitg wunderbar dieses Buch zu lesen, es beengt im Herzen und gibt in manchen Momenten der Seele Flügel, es ist drastisch, erschütternd und zur gleichen Zeit in einzelnen Momenten federleicht.


    Auf jeden Fall ein absolut empfehlenswertes Buch, das bei mir jetzt erst noch etwas nachwirken muß und danke @Yklymyley für den Tipp, ich wär wahrscheinlich sonst nie auf das Buch aufmerksam geworden.


    Ein Zitat aus dem Buch das ich mir merken werde: "Viele gibt es überall,die wenigen sind selten"

  • Danke für die beiden interessanten Rezis! Das Buch werde ich mir zulegen müssen.
    Eine Frage noch: zu welcher Zeit spielt das Buch denn? Ende 20. Jahrhundert oder eher Mitte?


    Grüße von Annabas :winken:

  • Ach, Yvaine, wie schön, dass dir das Buch so gefallen hat! Wenn ich deine Eindrücke so lese, würde ich am liebsten gleich nochmal damit anfangen. :knuddel:
    PS: Mein Nick schreibt sich übrigens Yklamyley. :breitgrins: Ich muss auch oft überlegen wenn ich ihn tippe :zwinker:



    Danke für die beiden interessanten Rezis! Das Buch werde ich mir zulegen müssen.
    Eine Frage noch: zu welcher Zeit spielt das Buch denn? Ende 20. Jahrhundert oder eher Mitte?


    Die Geschichte beginnt während des zweiten Weltkrieges und endet in den 90ern. Ich denke, du wirst es nicht bereuen. :smile:


    Ich hab' gerade entdeckt, dass es auch eine griechische Verfilmung des Buches gibt; leider habe ich sie weder auf Deutsch noch auf Englisch finden können.

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried