Lily Zografou: "Die Frauen der Familie Ftenoudos"
Originaltitel: I agapi argise mia mer (Übersetzung Breña: "Die Liebe verspätete sich eines Tages")
Übersetzer: Sawina Kordistos
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Kennt ihr das? Ihr lest ein Buch, und wenn ihr die letzte Seite zugeklappt habt, beginnt ihr, noch in ungläubigem Staunen, an all' den Bewertungen des Gelesenen der letzten Zeit zu zweifeln und zu wissen, dass ihr eigentlich alle nach hinten revidieren müsstet, um ein, um zwei Punkte, und sie versehen mit dem Stempel "bedeutungslos".
"Die Frauen der Familie Ftenoudos" ist ein Buch, das mir den Atem genommen hat. Es ist ein Buch, das mir wieder zeigt, warum ich eigentlich gerne lese, und warum ich manchmal das Gefühl habe, beim Lesen nur die Zeit totzuschlagen.
Und dabei ist das Buch nur durch eine Kette von Zufällen auf meiner Wunschliste gelandet, und nur durch den Nachnamen der Autorin und seine Kürze habe ich es ausgeborgt, und nur aus Schlaflosigkeit begonnen, es zu lesen.
Und die Geschichte ist eigentlich nichts Besonderes: Eine kretische Familie, die Mutter eine relativ gebildete Frau, der Vater ein tyrannischer Pascha, die acht Kinder und alles was zählt: die Familienehre. Jede Person geht in irgendeiner Form an der Liebe zugrunde. Es wird nicht geliebt, bedingungslos aber ungerecht geliebt, die Liebe wird zum Lebensinhalt, weil sie nicht erlebt, weil sie erfüllt erlebt, weil sie untergeordnet wird oder weil sie zum Wichtigsten wird.
Das Kreta, das uns der Roman zeigt, scheint aus einem längst vergangenen Jahrhundert zu stammen, dabei befinden wir uns erst im letzten. Zografou zeigt ein Kreta, das der Urlauber nicht kennt, ein eigensinniges, furchtbares, rückständiges Kreta, dessen Moralkodex dem unsrigen nicht ferner liegen könnte. Noch heute wird Kreta von der "Blutrache" geschüttelt. Fährt man durch die kretischen Berge, gibt es kein Verkehrszeichen, das nicht von Schüssen durchlöchert ist.
Aber was macht die Gewalt dieses Romans aus? Ich bin versucht zu behaupten, dass es nicht die Sprache ist, die gleichsam wunderschön ist, aber nichts Besonderes. Es ist kein Roman zum Eintauchen, aus dem man nach Luft schnappend wieder auftaucht, vielmehr erlebt der Leser die Lüge und den Selbstbetrug als Beobachter, er kann sich nicht identifizieren, er fühlt nicht, was die Figuren fühlen, er fühlt vielmehr den Schrecken, der wohl großer Literatur innewohnt.
Lily Zografou ist wenig beachtet von der Literaturkritik, auch wenn sie, darf man verschiedenen Quellen im Internet glauben, von ihren Lesern geliebt wird. Wenig ist von ihr übersetzt. Sie bezeichnet sich als
leidenschaftliche Antifeministin [...] Weil ich froh bin, als Frau geboren zu sein. Ich habe mich nie weit von den Männern entfernt gefühlt, die Männer besaßen nichts, was ich mir nicht genommen habe, wenn ich es haben wollte.
Sie hat einen Roman über Frauen geschrieben, aber keinen feministischen Roman. Es ist faszinierend.
Ich bin noch immer überwältigt.
PS: Noch eine Warnung: Lest die "Rezension" auf amazon nicht. Sie verrät den gesamten Plot, es ist furchtbar.
EDIT: Betreff angepasst. LG Seychella