[Nicaragua] Gioconda Belli - Tochter des Vulkans

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    Gioconda Belli - Tochter des Vulkans


    Inhalt:


    Durch tragische Umstände ist das kleine Zigeunermädchen Sofía in Dariá einst ihren Eltern verlorengegangen. Seitdem lebt sie im Haus des kinderlosen reichen Kaffeepflanzers Don Ramón, wo sie zu einer starken, eigenwilligen Frau heranwächst. So wundert es denn nicht, daß die schöne Sofia sich in ihrer Ehe mit dem patriarchalischen René buchstäblich eingesperrt fühlt, versteht er es doch, sie von jeglichem Kontakt mit der Außenwelt abzuschneiden.


    Aber die rebellische Frau weiß sich zu wehren. Ihr Wunschkind wird sie eines Tages bekommen, aber bestimmt nicht von diesem Mann! Und das Schicksal meint es gut mit ihr, denn nach dem plötzlichen Tod ihres Ziehvaters erbt sie die Hacienda und erreicht die Scheidung von René. Finanziell endlich unabhängig, kann sie ihr Leben nun selbst in die Hand zu nehmen. Und was tut sie als erstes? Sie hält nach dem passenden Vater für ihr Kind Ausschau...


    Meine Meinung:


    Gioconda Belli gehört ja zu meinen Lieblingsautorinnen, entsprechend groß war meine Erwartungshaltung. Ganz erfüllt konnte diese leider nicht werden, denn ich hab schon weitaus bessere Romane von ihr gelesen; trotzdem ist auch dieses Buch lesenwert und ich bereue die Lektüre keineswegs.


    Im Mittelpunkt der Handlung steht Sofia, eine südamerikanische Frau, die durch ihre Zigeunerherkunft so gar nicht in das Denkschema der Dorfbewohner passt. Gerade an dieser Außenseiterin zeigt die Autorin auf, wie sich die Emanzipation auch in Südamerika langsam aber sicher durchsetzt. Für mich klang das alles etwas angestaubt, aber ich musste mir immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass nicht in allen Ländern und Erdteilen die Rechte der Frauen überhaupt existent sind, geschweige denn von den Frauen auch durchgesetzt werden. Insofern war die Lektüre an diesem Punkt lehrreich, obwohl ich manchmal schon mit dem Kopf schütteln musste, was hier alles thematisiert wird, obwohl es in unserem Weltbild doch selbstverständlich ist. Selbstbestimmung ist hier das Stichwort, Dinge wie die Anti-Baby-Pille, Scheidung und Berufstätigkeit der Frau werden als neue Errungenschaften gefeiert.


    Dementsprechend macht die Protagonistin im Laufe der Handlung eine gewaltige Wandlung durch - von der völlig gegängelten und weggesperrten Ehefrau zur selbständigen, eigenverantwortlichen Unternehmerin. Einen Rückschlag erhält ihre Entwicklung in meinen Augen in dem Moment, als ihr Kind auf die Welt kommt - ab sofort haben wir es nur noch mit einer besorgten Mutter zu tun, die ihre ganzen erreichten Ziele diesem einen kleinen Menschen opfert. Ok, hier ist die mentale Grenze - eine Mutter, die alleinstehend und auch noch erfolgreich in Beruf und außerhäuslichem Leben ist, war für die Autorin wohl (noch) nicht vorstellbar, der Ruf nach männlichem Beistand unumgänglich. Auf die damit verbundenen Wirrungen, Sofias Schwangerschaft, ihr verzweifelter Ruf nach Liebe, Geborgenheit, die schon fast ein wenig kitschige Auflösung, auf das alles hätte ich gerne verzichten können.


    Gelungen fand ich dagegen einen ganz anderen Aspekt: es ist nämlich so, dass innerhalb von Sofias Geschichte auch immer wieder Kirche und Naturglauben gegenüber gestellt werden. Die Kirche in Form eines labilen, ängstlichen Pfarrers, der seine Schäfchen um sich schart und der sich auch um das schwarze Schäfchen Sofia bemüht, was ihm nicht gerade leicht gemacht wird; auf der anderen Seite drei Naturschamanen, die Sofia in schwierigen Lebenslagen mit alteingesessenen Ritualen weiter helfen. Diese Darstellung fand ich sehr interessant, und wenn ich alles richtig interpretiert habe, lässt die Autorin beiden Spielarten ihren Raum; ermöglicht zumindest im Rahmen ihrer Erzählung eine sich ergänzende Koexistenz der Religionen. Klar ergeben sich da einige bizarre Szenen und Situationen, aber ich fand genau diesen Aspekt der Handlung recht faszinierend.


    Am Ende des Romans stellt sich dann heraus, dass da auch noch das Thema Verlassen werden, Verlustängste mit verwurstet wurde; das ging für mich etwas unter. Da hat die Autorin wohl ein wenig zuviel gewollt, was bei mir einen etwas überfrachteten oder auch sprunghaften Eindruck hinterlassen hat. Insgesamt also nicht das beste Buch von Gioconda Belli, aber wer sich für Südamerika und dessen Gesellschaftsstrukturen interessiert, sich auf eine Begegnung mit Naturreligion und Katholizismus einlassen will und einer doch sehr frauenbetonten Handlung nicht abgeneigt ist, der soll es ruhig mal damit versuchen.


    3ratten



    Land im Betreff ergänzt. LG Aldawen

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Deine Rezi macht mich wirklich neugierig. Bisher haben mir alle Romane von Gioconda Belli sehr gut gefallen. Ich bin gespannt, ob ich diesen hier auch als schwächer empfinden werde.


    Das Buch ist im SuB gleich ein Stückchen nach oben gewandert. :winken:

  • Au ja, Cuddles - ich bin schon gespannt, wie der Roman auf dich wirkt. :smile:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Hallo Miramis,


    ich habe „Tochter des Vulkans“ jetzt auch gelesen und kann mich in größten Teilen deiner Meinung anschließen, vor allem was die Bewertung angeht. Von allen Romanen Gioconda Bellis, die ich bisher gelesen habe, empfinde ich diesen als ihren schwächsten. Am Schreibstil gibt es auch diesmal nicht viel auszusetzen, der ist wieder wunderbar flüssig und leichtfüßig – manchmal vielleicht sogar schon zu oberflächlich, in Anbetracht der Themen, die hier behandelt werden. Außerdem hat mir ein bisschen das Poetische gefehlt, das Belli, die ebenfalls Lyrikerin ist, sonst so gekonnt in ihre Erzählungen mit einfließen lässt.


    Was mir am wenigsten gefallen hat, war die Tatsache, dass Sofia, auch wenn sie mehr als genug leiden musste, fast alles irgendwie in den Schoß fällt. Durch einen blöden Zufall wird sie von ihren Eltern verlassen, aber sie findet sogleich zwei liebevolle Pflegeeltern, die sich um sie kümmern. Später schafft sie es schließlich, sich von René loszusagen, was ihr aber durch ihr reichhaltiges Erbe sehr erleichtert wird. Wie wäre es gewesen, wenn sie nicht soviel Geld gehabt hätte? Hätte sie sich trotzdem durchbeißen können? Das hätte mich sehr viel mehr interessiert.



    Insofern war die Lektüre an diesem Punkt lehrreich, obwohl ich manchmal schon mit dem Kopf schütteln musste, was hier alles thematisiert wird, obwohl es in unserem Weltbild doch selbstverständlich ist.


    Für uns mag es selbstverständlich sein, aber dass die Emanzipation nicht überall so weit fortgeschritten ist wie bei uns, war mir auch vor der Lektüre klar. Deswegen fand ich die Dinge, die hier angesprochen werden, keineswegs überraschend.



    Dementsprechend macht die Protagonistin im Laufe der Handlung eine gewaltige Wandlung durch - von der völlig gegängelten und weggesperrten Ehefrau zur selbständigen, eigenverantwortlichen Unternehmerin. Einen Rückschlag erhält ihre Entwicklung in meinen Augen in dem Moment, als ihr Kind auf die Welt kommt - ab sofort haben wir es nur noch mit einer besorgten Mutter zu tun, die ihre ganzen erreichten Ziele diesem einen kleinen Menschen opfert.


    Diese Wandlung fand ich auch etwas unglaubwürdig, obwohl man bedenken muss, dass sich die Handlung über mehrere Jahre erstreckt. Trotzdem konnte ich nicht nachvollziehen, warum Sofia ausgerechnet zu einer Superglucke mutiert. Ich denke, es hat etwas mit ihren Verlustängsten zu tun – aber dieser Aspekt wird meiner Meinung nach zu sehr vernachlässigt und bekommt erst gegen Ende eine enorme Wichtigkeit.



    Gelungen fand ich dagegen einen ganz anderen Aspekt: es ist nämlich so, dass innerhalb von Sofias Geschichte auch immer wieder Kirche und Naturglauben gegenüber gestellt werden.


    Das fand ich auch sehr gelungen. Keinem von beiden wird die Existenzberechtigung abgesprochen, auch wenn der Fokus hier mehr auf der Naturreligion liegt. Mit letzterem kann ich persönlich nicht ganz so viel anfangen, zumindest in der Form, wie es hier geschildert wird. Da fand ich den mystischen Aspekt, der bei „Bewohnte Frau“ mit in die Handlung eingewebt wird, wesentlich passender.


    Das Thema des Verlassen und Verlassenwerden gegen Ende des Buches fand ich dagegen hochinteressant, daraus hätte man eindeutig mehr machen und es schon früher mit in die Handlung einfließen lassen können. So gibt es für Sofia letztendlich doch eine Art Happy End, der Leser wird aber leicht unzufrieden zurückgelassen.


    Ich habe „Tochter des Vulkans“ gerne gelesen, aber da ich von Gioconda Belli einfach Besseres gewohnt bin, gebe ich hier auch 3ratten


    Viele Grüße,
    Cuddles :winken:

  • Hallo Cuddles,


    schön dass du dich auch so intensiv mit dem Buch auseinander gesetzt hast! :smile:



    Außerdem hat mir ein bisschen das Poetische gefehlt, das Belli, die ebenfalls Lyrikerin ist, sonst so gekonnt in ihre Erzählungen mit einfließen lässt.


    Stimmt, für ihre Verhältnisse ist der Stil fast ein bisschen zu nüchtern. Aber ich kam doch sehr gut zurecht damit.



    Was mir am wenigsten gefallen hat, war die Tatsache, dass Sofia, auch wenn sie mehr als genug leiden musste, fast alles irgendwie in den Schoß fällt. Durch einen blöden Zufall wird sie von ihren Eltern verlassen, aber sie findet sogleich zwei liebevolle Pflegeeltern, die sich um sie kümmern. Später schafft sie es schließlich, sich von René loszusagen, was ihr aber durch ihr reichhaltiges Erbe sehr erleichtert wird. Wie wäre es gewesen, wenn sie nicht soviel Geld gehabt hätte? Hätte sie sich trotzdem durchbeißen können? Das hätte mich sehr viel mehr interessiert.


    Das hat mich gar nicht so arg gestört, obwohl natürlich die Story sicherlich dadurch gewonnen hätte, wenn Sofia sich mal ein bisschen hätte ins Zeug legen müssen. Ihrer Entwicklung hätte das sicher gut getan, sie hätte sich mit den anderen Menschen viel mehr arrangieren müssen. So sitzt sie irgendwie die ganze Zeit im Goldenen Käfig.


    Diese Wandlung fand ich auch etwas unglaubwürdig, obwohl man bedenken muss, dass sich die Handlung über mehrere Jahre erstreckt. Trotzdem konnte ich nicht nachvollziehen, warum Sofia ausgerechnet zu einer Superglucke mutiert. Ich denke, es hat etwas mit ihren Verlustängsten zu tun – aber dieser Aspekt wird meiner Meinung nach zu sehr vernachlässigt und bekommt erst gegen Ende eine enorme Wichtigkeit.


    Ja, diese Kurve hat die Autorin einfach nicht richtig hinbekommen, da wäre mehr drin gewesen, wenn sie das Verlustthema etwas mehr ausgearbeitet hätte. Wie du schon sagst:



    Das Thema des Verlassen und Verlassenwerden gegen Ende des Buches fand ich dagegen hochinteressant, daraus hätte man eindeutig mehr machen und es schon früher mit in die Handlung einfließen lassen können.


    Mich hat das am Ende irgendwie völlig überrascht und ich konnte und wollte mich dann einfach nicht mehr darauf einlassen - denn im Endeffekt hätte ich das Buch unter diesem Aspekt nochmal von vorne lesen müssen.


    :winken:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Hallo Miramis,



    schön dass du dich auch so intensiv mit dem Buch auseinander gesetzt hast! :smile:


    gerne, schließlich war es ein großer Anreiz, gleich danach mit jemandem über das Buch diskutieren zu können. :)



    Stimmt, für ihre Verhältnisse ist der Stil fast ein bisschen zu nüchtern. Aber ich kam doch sehr gut zurecht damit.


    Gut zurecht kam ich mit dem Stil auch, der Roman ließ sich flüssig lesen und die Seiten flogen nur so dahin. Aber ich fand ihn - wie ich oben schon geschrieben habe - für Bellis Verhältnisse schon fast zu oberflächlich und war deswegen ein bisschen enttäuscht.



    Das hat mich gar nicht so arg gestört, obwohl natürlich die Story sicherlich dadurch gewonnen hätte, wenn Sofia sich mal ein bisschen hätte ins Zeug legen müssen. Ihrer Entwicklung hätte das sicher gut getan, sie hätte sich mit den anderen Menschen viel mehr arrangieren müssen. So sitzt sie irgendwie die ganze Zeit im Goldenen Käfig.


    Ich fand es einfach nicht realistisch genug. Wieviele Frauen gibt es in ihrer Situation in ihrem Land, die so viel Geld zur Verfügung haben? Es wäre auch interessant gewesen, ob dann die Dorfbewohner vielleicht anders auf sie reagiert hätten. Ich finde, dass bei den ganzen Verleumdungen von Patrocinio und Konsorten immer ein bisschen Neid mitschwingt. Wenn Sofia arm wäre, vielleicht hätten sie sie eher als eine von ihnen akzeptiert?



    Mich hat das am Ende irgendwie völlig überrascht und ich konnte und wollte mich dann einfach nicht mehr darauf einlassen - denn im Endeffekt hätte ich das Buch unter diesem Aspekt nochmal von vorne lesen müssen.


    Ja, wenn ich das Buch noch mal lesen sollte, werde ich auch versuchen, diesen Aspekt von Anfang an zu berücksichtigen. Das wird aber nicht in naher Zukunft geschehen. :zwinker:


    Viele Grüße,
    Cuddles :winken: